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Rezension: "Proletarische Prinzessinnen" im Widerstand: Heike Geißlers "Die Woche"

Rezension

"Proletarische Prinzessinnen" im Widerstand: Heike Geißlers "Die Woche"

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    Die Autorin von "Die Woche": Heike Geißler.
    Die Autorin von "Die Woche": Heike Geißler. Foto: dpa

    Dies ist ein Buchtipp für Menschen, die den Montag hassen. Das unlustige Gefühl am Wochenbeginn, zurück im Büro, nach dem viel zu süßen Sonntag – wer an solchen Montagsschmerzen leidet, dem kann vielleicht „Die Woche“ von Heike Geißler helfen. Als Konfrontationstherapie. In diesem Buch kämpfen sich zwei Frauen durch eine Woche, die (fast) nur aus Montagen besteht. Ein Montag folgt dem nächsten, der Wochentag klebt an ihren Fersen wie Mist. Und in dieser Fantasie entwickelt sich das Buch wie ein Roman, der keiner sein will. Es ist vielmehr Lyrik, die Sprache, Zeit und Ort verwirbelt, ein langes Gedicht ohne belastbaren Plot. Und trotzdem steckt in Geißlers Werk auch eine politische Position, zur Schieflage der Nation.

    „Es war einmal“ war gestern. Heike Geißler nennt ihre Heldinnen zwar Prinzessinnen – aber genauer „proletarische Prinzessinnen“, Marx lässt grüßen. Prinzessin eins spricht als „ich“ im Buch, sie ist eine Frau um die vierzig, hat zwei Kinder, wohnt in Leipzig. Dort spitzt sich der Mietmarkt so zu, dass „ich“ in der Angst lebt, dass ihr bald der Rausschmiss droht. Geißler beschreibt das überrannte Stadtquartier in ihrer eignen Poesie: „Das Viertel, natürlich, bläst die Backen auf, so voll ist es schon.“ Dazu malt sie eine Kulisse, die märchenartig wuchert: Draußen vor der Tür bauen unheimliche Riesen ein bedrohliches Megakarussell auf. Ein Jahrmarkt für die Endzeit?

    Die zweite Adelige heißt Constanze. Sie ist angeblich „Produktionsassistentin“ und vielleicht die beste Freundin der Hauptprinzessin. Aber tatsächlich tritt sie auf wie eine Stimme im Kopf der Prinzessin. Sie ist ihr ständiger Zweifel: „Ja, sagt Constanze, du liebe Frau von vierzig Jahren: Und was nun? Ich sage: Keine Ahnung. Selten so wenig gewusst wie jetzt.“ Aber die Freundin hat auch schräge Geschäftsideen. Immer wenn dem Ich ein Licht aufgeht, heißt es: „Constanze will daraus ein Seminar machen.“ Dieser Satz gehört zu den Bausteinen, die dem Buch ohne Handlung etwas Halt geben.

    Die Prinzessinnen lieben Unordnung (und sehnen sich geheim nach Bürgerlichkeit, da bleibt Geißler angenehm zwiespältig) und sie sind auf Protest gebürstet: Pegida, Neonazi-Märsche, die beiden Frauen gehen auf die Straße – natürlich zur Gegendemo. „Uns zerfrisst allein der Anblick der Montagsdemonstranten das Herz“, klagen sie und stoßen auf Hamburger Gitter an jeder Ecke. In einer ihrer scharfen, schönen Formulierungen nennt Geißler diese Polizeiabsperrung „die Deko für die enger werdenden Jahre“. Dazu zitiert sie Zeitgeschehen, die Anti-Asyl-Proteste in Freital, Attacken auf Flüchtlingsheime. Sie erinnert daran, wie Bernd Höcke mit weißer Rose am Revers durch Chemnitz mitmarschierte. Gegen diese Schamlosigkeit stellt sich der Kontrast des größten Leids: „Gleich sehen wir in jedem LKW für immer Menschen erfrieren, ersticken.“

    Poetisch schön: Heike Geißlers Buch "Die Woche"

    So weit, so brutal. Witz steckt dagegen in den Nebenfiguren. Denn der Sensemann klingelt bald an der Türe. „Woher hat der Tod unsere Adresse?“, fragen sich „ich“ und Constanze noch. Aber zu spät, der Tod als Figur zieht bei den Heldinnen ein und erklärt sich erst später: „Ich suche, sagt er, schon seit ich berufstätig bin, nach neuen Perspektiven.“ Der Tod reist deshalb mit auf eine Kur und schnappt der „ich“-Erzählerin den Physio-Termin weg. Als stärkster Nebenspieler macht er die Montage leichter – für die Prinzessinnen und für Lesende.

    Das Kuriositätenkabinett hat weitere Mitglieder: Ein „unsichtbares Kind“ bettelt „ich“ an, doch endlich gezeugt und geboren zu werden: „Mit mir kommt ein neuer Anfang in die Welt.“ Aus dieser Lebensaufgabe, Mutter zu sein, zieht Geißler berührende Passagen, sie beschreibt die Geburt, auch die schwere Krankheit eines Kindes.

    Doch als hätte die Autorin die Zukunft gesehen, schleicht sich der Krieg als Motiv ein. Er krempelt jeden Blick auf die Welt und die Sprache um: „Am Rand des Krieges sitzt der schönste Roman von allen und will mit keinem Storytelling mehr etwas zu tun haben: You know, lass mal gut sein.“ Da dockt die Poesie an, die hier Zeit und Ort verwirbelt: „Es ist Dienstag. Das sagen alle Geräte, das sagt die Online-Ausgabe der Lokalzeitung.“ Aber nein, drei Seiten später ist wieder Montag.

    Später reist „ich“ nicht wieder einen Tag, sondern Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit, um in einer schwarz-weiß-DDR zu landen. Die Heldin erinnert sich da an die Zeit als Thälmann-Pionier und an Ost-Fernsehstars. Das Land trägt „ich“ mit sich, immer noch. Aber auch Namen aus dem Jetzt ploppen auf: Einen „MeToo“-Seitenhieb kassiert Ex-Berlinale-Chef Dieter Kosslick.

    In Geißlers starke Wortlust verirren sich nur selten schräge Bilder. Die Zeit sei eine „wilde Araberstute“? Na ja. Und manche Sätze klingen leicht nach konsumkritischem Poetry-Slam: „Wir können jede Sorge in Bedürfnisse verwandeln, die sich in Kaufhäusern und Malls halbwegs befriedigen lassen.“

    Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2021 las Geißler, geboren 1977 in Riesa, erste Zeilen aus „Die Woche“. Jetzt legt sie 16 Kapitel vor, eine lyrische Montags-Montage. Was ist das nur? Vielleicht eine Spur Jelinek, mit etwas „Alice im Wunderland“. Dies ist jedenfalls kein Buch für Freunde klassischer Erzählweisen. Aber wer eine Schwäche für Poesie mit politischem Wumms hat, wird den adeligen Arbeitertöchtern beipflichten: „Wir proletarischen Prinzessinnen sind eine gute Idee.“

    Das Buch: Heike Geißler: Die Woche. Suhrkamp, 316 Seiten, 24 Euro.

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