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Rezension: Fatma Aydemir: "Dschinns" - so ist das Buch

Rezension

Fatma Aydemir: "Dschinns" - so ist das Buch

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    Die Autorin von "Dschinns": Fatma Aydemir.
    Die Autorin von "Dschinns": Fatma Aydemir. Foto: dpa

    Den Dschinns ist im Koran eine eigene Sure gewidmet. Was schon den arabischen Philosophen Al-Masudi aber nicht daran hinderte, an ihrer Existenz zu zweifeln. Auffallend sei ja doch, dass sie dem Menschen meistens in der Einsamkeit begegnen. Dann also, wenn man sich vielleicht nach einem Begleiter sehnt – und sei es auch ein Geist, ein Wesen aus rauchlosem Feuer. Mit der Einsamkeit aber ist man dann auch gleich bei Fatma Aydemir und ihrem neuen, zweiten Roman „

    In sechs Geschichten zeichnet Aydemir das Porträt der Familie Yilmaz, die kein Zuhause hat, keines schaffen kann. Und setzt in dem Moment ein, in dem aus der Sehnsucht danach zum ersten Mal Realität werden könnte. Vom Ankommen träumt jedenfalls Vater Hüseyin, knapp 60, der nach Istanbul gereist ist, um dort die Vier-Zimmer-Wohnung einzurichten, für die er sich in deutschen Fabriken krumm gearbeitet hat. „Sie nennen es Frührente, aber nichts davon fühlt sich früh an.“ Fest steht, sobald der Jüngste die Schule beendet hat, will er das kalte, herzlose Land verlassen. „Hüseyin … weißt du, wer du bist?“, fragt eine Geisterstimme zur Eröffnung des Romans, wenige Seiten später spürt der Familienvater Schmerzen und Enge in der Brust – Herzinfarkt. Weil nach islamischem Ritus die Toten innerhalb von 48 Stunden beerdigt werden müssen, bricht die ganze Familie von Deutschland nach

    Fatma Aydemir erzählt in "Dschinns" die Geschichte einer heimatlosen Familie

    Ein Trauma, eine Verletzung, ein Geheimnis trägt jeder in dieser Familie, die von Heimat-, Sprach- und Identitätsverlust gekennzeichnet ist. Weiß du, wer du bist? Mit dieser Frage als Leitmotiv erzählt Aydemir vom jüngsten Sohn Ümit, der sich in einen Mitspieler seiner Fußballmannschaft verliebt hat, vom Trainer zu einem homophoben Therapeuten geschickt wird. Von seiner Schwester Peret, dem zweitjüngsten Kind, die nach dem Abitur so schnell wie möglich ihre „Scheißfamilie“ und das „Scheißkaff“ verlässt, nach Frankfurt zum Studieren geht, sich in feministische Theorien einarbeitet, die Magisterarbeit über Nietzsche schreibt – aber doch brav alle zwei Wochen zur depressiven Mutter ins fiktive Rheinstadt fährt. Der Sohn Hakan wiederum vertickt Autos, alles nicht ganz legal. Die älteste Tochter Sveda ist bei den Großeltern zurückgelassen worden und erst mit 14 Jahren nachgeholt worden, der Schulbesuch bleibt ihr verwehrt, die Eltern verheiraten sie.

    Aydemir lässt den Roman Ende der Neunzigerjahre spielen, erzählt von Ausländerhass, der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte, Diskriminierung und einem hässlichen Deutschland. Während ihr bei den Töchtern fein ziselierte Porträts gelingen, bleiben die Söhne selbst jedoch so wenig fassbar wie die Geister, die Aydemir ruft: Der Part über Hakan scheint vor allem dazu da, über rassistische Polizeigewalt zu erzählen. Ohnehin, manchmal ächzt dieser Roman, weil ihm Aydemir, meinungsstarke taz-Kolumnistin, fast jeden aktuellen gesellschaftlichen Diskurs aufbürdet, ihn in unzählige Schicksal-Umdrehungen schickt. Eine atmosphärisch dicht erzählte Familiengeschichte, oft mitreißend – aber eben nicht in Gänze.

    „Vielleicht ist Familie ja nichts anderes als das, ein Gebilde aus Geschichten und Geschichten und Geschichten“, schreibt Fatma Aydemir: „Aber was bedeuten dann die Leerstellen in ihnen, das Schweigen? Sind sie die Lücken, die das ganze Konstrukt am Ende zum Einsturz bringen werden? Oder sind sie die Luft, die wir zum Atmen brauchen, weil die Wahrheit, die ganze Wahrheit, unmöglich zu ertragen wäre?“

    Das Buch: Fatma Aydemir: Dschinns. Hanser, 386 Seiten, 24 Euro

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