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Rezension: David Graeber über "Anfänge": So ist das Buch

Rezension

David Graeber über "Anfänge": So ist das Buch

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    Der Autor von "Anfänge": David Graeber.
    Der Autor von "Anfänge": David Graeber. Foto: dpa

    Was, glauben Sie, stimmt? Hat der Mensch ursprünglich in einem natürlichen Idealzustand gelebt, in kleinen, kooperativen Gemeinschaften, ohne große Hierarchien – bis er sesshaft wurde und mit der Landwirtschaft das Eigentum und mit den Städten die Herrschaft kam? Oder ist der Mensch von Natur aus ein von Eigeninteresse getriebenes Wesen, weshalb sich von Beginn an die Frage gestellt hat, welche Machtstrukturen den darin angelegten „Krieg aller gegen alle“ am besten einhegen können? Aber Moment! Ist das etwa eine Frage des Glaubens? Gibt es dafür nicht eine Wissenschaft? Zur Erforschung der Entwicklung der Menschheit?

    Der zweifellos berühmteste Kultur-Anthropologe unserer Zeit ist David Graeber – und der umstrittenste. Denn mit seinen Untersuchungen über die Entstehung der Ungleichheit etwa in „Schulden – Die ersten 5000 Jahre“ oder „Bullshit Jobs – Vom wahren Sinn der Arbeit“ und seinen politisch engagierten Schlüssen eckt der New Yorker (Kopf der kapitalismuskritischer „Occupy Wall Street“) stets mächtig an. Wobei es heißen muss: Er war und eckte … – denn der an der renommierten London School of Economics and Political Science lehrende Graeber starb vor eineinhalb Jahren im Alter von 59 Jahren.

    Aber unmittelbar zuvor stellte er noch ein (erstes) Werk mit dem wohl bislang umfassendsten Anspruch fertig, gemeinsam mit seinem Freund David Wengrow, einem weltweit führenden Archäologen: „Eine neue Geschichte der Menschheit“ zu schreiben. Statt geplanter drei Teile wird es nun bei diesem einen bleiben, das schlicht „Anfänge“ heißt, aber genug von der Unternehmung zu erkennen gibt, um schon wieder für reichlich Aufhebens zu sorgen. Denn die beiden anfangs geschilderten Szenarien (das erste nach Rousseau, das zweite nach Hobbes) identifizieren Graeber und Wengrow als die herrschenden Muster in den Menschheitserzählungen – und eben als nicht viel mehr als Glaubensdogmen, sie seien: „1. schlicht und einfach unwahr, 2. mit schlimmen politischen Konsequenzen verbunden und 3. dafür verantwortlich, dass die Vergangenheit langweiliger als nötig erscheint.“

    David Graeber: Berühmtester und zugleich umstrittenster Kultur-Anthropologe unserer Zeit

    Auf über 600 Seiten (mit starkem Fokus aufs Indigene) stellen die beiden dem ein Unzahl Indizien entgegen, die in beide Richtungen zielen. In die Vergangenheit, um zu zeigen, dass die Menschheit viel offener und freier und wechselhafter mit Eigentums- und Hierarchieformen umgegangen sind, als dass das in einer der herrschenden linearen Entwicklungsgeschichten aufgehen könnte. Und in die Zukunft, weil daraus folge, dass Alternativen zum heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem durchaus möglich seien – während „die meisten Autoren, die Geschichte in großem Maßstab behandeln“, offenbar zu der Ansicht gelangt seien, „wir stecken als Spezies fest und es gebe aus unseren selbst gebauten institutionellen Gefängnissen wirklich kein Entkommen“. Das geht gegen all die anderen Stars wie Yuval Noah Harari, Jared Diamond, Francis Fukuyama … Die beiden wollen damit die Möglichkeit einer Alternativerzählung als plausibel aufzeigen. Und das bietet ein spannendes, umfassendes Leseerlebnis.

    „Wenn etwas schrecklich schiefging in der Menschheitsgeschichte – und angesichts des heutigen Zustands der Welt ist dies kaum zu bestreiten –, dann vielleicht genau zu dem Zeitpunkt, als die Menschen die Freiheit verloren, andere Formen sozialer Existenz zu entwerfen und diese in einem solchen Ausmaß zu verwirklichen, dass heute manche der Ansicht sind, diese besondere Art von Freiheit könne nie existiert haben oder sei wenigstens im größten Teil der Menschheitsgeschichte nicht wahrgenommen worden.“ Das gilt es zu ändern.

    Das Buch: David Graeber, David Wengrow: Anfänge. A. d. Englischen v. Henning Dedekind, Helmut Dierlamm, Andreas Thomsen; Klett-Cotta, 672 Seiten, 28 Euro

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