Der Kleiderschrank quillt über, die Schubladen sind voller Kruscht und was sich in den Kisten unterm Bett verbirgt? Wann hat man da denn zuletzt reingeschaut? Neues Jahr, neue Vorsätze, viele sehnen sich nach Leichtigkeit. Also erst mal materiellen Ballast abwerfen und ausmisten, so ein Großputz fühlt sich ja manchmal an wie ein kleiner Neustart.
Marie Kondo, die unangefochtene Ordnungsqueen aus Japan, hat jahrelang erklärt, wie man all den Krimskrams loswird. Aber jetzt gibt es eine ganz neue Generation an Aufräumgurus, die mit Schleifchen im Haar das Treppenhaus wischen: Cleanfluencerinnen erreichen mit ihren Putzvideos Millionen Menschen auf Social Media.
Aber erst mal beim Altbewährten bleiben und bei den Kleidungsstücken anfangen. Das jedenfalls rät Kondo. Dann Bücher, Unterlagen, Kleinkram und zum Schluss die Erinnerungsstücke, denn sich von ihnen zu trennen fällt besonders schwer. Omas Kaffeegeschirr? Scheußlich, aber kann man doch nicht einfach wegwerfen! Der Liebesbrief vom Verehrer aus der vierten Klasse, schon süß. Der alte Nintendo? Läuft nicht mehr, aber beamt einen immer noch zurück in die Kindheit.
30-Tage-Challenge oder 12-12-12-Methode: Aufräumgurus kennen alle Tricks
Mit den meisten Sachen verbindet man etwas, wenn auch nur das schlechte Gewissen, sie nie gebraucht, genutzt oder getragen zu haben. Bei der Selektion der emotionalen Altlasten ist also Strategie gefragt. Oberste Ausmistregel nach Kondo: Nur Dinge behalten, die einen glücklich machen. Außerdem, predigt die Entrümpelungsmeisterin, sollte man nach Kategorien aufräumen und nicht nach Räumen. Also lieber in Dekoartikeln, Kabeln und Kleidungsstücken denken, statt über das Wohnzimmer herzufallen. Und: Alles was bleibt, bekommt einen festen Platz.
Das Bedürfnis, dem Besitz endlich mal wieder Herr zu werden, scheint groß, denn Kondo ist nicht allein mit ihren Ordnungstipps. Aufräumgurus weltweit lassen sich Methoden einfallen, um Menschen zum Reinemachen zu motivieren. Da wäre zum Beispiel die Drei-Kisten-Regel: Dinge behalten, weitergegeben oder wegwerfen und entsprechend sortieren. Oder die 30-Tage-Challenge: Am ersten Tag wird eine Sache aussortiert, am zweiten zwei Dinge, am dritten drei und so weiter. Wer dranbleibt, ist am Ende 465 Habseligkeiten los. Zu rabiat? Dann lieber die 12-12-12-Methode testen und zwölf Sachen aussortieren, zwölf spenden und ein Dutzend dem eigentlichen Besitzer zurückgeben, schon sind 36 Sachen aussortiert. Die schwedische Ordnungskünstlerin Margareta Magnusson denkt beim Aufräumen gleich an die Nachwelt. Ihr Credo: „Sammle nichts, was du nicht magst. Jemand wird sich eines Tages um all das kümmern müssen.“
Auf Tiktok finden sich unter dem Hashtag #cleantok mehr als fünf Millionen Videos
Die Sehnsucht nach innerer Ordnung und Reinigung sitzt tief, selbst bei jungen Menschen. Auch in den sozialen Medien wird fleißig gewischt und entrümpelt, vor allem junge Frauen machen Karriere als Cleanfluencerinnen. Sie schrubben vor der Kamera, testen Reinigungsmittel, geben Putztipps und ermuntern ihre Followerinnen, endlich mal wieder die Kopfkissen tiefenzureinigen (mindestens zweimal im Jahr!). Allein auf Tiktok finden sich unter dem Hashtag #cleantok mehr als fünf Millionen Videos – mit vielversprechenden Titeln wie „satisfying deep clean“ oder „warum der Dampfreiniger für immer in meinen Top 5 bleiben wird“.
Da kniet eine junge Frau am Boden und schrubbt, fesch gekleidet mit Schminke im Gesicht und Schleifchen im Haar. Endlich kann ich mal wieder das Treppenhaus putzen, trällert sie und hält den Wischmopp in die Kamera. Danach Abfluss reinigen, Fenster putzen, Kalk aus den Fugen kratzen. Und zwischendurch? Augenbrauen färben und Apfel-Zimt-Donuts backen – bis der Mann nach Hause kommt, ist alles erledigt. Klingt wie Werbung aus den 1950er-Jahren, sind aber aktuelle Videos, die perfekt ins Bild der “Tradwifes“ passen – noch so ein rückwärtsgewandter Social-Media-Trend, bei dem sich junge Frauen als „traditional wifes“, also traditionelle Ehefrau präsentieren. Sie kochen, backen, geben Tipps fürs Eheleben und halten sich fast ausschließlich in ihren Häusern auf.
Die Hausmittelchen der Großmutter sind alter Hut, heute erklären “Clean Mama”, „Mrs Hinch“ oder „Queen of Clean“, mit welchem Schwamm die Armatur sauber wird – und schrubben sich die Sorgen gleich mit von der Seele. Da gehen Videos viral, in denen Frauen das Waschbecken putzen, um die Trennung des Partners zu verarbeiten (#girltherapy). Das Mantra der Cleanfluencerinnen: Ordnung im Außen schafft Ordnung im Inneren. Einmal mit dem Dampfreiniger die Flecken vom Sofa entfernt, schon sind alle Probleme verpufft? Heile, reine Social-Media-Welt.
Warum schauen sich Millionen junger Menschen Putzvideos an?
Putzen für die Klicks? Warum nicht, mag sich die ein oder andere denken, dann lässt sich aus der lästigen Pflicht wenigstens Kapital schlagen. Aber es geht um mehr als schlierenfreie Fenster. Mit ihren Putzvideos kehren die Cleanfluencerinnen hart erkämpfte feministische Grundsätze unter den Teppich. Da die allermeisten Clips von Frauen gedreht werden, wird Hausarbeit als weibliche Tätigkeit wahrgenommen. Eine Umfrage ergab, dass die Ansichten zur Rollenverteilung umso stereotyper sind, je häufiger Social Media konsumiert wird. 35 Prozent der Frauen und 57 Prozent der Männer, die täglich soziale Medien konsumieren, geben an, dass Frauen vor allem ihren Haushalt und das Familienleben gut im Griff haben sollten.
Warum aber schauen sich Millionen junger Menschen überhaupt Putzvideos an? Hoffentlich nicht, weil sie ernsthaft daran interessiert sind, wie sich Ofengitter oder Kissen reinigen lassen. „Der ganze Aufwand, da kauf‘ ich lieber ein Neues“, kommentiert eine Nutzerin. Vielleicht geht es erst mal nur um den Vorher-Nacher-Effekt: Verkalkte Armatur. Schnitt. Essigreiniger. Schnitt. Alles glänzt. In 30 Sekunden ist weggewischt, was in Wahrheit Stunden dauert. Wie wohltuend. Vom Videoschauen allein räumt sich die Spülmaschine zu Hause zwar nicht aus, aber zum Glück kann man sich da auch einfach mal zurücklehnen.
Das ist ja fast schon vergleichbar damit das der Mensch einst den Wolf zum Hund domestiziert hat. Heute geht das nicht mehr, beide brauchen einen Therapeuten und solch einen Medienkanal... Da verdienen Leute die anscheinend genug Tagesfreizeit haben, Geld damit, anderen zu zeigen wie sie ihre Hütte sauber machen sollen. Die Zeit die man vor diesen Videos verbringt kann man auch schon gesaugt haben.... Nebenbei verursachen solche Videos einen gewaltigen Energieverbrauch, mit Umweltschutz brauchen wir da nicht anfangen, das Bio-Putzmittel im Video hat seine Wirkung dann schon verpufft...
"Da verdienen Leute die anscheinend genug Tagesfreizeit haben, Geld damit, anderen zu zeigen wie sie ihre Hütte sauber machen sollen." Und früher war es noch schlimmer, da haben die Leute sowas sogar im Buchhandel gekauft! Wie verlottert waren wohl die Menschen damals! Haushaltsführung und Haushaltspflege Altmann-Gädke, Gertrud; Greving, Carola ISBN: 3582042111 Ich hab sogar eine ganze Industrie gefunden die mit diesem abstrusen Geschäftsmodell lebt selbst hier in Augsburg: Nennt sich Ausbildung zur Hauswirtschafter*in!
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