Pro: Auf dem Land ist der Führerschein immer noch das Ticket in die Freiheit
Es gibt wohl kaum Menschen, die so viel Zeit mit dem Warten verbringen als diejenigen, die ländlich aufwachsen. An manchen Tagen kommt ein Bus alle Stunde, oft auch zu spät und an manchen Tagen gar nicht. Dabei möchte man doch als junger Mensch rein in die Stadt, in den Trubel – und ins Leben!
Mit der frisch gewonnenen Fahrerlaubnis, vielleicht sogar dem ersten eigenen Auto (oder Carsharing) geht es dann erst richtig los, endlich Unabhängigkeit von Eltern und überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln. Mit dem Führerschein wird einem die absolute Spontanität versprochen. Das Ticket in die Freiheit. Es gibt kaum ein besseres Gefühl, als zu jeder Uhrzeit an jeden beliebigen Ort fahren zu können.
Oder auch zu müssen: Für viele Arbeitsstellen ist der Führerschein von Notwendigkeit. Bei Bewerbungsgesprächen fällt immer wieder die Gretchenfrage: „Und? Haben Sie ihn? Den Führerschein?“ Hierauf mit einem beschämten Nein antworten zu müssen, verringert oft die Chance, den Job bekommen. Die Fahrerlaubnis kann also vieles – sogar Leben retten: Wie sollen Rettungsdienstfahrende ohne Führerschein zur Einsatzstelle kommen? Indem sie auf den Bus warten?
Klar, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zu fahren, ist nicht grundverkehrt. Oft ist es die umweltschonendere Variante. Wer den Führerschein besitzt, muss deswegen ja nicht zwangsläufig immer mit dem Auto fahren. Falls es doch sein muss, bietet er einfach eine Absicherung. Zudem ist es ziemlich unschön, konstant die Beifahrer-Prinzessin zu sein. Mehr Verantwortung als das Navigieren ist da nicht drin. Und selbst diese Aufgabe fällt weg, nachdem zum dritten Mal die falsche Ausfahrt genommen wurde. (Elena Nieberle)
Contra: Verzicht auf den Führerschein würde Verkehrswende beschleunigen
Wer heute volljährig keinen Führerschein mehr macht, kommt endgültig im 21. Jahrhundert an. Und das Konzept von Auto und Führerschein sollte doch ohnehin längst überholt sein. Eigentlich ist es ja Wahnsinn, wie abhängig wir von diesem Gefährt sind, das seit seiner Erfindung nur in den Aspekten Geschwindigkeit und Sicherheit wesentlich weiterentwickelt wurde.
Der Patent-Motorwagen Nummer 1 von Carl Benz hatte 1886 zwar nur eine Höchstgeschwindigkeit von 16 Kilometern pro Stunde, dafür aber bereits einen passablen Verbrauch von knapp zehn Litern pro 100 Kilometer – auch nicht viel mehr als heutige Modelle.
Dafür haben wir unser Leben ganz schön auf dieses absurd unperfekte Fortbewegungsmittel zugeschnitten. Teuer im Erwerb und der Pflege, gefährlich in der Ausführung und abhängig von der Gunst anderer Verkehrsteilnehmender. Allein der Weg zum Auto ist mit dem Führerschein alles andere als erschwinglich. 2000 Euro kostet der Wisch in Bayern im Durchschnitt, nur um sich dem Stress zweier Prüfungen auszusetzen: Nach TÜV-Angaben scheiterten im vergangenen Jahr 43 Prozent an den praktischen Prüfungen, in den Theorieprüfungen lag die Durchfallquote bei 37 Prozent.
Durch den proaktiven Verzicht auf den Führerschein kommt man auch gar nicht erst in die Versuchung dieses Vehikels. Bündeln sich diese Kräfte, wäre schnell auch die weiterhin massiv subventionierte Industrie zum Umdenken gezwungen. Dann könnte man auch die dringend nötige Verkehrswende beschleunigen. Und die Diskussion würde sich auch nicht mehr um den Ausbau von Autobahnen drehen, sondern um Investitionen in Innovationen und um die Fortbewegungsmittel, von denen man sich in Zukunft abhängig machen will. (Dominik Durner)