Pro: Was erlaubt ist, ist erlaubt. Also machen!
Eins vorneweg: Nicht jede Frau hat das Bedürfnis, mitten im Freibad vor allen ihre Brüste frei zu zeigen. Ich auch nicht – zumindest nicht direkt am Eingang, in erster Reihe am Schwimmbecken oder in der Warteschlange beim Pommesholen. Man muss ja nicht provozieren. Lieber suche ich ein Sonnenplätzchen, an dem ich mich auch mit Bikini-Oberteil wohlfühle – und lasse es weg. Einfach so, ganz subtil. Warum? Weil ich es kann. Und weil es gut tut. Und zwar nicht nur mir.
Alle in der Gesellschaft können von mehr Oben-Ohne in der Öffentlichkeit profitieren: Je alltäglicher und entspannter der Umgang mit Brüsten wird, desto weniger Raum ist für Schönheitskomplexe und übersteigerte Erwartungen an den Körper. Außerdem: Was erlaubt ist, ist erlaubt. Schätzen wir uns glücklich, in so einem liberalen Land zu leben. Also nutzen wir auch die Möglichkeiten, die wir bekommen. Nicht, dass sie kaum genutzt werden und Freibad-Verantwortliche es sich wieder anders überlegen.
Und ja: Gaffende Blicke gibt es. Es werden sich immer Menschen finden, die mich mustern oder meinen Körper bewerten – Männer wie Frauen. Und zwar völlig unabhängig davon, ob ich einen Badeanzug, einen Bikini oder gar nichts trage. Denn es ist nicht immer die Nacktheit der weiblichen Brust, die Assoziationen weckt. Auch knappe Bikini-Oberteile wirken sexualisierend, weil sie die Brust verbergen und Formen andeuten, anstatt zu zeigen, wie und was sie ist: das Natürlichste überhaupt.
Doch die Sorge vor Gaffern ist eine Spirale, in die ich gar nicht reinwill: Gehe ich von Anfang an davon aus, dass mich Blicke anderer mustern, bewerten oder sexualisieren – noch bevor diese mich überhaupt treffen – gehen patriarchale Strukturen doch bei mir direkt im Kopf los. Erwarte ich, dass jemand guckt, schaue ich mich nach Blicken um, wirke unsicher und ziehe erst recht Blicke auf mich. Dann fühle ich mich noch unwohler und ziehe mich doch wieder an.
Es liegt also auch und gerade an mir, die Spirale zu unterbrechen. Vielleicht nicht als Aktivistin an vorderster Front. Aber einfach als eine derjenigen, die Freiheitsrechte begrüßen und aktiv wahrnehmen. Wer Wandel zu mehr Offenheit, weniger Tabus und weniger patriarchalen Strukturen einfordert, muss ihn auch mittragen. (Anika Zidar)
Contra: Oben ohne? Ohne mich!
Es braucht immer Vorkämpferinnen, das ist klar. Sobald es um Rechte für Frauen geht, braucht es eine oder eine Gruppe, die sich stark macht, vorangeht – vielleicht auch provoziert. Allein aus dieser Perspektive betrachtet, ist es toll, dass Frauen für ihr Recht einstehen, oberkörperfrei ins Schwimmbad gehen zu können. So wie Männer eben auch. Doch irgendwie erfüllt mich der Anblick immer neuer Karten, die zeigen, welche Schwimmbäder jetzt Frauen mit nackten Brüsten erlauben, nicht mit emanzipatorischer Freude. Sondern mit Sorge. Das liegt nicht an den Frauen, sondern an der Gesellschaft.
Jeden Sommer sehe ich in den sozialen Medien aufs Neue Frauen, die andere Frauen ermutigen, in kurzen Röcken, mit Spaghetti-Träger-Tops oder bauchfrei nach draußen zu gehen – ganz egal, wie ihre Körper vermeintlich aussehen. Es ist heiß, jede soll tragen können, was sie möchte. So die Kernaussage dieser Botschaften. Doch offenbar trauen sich viele Frauen das immer noch nicht. Zu eingeübt ist der kritisierende Blick von außen: Kann die das tragen? Mit dieser Figur? Ja! Muss die Antwort lauten. Kann sie! Doch in unserer Gesellschaft ist es völlig selbstverständlich, dass Frauenkörper bewertet werden. Von Frauen. Und von Männern. Warum erzähle ich das, obwohl es um das Thema Oben ohne geht? Weil bei Röcken und Oberteilen nur das Aussehen von Armen, Beinen, Bäuchen bewertet wird. Und schon da ist es für Frauen schwer, sich zu zeigen, wie sie sind. Bei Brüsten ist es noch viel schlimmer. Denn die werden nicht nur beurteilt (straff genug? groß genug?), sondern auch noch sexualisiert. Es wird ja oft schon als anstößig empfunden, wenn eine Mutter ihre Brüste zum Stillen zeigt.
Finde ich das gut? Nein, ich finde es ätzend. Aber ich habe eben auch keine Lust, im Freibad diesen bewertenden, gaffenden Blick auf mir zu spüren, den jede Frau kennt. Und deshalb denke ich mir bei den Meldungen zur wachsenden Zahl der Bäder, die Oben-Ohne-Sein auch für Frauen erlauben, leider immer nur: Toll, ein weiterer Ort, der stierende Männer anzieht. Allein schon deshalb würde ich mich von diesen Bädern fernhalten, obwohl ich gar nicht vorhabe, mein Oberteil wegzulassen. Zu groß ist meine Sorge, dass dort extra viele schaulustige Männer versammelt sind. Wenigstens beim Baden will ich meine Ruhe haben. Wirklich: Ich bin jederzeit bereit, für Gleichberechtigung zu kämpfen. Aber nicht mit meinen Brüsten. (Christina Heller-Beschnitt)