Pro: Das Tauschen von Identitäten gehört für Kinder zum Spiel
Erstaunlich, dass der Söder Markus das ausgelassen. Statt als Stammvater als Indianerhäuptling im Fasching: Wäre der Aufmerksamkeitsknaller gewesen! Und nicht wenige hätten ihn bestätigt: Warum denn nicht? Ist das jetzt verboten? Nö. Aber nicht alles, was nicht nicht gedurft wird, muss dann doch auch gemacht werden. Erwachsenen sollte man ein gewisses Problembewusstsein zumuten können, wenn im Hintergrund des Schabernacks hier ein von Weißen verübter Genozid steht, ohne dass man ihnen damit den geliebten Winnetou wegnimmt.
Bei Kindern aber ist das gleich doppelt etwas anderes. Zum einen ist die Verkleidung hier in viel umfänglicherem und ja auch alltäglicherem Sinne Spiel – dazu gehört wesentlich das Schlüpfen in Rollen und Tauschen von Identitäten. Mit Anleihen aus anderen Kulturen oder Epochen werden da auch Gesellschafts- und Familien-Modelle probiert. Der Quatsch hat hier Sinn! Und man kann auch schön finden, dass da noch (!) historisch Menschliches auftaucht zwischen reinen Fantasy-Figuren von Star Wars und Co. Zum anderen besteht hier vor jeder moralischen Wertung die Möglichkeit einer emotionalen Nähe. Kinder, die das Indianerspiel lieben, werden viel aufmerksamer etwa in ihren Geschichtssachbüchern die Kapitel über die „First Nations“ beachten – und damit viel wahrscheinlicher ein Problembewusstsein entwickeln, weil sie schockieren wird, wie europäische Auswanderer in der neuen Welt mit den dort bereits lebenden Menschen wirklich umgegangen sind. So werden sie, später vielleicht als „Avatar“-Figuren verkleidet, auch wissen, dass diese weltweit erfolgreichsten Filme keine bloßen Fantasiedramen sind, sondern Anverwandlungen einer wahren Tragödie. (Wolfgang Schütz)
Contra: Stereotype werden weitergetragen
Noch keine fünf Wörter getippt, schon dröhnt das Gezeter der Gegner durch den Kopf: Kinder nicht mehr als Indianer verkleiden? Was soll der Schmarrn? Völlig übertrieben. Dieses Geschwätz von kultureller Aneignung! Was soll an Fransenjacke, Kriegsbemalung und Federn im Haar rassistisch sein? Der Kleine mag halt Winnetou.
Ließe sich über Piraten, Vampire oder Matrosen schon sagen. Wurden aber halt auch nicht von Weißen unterdrückt, vertrieben und getötet, um später als fröhliche Romanfiguren durch die Prärie zu galoppieren. Aber grausige Geschichten über millionenfaches Morden hätten sich nicht gut verkauft, das wusste selbst May, der alte Hochstapler. Also lieber verkitschen und verharmlosen. Tipi, Federn, Marterpfahl – fertig war der Klischee-Indianer. Von den 600 indigenen Volksgruppen Nordamerikas lebten zwar nicht alle in Zelten. Die wenigstens banden ihre Feinde an einen Holzstamm und so gut wie niemand saß schreiend auf dem Pferd und klopfte sich mit der Hand auf den Mund. Aber liest sich doch gut – bis heute.
Das Stereotyp ist zementiert, die verklärte Karl-May-Romantik wird weitergetragen, auch im Faschingskostüm. Ist doch nur Spaß! Wer denkt denn da an Ausbeutung und Genozid? Oder ist das womöglich genau das Problem? Dass, wenn niemand darüber nachdenkt, sich die falschen Vorstellungen nicht ändern, die ein Autor mit viel Fantasie und Faktenverdrehung vor 130 Jahren schuf? Muss man jetzt aber nicht weiterdenken. Denn auch so wirkt ein Indianer-Kostüm irgendwie aus der Zeit gefallen. Welches Kind will schon mit Fransen am Ärmel zur Faschingsfeier, wenn es in Spiderman-Anzug oder Paw-Patrol-Uniform schlüpfen kann. (Felicitas Lachmayr)