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Foto: Frank Rumpenhorst, dpa (Symbolbild)
Foto: Frank Rumpenhorst, dpa (Symbolbild)

Jedes Buch bis zum Ende lesen oder aufhören, wenn es einem nicht gefällt?

Pro und Contra
22.10.2023

Frage der Woche: Bücher einfach mal nicht zu Ende lesen?

Von Doris Wegner, Felicitas Lachmayr

Jedes Buch bis zum Ende durchlesen oder den öden Schinken weglegen, wenn er einem nicht gefällt? Darüber lässt sich unter Literatur-Fans streiten.

Pro: Lesezeit darf nicht verschwendet werden

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher. Die Handlung langweilig, die Figuren hölzern, der Schreibstil ärgerlich, warum sollte man ein solches Buch zu Ende lesen? Um auf der letzten Seite zu erfahren, dass man tatsächlich nichts verpasst hat? Schade um die Zeit, die man sich sowieso viel zu selten nimmt, um mit einem Buch in der Sofaecke abzutauchen. 

Klare Devise deshalb: Lesezeit darf nicht verschwendet werden. Mit der Fernbedienung zappt man ja auch weiter. Oder hat schon mal irgendwer behauptet, man müsse das „Sommerhaus der Stars“ zu Ende sehen, nur weil man die Folge angefangen hat? Und wer trinkt die Flasche Rotwein bis zur Neige, obwohl der Rebensaft übelst korkt? Na also! Keine falsche Verneigung vor Büchern, nicht alle verdienen uneingeschränkte Lesetreue.

Mehr als 71.000 Bücher sind vergangenes Jahr allein in Deutschland erschienen, allein auf der Buchmesse in Frankfurt werden aktuell Tausende Titel vorgestellt. Da liegt es auf der Hand, dass nicht jede Neuerscheinung das Zeug zum Pageturner hat, also ein Buch ist, das man am liebsten in einem Rutsch zu Ende lesen möchte. 

Wer gerne liest, kennt das Dilemma viel zu gut. Da sind so viele Bücher, die man gerne lesen würde und für die man noch immer keine Zeit gefunden hat, dann die aktuellen Buchempfehlungen, die auch spannend klingen … Dieser ständige Spagat lässt sich ansatzweise nur bewältigen, indem man Prioritäten setzt. Und die oberste heißt: Bücher zur Seite legen, die keine Verheißung sind. Na klar, muss man einem Autor, einem Plot auch mal eine Chance geben und tapfer weiterlesen – aber wenn man zum dritten Mal eingeschlafen ist, ist das ein Zeichen. (Doris Wegner)

Contra: Ein unausgelesenes Buch erzeugt einen Dauer-Cliffhanger im Kopf

Da liest man voller Vorfreude ein neues Buch... und liest ... und liest ... und langweilt sich. Zähe Handlung, nerviger Protagonist, holpriger Stil, alles nicht so wie erwartet. Zeitverschwendung, sagen manche. Aber ein Buch aussortieren, ohne dessen Ende zu kennen? 

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Niemals. Bücher gehören ausgelesen, nur so lässt sich der eigene Kosmos, der in jedem Text steckt, in Gänze begreifen und bewerten. Vielleicht nimmt die Erzählung doch noch eine spannende Wendung oder bringt unterhaltsame Charaktere hervor. Wer nicht bis zum Ende liest, urteilt vorschnell. Abgesehen davon erzeugt ein unausgelesenes Buch einen Dauer-Cliffhanger im Kopf. Ein Gefühl der Ungewissheit. Da überwindet man sich lieber und liest den Text zu Ende. Das kann herausfordernd sein, hinterlässt aber ein deutlich besseres Gefühl. Und wer weiß, vielleicht transportiert auch die banale Handlung eine interessante Erkenntnis. 

Bücher lassen sich konsumieren wie TikTok-Videos, kurz reinlinsen und wieder zuklappen, wenn sie nicht gefallen. Aber beim Lesen geht es nicht um Effizienz und schnelle Eindrücke, sondern darum, sich in andere Welten einzufühlen. Das braucht Zeit. Mit schlechten Texten mag sie verschwendet sein, aber hat schon mal jemand sein Smartphone wegen stumpfsinniger Inhalte in die Ecke gepfeffert? Anderes Medium, andere Toleranzgrenze. 

Wie viele hirnrissige Videos von klimpernden Katzen, alles zermalmenden Hydraulikpressen oder misslungenen Wolf-und-Edgar-Cuts hat man sich schon reingezogen, wie viele Stunden mit dümmlichen Fernsehformaten verdaddelt. War halt doch ein guter Cliffhanger, was will man machen? Doch nicht etwa ein langweiliges Buch zu Ende lesen. (Felicitas Lachmayr)

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