Ein bewusst gewähltes Abenteuer
Es war irre. Mit dem damals bundesweit in allen Regionalzügen gültigen Wochenend-Ticket nach Berlin zu tingeln, das waren 13, 14 Stunden und mehr, fühlte sich an wie mehrere Tage. Gemeinsam mit anderen Zeitlupen-Abenteurern und zum Glück auch -innen aber, auf den eigenen Taschen in den Übergängen zwischen überfüllten Abteilen kauernd: Es war bei aller Strapaze, die einen irgendwann in eine Art Zen-Zustand versetzt, auch so schön und unverwechselbar, dass sich die Kontakte wie die Geschichten samt regionalen Vielfarbigkeit noch lange hielten. Denn so wie allein die Landstraßen zu all den Gesichtern eines Landes führen, so machen auch einzig die Regionalzüge abseits der Hauptbahnhofsfassaden Halt …
Natürlich waren die Abenteuer damals nur bedingt freiwillig, die Geldknappheit der Jugend … Und wahrscheinlich ließen sich heute aufgrund der allseitigen Bildschirmfixiertheit deutlich weniger an spontanen Bekanntschaften knüpfen. Aber vielleicht ist das ja auch nur ein Vorurteil, das die neuen Mengen an Regionalbahn-Fahrenden mit dem Neun-Euro-Ticket nun in der Begegnung widerlegen würden. Und ganz sicher ist das bewusst gewählte Abenteuer ein intensiveres.
Man kann sich ein Bild aus der Bergpredigt kulturell aneignen, Jesu Satz: „Wenn dich einer nötigt eine Meile mitzugehen, dann geh mit ihm zwei!“ Ein Hinweis, dass daraus, dass man mehr auf sich nimmt als geboten, dass man Weg und Zeit nicht nach Komfort und Effektivität wählt, ein Gewinn erwachsen kann, ein so sonst nicht mögliches Erleben. Klingt hoch gestochen für ewiges Bummelbahngegondel? Haben Sie eine Ahnung, auf welche Ebenen sich Gespräche so in Abteilübergängen schrauben können. Und dann das Umsteigen, immer wieder …
(Wolfgang Schütz)
Schöne Reise? Ein Nahverkehrszug dient nur dem Zweck.
Statt über die Entdeckung der Langsamkeit zu philosophieren, hier einfach mal ein Beispiel, das den ganzen Irrsinn des Unterfangens in Zahlen fasst: Wer sich an einem schönen Sommermorgen in Oberstdorf in den Zug setzt, um per Nahverkehr bis nach Westerland auf Sylt zu fahren, vom südlichsten Bahnhof Deutschlands zum nördlichsten, kann sich auf acht Mal umsteigen und zwanzig Stunden Fahrtzeit einstellen. Also, wenn er die schnellste Verbindung wählt und alles klappt. Bitte an dieser Stelle nicht zu laut lachen, liebe Pendlerinnen und Langstreckenreisende, weil zum einen: Die Bahn müht sich ja, baut gerade Strecken für die Zukunft aus, aber bis dahin wird es halt nix mit dem Pünktlichkeitsziel von 80 Prozent im Fernverkehr. Und zum anderen: Nahverkehrszüge sind tatsächlich viel häufiger fahrplanmäßig unterwegs. Wäre hier also ein Argument für die Gegenseite. Die entscheidende Frage ist ja aber auch die: Was ist das für eine Fahrt?
Ein Nahverkehrszug dient dem Zweck, nichts anderem. Er ist sozusagen die Drillichhose unter den Zügen, nur nicht so bequem. Alles, was man zum Überleben braucht, sollte man jedenfalls einstecken! Getränkewagen sind so selten wie Zugbegleiterinnen und -begleiter. Man ist auf sich gestellt! Um Sitzplätze konkurriert man nicht nur mit anderen Reisenden, sondern auch mit deren Taschen – wenig Stauraum nämlich. Die Lage dürfte sich mit dem Neun-Euro-Ticket verschärfen. Das aber soll keinesfalls als Niederrede auf Nahverkehr verstanden werden! Aber wer es kann, mag der sich auf so einer Reise nicht ein bisschen mehr Bequemlichkeit leisten, einen reservierten Platz, auch mal einen Kaffee? Durchsagen? Und den Nahverkehr denen überlassen, die dringend darauf angewiesen sind?
(Stefanie Wirsching)