Nur sie kann es sein. Denn allein die mediale Bespieglung der Wirklichkeit über die vergangenen Monate hinweg zeigt doch unmissverständlich, dass es niemand Bedeutungsvolleren, niemand Einflussreicheren gibt als sie. Wenn Joe Biden, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der sogenannte „mächtigste Mann der Welt“ also in Not ist, kann ihm nur eine Göttin helfen, und sei es die so schon betitelte „Popgöttin“, leibhaftig auch erscheinend in Germany demnächst: Taylor Swift!
Schon als Taylor Swift zum Wählen aufrief, war die Aufregung groß
Und das stimmt doch sogar auch noch, wenn man mit ins Kalkül nimmt, dass die mediale Bespieglung nur darum so maximal ausfällt, weil all die darbenden Medien halt auch ein Stückchen vom maximalen Taylor-Reibach abzubekommen hoffen, indem sie ihn selber zu optimieren versuchen, und sei es nur durch ein paar Klicks und Likes aus dem Swiftieversum. Denn Wertvolleres als die knappe Ressource Aufmerksamkeit gibt es nicht – und die haben ja allein schon alle sicher, die ein glücklich ergattertes Selfie mit der US-Sängerin vorweisen können, und gehören sie eigentlich auch dem bekanntesten Königshaus der Welt an.
Bei Biden ist Taylor schon vor längerem weiter gegangen – als sie sich nämlich politisch explizit für seine Wahl zum Präsidenten ausgesprochen hat, das war bereits vor vier Jahren, vor ihrer globalen Offenbarung als „Monster auf dem Hügel“ und ihrer Göttinwerdung also. Im aktuellen Wahljahr nun hat ja auch schon gereicht, dass sie zum Urnengang aufrief, um für große Aufregung zu sorgen und zur Vermutung Anlass zu geben, ihr Einfluss könne die Wahl zugunsten Bidens entscheiden. Das wäre dann wohl der Nachweis: Größte Influencerin Aller Zeiten.
Werden Harry Styles oder Billie Eilish auch bald ausgebuht?
Aber ob das noch reicht, da sich die Lage des guten alten Joe durch Vergreisungsgeraune so verschlechtert hat, dass auch Super-Influencer wie George Clooney sich bereits distanziert haben, dessen Einfluss hier übrigens konkret nachzuweisen an vielen Millionen Spendengeldern, die er für den Wahlkampf des Demokraten bislang eingeworben hat. Was also tun, Taylor? Ein öffentliches Workout mit Joe? Immer wieder? Würde sie das andererseits nicht noch viel mehr dem Hass preisgeben, dem sie ja von republikanischer Seite ohnehin schon ausgesetzt ist?
Weil ja, das Verhältnis von Pop und Politik ist eben ein kompliziertes geworden in diesen komplizierten Zeiten. Rod Stewart kann in Leipzig vor Zehntausenden seiner Fans nicht einfach über den russischen Präsidenten als Kriegstreiber herziehen, in der Sicherheit, dass sich alle gemeinsam auf der Seite des Guten und Richtigen befinden – nein, er wird dort ausgebuht und ausgepfiffen. Und wenn sich Helene Fischer im Stern neben anderen Pop-Promis gegen die AfD stellt, bekommt sie denselben Scheißesturm ab wie nach ihrer ersten politischen Äußerung, als sie sich für Flüchtlingshilfe ausgesprochen hatte. Werden demnächst noch Bono von U2 oder Chris Martin von Coldplay ausgepfiffen, wenn sie den Weltfrieden predigen – oder Harry Styles oder Billie Eilish ausgebuht, wenn sie von der Freiheit der Liebe künden?
Es zeichnet sich jedenfalls eine spannende Doppelwende der Pop-Historie ab. Einst nämlich erregten die Protagonisten gerade mit ihren Appellen und ihrem Ein- wie Auftreten für die Freiheit Anstoß – die da noch herrschende, traditionelle, hierarchische (Werte-)Ordnung nämlich verstand das als Verstoß, als Angriff, als linke Provokation.
Verkehrte Welt: Pop wird plötzlich wieder politisch
Solcherlei gibt es im neuen Jahrtausend aber nur noch in Ländern wie China, Russland oder dem Iran – im liberalen Westen waren das bloß noch Posen. Drehung eins darum: Anstoß erweckten nun vielmehr, die sich gegen das vermeintlich Selbstverständliche stellten: die Erzählung vom moralisch selbstgefälligen, dem dekadenten, links(grün)-liberal(versifft)en Mainstream hier, die Gegenerzählung von der sich erhebenden neuen Rechten dort, die sich bis in die Mitte der Gesellschaft fortzupflanzen droht, eine sich formierende, um ihre Repräsentanz fürchtende „Minderheit“, die für „Normale“ auch Meinungsfreiheit einfordert.
Drehung zwei nun: Künstler des sogenannten Pop-Mainstreams begegnen jener vermeintlichen Minderheit in ihrem Publikum und können das Grundeinverständnis nun nicht mehr voraussetzen. Ob Pop es will oder nicht – Pop wird dadurch auch in seinen Heilewelt-Posen plötzlich wieder politisch – und irgendwie bedeutend, selbst wenn da nur private Empfindsamkeit zu gefällig Eingängigem verarbeitet wird. Taylor Swift steht also nun sowieso für Joe Biden, ob sie es so sehr wollte oder nicht.
Wie wollte Donald Trump in einem Duell gegen Taylor Swift nicht lächerlich aussehen?
Das Beste, was sie für ihn tun kann, ist darum zu sagen: „Es ist gut, Joe. Du hast getan, was du konntest. Ich mach das jetzt.“ Und wer würde Biden dann noch verdenken, dass er sich der Größten Influencerin Aller Zeiten gebeugt hat? Wer könnte in einem Land, das schon Western-Schauspieler als Präsidenten gesehen hat, für unwahrscheinlich halten, dass der logische Schritt dieses Zeitalters auch noch vollzogen wird und die medial offenbar bedeutsamste Person der Welt dann auch zur mächtigsten Person der Welt wird? Wie wollte Donald Trump gegen Taylor in einem Duell nicht lächerlich aussehen? Und wie sollte Frau Swift sonst noch Höhepunkte setzen, wenn in ihrer Popkarriere doch der Göttinnenstatus bereits erreicht ist?
Ein linker Slogan findet zu seiner turbokapitalistischen Wendung: Swifties aller Länder vereinigt euch! Taylor for President! Das müsste auch der gute alte Joe verstehen. Demokratie!
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