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Was tun, wenn man sich vom Partner nicht wertgeschätzt fühlt?

Beziehungsfragen

Was tun, wenn man sich vom Partner nicht wertgeschätzt fühlt?

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    Über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen, ist wichtig in einer Beziehung. Denn so schön es auch wäre, niemand kann Wünsche hellsehen.
    Über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen, ist wichtig in einer Beziehung. Denn so schön es auch wäre, niemand kann Wünsche hellsehen. Foto: Adobe Stock

    Ein Paar sitzt in der Praxis. Sie: „Ich fühle mich von dir nicht mehr wertgeschätzt.“ Der Partner scheint resigniert, er nickt betroffen und schweigt. Ich frage: „Welche Form der Wertschätzung wünschst du dir denn?“ Sie: „Einfach mehr Verständnis für alles, was ich für die Familie tue!“

    Dies ist eine häufige Szene. Ich frage: „Wofür möchtest du Verständnis und Wertschätzung? Nenn doch gerne mal zehn Punkte.“ Die Klientin antwortet: „Naja, alles was ich für unsere beiden gemeinsamen Kinder tue.“ Ich notiere den ersten Punkt auf einem Blatt, es folgt eine lange Pause. Ich frage etwas konfrontativ nach: „Was sind die anderen neun Punkte?“ Die Klientin wirkt plötzlich traurig, ich ahne wieso. Sie weint, wirkt tief erschöpft vom Kampf um das Gesehenwerden. Wie soll ihr Mann verstehen und wertschätzen, was seine Partnerin alles tut, wenn sie es selbst nicht erkennt und in Worte fassen kann?

    Wir können Wertschätzung nur empfangen, wenn wir unseren Beitrag selbst anerkennen

    Der Partner wirkt in dieser Dynamik als Spiegel. Denn wie sollen wir Wertschätzung empfangen, wenn wir uns selbst nicht für unser Sein und unseren Beitrag anerkennen? Ich teile einen Teil aus meinem eigenen Leben. Erzähle von meiner Frau, die viermal schwanger war, die Kinder über ihre eigenen Bedürfnisse gestellt und körperliche und emotionale Verletzungen auf sich genommen hat. Ich kann nicht sagen, dass ich vollständig verstehe und sehe, was meine Frau alles tut. Ich vertraue darauf, dass ich so viel mehr von ihr bekomme als ich sehe.

    Ich frage die Klientin, ob sie die Liste um weitere neun Punkte ergänzen möchte. Es fällt ihr nun leichter, sie wirkt gestärkt, vielleicht ein wenig wütend: „Ich koche jeden Tag mehrmals, ich kaufe ein, gehe zum Arzt mit den Kindern, kaufe Geburtstagsgeschenke, habe meine Periode, schneide unzählige Mal Fingernägel, begleite Wutausbrüche und Trotzphasen, bin allein mit den Kindern, habe mich finanziell abhängig machen müssen, verzichte auf meine Karriere und bekomme dadurch weniger Anerkennung, habe weniger Austausch mit Erwachsenen.“ Wir sind am Ende bei über 25 Punkten, der Partner ist erstaunt.

    Manchmal wage ich eine konfrontative Intervention und sage: „Dein Mann wird nie ganz verstehen, was du alles für die Familie tust. Du kannst es ihm erklären, dafür sorgen, dass er einen Teil der Strecke in deinen Schuhen läuft (mehr Aufteilung der Care-Arbeit) und am Ende kannst du nur klar und deutlich sagen, was du dir als Ausdruck seiner Wertschätzung wünscht.“

    Um emotional präsent zu sein, müssen wir uns vom Arbeitsalltag ablösen

    Dafür müssen wir uns alte Glaubenssätze, die wir über uns denken, bewusst machen, verstehen und wandeln. Die Klientin lebte in der Wahrheit, sie sei nicht wichtig. Eine Schlussfolgerung, die sie als Kind bei ihrer eigenen Mutter gemacht hatte. Sie erhoffte sich nun, dass ihr Partner diesen Mangel ausgleicht, indem er ihre unausgesprochenen Wünsche erkennt. Als Beweis für ihre Wichtigkeit. Doch das wird nicht gelingen, so schön es auch wäre. Niemand kann Wünsche hellsehen, vor allem nicht, wenn er nach neun Stunden Arbeitsalltag erschöpft nach Hause kommt.

    Um emotional präsent zu sein, müssen wir uns vom Arbeitsalltag ablösen, dafür ist oft keine Zeit. Wir müssen diese Zeit bewusst einfügen, Stress reduzieren und bestmöglich kommunizieren, wie der Partner Wertschätzung ausdrücken kann. Beispielsweise durch ein Drei-Kontenmodell, das die finanzielle Abhängigkeit reduziert, indem die Care-Arbeit finanziell anerkannt und ausgeglichen wird, durch mehr Me-Time, durch ungestörte Zeit zum Reden, durch ein Geschenk, durch Komplimente, durch Dankbarkeit und Demut.

    In Beziehungen gilt es zu sagen, was wir uns wünschen. Das macht vieles so viel einfacher, als über das zu streiten, was wir nicht bekommen und nicht ausdrücken. Oft müssen wir dazu aber zuerst unseren eigenen Wert anerkennen und alte vermeintliche Wahrheiten oder Vorwürfe an die Vergangenheit loslassen. Die Trauer der Klientin darüber, dass sie anfangs nur einen Punkt auf ihrer Liste hatte, war eine sehr alte Emotion. Auf die Frage, wann diese Emotion das erste Mal auftauchte, erzählt sie eine Geschichte aus ihrer Vergangenheit, deren Folgen jedoch bis in die Gegenwart reichen. Zeit zum Loslassen. Für mehr Wertschätzung und Nähe im Jetzt.

    Tanja und Christian Roos sind seit 14 Jahren zusammen, haben vier Kinder und helfen anderen Paaren aus der Krise.
    Tanja und Christian Roos sind seit 14 Jahren zusammen, haben vier Kinder und helfen anderen Paaren aus der Krise. Foto: Lara Ohl

    Zur Person

    Christian und Tanja Roos arbeiten als Beziehungscoaches. Sie beraten Paare mit unterschiedlichsten Problemen, sprechen in ihrem Podcast „Das neue Wir“ über ihre Erfahrungen und haben mit dem Buch „Das Ich im Du: Du hast dein Beziehungsglück selbst in der Hand“ einen Bestseller gelandet. In unserer Partnerschaftskolumne „In Sachen Liebe“ schreiben sie jetzt alle zwei Wochen über Beziehungsthemen.

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