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Ozempic und Wegovy: Wie gefährlich ist die Abnehmspritze?

Abnehmspritze

Ist der Hype um Ozempic gerechtfertigt?

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    Die Spritze Wegovy des Pharmakonzerns Novo Nordisk ist für die Behandlung von Adipositas zugelassen. Doch längst wird sie auch von gesunden Menschen genutzt.
    Die Spritze Wegovy des Pharmakonzerns Novo Nordisk ist für die Behandlung von Adipositas zugelassen. Doch längst wird sie auch von gesunden Menschen genutzt. Foto: Franziska Kraufmann, dpa

    Punkte zählen, Pülverchen anrühren, in Intervallen fasten. Unzählige Diäten versprechen, beim Abnehmen zu helfen. Ein ewiger Begleiter: der Hunger. Doch endlich soll es anders gehen. Mit der Abnehmspritze. Sie gilt als Wundermittel im Kampf gegen die Kilos. Entwickelt wurde sie für kranke Menschen, doch längst jagen sich Gesunde den Stoff in den Körper. Die Aussicht auf purzelnde Kilos ist gar zu verführerisch.

    Kein Wunder also: Der Hype um die Abnehmspritze ist riesig. Hausärzte stellen Rezepte aus, Schlanke spritzen sich, um noch schlanker zu werden, Vorher-Nachher-Videos fluten die sozialen Medien, Promis wie Elon Musk oder Oprah Winfrey schwärmen von der Spritze, der Schwarzmarkt boomt. Die Wunschfigur ohne Kalorienzählen scheint endlich möglich. Doch zu welchem Preis? Davon erzählen Christina und Michael. 

    Aber erst mal kommt es dicke. Laut Robert Koch-Institut sind mehr als die Hälfte aller Deutschen übergewichtig, etwa 19 Prozent gar fettleibig. Fast zehn Millionen Menschen in Deutschland haben einen Body-Mass-Index (BMI) von über 30. Der BMI ist eine Messzahl, errechnet aus Körpergewicht und Größe. Die Messzahl ist umstritten, da sie die Zusammensetzung des Körpers nicht beachtet und etwa auch muskulöse Menschen einen hohen BMI haben. Gleichwohl: Fast jeder fünfte Mensch in Deutschland ist adipös. Damit steigt laut Robert Koch-Institut das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Es müssten also durchaus einige Menschen in Deutschland an ihrem Gewicht arbeiten.

    Für fast zehn Millionen Deutsche ist die Abnehmspritze geeignet

    An dieses Fünftel richtet sich Wegovy, die dänische Wunderspritze. Der Hersteller Novo Nordisk entwickelte zunächst Ozempic, ein Medikament für die Behandlung von Diabetes mit dem gleichen Wirkstoff. In geänderter Dosierung richten sich die findigen Pharmaunternehmer nun auch an stark Übergewichtige. Liegen gewichtsbedingte Vorerkrankungen vor, hat Novo Nordisk das Medikament ab einem BMI von 27 freigegeben. Für weit über zehn Millionen Menschen – allein in Deutschland – könnte die Abnehmspritze lebensverändernd sein.

    Zu ihnen gehört Michael (Name geändert). Bei einer Größe von 1,82 Meter wog er 112 Kilogramm. Damit hatte der 56-Jährige einen BMI von 33,8. Sein Hausarzt hatte Vorbehalte gegenüber der Abnehmspritze. Es gebe tausend andere Wege, um Gewicht zu verlieren, habe er gesagt. Michael lebt in einer ländlichen Gegend in Bayern, sein Hausarzt und er kennen sich schon lange. 

    Michael informierte sich im Sommer 2023 über das neue Wundermedikament. Wegovy ist seit Juli 2023 auf dem deutschen Arzneimarkt erhältlich. Nach einigen Wochen hatte er das Rezept in der Tasche. Seit November spritzt er sich Wegovy, in regelmäßigen Abständen überprüft sein Arzt, wie sein Körper sich entwickelt. Sieben Kilogramm hat Michael mit der Spritze abgenommen. Ohne zusätzlichen Sport, ohne Hungern.

    Optisch erinnert der Fertig-Pen, in dem das Medikament verkauft wird, an einen Textmarker. Einmal wöchentlich, jeden Sonntag, setzt er ihn am Bauch an und drückt ab. Eine durchsichtige Lösung schießt ins Gewebe und die quälenden Gedanken an Essen sind Geschichte. „Das Spritzen an sich kostet mich kaum Überwindung“, sagt Michael.

    Der Hersteller aus Dänemark ist das wertvollste Unternehmen Europas

    Michael ist Privatpatient. Seine Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Behandlung. Gesetzliche Krankenkassen bezahlen die Behandlung mit Wegovy in Deutschland derzeit nicht. Laut Sozialgesetzbuch gelten die Abnehmspritzen als "Lifestyle-Produkt". Der Apothekenpreis für Wegovy beträgt, je nach Dosierung des Wirkstoffs Semaglutid, zwischen 172 Euro und 302 Euro pro Monat.

    Vom enormen Boom der Abnehmspritzen profitiert Novo Nordisk. Der dänische Pharmakonzern ist derzeit das wertvollste Unternehmen Europas. Anfang März stieg der Wert der Firma erstmals über 600 Milliarden Dollar und ist damit bedeutend höher als das Bruttoinlandsprodukt Dänemarks. Seit 2020 hat sich der Kurs der Aktie vervierfacht. Die Nachfrage nach Ozempic und Wegovy ist schneller gestiegen, als die dänische Firma ihre Produktionskapazitäten ausbauen konnte. Dadurch kommt es zu Lieferengpässen, die nach Einschätzung des Unternehmens und des deutschen Pharmagroßhandels auch noch das ganze Jahr 2024 andauern können.

    Mit dieser Perspektive machen neben Marktführer Novo Nordisk auch das US-amerikanische Unternehmen Eli Lilly und der dänische Konzern Zealand Pharma mit Abnehmpräparaten Schlagzeilen. Eli Lilly ist mit dem Abnehmmittel Zepbound in den USA erfolgreich, die Wirkweise ist ähnlich wie bei Ozempic und Wegovy. Das Präparat könnte noch wirksamer sein: Zepbound verspricht bis zu 22 Prozent Gewichtsverlust in kurzer Zeit. Der US-amerikanische Pharmariese baut seit Anfang des Jahres eine 2,3 Milliarden Euro teure Fabrik in der Nähe von Mainz. Die Medizin scheint den Code zum Schlankmachen geknackt zu haben.

    "Das ständige Denken ans Essen ist weg", sagt ein Patient

    Michael ist Unternehmer, hat mehrere Wohnsitze, führt ein aktives Leben, reist viel. Dieses Leben drehte sich auch immer um Essen. "Ich konnte mich nicht dagegen wehren", sagt der 56-Jährige. Bereits nach der ersten Spritze habe er eine Veränderung bemerkt: "Die Machtverhältnisse haben sich verschoben." Er esse immer noch gerne, aber: "Nach einem halben Teller ist Schluss. Das ständige Denken ans Essen ist weg", sagt er. Das sei vor der Abnehmspritze unvorstellbar gewesen. Wegovy schwächt die Verbindung zwischen Essen und Vergnügen im Gehirn.

    Auch sein Geschmack veränderte sich. "Früher war ich geradezu süchtig nach schwarzem Tee", sagt er. "Den trinke ich gar nicht mehr." Diabetesberaterin Tatjana Christmann aus Stadtbergen erklärt, dass sich die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge an geänderte Essgewohnheiten anpassen. Eine weitere Begleiterscheinung der Spritzen sei, dass der Ringmuskel am Magen gelähmt werde, damit sich der Magen langsamer entleert. Das könne zur Folge haben, dass Gelüste verschwinden. Michael sagt, er vertrage Alkohol nicht mehr so gut. "Nach einem Glas Wein muss ich aufhören." Wenn er zu viel isst oder trinkt, reagiert sein Körper mit Sodbrennen und Durchfall. Doch Michael sagt: "Mir ist es das wert."

    Entwickelt gegen Diabetes: So funktioniert die Abnehmspritze

    In den Abnehmpräparaten stecken synthetische Hormone, etwa Tirzepatid, Retatrutid oder eben Semaglutid. Sie wurden zur Behandlung von Diabetes Typ 2 entwickelt. Die Stoffwechselerkrankung führt dazu, dass der Blutzuckerspiegel ansteigt. Die Betroffenen produzieren nicht ausreichend Insulin, dadurch kommt Zucker nicht in die Körperzellen, wo der Körper sie braucht, sondern bleibt länger im Blut.

    In den Abnehmpräparaten stecken synthetische Hormone, etwa Tirzepatid, Retatrutid oder eben Semaglutid. Sie wurden zur Behandlung von Diabetes Typ 2 entwickelt.
    In den Abnehmpräparaten stecken synthetische Hormone, etwa Tirzepatid, Retatrutid oder eben Semaglutid. Sie wurden zur Behandlung von Diabetes Typ 2 entwickelt. Foto: Steffen Trumpf, dpa

    Hier kommen die Spritzen zum Einsatz. Die synthetischen Hormone, etwa Semaglutid, regulieren den Blutzuckerspiegel. Sie imitieren das Darmhormon GLP-1 und sorgen dafür, dass die Bauchspeicheldrüse nach dem Essen mehr Insulin ausschüttet. Gleichzeitig hat Semaglutid eine weitere Wirkung. Es ahmt einen Botenstoff nach, der dem Gehirn signalisiert: "Du bist schon satt." Stark übergewichtige Menschen nehmen mit Semaglutid zehn bis 15 Prozent ihres Körpergewichts ab, wie Studien belegen. Nur mit Sport und gesunder Ernährung ist das so schnell unmöglich, sind sich Expertinnen und Ärzte einig. Die Spritze trickst den Körper aus, steigert künstlich das Sättigungsgefühl. Menschen, die sich Semaglutid oder ein vergleichbares Hormon spritzen, nehmen schlicht weniger Kalorien zu sich. 

    Ärztin sagt: "Adipositas ist eine Krankheit, kein Lifestyle-Problem"

    Tatsächlich ist Übergewicht ein großes Gesundheitsproblem. Dicke Menschen sind erheblichen Risiken ausgesetzt, sie haben häufiger Krebs, Herzinfarkte und Schlaganfälle. Auch leiden dicke Menschen häufiger als dünne unter psychischen Problemen, etwa Schlafstörungen und Depressionen. Wer übergewichtig ist, dem wird fehlende Willensstärke und Faulheit zugeschrieben.

    Julia Szendrödi ist ärztliche Direktorin an der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Sie sagt: "Adipositas ist eine Krankheit, kein Lifestyle-Problem." Semaglutid sei ein vielversprechender Wirkstoff gegen Fettleibigkeit. Er helfe, den Metabolismus der Erkrankten zu optimieren und kardiovaskuläre Diabeteskomplikationen zu reduzieren. Aber er hat auch Nebenwirkungen, darunter Übelkeit, Verstopfung und Müdigkeit. Zudem sei unklar, welche Langzeitauswirkungen die Spritzen auf den Körper haben. Bei kranken Menschen würde der Nutzen dennoch das Risiko überwiegen. Szendrödi hält Ozempic für Diabetes-Patienten als sichere Medikation.

    Ärztin sagt: "Adipositas ist eine Krankheit, kein Lifestyle-Problem."
    Ärztin sagt: "Adipositas ist eine Krankheit, kein Lifestyle-Problem." Foto: Matthias Becker

    Doch nicht nur adipöse Menschen nutzen die Abnehmspritze. Christina (Name geändert) ist 45 Jahre alt und beschreibt sich selbst als Couch-Potato. "Ich hatte immer ein paar Kilo zu viel", sagt die Buchhalterin. Aber übergewichtig ist sie nicht. Als sie das erste Mal von der Abnehmspritze gehört hatte, sei sie skeptisch gewesen. Hormone ins Bauchfett spritzen, das hörte sich für sie radikal an. Doch die Abnehmspritze war plötzlich überall, sagt Christina. Auf Youtube, in Podcasts, in der Zeitung. Seriöse Quellen sprachen von den Vorteilen der Wunderspritze. Ihr Interesse war geweckt.

    Hype um Wegovy und Ozempic: TikTok und Promis spielen eine wichtige Rolle

    Über zwei Milliarden Ergebnisse liefern die beiden Stichwörter "Ozempic" und "Wegovy" auf der Videoplattform TikTok. Vorher-Nachher-Videos, Essenstagebücher mit winzigen Portionen, alarmierte Internet-Ärztinnen. Rund um die Abnehmspritze lässt sich gut-geklickter Content kreieren. Auch Videoschnipsel erschlankter Prominenter sammelt der Algorithmus zusammen: Einige gehen offen mit ihrer Wunderwaffe gegen die Kilos um, etwa der millionenschwere Unternehmer Elon Musk oder Molkerei-Schwergewicht Theo Müller. Letzterer lobte den Hersteller Novo Nordisk in einem Interview als glänzendes Beispiel, wie Marktwirtschaft funktioniere. Er selbst habe mit der Abnehmspritze fünf Kilogramm verloren.

    Die Talkshowmoderatorin Oprah Winfrey war jahrzehntelang das Aushängeschild und eine Aufsichtsrätin im amerikanischen Diät-Konzern Weight Watchers. Nachdem sie nun durch die Schlank-Spritze viel Gewicht verloren hatte, trennte sie alle Verbindungen zu Weight Watchers. "Übergewicht ist eine Krankheit", ist auch die Botschaft der 69-Jährigen im Interview mit dem People Magazine. "Es geht nicht um Willenskraft – es geht um das Gehirn."

    Der Appetit ist verschwunden: „Das ist wie Liebeskummer“

    Eine Spritze, die das Gehirn verändert und den Appetit ausknipst. Christina konnte nicht glauben, dass das funktioniert. Eine Freundin besorgte ihr im Sommer 2023 zwölf Spritzen Ozempic. Auf "halb-legalem Weg", sagt sie. Die Freundin ist Typ-2-Diabetikerin, Christina ist gesund. Drei Pens für je vier Anwendungen. Mit der niedrigsten Dosierung Semaglutid sollte sie beginnen, den Körper langsam an das Hormon gewöhnen. Ein Farbcode half ihr bei der Orientierung, denn sie spritzte sich ohne ärztliche Begleitung.

    An einem Freitagabend verabreichte sich Christina zum ersten Mal Ozempic. Am Samstagmorgen musste sie sich übergeben. Wenige Stunden später beim Frühstück mit ihrem Mann löste die Spritze ihr Versprechen ein: "Nach einer halben Semmel war ich satt." 1,5 Kilo verlor Christina in der darauffolgenden Woche. "Ohne Stress", betont sie. Der Hunger sei nicht gänzlich weg gewesen: "Der Magen knurrt, Du schaust in den Kühlschrank, aber hast auf nichts Lust." Christina vergleicht das Gefühl mit Liebeskummer.

    Nach wenigen Spritzen und einigen appetitlosen Wochen entschied sie sich, den Selbstversuch abzubrechen. "Ich hab’s gesehen. Ich weiß jetzt, es funktioniert", sagt sie. Die Nebenwirkungen schreckten sie ab. "Das ist keine Hosengröße der Welt wert."

    Wenige Wochen später griff sie einmalig erneut zur Spritze. Um in eine Hose zu passen, wie sie sagt. Der "kurze Rückfall" liegt nun Monate zurück. "Wenn man auf ein Ereignis hinarbeitet, eine Hochzeit beispielsweise, und schnell abnehmen will, dann ist die Abnehmspritze das Mittel der Wahl. Um dauerhaft abzunehmen, muss man allerdings Gewohnheiten ändern", sagt Christina. Die Spritze führe nicht dazu, dass man automatisch gesünder lebt.

    Münchner Beauty-Doc verschreibt Abnehmspritzen "Off-Label"

    Von der Spritze überzeugt ist dagegen Julian Maurer. Er leitet eine Praxis für ästhetische und regenerative Medizin in Schwabinger Bestlage. "Wegovy ist mein absolutes Lieblingsprodukt", sagt er. "Weil es einfach wirkt." Die Nachfrage nach der Abnehmspritze: riesig. Maurer bietet ein 12-Wochen-Abnehmprogramm an. Mehrmals pro Woche verkaufe er das an seine Kundinnen und Kunden, 1500 Euro zahlen sie. Für den Preis gibt es zwölf Spritzen Wegovy und eine „engmaschige“ Betreuung von Beauty-Doc und Sportwissenschaftler Maurer. "Sport, Ernährung, Mindset" -mit diesem Dreiklang verhelfe er Zahlungswilligen zu einem neuen Leben. Der Gewichtsverlust durch die Spritze – für Maurer lediglich der "Kickstart".

    Über 100 Menschen habe er bereits mit Wegovy behandelt. Überwiegend Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, sagt Maurer. Wenn die Frauen sich bei ihm vorstellen, kommt es auf den BMI oder die Zahl auf der Waage nicht an. Die Abnehmspritze verschreibe er in seiner Praxis meist im Off-Label-Gebrauch. Das bedeutet, dass die Patientinnen und Patienten den offiziellen Vorgaben des Herstellers nicht entsprechen.

    Entwickelt wurde die Arznei eigentlich für Menschen, deren BMI über 30 liegt. Doch auch, wer nicht so schwer ist, leidet teilweise unter hartnäckigen Pfunden, sagt Maurer. "Übergewicht ist ein großer Risikofaktor für unsere Gesellschaft." Bereits seit über einem Jahr verschreibt er diesen Menschen, die mit ihrem Gewicht unzufrieden, aber medizinisch nicht zwingend zur Zielgruppe der Abnehmspritze gehören, Wegovy. Ob die Patientinnen und Patienten ihr Gewicht nach der Therapie bei Dr. Maurer halten können, kann er nicht mit Sicherheit sagen. Aber eines weiß der Münchner Arzt sicher: "Ich könnte Wegovy auch für 3000 Euro verkaufen. Die Leute würden es machen wollen."

    Hamsterkäufe und Fälschungen: Alle wollen die Wunderspritze

    Welche medizinischen Auswirkungen Wegovy auf nicht-adipöse Menschen hat, ist nicht erforscht. Hersteller Novo Nordisk betont, dass Wegovy nicht nur beim Abnehmen helfe, sondern auch gesundheitliche Vorteile habe. Die US-amerikanische "Food and Drug Administration", kurz FDA, erweiterte auf Antrag des Herstellers deshalb kürzlich den Einsatzbereich von Semaglutid. In den USA können die Spritzen offiziell auch zur Verringerung des Risikos von Schlaganfällen und Herzinfarkten verschrieben werden.

    Nach eigener Aussage bittet das Unternehmen Novo Nordisk derzeit Ärztinnen und Ärzte in Deutschland darum, keine neuen Menschen auf die Abnehmspritze einzustellen. Das hat aber keine medizinischen, sondern pragmatische Gründe. Der Hersteller sagt klar: Die Nachfrage steigt stetig, das Angebot auf der anderen Seite ist begrenzt.

    Vom "Klorollen-Effekt" spricht Martin Schulz von der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker. Ähnlich der vermeintlich knappen Toilettenpapiervorräte während der Hochphase der Coronapandemie führe der Hype um die Abnehmspritzen zu Hamsterkäufen. "Die Cleveren setzen sich durch – eine große Anzahl bleibt unversorgt", sagt Schulz. Die Arzneimittelkommission der Apotheker habe außerdem gefälschten Rezepte und Verordnungen durch fachfremde Ärzte registriert.

    Der Schwarzmarkt für Abnehmspritzen boomt

    Im Internet kommt man innerhalb weniger Klicks zu Verkäufern – auch ohne Rezept. Wegovy auf Vorrat, bequem nach Hause geliefert. Auf dem Online-Schwarzmarkt und im Darknet blüht der Handel mit den Abnehmspritzen. Doch der illegale Handel birgt Risiken. Ende 2023 gab es auf dem deutschen Markt eine Fälschungswelle. 

    Insulinpens, die optisch nur entfernt an die Pens von Novo Nordisk erinnern, wurden umetikettiert und als Ozempic und Wegovy verkauft. Nicht-Diabetikern drohte mit der falschen Arznei hypoglykämisches Koma – Lebensgefahr. "Das ist eine Katastrophe für die Menschen, die sich auf die Arzneimittelsicherheit in Deutschland verlassen", sagt Schulz. Er erklärt, dass Apotheken im ganzen Land jede einzelne Packung öffnen mussten, um die Echtheit der Spritzen zu prüfen. Die Pens – also auch die originalen Ozempic und Wegovy – wurden über Wochen mit gebrochenen Siegeln verkauft. Ein großer Vertrauensverlust, sagt Schulz.

    Ein Patient fährt 170 Kilometer zur Apotheke, um Wegovy zu kaufen

    Als Michael im Herbst mit dem Rezept seines Hausarztes in seiner örtlichen Apotheke nach dem Wegovy fragte, sei er abgewiesen worden. Über private Kontakte habe er eine Apotheke gefunden, die ihn seither mit dem Medikament versorgt. Diese Apotheke ist 170 Kilometer von seinem Wohnsitz entfernt.

    Trotz der Beschaffungsprobleme und Nebenwirkungen: Für Michael ist die Abnehmspritze ein voller Erfolg. Im Schnitt nimmt er 1,5 Kilogramm pro Monat ab. Wenn er in dieser Geschwindigkeit weiter Gewicht verliert, hat er nach einem Jahr sein Zielgewicht von 94 Kilogramm erreicht. Wegovy will er sich dann trotzdem weiter spritzen. "Ich plane, das Medikament auf ewig zu nehmen", sagt er. Sich lebenslänglich auf die Abnehmspritze zu verlassen, empfiehlt Diabetesberaterin Tatjana Christmann nicht. Sie geht davon aus, dass sich der Körper an die Arznei gewöhne und die Wirkung mit der Zeit nachlasse. Stattdessen rät sie, den Körper auf das neue Gewicht zu trainieren und Gewohnheiten zu ändern.

    Michael hat mit der Abnehmspritze Kontrolle über seinen Hunger erlangt. Über sein Essverhalten spricht er geradezu technisch. Kalorienzufuhr, Portionsgrößen, Sodbrennen. Sein Umfeld gehe entspannt mit seinem Gewichtsverlust um, sagt er. Auch die Art, wie er das Gewicht verliert, errege keinen Anstoß. "Ein Mann in meinem Alter erlebt nicht so viel Druck, etwas an seinem Aussehen zu verändern. Und im beruflichen Umfeld lege ich viel Wert darauf, dass Äußerlichkeiten keine Rolle spielen."

    Für Christina haben gängige Schönheitsideale schon eine Rolle gespielt. Die Verfügbarkeit und der mediale Hype um das Medikament erhöhen den Druck auf Menschen, die mit ihrem Körper unzufrieden sind, sagt die 45-Jährige. Gesellschaftliche Anerkennung stehe heute noch immer mit einer schlanken Figur in Zusammenhang. Christinas Umfeld übrigens hat mit Ablehnung auf ihr Experiment mit der Abnehmspritze reagiert. Ihr Mann konnte nicht nachvollziehen, dass sie ihren Körper Hormonen aussetzte, weil kleine Speckröllchen sie störten.

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