Rote und weiße, dicke und dünne Würste brutzeln in einem Würstelstand an der Mariahilfer Straße in Wien. Eine Mutter mit Kinderwagen kommt vorbei und kauft eine Wurst, wenig später ein Student. Viel ist mittags nicht los. Verkäufer Jashari Ilmi steht in dem Kubus aus Glas, er blickt mal auf die Würstel, verfolgt dann wieder das Geschehen auf der Wiener Shopping-Meile. Der 64-Jährige arbeitet seit dreißig Jahren hier in dem Würstelstand mit dem Namen „Wurst-Bar“ und verkauft Passanten die für Wien so typischen Würstel. Die Wiener Würstelstände sind eine Institution.
Was für Berlin die Dönerbude ist, ist für Wien der Würstelstand. Eine Initiative aus 15 Betreibern wirbt seit Kurzem dafür, die traditionellen Imbissbuden in die Liste des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufnehmen zu lassen. Die Kaffeehauskultur, die Heurigenkultur und der Walzer stehen bereits darauf. Könnte nicht bald die ganze Stadt auf der UNESCO-Liste stehen? Klar ist, wer Wien sagt, muss schon bald automatisch Würstel sagen. Grund genug, um das Würstel zu kosten. Die Frage ist nur: welche?
Käsekrainer sind die Klassiker an den Würstelständen
Die Käsekrainer gehen am besten weg, sagt Würstel-Verkäufer Ilmi und steckt währenddessen routiniert eine Hotdog-Semmel auf einen Metallspieß auf und bohrt damit ein Loch hinein. Wurstgroß. Die feine Fleischware wird aufrecht hineingesteckt. Dazu gibt es Senf oder Ketchup und traditionell Kren, also Meerrettich. Dieser wird in der Regel frisch gerieben angeboten. Wer es etwas schärfer mag, kann auch Pfefferoni und Salz- oder Essiggurken zur Wurst essen. Aufgepasst, zum Wiener Würstelstand gehört der Schmäh, auch wenn junge Wienerinnen und Wiener die Würstel oder Beilagen längst nicht mehr im Dialekt bestellen. Traditionell heißen Essiggurken „Krokodü“. Auch Silberzwiebeln oder auf wienerisch „Glasaug’“ gibt bei den Imbissständen als Beilage.
Die Käsekrainer werden im Wiener Dialekt, etwas weniger appetitlich, „A Eitrige“ genannt und sind der Klassiker an den Ständen. Und wenn wir schon dabei sind: Wer „an G‘schissenen“ oder einen „G’spiebenen“ bestellt, bekommt süßen Senf. Die in Brot umhüllte Wurst reicht der Verkäufer einem aus seiner verglasten Kabine. Wie sie schmeckt, kommt ein wenig auf die Tageszeit an. Wer sich eine zur Mittagspause oder als Stärkung für die Shopping-Tour durch die Innenstadt bestellt, bekommt eine würzige, saftige Wurst in einem - im besten Falle - knusprigen Brot, die den Hunger stillt und von innen wärmt.
Wen nachts der Heißhunger packt, ob angetrunken auf dem Nachhauseweg vom Club-Besuch oder im feinen Kostüm nach einem Stück im Burgtheater, der kommt dem kulinarischen Himmel ein ganzes Stückchen näher, wenn er in den klassischen Käsekrainer beißt. Mit gut hörbarem Knacken bricht dann der Schweinedarm auf, mit dem die Wurst umhüllt ist, und gibt das so kostbare und köstliche Innere preis. Der eingearbeitete Käse gibt der Wurst einen unvergleichlichen Schmelz eine Cremigkeit, die sich wie eine warme Decke über den Gaumen legt und dort – zum Wohl oder Übel – noch eine ganze Weile verbleibt.
Es gibt auch Trüffelpommes und vergane Würste in Wien
So überrascht es nicht, dass es das Wiener Streetfood in der Mariahilfer Straße bis vier Uhr am Morgen gibt. In der Nacht sind die Würstelstände in der ganzen Stadt Zufluchtsort für Feiernde, Einsame und Nachtschwärmer. Und wer sich vor lauter Feierei nicht mehr an das Gelage am Imbissstand erinnern kann, tut es spätestens, wenn er morgens die Senfflecken auf der Hose und am Ärmel entdeckt.
Der Wiener Würstelstand gehört zum Stadtbild wie Fiaker und Stephansdom. Der berühmteste aller Stände steht direkt zwischen Oper und Albertina im ersten Bezirk. Bitzingers Würstelstand bietet ebenfalls schmackhafte Käsekrainer oder würzige Debrecziner an. Der Stand ist bei Touristinnen und Touristen genauso wie bei Opernbesucherinnen und -besuchern für einen Imbiss beliebt. Die verschiedenen Gerichte von Bratwurst bis zum amerikanischen Hotdog kosten hier und bei vielen Ständen zwischen zwei und sechs Euro.
Natürlich geht es auch extravaganter. In Wien gibt es seit einigen Jahren Würstelstände, die die klassische kleine Mahlzeit neu erfinden. Bei dem „Wiener Würstelstand“ im achten Bezirk handelt es sich um den ersten biozertifizierten Stand. Dort gibt auch Bosna, vegane Würste und einen Hotdog namens Bologna Wü mit gebratener Fenchel-Salsiccia, Rucola und Oliven-Tapenade. Ein anderer Stand mit Namen „Alles Wurscht“ am Börseplatz serviert fermentierte Beilagen wie Kimchi. Wer keine Lust auf Wurst hat, bekommt hier auch Calamari, Trüffelpommes oder Beef Tartare.
Inhaber Sebastian Neuschler ist Haubenkoch, also Sternekoch. Der Wurststand des Salzburger zeigt regelmäßig auf Instagram die neuesten Gerichte, die es teils nur für kurze Zeit bei „Alles Wurscht“ gibt. Mal sind es Miesmuscheln, mal ein Pastrami-Sandwich, aber auch spezielle Würste aus Kalbsfleisch, die sich der Koch aus Salzburg liefern lässt.
Konkurrenz wächst: Wiener Würstelstände erfinden sich neu
Dass die Würstelstände sich neu erfinden müssen, ist nicht überraschend. Die Konkurrenz wird immer größer. Pizza, asiatische Nudelbox und Kebab verkaufen sich auch in Wien gut. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Zahl der Würstelstände reduziert. 180 Stände sind es aktuell. Vor zehn Jahren waren es der Wirtschaftskammer noch deutlich mehr.
Das fällt auch Jashari Ilmi auf. Aussterben werden die Stände aber nicht, denkt der 64-jährige Verkäufer. „Es gibt immer Leute, die das mögen“, sagt er. „Das wird nicht passieren, da mache ich mir keine Sorgen“. Er selbst habe früher jeden Tag ein Würstel gegessen, teilweise mehrfach am Tag, berichtet er. Aber irgendwann wurde es ihm zu viel. „Jetzt esse ich sie nur noch, wenn ich Lust darauf habe.“
Die Wiener Würstelstände finden sich schon seit fast einem Jahrhundert in der Donaumetropole. Ursprünglich handelte es sich um fahrbare Verkaufsstände. In der k. und k. Monarchie betrieben Kriegsversehrte die Imbisse und sicherten sich so ein kleines Einkommen. Der älteste Wiener Stand ist der Würstelstand Leo am Döblinger Gürtel. Seit dem Jahr 1928 exisitiert der Stand, er wird derzeit in der dritten Generation geführt. Man erzählt sich, dass der SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky hier zum Burenwurst essen vorbeigekommen sein soll. Heute ist der Stand bekannt für seine Riesen-Käsekrainer, die sich bis zu vier Personen teilen können.
Die Würstelstände sind abgesehen von der Kulinarik vor allem Orte des Plauderns und des Zusammenkommens. Anders als in vielen Restaurants lässt es sich an den Ständen in der Hauptstadt Österreichs noch günstig essen. Wurst und Getränk kosten meist noch unter zehn Euro. Mit der Aufnahme in die UNESCO-Liste wollen die Betreiber der Stände ein Qualitätssiegel für Wiener Würstelstände erschaffen. Unterstützt wird die Initiative unter anderem vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Wenn es um die Wurst geht, sind sich alle einig. Wien und Wurst, das gehört zusammen.
Glossar für den Besuch am Wiener Würstelstand:
- Burenhäutel: Dabei handelt es sich um eine Burenwurst. Die Burenwurst ist eine grobe österreichische Brühwurst, die seit dem 19. Jahrhundert zum Standardangebot österreichischer Würstelstände gehört.
- Eitrige: Hinter der Eitrigen verbirgt sich die Käsekrainer, die beim Aufschneiden oder Hineinbeißen eine weiß-gelbe Flüssigkeit absondert.
- Glasauge / Glasaug: Bei ein paar Glasaugen handelt es sich um Perlzwiebel oder auch als Silberzwiebeln bekannt.
- G‘schissener: Gemeint ist damit süßer Senf.
- Haaße: Generell handelt es sich um eine heiße Wurst. Wer in Wien eine „Haaße“ bestellt, bekommt Burenhäutel.
- Krokodil / Krokodü: Grün und länglich reicht dem Wiener schon: Es handelt sich um eine Essiggurke oder Delikatessgurke.
- Oaschpfeifferl / Oaschpfeife: Beim Essen bekommt man möglicherweise das Gefühl, es pfeift ein wenig und zwar in der Gegend des Hinterteiles. Wer ein Oaschpfeifferl bestellt, bekommt eine scharfe Pfefferoni.
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