Es klingt zu einfach, um wahr zu sein: Eine Stunde täglich einen knatternden Kopfhörer mit Flackerlicht-Spezialbrille aufsetzen, um Demenz vorzubeugen. Forschende prüfen gerade, ob eine optische und akustische Stimulation im Frequenzbereich von Gamma-Wellen eine Demenz verzögern, bessern oder gar verhindern kann. Studien deuten darauf hin, dass die Stimulierung im Gehirn eine Art Gewebereinigung anregt. Das, so behaupten manche Forschende, könne auch Ablagerungen aus dem Gehirn entfernen, die als Ursache der häufigsten Demenzform gelten: der Alzheimer-Krankheit.
In den USA ist der Antikörper Lecanemab zugelassen – mit Nebenwirkungen
Was bei der Methode genau passiert, berichtete ein US-Forschungsteam im Fachblatt Nature nach Versuchen an Mäusen. Grob gesagt sorgen die Gamma-Wellen dafür, dass im Gehirn zwischen den Nervenzellen viel Flüssigkeit zirkuliert und Alzheimer-typische Proteinklumpen ausschwemmt. Ob dies therapeutisches Potenzial hat, ist offen. Klar ist: Eine wirksame Vorbeugung wäre für den Anbieter eine Goldgrube. „Das Thema ist extrem attraktiv“, sagt Wolf Singer, Direktor am Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung.
Kein Wunder: Allein in Deutschland betrifft diese häufigste Demenzform etwa eine Million Menschen. Ihre Ursache ist nicht genau geklärt, der Hauptverdacht richtet sich gegen das Proteinfragment Beta-Amyloid (Aß), das sich im Gehirn zwischen Nervenzellen ansammelt. In den USA kam vor gut einem Jahr der Antikörper Lecanemab auf den Markt, der diese Aß-Plaques entfernen soll und Studien zufolge im frühen Stadium das Fortschreiten der Krankheit moderat bremst. Er könnte bald auch in der EU zugelassen werden – geht jedoch mit beträchtlichen Nebenwirkungen wie Hirnödemen und Mikroblutungen einher.
Möglicherweise könnte auch die Stimulierung mit Gamma-Wellen Aß abräumen – aber auf andere Weise. Diese Sinnesreize sollen Nervenzellen im Gamma-Wellen-Bereich in Schwingung versetzen und so den Reinigungsprozess starten. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Lars Timmermann, sieht eine Parallele zu kognitiven Prozessen: „Bei bestimmten Hirnaktivitäten sehen wir Aktivität von Neuronenverbänden im Bereich von 40 Hz“, sagt er und verweist als Beispiele auf das Lernen von Sprache, das Erkennen von Bildern oder Entscheidungsprozesse.
Forschende testen Methode bei genetisch veränderten „Alzheimer-Mäusen“
Was bei der 40-Hz-Stimulierung, also mit 40 Impulsen pro Sekunde, im Gehirn passiert, beschreibt die Studie des Teams um Li-Huei Tsai vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Fachblatt Nature. Die Hirnforscherin hat das Unternehmen Cognito Therapeutics mitgegründet, das derzeit in diversen Studien prüft, ob die synchronisierte opto-akustische Stimulierung – mit dem eigens entwickelten Headset „Spectris“ – Menschen mit leichten bis moderaten Alzheimer-Symptomen helfen kann.
In Nature schreibt das Team, bei genetisch veränderten „Alzheimer-Mäusen“ steigere die opto-akustische Stimulierung die neuronale Aktivität und senke die Konzentrationen von Aß im Gehirn. Die Stimulierung sorge dafür, dass im Gehirn der Mäuse besonders viel Flüssigkeit durch das Gewebe zirkuliert. Dieses Nervenwasser transportiere das Aß zwischen den Zellen aus dem Gehirn. Außerhalb des Gehirns fand das Team in jenen Lymphgefäßen, die die Hirnflüssigkeit ableiten, einen erhöhten Durchmesser, was für einen verstärkten Abtransport spricht.
Die Gamma-Wellen-Behandlung gilt Studien zufolge als sicher
So faszinierend diese Vorgänge bei Mäusen sind: Ob sie beim Menschen das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit aufhalten oder verzögern, bleibt abzuwarten. „Mit der Kombination aus optischen und akustischen Reizen will man möglichst viele Hirnregionen in diesen Rhythmus zwingen“, sagt Singer. Das mag für den Cortex funktionieren, ein wichtiges Ziel sei jedoch jenes tiefer gelegene Areal, das für das Gedächtnis zuständig ist: der Hippocampus. Ein weiteres Problem: Den ersten Symptomen der Alzheimer-Krankheit geht ein jahrelanger Prozess voraus, bei dem Nervenzellen in einer Kettenreaktion absterben.
Derzeit prüft ein gutes Dutzend Studien das Potenzial des Ansatzes an Menschen – noch gibt es dazu keine Ergebnisse. Die meisten sollen im Laufe des Jahres 2025 enden, dann folgt die Auswertung. „Wir brauchen Beobachtungszeiträume von mindestens zwei, besser fünf bis zehn Jahren, um sagen zu können, ob es einen therapeutischen Effekt gibt oder nicht“, sagt Timmermann. „Es wird noch ein ganzes Jahrzehnt brauchen, bis wir sicher wissen, ob und welche Form von Intervention hilfreich sein könnte und welche nicht.“ Immerhin: Die Gamma-Wellen-Behandlung gilt Studien zufolge als sicher – wenn sie denn hilft. (Walter Willems, dpa)