An dem Tag, an dem sich das Leben der meisten Mütter in Deutschland schlagartig veränderte, schien die Sonne. In Augsburg, in Duisburg, auch in Berlin. Immerhin. Ein Hoch zog über das Land, dabei begann für viele Mütter am 22. März 2020 mit dem ersten Lockdown ein stürmisches Langzeittief, mit dessen Auswirkungen sie noch heute kämpfen. „Im Gegensatz zu Vätern hat bei Müttern der Stress kaum nachgelassen, die Zufriedenheit ist weiterhin auf niedrigem Niveau“, sagt die bekannte Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, und sieht den Muttertag 2022 als guten Anlass, über diese Müttermisere zu reden. Fakten statt Blumen.
Um zu verstehen, was mit Müttern in der Pandemie geschah, was geschieht und was geschehen müsste, begeben wir uns also auf eine Reise durch Raum und Zeit, treffen Mütter und auch Väter, beleuchten dabei einen bundesweiten Notstand und wie es dazu kam.
Die Gleichstellung ist nicht so gut, wie viele dachten
Zurück ins Frühjahr 2020: Wetter-Fachleute sahen besagtes Tief natürlich nicht kommen, für sie war es unsichtbar, wie für die allermeisten Menschen in unserem Land. Denn wer blickte damals schon hinter die anderen Haustüren? Jede Familie blieb für sich, war sich selbst am nächsten, versuchte, in einer Pandemie klarzukommen und die eigenen Probleme zu lösen. Es musste schnell gehen, ein Virus lässt keine Zeit für lange Abwägungen. Wer kümmert sich also um die Kinder, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind?
Im Frühjahr 2020 erkannte Jutta Allmendinger, dass da eine Retraditionalisierung der Rollenbilder droht und schlug noch im ersten Lockdown Alarm. Die Corona-Pandemie wirke wie ein Brennglas und decke auf, dass es um die Gleichstellung von Frauen und insbesondere von Müttern nicht so gut steht, wie viele Menschen, besonders Frauen, gehofft hatten. Dass da Entscheidungen zulasten der Frauen getroffen wurden. Selbst junge Paare, die ganz andere Pläne hatten, die eine gleichberechtigte Beziehung führen wollten, fanden sich plötzlich in alten Rollenmustern wieder.
Zahlen und Studien zu der Müttermisere
Eine Studie des des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zum Alltag in Coronazeiten ergab, dass die Frauen in rund der Hälfte der Haushalte zu Beginn des Lockdowns die Kinderbetreuung alleine schulterten. In einem Viertel der Haushalte war der Mann allein zuständig. Zudem fanden die Forscherinnen heraus: "Obwohl die Aufteilung der Kinderbetreuung zu Beginn des Lockdowns etwas ausgeglichener war, leisteten Mütter noch immer deutlich mehr unbezahlte Arbeitals Väter (bei einem insgesamt deutlich höheren Stundenumfang). Der höhere Betreuungsanteil von Vätern war zudem nur von kurzer Dauer und nahm gegen Ende des Lockdowns wieder ab. Die Aufteilung der Hausarbeit veränderte sich im Laufe der Krise kaum. Somit verrichteten Mütter auch während der Pandemie den Löwenanteil der unbezahlten Arbeit."
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren Frauen in Deutschland von den Kita- und Schulschließungen während des ersten Lockdowns besonders betroffen. Für beschäftigte Mütter mit Kindern bis zwölf Jahren stieg die für Job, Pendeln, Kinderbetreuung und Haushalt aufgewendete Zeit im Frühjahr 2020 um acht Stunden pro Woche, für Väter um nur drei Stunden. Den höchsten Anstieg in absoluten Werten verzeichneten Mütter mit Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren.
Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung haben im Januar 19 Prozent der Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern angegeben, ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung verringert zu haben. Unter den Männern waren es im selben Zeitraum mehr als 15 Prozent gewesen, inzwischen sind es knapp sechs Prozent.
Jutta Allmendiger gibt in erster Linie den strukturellen Problemen die Schuld dafür, die sie auch in ihrem Anfang 2021 erschienenen Buch „Es geht nur gemeinsam“ (Ullstein, zwölf Euro) beschreibt. Am Telefon zählt die Professorin die Faktoren nun wieder auf, denn an ihnen habe sich auch nach dem Wechsel der Bundesregierung nichts geändert: zu wenige Kindertagesstätten für die ganz Kleinen, vergleichsweise kurze Öffnungszeiten der Schulen, Ehegattensplitting, die sozialversicherungsfreien Jobs … – das alles spiele eine Rolle. „Diese Strukturen schaffen Normen, die bestimmen, was eine Frau machen muss, um als eine gute Mutter zu gelten“, erklärt Jutta Allmendinger. Zahlreiche Frauen in Deutschland verzichten für ihre Familie also auf Karriere und sind im Falle einer Trennung von Altersarmut bedroht.
Das Pandemie-Modell: Vater=Arbeit, Mutter=Kinder
Wenn dann noch eine Pandemie in diese Gleichung kommt, passiert Folgendes: Das Zweiverdienenden-Modell vieler Familien implodiert durch die Schul- und Kita-Schließungen. In vielen Familien, so haben Studien inzwischen gezeigt, fiel die Entscheidung am Küchentisch so aus: Der Vater, der in der Regel mehr verdient, arbeitet weiter, die Mutter fährt ihren schlechter bezahlten Teilzeitjob runter und übernimmt die Betreuung der Kinder.
Seit Jutta Allmendingers Warnruf sind zahlreiche Studien über die Lage der Familien in der Pandemie erschienen. Anna Buschmeyer, Soziologin am Deutschen Jugendinstitut in München, hat während der Pandemie bereits zwei Mal Eltern befragt. Das Ergebnis: „Im ersten Lockdown gab es auch Momente, die schön waren, weil Familien mehr Zeit hatten. Alles war runtergefahren. Alle waren in einer Sondersituation, es gab Hoffnung, wir schaffen das zusammen. Für getrennte Mütter war diese Zeit aber auch schon eine enorme Belastung.“ Arbeiten, Kinder betreuen, Geldsorgen, die Angst vor einer Infektion – dazu Gedanken wie „Was geschieht dann mit den Kindern, wenn ich ausfalle?“ Alleinerziehende standen laut Anna Buschmeyer häufig zwischen finanzieller Katastrophe und Nervenzusammenbruch.
"Was machen Eltern, die nicht mehr können?"
Die Berliner Journalistin und Mutter Mareice Kaiser machte im April 2020 auf die enorme Belastung für die Familien aufmerksam. „Was machen eigentlich Eltern, die nicht mehr können? Ich frage für, nun ja, fast alle, die ich so kenne“, twitterte sie, und sogleich kam Antwort von der Journalistin Caroline Turzer: „Ich habe mich gestern heulend auf den Küchenboden gelegt. Meine Zweijährige hat meinen Rücken gestreichelt und der Sechsjährige meinen Kopf. Hat etwas geholfen.“ Zahlreiche Eltern meldeten sich auf den Aufruf und schilderten unter #CoronaEltern ihre Situation.
Nina aus Augsburg hatte für Social Media damals keine Zeit, dabei hätte sie einiges zu erzählen gehabt. Sie tut es nun hier, weil sie findet, dass viel zu wenig darüber gesprochen werde, was Mütter eigentlich seit der Pandemie noch alles leisten. Zum Schutz ihrer Familie möchte sie aber anonym. Ja, da waren auch schöne Momente, ja, die Familie sei in der intensiven Zeit zusammengewachsen, aber das alles sei trotzdem hart gewesen.
Das iPad sorgte zwischendurch für Ruhe
Nina stemmte während der Lockdowns ihren Teilzeitjob und die Betreuung ihrer beiden Jungen, heute drei und acht Jahre alt. Sie hatte Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Ihr Mann arbeitete weiter Vollzeit, sie brauchten das Geld. Er versuchte, möglichst viel im Homeoffice zu sein, aber bald kollidierten die Videokonferenzen. Wer nimmt die Kinder, vor allem den Kleinen? „Ich darf nicht gestört werden“, den Satz hörte Nina des Öfteren aus dem Büro unter dem Dach und hatte bald das Gefühl, dass ihre Konferenzen als weniger wichtig galten. „Bis zum ersten Lockdown waren wir ein fernsehfreier Haushalt, bald aber wurde das iPad entdeckt – es ist leider bis heute geblieben.“ Damit die Konferenzen ruhiger abliefen, wenn Nina nicht mehr konnte oder auch zur Belohnung, wenn die Hausaufgaben ohne Gezeter gemacht wurden. Sie wusste sich nicht anders zu helfen. Sie arbeitete ja schon immer, wenn die Jungen schliefen. Die Zeit reichte aber nicht.
Viele Mütter bekommen den Mental Load zu spüren
Nina wollte nicht klagen. Im Vergleich zu alleinerziehenden Müttern aus ihrem Freundeskreis und zu vielen anderen Menschen im Land hatte ihre Familie das Glück, dass die Eltern ihre Jobs behielten, weiterarbeiten konnten, dass sie in einem Haus mit Garten lebten. Platz, sogar in Quarantäne-Phasen. Trotzdem war sie bald am Ende ihrer Kräfte. Die Zusatzbelastung, was sie alles Neues im Kopf haben musste, das viele Umorganisieren, Planen, das Fremdbestimmtsein, kurzum, das belastende Gefühl, für alles verantwortlich zu sein – in Fachkreisen hat es sogar einen Namen: Mental Load.
Dann kam der Herbst, alles wurde schlimmer. „Im zweiten Lockdown waren alle sehr, sehr überlastet. Die Erwerbsarbeit war wieder komplett gefordert, es gab Homeschooling, Eltern mussten ihren Kindern dabei helfen, auch technisch. Das alles ging an die Substanz der Familien“, resümiert Anna Buschmeyer ihre Studie. Nicht nur, dass die Inzidenzen stiegen und ein langer, dunkler Winter vor der Tür stand, frustrierend sei für die Eltern auch die Erkenntnis gewesen, dass sie von der Politik nicht gesehen, die Probleme der Familien nicht bedacht wurden. Im kleinen Corona-Kabinett, dem engsten Kreis um Bundeskanzlerin Angela Merkel, war die Familienministerin nicht anwesend. Dafür: Verteidigung, Finanzen, Inneres, Auswärtiges, Gesundheit, Bundeskanzleramt.
Frauen machen mehr Care- und Hausarbeit
Im Herbst 2020 merkte Eva Maria Klimpel aus Duisburg, dass die Rückkehr in ihren alten Beruf in der Immobilienbranche ein paar Monate nach der Geburt ihres vierten Kindes in einer Pandemie nicht wie geplant möglich ist. Wie Kinderbetreuung und Arbeiten unter einen Hut bekommen, wenn der Arbeitgeber kein Homeoffice wünscht? Was tun? So weitermachen wie bisher? Keine Option. „Ich war erfolgreich in meinem Job, ich habe mich darüber definiert. Für die Care- und Hausarbeit bekommst du aber null Anerkennung, abends wusste ich nicht, was ich Spannendes meinem Mann erzählen konnte. Der Bleistiftrock und die hohen Schuhe haben mir gefehlt“, sagt sie.
Finanziell betrachtet hätte sie nicht arbeiten müssen, aber sie wollte auch nicht abhängig von ihrem Ehemann sein. "Was ist, wenn wir uns trennen oder ihm etwas passiert?" Außerdem habe ihr ihre Mutter bereits die Unabhängigkeit vorgelebt. Solch ein Vorbild möchte sie auch ihren Kindern sein.
"Männer an Maschinen verdienen mehr als Frauen an Menschen"
„Das ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens“, sagt Eva Maria Klimpel in die Kamera ihres Computers auf dem Küchentisch. Aus dem Off sind die Stimmen ihrer kleinen Kinder zu hören, die daheim sind, in Nordrhein-Westfalen ist Kita-Streik. Oder anders ausgedrückt: Frauen, die sich um die Kinder anderer Menschen kümmern, fordern mehr Geld für ihre Care-Arbeit. Eva Maria Klimpel findet das richtig. Mareice Kaiser auch. In ihrem Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ (rowohlt, 16 Euro) fasst sie den Missstand in einem Satz zusammen: „Männer an Maschinen verdienen mehr als Frauen an Menschen.“ Jutta Allmendinger macht seit Jahren auf dieses Problem aufmerksam, noch eins, das durch das Corona-Brennglas hervorgehoben wurde.
Die Stimmen, die eine Veränderung in den Köpfen, neue Strukturen und ein Ende des Patriarchats fordern, werden immer lauter, zumindest fern der Politik. Zahlreiche Neuerscheinungen beleuchten die Müttermisere: Zu Jutta Allmendinger und Mareice Kaiser gesellt sich die Autorin Alexandra Zykunov, die in ihrem wütenden Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ 25 solcher, wie sie es nennt, „Bullshitsätze“ zerlegt. Beispiel: „,Wow. Er hilft aber gut mit!’ Falsch. Es ist seine Fürsorgepflicht, es sind seine Kinder, ist sein Haushalt, sein Alltag! Er ist kein Gast in diesem Alltag, wie in einem Hotel, das er im Sommer zwei Wochen lang benutzt, und was die restlichen 11,5 Monaten darin passiert, interessiert ihn nicht.“
Auch Väter fordern eine Veränderung
Inzwischen melden sich sogar Väter zu Wort und schreiben über das Paradoxon, dass junge Männer zwar Gleichberechtigung wollen, dennoch schnell in alte Muster verfallen, sobald Kinder da sind. „Es wird mehr über die moderne Rollenverteilung geredet, als die Rollen, die man lebt, zu hinterfragen“, schreibt Tobias Moorstedt, Journalist, zweifacher Vater und Ehemann einer Chirurgin, in seinem Buch „Wir schlechten guten Väter“ (Dumont, 22 Euro). Das sei so konsequent, wie für den Klimaschutz zu sein und auf Dienstreisen das Flugzeug zu nehmen. Elternabend? Macht doch die Frau. Ehegattensplitting? Ist doch finanziell praktisch. Das hatte Moorstedt auch mal gedacht, weil’s ja bequem war, und sich dann dabei ertappt gefühlt, wie ungerecht diese Denkweise ist.
Und wie viele Fragen beantwortet werden müssen, bevor man sein Kind auf einen Kindergeburtstag schicken kann. Er kommt auf mindestens 15: Wo wohnt das Geburtstagskind? Wie lauten die Kontaktdaten der Eltern? Wie kommt das eigene Kind dorthin? Braucht es eine Abholvollmacht für die Kita? Welches Geschenk? Wer kauft’s? … 15 Fragen, die das Mental-Load-Problem veranschaulichen und von denen viele Männer gar nicht wissen, dass sie beantwortet werden müssen – vielleicht auch gar nicht wissen wollen? Moorstedts These jedenfalls: „Wir sogenannten modernen Väter drücken uns um unsere tägliche Familienarbeit.“ Selbst Männern falle es schwer, sich aus den Fesseln des Patriarchats zu befreien.
Frauen feiern Tobias Moorstedt, Väter beschimpfen ihn als Verräter
Für solche Sätze feiern ihn Frauen und manche Väter, wie er auf Social Media schreibt, beschimpfen ihn als Verräter. Den Journalisten, Vater und Elternblogger Fabian Soethof würden sie vermutlich in dieselbe Schublade stecken.
Sein jüngst erschienenes Buch „Väter können das auch“ (Kösel, 18 Euro) ist eine Gebrauchsanleitung für ein modernes Familienleben mit Aufteilung 50:50. Zudem spricht er sich auf Instagram, Twitter und im Blog für mehr Gleichberechtigung aus, was auch mehr Wertschätzung für Care-Arbeit und eine faire Verteilung des Mental Loads beinhaltet.
Am 1. März postete er auf Instagram: „Heute ist #EqualCareDay. Würde wieder gerne etwas dazu schreiben. Habe aber wegen Erwerbs- und Care-Arbeit und fast normalem Alltagswahn wieder keine Zeit dafür. Mütter kennen das.“ Papa.chaos.kinderliebe antwortet: „Wir haben nicht zu wenig Zeit, wir haben zu viele Aufgaben. Irgendjemand meinte mal, Kinder zu haben wäre ein Fulltimejob. Das ist natürlich Quatsch. Du bist für deine Kinder 24/7 da, d.h. du kommst in einer Woche auf nen 168 Stunden Job. Sind also vier Fulltimejobs.“ Und in der deutschen Durchschnittsfamilie gibt es vier Schultern, um die Arbeit zu verteilen. Statistisch betrachtet zumindest.
Allmendinger: Jetzt müssen sich die männlichen Lebensverläufe ändern
Von dem Status quo, den Moorstedt und Soethof fordern, sind wir nach Ansicht von Jutta Allmendinger noch weit entfernt. Ihrer Meinung nach müssen sich jetzt die männlichen Lebensverläufe verändern. „Dann haben Männer wie Frauen Zeit für die Familie, für den Beruf, das Ehrenamt, aber auch für sich ganz persönlich. Wir müssen die Anzahl der Vätermonate erhöhen und die Väter ermuntern, längere Elternzeiten zu nehmen. Und wir müssen das Ehegattensplitting und die Minijobs abschaffen“, fordert die Wissenschaftlerin, sieht aber auch Lichtblicke im Koalitionsvertrag: „Er beinhaltet doch auch viel Gutes, so die Grundsicherung für Kinder und Erleichterungen beim Wiedereinstieg. Ohne die Pandemie wäre das vielleicht so nicht vereinbart worden. Die Frage ist nur: Werden die Pläne auch umgesetzt?“
Jetzt, da die Inzidenzen sinken, die gesellschaftlichen Einschränkungen aufgehoben werden, sei die Überlastung der Mütter nicht mehr so präsent. Die Soziologin warnt: „Mütter fühlen sich nach wie vor sehr gestresst – viel, viel mehr als vor der Pandemie. Sie sind dauernd auf dem Sprung, denn der nächste positive Test ist nicht weit und bedeutet, dass die Kinder aus Kita oder Schule nach Hause geschickt werden und sie sich selbst in Quarantäne begeben müssen.“ Inzwischen würden Mütter auch realisieren, dass sie nicht wieder die alten Karrieren aufnehmen können. „Nein, Müttern geht es, was den Arbeitsmarkt betrifft, nicht so, wie sie es gerne hätten und wofür sie jahrelang gearbeitet haben“, sagt Jutta Allmendinger.
Fakten statt Blumen zum Muttertag
Zurück nach Duisburg an den Küchentisch, an dem ein kleiner Junge gerade ein Glas Wasser bekommen hat und Eva Maria Klimpel nun von ihrer Befreiung erzählt. Sie wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. Das Pandemie-Brennglas habe ihr gezeigt, wie schwer es Mütter immer noch auf dem Arbeitsmarkt haben: „Als ich bei einem großen Jobportal alle auf mich passenden Filter eingestellt hatte, kam ein einziger Vorschlag.“ Das muss sich ändern, dachte sie sich und gründete während des zweiten Lockdowns momjobs.de, eine Stellenbörse für Mütter. Weil die Schulen und Kitas wieder geschlossen waren, engagierte sie für die Kinderbetreuung ein Au-pair. Mit solch einer externen Lösung rettete auch Nina in Augsburg den Familienfrieden. Als das Homeschooling für immer mehr Konfliktstoff sorgte und die Eltern-Kind-Beziehung litt, buchte sie zwei Mal pro Woche einen Studenten, der mit dem Erstklässler übte. Immerhin war ein Druckfaktor damit beseitigt.
Wie ist es Müttern in der Pandemie ergangen?
In München bereitet Anna Buschmeyer momentan die dritte Eltern-Pandemie-Befragung vor. „Wenn ich noch ein Bild in den Nachrichten sehe von einer Mutter mit Laptop und lustig am Küchentisch sitzendem Kind, dann krieg ich die Wut. Das ist nicht die Realität“, sagt die Wissenschaftlerin und Mutter. Sie rechnet damit, dass sich die wahren Folgen jetzt erst bei der Befragung zeigen werden. Die meisten Eltern hätten zuvor keine Kraft gehabt, um zu diskutieren, sie mussten den Laden am Laufen halten. „Jetzt brechen viele zusammen, das war einfach zu viel. Das hat eine Weile funktioniert, aber nun, nach zwei Jahren ist Schluss. Das sieht man an Therapieplätzen. Da kommt noch etwas, das ist noch nicht zu Ende.“ Laut Müttergenesungswerk sind der Beratungsbedarf und das Interesse an Kurplätzen stark gestiegen. Auffällig sei die große Zahl der psychosomatischen Erkrankungen bei Eltern: Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Depressionen – ausgelöst durch die Dauerbelastung.
Besorgt blickt Anna Buschmeyer auf den Herbst, was dann geschehen wird. Neue Welle? „Es müssen verlässliche Strukturen her, Luftfilter, wie Beschulung in Quarantäne aussieht, ein Erwerbsausgleich für Familien, Anerkennung dafür, dass Sorgearbeit Arbeit ist. Und alle sollen sich bitte impfen lassen“, sagt die Wissenschaftlerin. Es müsse auch endlich anerkannt werden, was Familien während der Pandemie geleistet haben.
Dass Schulen und Kitas geöffnet bleiben müssen, hat die Politik inzwischen bereits gelernt – andere Länder hatten die Bedeutung von Kinderbetreuung für die Familien schon deutlich früher gesehen und waren mit Schul- und Kita-Schließungen wesentlich zurückhaltender. Frankreich etwa. Jutta Allmendinger erzählt: Die französische Botschafterin habe sie im Juni 2020 gefragt, wie es denn sein könne, dass in Deutschland per Mail die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten mitgeteilt werde. „Das wäre in Frankreich unmöglich gewesen, da hätte sich der Präsident selbst erklären müssen.“ Der Unterschied zu Deutschland: Die Frau werde nicht vornehmlich als Mutter gesehen. Der Anteil an Frauen in niedriger Teilzeit sei dort nicht so hoch. Heißt: Französinnen können nicht so einfach das Homeschooling übernehmen.
Um die Gleichstellung der Frau steht es schlechter als vor der Pandemie
Wie geht es in Deutschland weiter? Jutta Allmendinger wagt wieder eine Prognose: „In 20 bis 30 Jahren trifft uns der Bumerang, den wir heute losgeschickt haben: Die Retraditionalisierung wird zu stagnierenden Karriereverläufen und vergleichsweise niedrigen Renten für Frauen führen. Um die Gleichstellung der Frauen steht es eindeutig schlechter als vor der Pandemie.“ Es gebe unglaublich viel zu tun und komme nun darauf an, mit welcher Entschlossenheit und Kraft die Themen angehe. „Da ich nicht damit rechne, dass der Ukraine-Krieg bald zu Ende geht, sondern weiter dominiert und ich davon ausgehe, dass wir im Herbst erneut eine Pandemiewelle haben werden, bin ich nicht sehr optimistisch, dass sich an den Geschlechtergerechtigkeitsfragen viel ändern wird.“
Solange Frauen und Müttern nicht durch staatliche und unternehmerische Maßnahmen geholfen werde, müssten sie sehr sorgfältig überlegen, welche Entscheidungen welche Auswirkungen haben. „Frauen müssen lernen, das Leben ein bisschen vom Ende, vom Ergebnis her zu denken“, rät Jutta Allmendinger. Dann tut sich etwas im Kleinen.
Plötzlich gilt es bei Männern als cool, mit Kind in der Konferenz zu sein
So wie bei Eva Maria Klimpel. Die Mütter-Stellenbörse schreibe bereits schwarze Zahlen, sie animiere Unternehmen, Mütter einzustellen, neue Arbeitsplatzmodelle zu schaffen, und ihre Freundinnen, auch auf eigenen Beinen zu stehen, sagt die Working-Mom. Auch daheim hat sie schon für Veränderung gesorgt. Kürzlich vermeldete sie auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn einen viel beachteten Teilerfolg:
„Die Tagesmutter ist krank und Mama bleibt selbstverständlich zu Hause.“ So ist es zumindest noch bis vor nicht allzu langer Zeit bei uns gewesen. Heute sage ich: „Die Tagesmutter ist krank. Wie teilen wir uns mit dem Arbeiten am Vormittag auf?“ Was zu Beginn für leicht irritierte Blicke meines Mannes sorgte, ist mittlerweile selbstverständlich geworden. Zumindest für mich. Denn mir fällt kein vernünftiger Grund ein, warum immer nur Mama mit den Kindern auf dem Schoß arbeiten sollte, nebenher den Haushalt schmeißt und die Familie bekocht. Und so lernen seine Kollegen nun auch allmählich unsere Kinderchen kennen. Wie sie das finden? Vielleicht berichtet ja der ein oder andere.
Die Kollegen und Kunden von Ninas Mann sehen sich immer häufiger einer ähnlichen Vater-Kind-Konstellation gegenüber und haben schon Feedback gegeben: Working-Dad mit Kind-Konferenz-Doppelbelastung gilt inzwischen als cool. Ein Zeichen? Für ein Umdenken? Oder einfach dafür, dass sich immer mehr Mütter nach zwei Jahren Pandemie nicht mehr alles gefallen lassen?