i
Foto: bub/hpl/mr, dpa
Foto: bub/hpl/mr, dpa

Ein Münchner im Pop-Himmel: 1999 landete Lou Mega mit dem "Mambo No. 5" in mehr als 20 Ländern auf Chart-Platz Nummer 1.

Musik
12.08.2023

Deutschland, deine Sommerhits: Wie entsteht der Schlager der Saison?

Von Veronika Lintner

Wie landet man einen Sommerhit? Wenn alle in den Urlaub flüchten und die Welt stillsteht? Eine Geschichte vom Wannsee bis Malle, von der "kleinen Conny" bis Lou Bega.

Der Sommer hatte keine Eile, heiß zu laufen. Nicht in Deutschland, nicht in diesem Jahr 1999, knapp vor der Jahrtausendwende. Erst am 17. Juli zog ein Sommer-Hoch über das Land – aber ein gewaltiges. Nämlich auf Mallorca, in der Stierkampfarena von Palma. 20.15 Uhr, „Wetten dass ...?“ heißt die Frage, und der Matador der Samstagabendunterhaltung betritt mit Goldlockenzopf das Stadion, Thomas Gottschalk. Wettkandidaten wetten um die Wette, einer zerdeppert Kokosnüsse mit der bloßen Handkante. Der nächste unterscheidet 50 Duschgels, indem er an frisch geduschten Menschen schnüffelt: „Fruttini Coconut!“ „Das müsste, hm ... Dr. Scheller Pfefferminz Duschgel?“. Und als der Duft des Sommers bis durch den Bildschirm dampft, von Garmisch bis Norderney, findet der Sommer neben dem Parfum auch seinen Soundtrack. „Jetzt gibt es Mambo, Baby!“, spricht Gottschalk. Und Lou Bega liefert: Er singt seinen Hit, hüpft mit Hütchen und einem Lächeln über seinen Bleistiftschnauzer durch eine Schar von Tänzerinnen. 

Und die Promis? Thomas Gottschalk hakt sich bei Verona Feldbusch unter, Dirk Bach tanzt, verpackt in Regenbogenfarben, mit Nina Ruge und Birgit Schrowange. Das Publikum verlangte Zugabe, mehr, mehr, mehr Mambo: „Angebot zur Güte: Wollen wir noch mal? Herr Intendant, ist das in Ordnung?“ Und er gab seinen Segen für Runde zwei, alle nachfolgenden Sendungen verschoben sich um – mindestens – 3:39 Minuten, eine Mambolänge. Das hatte es noch nie gegeben, nicht einmal bei Michael Jackson, dass ein Song bei „Wetten, dass ...?“ live wiederholt werden musste. Eine bundesdeutsche Sommergeschichte. Die Jahrtausendwende bahnte sich an, der Papst hieß Johannes Paul, der Kanzler Gerd und der Sommerhit des Jahres: „Mambo No. 5“. 

Wie zum Sommerhit? Eine Geschichte Deutschlands in fünf Songs

Ein Song für das Millennium, ein Song für die kleine Ewigkeit. Der allerdings recycelt war. Der Kubaner Pérez Prado löste mit seinem „Mambo No. 5“, schon 1949 Sommergefühle aus. Aber, wann begann eigentlich dieser Kult um die Hits des Sommers? Was macht sie aus? Dafür drei Experten an Land geholt: Einen Fachmann von jenem Unternehmen, das jedes Jahres den stärksten Song der heißen Jahreszeit krönt. Dazu einer, der nach der geheimen Erfolgsformel für so einen Knaller geforscht hat. Und zwei, die den Mambo auf die Reise um die Welt geschickt haben. Der Sommer klingt. Es ist ein Remix von Mambo, Lambada und Macarena und .... Wannsee?

„Hei, wir tummeln uns im Wasser wie
die Fischlein, das ist fein
und nur deine kleine Schwester, nee, die
traut sich nicht hinein!"

Kratzgeräusch auf Schallplatte. Eine Hammondorgel gurgelt los wie zum Karusselldrehwurm auf der Kirmes. Und dann platzt eine Kinderstimme in den eiernden Leierkasten, ein siebenjähriges Mädchen singt: „Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nisch wie raus nach Wannsee!“ Ein Sommerlied wie ein Ellenbogen-Stoß in die Seite, gesungen mit Witz und Trotz. Eine Legende besagt, dass Hans Bradtke nur 15 Minuten brauchte, um diesen Liedtext zu dichten – ein Song über ein Berliner Kind, das zum See radelt, das auf Schule und Hausaufgaben pfeift. Für diese Rolle wählte der Komponist, ein Herr Gerhard Froboess, seine Tochter, „die kleine Conny“. Ein Trumpf, eine Entdeckung: Mit ihrer Stimme wurde der Song 1951 auf Anhieb zum Knaller, als sie ihn zum ersten Mal im Radiostudio sang, sich in die Ohren hineinberlinerte. 

Lesen Sie dazu auch

1951: "Pack die Badehose ein" war der erste Nachkriegs-Sommerhit

„Dann haben wir das Lied in einer Kirche, vermutlich wegen der Akustik oder weil alle anderen Tonstudios noch kaputt waren, aufgenommen“, erinnert sich Conny Jahrzehnte später. Aus der „kleinen Conny“ wurde: Cornelia Froboess. Schauspielerin, Sängerin, die mit dem Image der lustigen, klug-vorlauten. Peter Kraus, Peter Weck, Peter Alexander, mit allen Großen sang und spielte sie für die Kameras. Manche Sommerhit-Stars verschwinden noch mit den Schwalben derselben Saison aus dem Geschäft. Sie blieb. 

Die Nadel kratzt, schnell zurückgespult: Alle Tonstudios waren also kaputt? Wo Wannsee, da Wasser, und wo Wasser, da Verdrängung: Das Weltkriegsende lag nur sechs Jahre zurück, und ausgerechnet am Wannsee lag die Villa, in der sich 1942 die Nazi-Größen getroffen hatten. Ein Ort, an dem sie den Plan des Holocaust auf Papier und in Bürokratie besiegelten. Und dann, ein Jahrzehnt später: lustig im See baden und dazu Connys Song pfeifen? Aber wer hatte damals die Nervenstärke, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Und das ist nicht die Aufgabe so eines Lieds für leichte Sommertage. 

i
Foto: Beth, dpa
Foto: Beth, dpa

Aufgemerkt! Die "kleine Cornelia" singt! Ihr Sommerhit "Pack die Badehose ein" (1951) machte Cornelia Froboess zum Kinderstar.

Seit den 50er-Jahren werden in Deutschland Musik-Charts ermittelt

Typisch Sommerhit, geht es nach den Kriterien, die Hans Schmucker von GfK Entertainment auflistet. „Eine eingängige Melodie, ein simpler Text, am besten mit guter Laune in Urlaubsstimmung“, nach so einer Nummer hält die Firma GfK Entertainment Ausschau. Denn das Unternehmen aus Baden-Baden kürt jährlich einen Sommerhit, auf Basis von Daten, von Verkaufszahlen, Charts-Platzierungen, Radiospielzeit. 

Schmucker weiß: Jede Jahreszeit hat ihre Lieder. „Im Herbst steht eine starke Verkaufszeit an“, wenn die wichtigen neuen Alben plötzlich alle auf den Markt drängeln. Im Winter rauschen Weihnachtslieder durchs Radio, „Last Christmas“ voran. Aber im Sommer? Ist es stiller. Grillenzirpen, Bratwurstgebrutzel, Rasenmähergeknatter, und dazwischen liegt im Sommerloch: die Chance, einen Hit zu landen. „Da ist Zeit für etwas Neues, etwas anderes“, sagt der Experte. 

Dass die Chart-Ermittler ein Kriterium auf Nummer eins setzen, wundert nicht: „Der Sommerhit sollte schon auf Platz eins landen.“ Aber das musste die kleine Conny nicht kümmern. Erst drei Jahre nach ihrem Hit berechnete ein Magazin die ersten Charts in Deutschland: „Der Automatenmarkt“. Da zählte man die Platten in den allerersten Musikautomaten, den Juke-Boxen. 

1975: Rudi Carrell singt die Hymne für alle Schlechtwetter-Nörgler

„Pack die Badehose ein“ hätte wohl auf Platz eins gestanden, als erster deutscher Nachkriegs-Sommerhit. Und 1961 folgte der nächste Badenmoden-Schlager: Caterina Valente sang vom „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini“, Frauen kauften sich Zweiteiler, ein Land schüttelte die Hüften und machte sich strandhübsch. Für Schönwetter-Jahre, die folgten. 

„Und was wir da für Hitzewellen hatten,
Pulloverfabrikanten gingen ein,
da gab es bis zu vierzig Grad im Schatten,
wir mussten mit dem Wasser sparsam sein.“

Ob es regnete, an diesem Tag im Jahr 1975? Seine eigene Sommerinsel hat sich Rudi Carrell jedenfalls in ein trockenes TV-Studio bauen lassen. Da thront er nun, der Showmann vom „Laufenden Band“, auf einem Ponton aus Kunstrasen, inmitten eines Swimmingpools. Ein Schwarm von Synchronschwimmerinnen kreist um Carrell, schwapp, die Füße auf die Schultern der Vorderfrau gelegt, Fernsehballett im Badeanzug. Und zu diesem Schauspiel singt der Niederländer den heimeligen Schlager, Bundeshymne aller Schlechtwetter-Nörgler: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Ein Sommer, wie er früher einmal war?“ Was er damit meint im Text: 40 Grad im Schatten, „mit Sonnenschein von Juni bis September und nicht so nass und so sibirisch, wie im letzten Jahr.“ Und gruselig, wie lau und schneearm der Winter war. 

Gruselig heute eher, wie die Zeiten sich verkehrt haben: Klimakrise, Trockenheit, so ein Sommer, wie er früher noch nie war? Die Antwort, wer an der Misere schuld sein könnte, singt Carrell: „Mein Milchmann sagt: ’dies Klima hier, wen wundert’s? Denn schuld daran ist nur die SPD... he he he.“ Die Melodie hat er sich geklaut, der Song „City of New Orleans“ von US-Folksänger Steve Goodman klang genauso. Aber was als Eigenmarke bleibt, ist dieses deutsche Bauchgefühl, ob unter Schmidt oder Scholz: Schlechtwetter scheint immer. Nur dass Schlechtwetter in Zukunft, laut wissenschaftlichen Prognosen, vor allem Dürre, Hitze und Naturkatastrophen im Rekord-Takt verspricht? 

i
Foto: Ulrich Perrey, dpa
Foto: Ulrich Perrey, dpa

Stolz stellt Rudi Carrell (1934-2006) am Swimmingpool auf seinem Anwesen seine drei Enkelkinder (v. l. n. r.) Moritz, Maxi und Gabo vor. Er hat den Schlechtwetter-Song schlechthin gesungen: "Wann wird's mal wieder richtig Sommer?"

Rupert Till hat erforscht, welche Erfolgsformel in Sommerhits steckt

Forscher sagen, dass Menschen sich oft schon im August nicht mehr erinnern können, wie die Wetterlage im Juni war. Allerdings, dass sich jedes Wort eines Sommerhits ins Gedächtnis stanzt, und warum wir weder Rudi Carrell noch die Gypsy Kings („Bailaaa, bailaaa, bailaaa!“, scheppert’s schon im Gehörgang?) aus den Ohren kriegen, das weiß Rupert Till. Oder besser: „Professor Chill“, so nennt er sich, wenn er gerade elektronische Musik mixt. Wenn er nicht als Professor für Musik an der britischen Universität von Huddersfield unterrichtet. Was er für sich mixt, klingt weder charts- noch evergreenverdächtig. Aber Till könnte vielleicht, wenn er wollte. Denn er hat die Formel für den perfekten Ohrwurm erforscht. 

Im Englischen nennen sie das „Sticky Music“, wenn die Synapsen DJ spielen, und dieser eine fiese Song an jedem Gedanken klebt. Im Deutschen soll Operetten-Meister Paul Lincke („Berliner Luft!“) nicht nur Ohrwürmer komponiert, sondern auch den Begriff geprägt haben. Ohrwurm, ein Tierchen, das laut uralter Legende angeblich mit Vorliebe in Gehörgänge krabbelt. Zum Glück nur ein Mythos. Und mit einem anderen Mythos will auch Rupert Till aufräumen: Bierernst ist das alles nicht. Seinen wissenschaftlichen Artikel über musikalische Ohrwürmer, von 2005, hat er mit Ironie zugespitzt. Trotzdem lässt er auch heute keine Zweifel aufkommen: „Es gibt da eine Formel für Erfolg. Und zwar in fast allen Kunstsparten.“ 

Sommer-Hit-Faktor eins nach Till: Ein Refrain, den Max Mustermann mitsingen kann, ohne sich die Stimmbänder zu verrenken, nicht zu hoch, nicht zu tief, perfekte Tonart. Hit-Faktor zwei: Texte, die „Sonne, Meer, Sand, Sex und Urlaubskulisse“ preisen. Nonsens ist auch erlaubt, „ooh ooh ooh, la la la“, das versteht man in allen Sprachen (nicht). Hit-Faktor drei: ein „Dance Groove“, der in die Beine geht. Und schließlich Hit-Faktor vier, jetzt wird es oberflächlich, nun geht es an die Strandfigur: Der Star des Songs sollte gut aussehen, mit präsentabler Strandfigur. 

1974: DDR-Punk Nina Hagen singt "Du hast den Farbfilm vergessen"

Rudi Carrell mit der grauen Tolle? Der im beigen Anzug über schlechtes Wetter singt? Das wirkt schon fast wie ein Anti-Sommer-Hit. Oder ein spezifisch deutscher. Aber das bisschen Regen im Song war ein Geriesel gegen das Gewitter, dass sich in einem anderen Song, in einem anderen Deutschland fast zur selben Zeit entlud. 

„Nun sitz ich wieder bei dir und mir zu Haus
und such die Fotos fürs Fotoalbum aus.
Ich im Bikini und ich am FKK,
ich frech im Mini, Landschaft ist auch da, ja!“

Aufmarsch im Hof des Bendlerblocks, Stabsmusikkorps in Uniform, Trompeten und Pauken verabschieden Angela Merkel in den Ruhestand. Der Dirigent winkt ein für die Wunschmusik der 16-Jahres-Bundeskanzlerin, für ein Stück ... Punk? Zu ihrem großen Zapfenstreich am 2. Dezember 2021 hat Merkel, die in der DDR aufgewachsen war, einen Sommerhit aus dem Osten auf die Playlist gesetzt: „Du hast den Farbfilm vergessen.“ Die Kapelle bläst, Kanzlerin lächelt, ein Abschied mit Witz in der Musik. Aber dazu äußerte sich auch die Chef-Punkerin selbst. 1974 sang Nina Hagen das mürrische Sommerlied und jetzt scheint sie verdutzt: „Das ist ein Song mit Text von Kurt Demmler, und dass jedoch der Kurt Demmler ein DDR-’Staatsdichter’ mit Sonderprivilegien war, und später ein wegen systematischen Kindesmissbrauchs verurteilter Sexualstraftäter, der im Gefängnis Selbstmord beging, wird ihr hoffentlich bekannt sein“, schrieb Hagen. Eine Generalkritik an der Kanzlerin sei das aber nicht. „Mein Publikum kann und soll auch alle Zusammenhänge kennen.“ Komplexe Zusammenhänge, trotzdem ein Hit. 

i
Foto: Roland Schlager, dpa
Foto: Roland Schlager, dpa

Nina Hagen motzte 1974 ins Mikro: "Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael!" - ein DDR-Sommerhit.

Der Song bürstet gegen jeden musikalischen Strich. Der Plot: Michael hat im Sommerurlaub auf Hiddensee den Farbfilm vergessen, bleiben also nur Schwarz-Weiß-Schüsse fürs Bilderalbum. „Nun weiß niemand, wie schön’s hier war, haha, haha.“ Ein Text, geladen mit Beziehungszoff, der so schrullig wie brutal zwischen den Zeilen klingt. „So böse stampfte mein nackter Fuß in den Sand und schlug ich von meiner Schulter deine Hand.“ Typisch Hagen, alles in einem: Schlagerschnulz, gerockte Härte und gekonnte Operetten-Jodelei. Plus Systemkritik: Farbfilm war regelmäßig ausverkauft in der Mangelrepublik. Und wenn man sich nicht einmal Hiddensee in schönsten Farben fotografieren und ausmalen kann – was dann. 

Nach Süden und Ferne soll so ein Sommerhit klingen

Überhaupt: Woher kommt die Musik für den Sommer? Möglichst aus der Ferne, aus dem Süden, ein Horizont, der für DDR-Bürger eher beschränkt war. Im Westen dagegen gab es schon früh ganze Industriezweige, die nur auf Sommerhits zielten, erzählt Professor Rupert Till. Die Beach Boys spielten Musik für Studenten, die mit Surf-Brettern zu den Küsten pilgerten. Die Zielgruppe blieb bis heute konstant, zumindest überall, wo der Markt die Musik macht: „Eine große Zahl an jungen Menschen auf Urlaub im Sonnenschein, auf der nördlichen Erdhalbkugel, mit viel Zeit bei der Hand, Musik zu konsumieren“, so beschreibt sie Till. 

Nach Süden soll der Hit klingen. Das bestätigt auch das Ergebnis, das Rupert Till 2004 veröffentlichte – Nummer eins der Sommerhits der jüngsten Jahre: der „Ketchup-Song“. Drei Frauen singen ein Nonsens-Fantasie-Spanisch, an einer Strandbar, und tanzen ein Mitmach-Tänzchen. „Europäische Sommerhits drehten sich fast immer um Tanzmusik“, erklärt Till. Das Sommersongvirus startet heute in den Clubs der Urlaubsparadiese, auf allen Inseln mit Strandkorb-Panorama. Legenden besagen, so Till, dass Producer selbst die Diskotheken belagern und DJs bequatschen, um ihren Kandidaten für den Sommersong auf die Playlist zu bringen. Und zündet das Lied, hören es die Urlauber auch noch, wenn sie wieder zu Hause sind, „um ihren Urlaub zu verlängern“. Eine Zeit lang dominierten da karibische Sounds, Reggae, Dancehall die Charts. „Das weltweite Reisen hat die kulturelle Bandbreite der Hits erweitert. Covid und der Klimawandel haben die Reisen dagegen beschränkt.“ 

1999: Lou Bega schreibt Musikgeschichte mit "Mambo No. 5"

Damit zurück in der Geschichte: Als 1989 die Berliner Mauer bröckelte, hatte die BRD schon einen Sommer lang im „Lambada“-Rhythmus geschunkelt, Horden von Paartanz-Willigen fluteten die Tanzschulen. Und da sind sich alle Experten wie Till einig: „Ganz wichtig sind Choreografien!“ Kleine Lockerungsübung: Bitte den rechten Arm ausstrecken, dann den linken, die rechte Hand öffnen, jetzt die linke, dann die rechte Hand an die linke Schulter legen und wiederum die andere auf die rechte, kreuzweise ... sie ahnen es – „Eyyyy, Macarena!“. In Trippelschritten tanzte man zum „Conga“ (Gloria Estefan, 1985) wie Limbo zum „Coco Jambo“ (Mister President, 1996). Die richtige Schrittfolge bitte bewahren! 

„Take one step left and one step right
One to the front and one to the side
Clap your hands once and clap your hands twice“

„Ladys'n gentlemen, this is Mambo No. 5!“ – Bis zu diesem Satz, den er ins Mikrofon brummte, war David Lubega Balemezi ein weltunbekannter Sänger aus München. Aber seit 1999 ist er der Mambo-Mann, auf Lebenszeit. Schuld daran sind zwei Männer, die gemeinsam ein Musikstudio in Bayern betreiben: Achim Kleist aus Altötting und Wolfgang von Webenau aus Augsburg. Sie mixen professionell Musik für Stars wie DJ Bobo und DJ Ötzi, und gemeinsam fiel ihnen auch der Plan für den „Mambo No. 5“ in die Hände. In 20 Ländern schoss der Song auf Chartplatz eins, auch in Großbritannien, Kanada, Australien, nirgendwo ein Entkommen vor dieser Nummer. Was vom Welterfolg bleibt, ist der Stolz, ein Denkmal in die musikalische Sommerlandschaft gesetzt zu haben. Mambo No. 5 wird im nächsten Jahr 25 Jahre alt. „Es fällt mir schwer, das zu glauben“, sagt Kleist. 

i
Foto: bub/hpl/mr, dpa
Foto: bub/hpl/mr, dpa

Lou Bega, Entdeckung eines Münchner Produzenten, wurde 1999 zum absoluten Renner des Jahres. Ob in der heimischen Hitparade, in den Bierzelten des Münchner Oktoberfestes oder sogar unter den Top Ten der amerikanischen Charts: "A little Bit of Mambo" traf weltweit den Nerv.

Ein oller Mambo von 1949, neu variiert – für Kleist lag der Griff in die musikalische Klamottenkiste damals nah: „Diese alten Samples besitzen einen Charme und eine gewisse Imperfektion, die sie so besonders machen.“ Den Songs eine „Seele einhauchen“, nennt er die Methode, mit alten Schnipseln Neues zu schaffen. „Dass es ein Welthit wird, war uns beim Produzieren noch nicht klar.“ Und da widerspricht Kleist den Thesen von Professor Chill, Rupert Till: „Im Tresor befindet sich kein berühmtes Coca-Cola-Rezept mit geheimen Zutaten.“ 

2022: Dj Robin und Schürze lösen mit "Layla" einen Skandal aus

Für Kleist gibt es ein Merkmal, das so einen gelungenen Song ausmacht: „Man fühlt sich nach dem Hören besser als zuvor.“ Beim Schlagwort Mambo herrscht Sonnenschein, auch für Kleist. Nun gut, bis auf die Gefechte um Plagiatsvorwürfe, über verschiedene Gerichtsinstanzen. Ist der „Mambo No. 5“ nur eine Coverversion? Oder ein eigenes Werk? Lange ging der Kampf hin und her. Und trotzdem: „Mein Partner Wolfgang und ich sind sehr stolz darauf, Mambo No. 5 auf seine Reise um die Welt geschickt zu haben“, sagt Kleist. Eine Reise mit „a little bit of“ Monica, Erica, Rita, Jessica und alle Frauen, die Lou Bega dabei besingt. Aber noch ganz ohne sie: Layla. 

„La-la-la-la, die wunderschöne Layla
La-La-La-La-La-La-La-Layla La-la-la-la, la-la-la-la-la-la“

Sie treffen sich zum Protest im ZDF Fernsehgarten. Denn sie wollen hier die Ehre eines Liedes verteidigen. Gerüstet in Lederhosen und Deutschland-Mützchen, so tanzen sie im Schatten aufgeblasener Plastikpalmen, eine Polonaise – zum Song „Layla“, den DJ Robin und Schürze singen. Keine lange Nacherzählung nötig: „Layla“, jener Song um eine ... Bordellbetreiberin, die als „jünger, schöner, geiler“ gelobt wird. An diesem 31. Juli erreicht der Wirbel um „Layla“ seinen Siedepunkt. Und Andrea Kiewel – Fans nennen sie mit Liebe „Kiwi“, wie die Südfrucht – feuert die Laune im Mainzer TV-Open-Air-Garten an. Wohin dieser Vergnügungsdampfer namens Sommerhit noch steuern würde, das hatte sich ja schon angedeutet, von Wannsee nach Hiddensee, von der Amalfiküste über Ibiza bis ins Epizentrum der ganzen Feier, „Malle“. 

i
Foto: Hannes P Albert, dpa
Foto: Hannes P Albert, dpa

Sommer 2022: Das Publikum feiert den Auftritt des Schlager-Duos DJ Robin & Schürze mit dem umstrittenen Song "Layla" im "ZDF-Fernsehgarten". Monatelang gab es eine Sexismus-Debatte um ihr Lied.

„Layla“ widerlegt eine Prognose des Experten: „Ein simpler Song mit sexuellen Anspielungen, begleitet von einem Video voller Frauen in spärlichen Bikinis? Das würde jetzt schon sehr wie aus der Zeit gefallen wirken“, findet der englische Experte, Musikprofessor Rupert Till. Aber dem deutschen DJ-Duo half der Skandal. Dass Volksfeste den Song verbannten, dass wiederum Justizminister Marco Buschmann ein Herz für „Layla“ zeigte. Als Stimme gegen eine vermeintliche Zensur. 

Rupert Till weiß, wie der Markt der internationalen Sommerhits tickt

Und wer nicht auf einen saftigen Text bauen möchte? Timing ist alles, sagt Rupert Till, da hilft eine gut betuchte Plattenfirma, die sechs Monate vor Veröffentlichung die Kampagne noch im Winter am Skizzenbrett entwirft. „Ich glaube, die Menschen ahnen gar nicht, wie stark manche Songs auf einen Sommerhit abzielen.“ Dann braucht es einen Werbefachmann, der den Song bei Radiostationen auf Sendung bringt. Das Presseteam bahnt dem Lied den Weg in Magazine, ins Fernsehen. Spaß-Aktionen helfen bei der Fan-Gewinnung, triff den Star, schnapp dir das T-Shirt zum Song, gewinn die Gitarre. Aber zählt das heute noch? Wenn alle Musik ins Netz geht? 

„Fernsehen kann nach wie vor funktionieren, Radio-Präsenz ist wichtig“, sagt Hans Schmucker von GfK Entertainment. „Aber Social Media, zum Beispiel TikTok, ist sehr wichtig mittlerweile“. Unzählbar das Liedgut, das da tagtäglich neu auf dem Markt strandet. „Man konkurriert weltweit um die Aufmerksamkeit.“ Da zählt nicht nur, bei großen Festivals aufzutreten, nein, man muss sich an Youtube-Influencer klammern, um in den Spotify-Playlists der Menschen zu erscheinen, die Meinung prägen. Wer Glück hat, schafft es sogar auf die Liste eines Ex-Präsidenten: Barack Obama adelt jährlich Songs auf einer Sommerliste. 

„Die haben schon wieder einen Hit am Start“, sagt Schmucker und meint damit DJ Robin und Schürze, mit dem Song, pardon, „Bumsbar“. Obwohl noch gröber gebaut, so ein Erfolg und Politikum wie „Layla“ wird der Song wohl nicht mehr. Aber ein One-Hit-Wonder zu bleiben, damit begibt man sich in annehmbare Gesellschaft. „So ein Sommerhit-Interpret hat oft noch keine großen Hits gelandet“, sagt Schmucker. Konnten Los del Rio noch eine zweite veritable Macarena landen? Oder Las Ketchup? Und die Männer von O-Zone, die mit „Dragosta din Tei“ 2003 die Hitlisten toppten („Ma-i-a hi!“ und „Ma-i-a hu“!), sie blieben die One-Hit-Wunderkerze aus der Republik Moldau, stark gefunkelt, schnell abgebrannt. 

Ist "Komet" von Udo Lindenberg und Apache 207 ein Sommerhit?

„Für 2023 sieht es eher mau aus“, sagt der Experte von der GfK, kein Sommerhit-Favorit in Hörweite. Aktuell steht noch „Komet“ von Udo Lindenberg und Apache 207 auf, zwei kauzige Typen mit Sonnenbrille. Seit 20 Wochen belagern sie die Chartspitze, aber „ist das dann ein Sommerhit?“, fragt sich Schmucker. 

Am Ende noch Tipps aus der psychologischen Hausapotheke, falls der Ohrwurm-Song nicht aus den Ohren verschwinden will: Kaugummi kauen soll gegen den Sprung in der Platte helfen, da wird die Sprachmuskulatur beschäftigt und abgelenkt. Auch gut: Den bösen Song in Dauerschleife zu hören, bis ihn die Überdosis aus dem Kopf vertreibt. Oder man hält es wie Rupert Till: „Eine Methode funktioniert für mich sehr gut: Ich umarme diese Songs. Nicht daran denken, dass sie nerven. Einfach mitsingen.“

Facebook Whatsapp Twitter Mail