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Foto: Ralf Lienert (Archivbild)
Foto: Ralf Lienert (Archivbild)

Auch beim Technofestival "Ikarus" in der Nähe von Memmingen waren Musikfans in diesem Jahr mit "schneller Brille" unterwegs.

Mode
03.09.2022

Obacht, schnelle Brille! Was hinter dem Trend steckt

Von Laura Wiedemann

Schnittig, in knalligen Farben und verspiegelt: Vor allem junge Menschen tragen Sonnenbrillen, die man eigentlich von der Rennstrecke kennt. Ein Trend mit Hintergrund.

Ein Faultier macht seinem Namen alle Ehre. Nicht einmal einen halben Kilometer legen die süßen Tierchen an Bäumen hängend in der Stunde zurück. Am Boden sind sie sogar noch langsamer. Geparden hingegen jagen mit bis zu 120 Stundenkilometern durch die Steppen im südlichen Afrika. Noch schneller geht es auf der Rennstrecke zu. Dort sind Formel-1-Fahrer mit bis zu 372,5 km/h unterwegs. Sprinter und Olympiasieger Usain Bolt schafft immerhin 44,72 Kilometer pro Stunde, der Durchschnittsmensch mit viel Mühe 13. Ob das nicht auch schneller geht? Nein, nicht mit Training. Das wäre viel zu anstrengend. Mit einer Brille.

Diese schießt nicht etwa Science-Fiction-mäßig Stromschläge oder andere Energien über die Brillenbügel in den Körper und macht so, dass die Schritte größer und flinker werden, vielmehr verleiht die „schnelle Brille“ ihren Trägerinnen und Trägern einen optischen Geschwindigkeitsbooster. Wie schnell eine Brille sein kann? Irgendwo zwischen lahmen zehn km/h und 500 km/h, die kaum eine Maschine am Boden leisten kann. Irgendwo zwischen Rollator und Rakete. Messen lässt sich die Geschwindigkeit einer „schnellen Brille“ freilich nicht. Sie ist vielmehr ein Lebensgefühl, vor allem für die Generation Z (Gen Z).

Hip-Hop-Formation "01099" besingt die schnelle Brille auf der Bühne, das Publikum tanzt mit ihr auf der Nase davor

„Schnelle Brill’n und wir sind im Modus/ Leute tanzen und ich gebe Turbo“, singen die Musiker der Hip-Hop-Formation „01099“ aus Dresden in ihrem Lied „Schnelle Brille“. Damit geben sie dem Modetrend einen Namen, der sich schon zuvor ankündigte: eng am Gesicht anliegende ovale Gläser statt große, abstehende Modelle. Verspiegelt in einem knalligen Violett oder grellem Orange wird die Sonnenbrille noch „schneller“, so zeigen es zahlreiche junge Menschen auf TikTok. Doch die schnittigen Brillen, die man eigentlich von der Rennradstrecke oder aus dem Leichtathletikstadion kennt, sind nicht nur auf der Videoplattform, sondern auch bei Open-Air-Festivals oder am Badestrand zu sehen.

Klar: Die längeren Brillenbügel geben nicht nur bei ruckeligen Bergabfahrten mit dem Mountainbike Halt, sondern auch dann, wenn bei Konzerten die Menge wild tanzend aufeinanderstürzt. Bei dieser schweißtreibenden Tätigkeit soll die „schnelle Brille“ sogar besser durchlüften als ein herkömmliches Modell. Auch Insekten und Staub hält sie in diesem trockenen Festivalsommer mit ihrer ans Gesicht angepassten Form fern. Aber nur um die Praktikabilität kann es den Fans der „schnellen Brille“ doch nicht gehen, oder?

Die "schnelle Brille" war auch schon bei Techno-Raves um die 2000er-Jahre beliebt

Modisch führen die Brillen zurück an die Anfänge der 2000er Jahre. Zu Loveparade und Bunker-Raves. Damals feierte die Technoszene die schmalen, bunten Brillen. Sie komplettierten den Look aus tief sitzender Cargohose, Arschgeweih und einem Hauch von nichts aus Netz über der Brust. All das findet nach und nach wieder den Weg in die Kleiderschränke derer, die um den Jahrtausendwechsel geboren sind.

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„Y2K“ nennt sich ihr Stil. Wer zum Millennium einen Computer besaß, kennt diesen Ausdruck vielleicht noch. Wegen des sogenannten Y2K-Problems, zu deutsch Jahr-2000-Problems, war auf Anzeigetafeln weltweit plötzlich der 1. Januar 1900 statt des 1. Januars 2000 ausgerufen. Entstanden, weil Jahreszahlen bis dato meist nur mit den beiden letzten Ziffern von Betriebssystemen verarbeitet wurden. Mit Computerfehlern hat „Y2K“ heute nichts mehr zu tun, stattdessen zieht sich das Modephänomen durch die Einkaufszentren und Laufstege dieser Welt.

Das französische Modelabel Balenciaga präsentierte in seiner Kollektion für den Herbst 2022 quietschgrüne Plüschmäntel, Hüfthosen aus verwaschenem Jeansstoff mit Gürtelkette und kastige Ledermäntel. Fast immer mit dabei: eine „schnelle Brille“. Influencerin Kim Kardashian und Model Bella Hadid kombinieren im Bikini oder auf dem roten Teppich die ovalen Brillen. Doch die „schnelle Brille“ ist längst nicht nur Mode-Ikonen vorbehalten.

Markus Söder im Trend? "Schnelle Brille"-Fans haben keine Angst davor, deutschen Urlauber-Klischees zu entsprechen

Fernsehmoderator Kai Pflaume postet Bilder von sich beim Baden am Münchner Isarufer auf Instagram. Darunter markiert: „#schnellebrille“. Ob der bayerische Ministerpräsident Markus Söder wohl auch weiß, dass er gerade voll im Trend liegt? Wenn er öffentlichkeitswirksam in blauer Funktionsjacke und weißem Fahrradhelm durchs Allgäu radelt, dann sitzt auf seiner Nase eine schmale, silbern gerahmte Sportbrille mit ovalen, dunklen Gläsern. Dass die Gen Z sich mit diesem Trend auch am Klischee des deutschen Urlaubers bedient, scheint nicht zu stören.

Wie schnell Söders Brille sein mag? 380 Kilometer pro Stunde schafft er wohl nicht. Dafür müsste seine Brille laut eines niederländischen Onlineshops schon verspiegelte Gläser und einen Rahmen in glitzerndem Lila haben. Auch „heiße Brillen“ gibt es dort zu kaufen. Vielleicht der nächste Trend? Die Autorin jedenfalls – selbst irgendwo zwischen Millennial und Gen Z – scheint nicht am Puls der Zeit. Eine braune Cateye-Sonnenbrille liegt in der Kategorie Segway statt Rennwagen. Gerade einmal schlappe zehn km/h.

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