Mode ist ein bisschen wie Politik. Wenn man nicht aufpasst, schwingt sie schnell in eine extreme Richtung, die – milde ausgedrückt – fragliche Botschaften mit sich bringt. Im Fall der Mode sah das eine Extrem 2023 wie folgt aus: Zuerst befeuerten die sozialen Medien, vor allem TikTok, die "Old Money"- und "Quiet Luxury"-Trends. Frauen feierten stille, zurückhaltende Luxuskleidung nach dem Vorbild von Prinzessin Diana oder Jackie Kennedy. Dann schloss sich die minimalistische komplementäre "Clean Girl Ästhetik" an: gepflegte Haut, straffer Dutt, zarter Schmuck.
Jetzt, Anfang 2024, der Ausschlag zum Maximalismus: Die "Mob Wife". Mob ist die Kurzform des Begriffs "Mobster" – ein Synonym für Gangster, Bandit, Mafioso. Die Mob Wife, die Ehefrau eines Mafioso also, trägt klobigen Goldschmuck und große Pelzmäntel – ob echt oder fake, am besten mit Animal-Print. Glänzendes Leder, voluminöse Frisuren, übergroße Sonnenbrillen, dunkles Augen-Make-up und teure Markentaschen – das ist laut TikTok der neue Modetrend für dieses Jahr.
Woher kommt der "Mob Wife"-Trend auf TikTok?
Vorbei ist es also mit den schlichten Naturfarben und der zurückhaltenden Kleidung. Nun ist es wieder an der Zeit aufzufallen. Die Kleidung der Mob Wife erinnert an den Stil italienisch-amerikanischer Frauen im New Jersey und New York der 90er-Jahre. Modische Vorbilder aus Mafia-Filmen sind etwa Lorraine Bracco in "GoodFellas" (1990) oder Sharon Stone in "Casino" (1995). Auch zum Look der slawischen, osteuropäischen und russischen High Society lassen sich Parallelen erkennen. In unzähligen Videos auf TikTok schwärmen junge Frauen davon, wie erstrebenswert dieser Modestil und die damit verbundene Botschaft für den Start ins neue Jahr sei. Mob Wives seien sexy, elegant, unberechenbar. Es entsteht der Eindruck, als wäre die Mafiabraut eine heimliche Strippenzieherin, die das Patriarchat geschickt ausnutzt. Wie schade, dass es realitätsferner kaum geht.
Aber warum ist TikTok aktuell überhaupt mit Mafiabräuten geflutet? Grund dafür ist die US-amerikanische Serie "The Sopranos" (1999-2007), die auf dem Streamingdienst HBO zu sehen ist. Sie erzählt vom Leben einer italienisch-amerikanischen Mafiafamilie in New Jersey. Um das 25-jährige Bestehen der Serie zu feiern, entwickelte HBO eine Social-Media-Strategie, die wohl ins Schwarze trifft: Der Streamingdienst veröffentlicht seit Januar auf TikTok 25-sekündige Zusammenfassungen aller 86 "The Sopranos"-Folgen. Dadurch entdeckt gerade eine ganz neue Generation, von der viele noch nicht einmal geboren waren, als die Serie zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, "The Sopranos". Viele feiern vor allem Edie Falco als Carmela Soprano für ihren Modestil.
Die Mob Wife ist ein patriarchaler Traum
Eine weitere Serie macht das Mafia-Fieber komplett: Sofía Vergara, die vor allem für ihre Rolle in der Sitcom "Modern Family" bekannt ist, spielt auf Netflix die Drogenhändlerin Griselda Blanco. Während Blanco durch das Raster der filmtypischen Mob Wife fällt, ist Carmela Soprano zu Beginn von "The Sopranos" ein glänzendes Beispiel: Sie ist eine liebevolle, stille Hausfrau, die zwar grob weiß, was ihr Mafia-Ehemann Tony tut, sich aber weder konkret informiert noch in die Geschäfte einmischt. Sie kümmert sich um die Kinder, toleriert Tonys Affären, genießt den Luxus – die Mob Wife ist ein patriarchaler Traum.
Mob Wives sind in Filmen und Serien oft ein reizendes Anhängsel, eine gut aussehende Partnerin im Bett – und das war's dann auch schon. Meist überleben sie nicht einmal bis zum Ende. Es ist durchaus praktisch, wenn die Mob Wife stirbt, meist im zweiten Drittel des Films. Denn der Verlust seiner Frau treibt den Mafiaboss und somit gleichzeitig die Handlung voran. Was wäre ein guter Mafiafilm ohne Rache? Rache an dem Mann, der seine Frau ermordet hat. Wie romantisch.
Mafiabraut: Nur modisches Vorbild oder glorifizierte Gewalt?
Im vielfach kritisierten Film "365 Tage" (2020) stirbt die Mob Wife Laura zwar nicht, aber sie gerät ständig in Gefahr. Der Mafiastreifen, der sich als "Erotikdrama" bezeichnet, handelt von einem italienischen Gangsterboss, der eine junge Polin entführt und ihr 365 Tage Zeit gibt, sich in ihn zu verlieben. Die Gefahr geht vom Liebhaber selbst aus: Dem Film wird vorgeworfen, sexuelle Gewalt und Misshandlung von Frauen zu verharmlosen und zu glorifizieren.
Das Problem der romantisierten Mafiabraut ist also nicht neu. Dass sie aktuell dank "The Sopranos" wieder einen Aufschwung erlebt, wird ironischerweise zusätzlich von jungen Frauen auf TikTok vorangetrieben. Geht es denen aber nur um Glitzer und Luxus, ums bisschen Verruchte? Oder doch auch ums Frauenbild, was mit dem Trend transportiert wird? Die Frage stellt sich. Mafiabräute aus Filmen als modisches Vorbild zu sehen, ist an sich nicht verwerflich. Immerhin soll sich jeder und jede durch Mode so ausdrücken, wie er oder sie will. Wichtig ist es nur, hinter der Botschaft zu stehen, die sie vermittelt – und diese hat im Fall der Mob Wife zwei Seiten.