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Literatur: "Zur See" von Dörte Hansen: Roman über das Leben auf einer kleinen Nordseeinsel

Literatur

"Zur See" von Dörte Hansen: Roman über das Leben auf einer kleinen Nordseeinsel

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    In ihrem neuen Roman behandelt Dörte Hansen das veränderte Leben auf einer Nordseeinsel.
    In ihrem neuen Roman behandelt Dörte Hansen das veränderte Leben auf einer Nordseeinsel. Foto: Georg Wendt, dpa

    Ein junger Pottwal strandet auf einer Nordseeinsel. Es ist ein Wintermorgen, ein alter Seemann entdeckt ihn, ein paar Atemzüge noch, dann stirbt der junge Wal. Was nun? Weiß keiner mehr, weil sich ja so ein Wissen, so ein Gefühl für den Wal, von den Vorvätern nicht einfach vererbt wie der Walknochenzaun vor dem Haus. Also stehen sie rum, ratlos, all die Nachfahren der einst wagemutigen Walfänger, finden einen zumindest, der den toten Wal ansticht, damit der Druck entweicht, und warten dann auf die Experten vom Festland.

    Junge Wale, die in die falsche Richtung schwimmen, junge Inselmenschen, die nicht vom Fleck kommen, auf dem kleinen Brocken Land verharren, „der da halb abgesoffen in der Nordsee liegt“. Was hat der Mensch da verloren, fragt Dörte Hansen in ihrem nun dritten Roman „Zur See“. Warum sucht der Mensch nicht das Weite? Einfach das Reetdachhaus verkaufen, teuer an einen der so interessierten wohlhabenden Inselgäste mit ihrer Sehnsucht nach der See, ausgesorgt haben und dann weg. Wobei dann die andere Frage wäre: wohin eigentlich?

    Um eine Nordseeinsel (hier Borkum) geht es in Dörte Hansens Buch "Zur See".
    Um eine Nordseeinsel (hier Borkum) geht es in Dörte Hansens Buch "Zur See". Foto: Sina Schuldt, dpa (Symbolbild)

    Im Buch "Zur See" erzählt Dörte Hansen vom Leben auf einer kleinen Insel

    Es ist ein Dilemma, das Dörte Hansen schildert, und sie zerlegt es so wie der Wal am Ende zerlegt wird, schält Schicht für Schicht ab. Da ist die Insel, auf der die Bewohner nicht mehr frieren, die Männer nicht mehr für Monate in See stechen, die Frauen nicht mehr warten müssen und auf der die Fischer auch nicht mehr fischen, sondern nur noch die Touristen zum Beispiel zum Sonnenuntergangstörn übers Meer schippern. Das alte Leben ist nur noch von den Gästen im Museum oder beim Inselspaziergang bewundertes Ausstellungsstück. Ein wenig vom alten Leben aber steckt noch im neuen Leben drin, vererbte Inselwut, vererbte Inselängste, vererbte Inselliebe. Aber ist das überhaupt noch ihre Insel?

    All das erzählt sie am Beispiel der Familie Sander, alter Inseladel, seit 300 Jahren hier zu Hause auf der namenlosen Eiland „irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland“, das schönste Haus, gerne von Touristen fotografiert und auch abgemalt. Aber hinterm Knochenzaun unterm Reetdach ist der Kapitän abhanden gekommen, lebt einsam als Vogelwart, werkelt seine Frau geschäftig weiter, um nicht in trüben Gedanken zu versinken.

    Der älteste Sohn, ein Trinker, hat sich runtergewirtschaftet, einst Kapitän auf hoher See, nun macht er auf der Inselfähre die Leinen los und fest. Die Tochter Eske arbeitet im Seniorenheim, pflegt all die alten Inselmenschen, die noch das andere Leben kannten, nimmt ihre Gespräche auf Tonband auf, um die alte Inselsprache zumindest noch zu retten, und rast mit laut wummerndem Bass über die Inselstraßen, markiert so ihr Revier.

    Nur der Jüngste, Henrik, schwimmt frei im Insel-Alltag, sammelt Strandgut und schafft daraus Kunstwerke, die dann in der Galerie vom zweiten Stamm der Inselmenschen, den Zweitwohnsitzlern, bewundert und gekauft wird. Und dann gibt es noch den Inselpfarrer, der seinen Glauben verliert, seine Frau nicht ganz, aber die will aufs Festland, kommt nur noch am Wochenende.

    Dörte Hansen schreibt Passagen, die einen wie hohe Wellen umhauen

    Und weil sich manches nicht wirklich erklären lässt, nicht die verrückte Sehnsucht, nicht das irre Inselheimweh, das die Inseltochter Eske überfällt, bleiben nach dem Lesen statt Antworten vor allem Bilder im Kopf zurück. Und was das für Bilder sind, von Menschen, die in Bergen von Walfleisch und Blut am Skelett sägen, und was auch für Sätze, die Dörte Hansen da in ihren Roman steckt wie Knochensplitter vom Wal und andere fein und leuchtend wie vom Meer und Sand rundgeschliffene Bernsteinstückchen.

    Es gibt keine Liebe zwischen Vögeln und Menschen, zitiert sie den sogenannten Möwenmann, „den man nach seinem Herzschlag tot im Sand gefunden hat, die Augenhöhlen sauber leer gepickt“. Dörte Hansen, die mit „Altes Land“ zur Bestsellerautorin geworden ist, den umwerfenden Roman „Mittagsstunde“ folgen ließ, schreibt Passagen, die einen wie hohe Wellen umhauen, manchmal – im nun dritten Roman – türmen sie sich bedeutungsschwer auf wie Kawenzmänner – gefährlich nah am Kitsch. Aber dann lässt sie das Pathos doch wieder verebben – schreibt vom Verschwinden einer Welt, lässt sie dann doch nicht ganz untergehen.

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