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Buchkritik: Percival Everett und sein neuer Roman "James"

Literatur

Percival Everetts neuer Roman "James": Eine Romanfigur befreit sich

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    Percival Everetts neuer Roman "James": Eine Romanfigur befreit sich
    Percival Everetts neuer Roman "James": Eine Romanfigur befreit sich Foto: Montage AZ

    Die ganze moderne amerikanische Literatur stammt von einem Buch ab, erklärte einst Ernest Hemingway: Die Abenteuer des Huckleberry Finn, geschrieben von Mark Twain. Davor habe es nichts Besseres gegeben, danach auch nichts. Etwa 140 Jahre nach Erscheinen des weltberühmten Romans um den jungen Herumtreiber und Freigeist hat sich nun der US-Schriftsteller Percival Everett dieses literarischen Urstoffs angenommen, spielt damit, schüttelt ihn, dreht ihn um und verwandelt ihn: in einen eigenständigen, verrückten und mitreißenden Roman. Darin unter anderem ein Sklave, der im Fieberdelirium mit Voltaire diskutiert, eben über die Sklaverei und die Gleichheit der Menschen, und der französische Philosoph von den Ausführungen so hingerissen ist, dass er hastig mitschreibt: „Das war gut. Das war gut. Sag das alles noch einmal.“ 

    Witwe, Richter, Betrüger - auch bei Everett treten sie auf

    Der Sklave? Bei Twain heißt er Jim, bei Everett gibt er sich selbst einen Namen, „James“, so auch der Romantitel, und er wird von der literarischen Neben- zur Hauptfigur, aus deren Perspektive Everett nun die Geschichte der gemeinsamen Flucht mit Huckleberry Finn erzählt: Erst auf die kleine Insel gegenüber von Hannibal, dem Geburtsort Twains, den der gleichwohl in seinem Roman zu St. Petersburg machte, dann mit Kanu und Floß den Mississippi hinunter. 

    Was man von Twain kennt, bei Everett findet es sich auch: Orte, Handlung, Personen, Witwe, Richter, Betrüger, erwähnt zumindest als eine „Art Kobold“ auch Tom Sawyer. Zugleich gleicht nichts hier dem Klassiker. Everett befreit James als Romanfigur - auch von rassistischen Stereotypen, von denen sich wiederum Twain - als moderner Autor dennoch gefangen in seiner Zeit - in seinem antirassistischen Roman nicht ganz befreien konnte. 

    Wichtig: Den Weißen stets das Gefühl geben, sie seien überlegen

    Everetts James ist ein gebildeter Mann, der sich heimlich durch die Bibliothek des Richter Thatcher gelesen hat, im Traum mit nicht nur mit Voltaire, sondern auch mit Rousseau und Locke debattiert, und der den Kindern in der Sklavenunterkunft Sprachunterricht im erfundenen Idiom gibt: Wie man sich nämlich Weißen gegenüber ausdrücken soll beziehungsweise muss. Schön vernuschelt, und wichtig auch, ihnen dabei stets das Gefühl geben, sie seien überlegen. „Je besser sie sich fühlen, desto sicherer sind wir“, sagen die Kinder im Chor. Dann fordert der Lehrer die Übersetzung ein: „Umso besserer sie sich fühln, umso sichererer sin wir.“ Sprache als Schutz. Einzig gegenüber Huckleberry Finn kann James bei der Flucht die Tarnung nicht aufrechterhalten. Er rede ganz schön komisch im Schlaf, stellt der Junge fest. 

    Wie kann man die Deutungshoheit über seine eigene Geschichte erhalten?

    Percival Everett, nicht nur einer der produktivsten, sondern auch gefeiert als einer der wichtigsten zeitgenössischen US-amerikanischen Autoren, zeigt auch in seinem 23. Roman seine Brillanz: Erzählt eindringlich vom Horror der Sklaverei, zart und neu von der Bande zwischen zwei Menschen, die sich ihre Freiheit erkämpfen müssen, urkomisch von den sich vermeintlich überlegenen Weißen. Ein Roman voller Querverweise, Spielereien und Andeutungen bis hin zu dem Nachnamen, der James für sich einfällt, wenngleich er ihn später verwirft. Golightly kommt ihm beim Anblick einer Sternschnuppe in den Sinn und den Lesenden natürlich Holly Golightly, singend beim „Frühstück bei Tiffany“ über ihren Huckleberry Friend... 

    Percival Everett
    Percival Everett Foto: dpa

    Wer erzählt? Wie kann man die Deutungshoheit über die eigene Geschichte erhalten? Auch davon handelt dieser Roman, in dem der wertvollste Schatz für James nicht die Bücher sind, die er im vom Mississippi angetriebenen Haus entdeckt und mitnimmt, sondern ein Bleistift, für den ein anderer sein Leben lassen wird, und ein Notizbuch mit leeren Seiten. Er schreibt: „Ich heiße James..., ein Mann, der seine Geschichte nicht bloß selbst berichten, sondern auch selbst aufschreiben wird.“ Oder auch: Ein Mann, der sich mit seinem Bleistift „ins Dasein schreibt“ – als eine der Hauptfiguren in einem grandiosen Roman mit einer ganz und gar unerwarteten Volte. 

    Percival Everett: James. A.d. Englischen von Nikolaus Stingl, Hanser, 336 Seiten, 26 Euro.

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