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Lesetipp: Was hat es mit dem Permakultur-Trend auf sich?

Lesetipp

Was hat es mit dem Permakultur-Trend auf sich?

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    Sieht vielleicht ein bisschen wild aus, aber hier hat alles seine Ordnung. Karin und Harald Ulmer gestalten ihren Garten nach dem Prinzip der Permakultur.
    Sieht vielleicht ein bisschen wild aus, aber hier hat alles seine Ordnung. Karin und Harald Ulmer gestalten ihren Garten nach dem Prinzip der Permakultur. Foto: Ulrich Wagner

    Tritt ein und lebe auf. Atme durch und staune. So kann sie sein. Die kleine Oase in der großen Stadt. Vogelgezwitscher. Liegestühle zwischen Löwenzahn. Blühende Obstbäume, bunte Frühlingsblüher, Beete fürs Gemüse, eine Bank zum Verweilen und eine Badewanne voller Kompost mit sich ringelnden Regenwürmern. So manchem Hobbygärtner wäre sie vielleicht etwas zu wild, etwas zu unaufgeräumt, etwas zu unstrukturiert, diese Idylle von Karin und Harald Ulmer. Dabei hat hier alles seine Ordnung. Sogar mehr als in manch anderen Gärten. Gestaltet wird nämlich nach einem genauen Plan. Nach dem Prinzip der Permakultur.

    Green Pressure - der Druck zu mehr Grün

    Für Karin Frick ein spannendes Konzept. Eines mit viel Potenzial. Und die Schweizerin muss es wissen. Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts, beschäftigt sich mit den neuesten Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft, eine Zukunftsforscherin. Das Thema Garten ist ihrer Einschätzung nach ein riesen Trend. Nicht erst seit Corona. Aber seitdem verstärkt. Nicht nur, aber gerade auch bei jungen Leuten. Vor dem Hintergrund von Hiobsbotschaften wie Klimaerwärmung und Artensterben wollen viele etwas tun – und sei es nur auf ein paar Quadratmetern Stadtgarten. Green Pressure, der Druck zu mehr Grün, werde unsere Gesellschaft verändern. Davon ist Karin Frick überzeugt. Bald vorbei werden sie sein, die Zeiten von Schottergärten. „Für einen Schottergarten werden Sie sich in Zukunft schämen müssen.“ Wer etwas auf sich hält, werde einen Permakulturgarten anlegen. Auch als Statussymbol. Er lasse den Wert der Immobilie steigen, ein toller Permakulturgarten sei der neue Porsche.

    Worin unterscheidet sich das Konzept vom Naturgarten?

    „Cool!“ findet Hannelore Zech diese Prognose. Ginge es nach ihr, hätten längst viel mehr Menschen einen solchen neuen Porsche. Die 45-Jährige ist Ansprechpartnerin für das Permakulturnetzwerk Bayern. Doch von was reden wir hier überhaupt? Was ist ein Permakulturgarten? Nun, viele ökologisch orientierte Hobbygärtner setzen etliches sicher bereits um, denn neu sind die einzelnen Elemente nicht. Der Begriff kann als dauerhafte („permanent“) Landwirtschaft („agriculture“) übersetzt werden. Nachhaltigkeit ist also wichtig. Naturnah muss es sein. Aber worin unterscheidet sich ein Permakulturgarten von einem Naturgarten? „Jeder Permakulturgarten ist ein Naturgarten, aber nicht jeder Naturgarten ist ein Permakulturgarten“, beginnt Hannelore Zech zu erklären. Permagärten seien noch naturnäher. Noch mehr bio. „Wir haben in unseren Permakulturgärten so viel Essbares wie nur möglich.“ Auf Regionalität und Saisonalität wird sehr geachtet. Entscheidend sei es, den natürlichen Kreislauf zu unterstützen. Pestizide, Monokulturen schädigten dieses ausgeklügelte System. Gesetzt wird auf mehrjährige und sich selbst vermehrende, auch auf samenechte Pflanzen. Eine veredelte Fleischtomate etwa passt in keinen Permagarten. Wertvollste Basis ist der Boden. Für seine Fruchtbarkeit gilt es zu sorgen. Er wird gemulcht und stetig aufgebaut.

    Im Hügelbeet, auch Lasagnebeet genannt, sorgt man mit einer sorgfältigen Schichtung für einen guten Boden und kräftige Pflanzen.
    Im Hügelbeet, auch Lasagnebeet genannt, sorgt man mit einer sorgfältigen Schichtung für einen guten Boden und kräftige Pflanzen. Foto: Ulrich Wagner

    Selbstversorger gerade in Krisenzeiten

    Die Motivation zu graben, zu säen, zu pflanzen, sich altes, oft aber vergessenes Wissen um Lebensräume und deren Lebensmittel anzueignen, sich verstärkt der Selbstversorgung zu widmen, ist oft der spürbare Verlust von Natur, sagt Hannelore Zech. Viele wüssten, dass es längst zwölf ist. Nicht fünf vor, sondern eher fünf nach, um unsere Erde, unsere Lebensgrundlage zu retten. Und Corona habe vielen vor Augen geführt, wie abhängig man vom Handel sei. Wie schnell etwas passieren kann, was globale Lieferketten zumindest in Gefahr bringen könnte. Dass der eigene Garten mit frischem Gemüse und Obst, aber auch mit der Möglichkeit, sich wann immer man Lust dazu hat, im Freien zu bewegen, ein gar nicht zu hoch zu schätzender Wert, ja ein für viele begehrtes Luxusgut ist, ist eine Erkenntnis, die sich durch die Pandemie noch einmal bestätigt hat.

    Zukunftsforscherin: Gärten sind Therapieorte für Körper und Seele

    Zumal längst erforscht ist, wie gut Gärten für die Gesundheit sind. Zukunftsforscherin Karin Frick spricht von Therapieorten für Körper und Seele, von Orten der Heilung. Es gibt aber für die Ökonomin noch einen anderen Grund, warum Gärten und gerade Permakulturgärten so im Kommen sind: Sie bilden eine wunderbare Gegenwelt. Eine sinnliche Erfahrungs- und Erlebniswelt, die umso mehr geschätzt, nach der sich umso mehr gesehnt werde, je virtueller unser Leben wird. Nicht nur, weil Gärteln vielen Freude und ein Gefühl von Freiheit schenkt. Je abstrakter die berufliche Arbeit ist, je weniger man am Abend ein Ergebnis in Händen hält, desto größer sei der Wunsch nach etwas real Vorzeigbarem. Die Gestaltung und Ernte im Garten biete da einen willkommenen Ausgleich.

    Permakultur beinhaltet auch einen sozialen Aspekt

    Dass die Permakultur auch einen sozialen Aspekt beinhaltet, runde die Sache für viele ab. Denn nicht nur den eigenen Garten haben Permakultur-Designer, wie sich ausgebildete Multiplikatoren der Methode nennen, im Blick, sondern auch den Nachbarn. Sich gegenseitig zu unterstützen ist ein festes Element dieses als ganzheitlichen Lebensentwurf beschriebenen Konzeptes. Und Karin Frick ist sich sicher, dass in Zukunft neue Formen des Miteinanders entstehen. So haben beispielsweise viele ältere Menschen das Problem, dass sie große Gärten – und oft nicht minder großzügige Häuser – besitzen, aber ihre Kräfte für die Gartenarbeit schwinden. Kreative Sharingprojekte seien hier gefragt. Teilen und Tauschen also.

    Die Nachbarn reagieren nicht immer positiv

    Hannelore Zech hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass Nachbarn nicht immer positiv auf Permakultur reagieren. „Für viele muss der Garten leider noch immer tipptopp sein“, sagt sie. Perfekter Rasen. Vielleicht ein paar Rosen. Permakulturgärten werden da gerne als vernachlässigte Wildnis, deren Besitzer als schlampig angesehen, die das ganze Gestrüpp doch bitteschön endlich mal wegräumen sollen. Man müsse sich nur gerade in Neubaugebieten umsehen. „Diese Ödnis. Ein Desaster ist das“, sagt Hannelore Zech. Die Menschen nehmen oft hohe Schulden für das neue Haus mit Garten auf, lebten aber nur noch für die Bank, ohne gerade auch ihren Kindern die Entdeckungswelt Garten zu bieten – „denn für den Garten bleibt oft keine Zeit mehr“. Und das mit dem neuen Porsche hat sich offenbar noch nicht herum gesprochen. Doch Hannelore Zech gibt nicht auf. Durch ihren Mienbacher Waldgarten in Niederbayern gibt sie, wenn man sich anmeldet, coronabedingt kontaktlose Führungen. „Man muss Permakultur vorleben.“

    So wie das Ehepaar Ulmer im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Mit den Nachbarn haben sie keine Probleme, ganz im Gegenteil, erzählen sie. Überhaupt treten die meisten durch den wilden Weinbogen und sind begeistert. Wow! Was man auf rund 500 Quadratmetern doch alles machen kann. Ein in mehreren Schichten aus verschiedenem organischen Material aufgebautes Hügelbeet etwa, aber auch ein Hochbeet. Bäume wie die Zwetschge haben „Freunde“ in Form eines sie umgebenden Blumenbeetes. Felsenbirne, Apfelbaum, Haselnuss, Flieder, Süßkirsche finden sich hier und alles umgeben von einer Buchenhecke, damit die Vögel gut ihre Nester bauen können. Dass die Regentonne im mit bunten Mosaiksteinen verzierten Wasserbassin steht, ist noch provisorisch. „An den Wasserstellen müssen wir noch arbeiten. Sie spielen in der Permakultur eine ganz wichtige Rolle“, sagt Karin Ulmer, die erst vor kurzem zusammen mit ihrem Mann eine Permakulturdesign-Ausbildung absolviert hat. Verschrieben haben sie sich diesem Konzept aber schon lange. Doch warum ausgerechnet Permakultur?

    Harald Ulmer hat Politikwissenschaften studiert, war lange Jahre Geschäftsführer der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern. Heute ist er als Berater selbstständig und als Yogalehrer. Die Bewahrung unseres ökologischen Kreislaufsystems ist dem 53-Jährigen ein Herzensanliegen. Das merkt man schnell. Wie er begeistert durch seinen Garten marschiert und erklärt, warum sowohl auf dem Beet, aber auch etwa um den Zwetschgenbaum herum so viel abgeschnittene Gräser und Pflanzen liegen. Wie wichtig es ist, den höchsten und tiefsten Punkt im Garten zu kennen, um Wasserstellen zu haben. Wie stolz er mit beiden Händen in seinen Wurmkompost in der alten Badewanne greift, um ihn als kostbares Gut zu präsentieren. Ein feiner Waldgeruch muss aufsteigen. Dann stimme alles. Denn Kompost, richtig angelegt, stinke nicht und sei unentbehrlich für einen gesunden Boden. Ja überhaupt der Boden. Stets gefüttert will er werden, damit es ertragreiche Erde bleibt, die je nach Jahreszeit so viel Vitaminreiches hervorbringt, dass man auch gut anderen davon abgeben kann.

    Eine alte Badewanne dient bei Karin und Harald Ulmer als Wurmkompost. Sogar ein paar Löcher hat sie, damit die Tiere ihre eigenen Wege gehen können.
    Eine alte Badewanne dient bei Karin und Harald Ulmer als Wurmkompost. Sogar ein paar Löcher hat sie, damit die Tiere ihre eigenen Wege gehen können. Foto: Ulrich Wagner

    Seine Frau Karin setzt Permakultur mit der gleichen Leidenschaft um. Aufgewachsen auf einem konventionellen landwirtschaftlichen Betrieb, bringt auch die gelernte Gärtnerin, die ein Geografiestudium absolviert hat und heute als Heilpraktikerin arbeitet, sehr viel Fachwissen mit. Für beide ist die Permakultur eine Lebensaufgabe. Der einzig gangbare Weg. Denn so viel Erfüllung das Gärteln, Bauen und Renovieren des hübschen Hauses im 50er-Jahre-Stil den beiden auch macht, im Gespräch wird schnell klar, dass es ihnen um mehr geht.

    Darf ich den Garten nur für mich benutzen?

    Dass die Permakultur die Antwort auf eine grundsätzliche Frage ist: Wie will ich leben? Was ist mir wirklich wichtig? Karin und Harald Ulmer spüren eine tiefe Verantwortung in sich. „Es ist doch ein Glück, so einen Garten zu haben und ihn bewirtschaften zu dürfen“, sagt Karin Ulmer. „Aber dieser Garten gehört nicht nur uns. Er gehört auch den Tieren, den Insekten, Vögeln, Eichhörnchen, Igeln. Wie komme ich dazu, diesen Garten nur für mich zu benutzen, um meine Geranien aufzustellen?“ Dass wir Menschen auch die Bienen brauchen, hat sich herumgesprochen. Doch es gehe nicht nur um die Bienen. „Wir Menschen sind Teil eines riesigen Kreislaufs – und so reich beschenkt, daher gilt es diesen Kreislauf zu bewahren.“ Schließlich sei es ein uraltes Gefühl, sich von der Schönheit der Natur berühren zu lassen, neue Kräfte in ihr zu sammeln, immer wieder zu staunen, wie aus einem winzigen Samen ein mächtiger Baum wird – in ihr aufzuleben.

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