Hans S. ist ein Schrank von einem Mann: kräftig, groß, muskelbepackt. Nichts kann ihn umhauen, sollte man meinen. Und so war das auch bis zu jenem Tag vor einem Jahr. Hans S. schien Energie ohne Ende zu haben. Er war manchmal bis zu 600 Kilometer am Tag für seinen Arbeitgeber im Auto unterwegs. Zeitdruck war Alltag. Der 39-Jährige ist Tontechniker und war für eine Firma in ganz Bayern auf Achse. Nebenbei arbeitete er für eine Sicherheitsfirma.
Ohne Vorwarnung erlitt der Familienvater einen Zusammenbruch. Hans S. bekommt seitdem Panikattacken, wenn er sich hinters Steuer seines Wagens setzt. „Früher habe ich immer belächelt, wenn jemand gesagt hat: Das schaffe ich nicht.“ Inzwischen weiß er selbst: Ihm hat es die Füße unter dem Boden weggezogen.
Weil plötzlich das Geld fehlte, war es oft kalt im Haus
Die langwierige psychische Erkrankung hat Folgen für die ganze Familie. Mehr als ein halbes Jahr lang konnte er nicht arbeiten. 1600 Euro fehlten mit einem Mal monatlich im Haushaltsbudget. Hans S. und seine Frau Manuela haben fünf Kinder, von denen eines psychisch krank ist und sich stationär behandeln lassen muss. Ihnen hat Hans S. nicht erzählt, dass auch er psychische Probleme hat. Er sprach von einer Verletzung an der Schulter, die operiert werden musste. Er will weiter der starke Vater sein und die Kinder schützen.
Die Familie lebt in einem Mietshaus auf dem Land. Geheizt wird mit Öl. Weil plötzlich das Geld fehlte, war es oft kalt im Haus. Darunter haben die Kinder gelitten. Der Fall ist einer von Aberhunderten von Beispielen, wo die Kartei der Not heuer helfen konnte. Das Leserhilfswerk unserer Zeitung organisierte eine Heizöllieferung, die die Firma Präg aus Kempten als Spende stellte. Und die Kinder bekamen etwas Geld, damit sie mit Freunden Geburtstag feiern konnten.
Ein Stück Heimat gefunden im Ellinor-Holland-Haus
Mit einer solchen einmaligen Hilfe wäre Hanne F. und ihren zwei Kindern nicht geholfen. Ortswechsel nach Augsburg. Im Ellinor-Holland-Haus mit seinen 28 Wohnungen finden Menschen in schweren Lebenskrisen einen geschützten Ort. Wer hier Aufnahme findet, braucht mehr als einen finanziellen Zuschuss. Überwiegend sind es alleinerziehende Frauen, die hier bis zu drei Jahre lang von erfahrenen Pädagoginnen begleitet werden, damit sie anschließend wieder selbst gut im Leben zurechtkommen.
Hanne F. gehört zu diesen Glücklichen, die diese Chance bekommen haben. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, von denen eines unter einer schweren Behinderung leidet. Sie hatte eigentlich nur eine Perspektive: Für die Kinder da sein und sehenden Auges in die Armut abrutschen. Die Trennung von ihrem Mann hat sie finanziell schwer getroffen. Hanne wollte schon früher eine Ausbildung machen, da waren die Kinder dazwischengekommen.
Allein hätte sie es nicht geschafft, Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen. Im Ellinor-Holland-Haus hat sie ihre Ausbildung mit viel Fleiß und Disziplin nachholen können, auch mithilfe der Kita, die der Arbeiter-Samariter-Bund im Ellinor-Holland-Haus betreibt, wo die Kleinen bestens versorgt werden. Die junge Frau ist nun medizinische Fachangestellte und arbeitet heute in einer Arztpraxis.
Das Haus ist ihr längst zu einem Stück Heimat geworden. Den Mitarbeiterinnen wird sie ewig dankbar sein, weil sie ihr bei all den Alltagsdingen wie der Behördenpost geholfen und vor allem an sie geglaubt haben. Beim Erstgespräch im Haus hatte sie versprochen: „Ich werde Sie nicht enttäuschen!“ Sie hat nicht enttäuscht.
Es sind Erfolgsgeschichten wie diese, die die Vorsitzenden des Kuratoriums der Kartei der Not, Ellinor Scherer und Alexandra Holland, darin bestärken, diesen Weg weiter zu gehen. „Wir können so viel Gutes aber nur tun, weil so viele Leserinnen und Leser die Kartei der Not unterstützen“, sagt Ellinor Scherer. „Die Spendenbereitschaft in der Region ist nach wie vor sehr gut“, ergänzt Alexandra Holland. „Dafür ein herzliches Dankeschön!“
Besonders das Wohl der Kinder liegt dem Kuratorium und seinen Vorsitzenden am Herzen. Allein 30 Mädchen und Buben leben im Ellinor-Holland-Haus, für die der Unterricht in der Corona-Pandemie über Monate daheim am Computer stattfinden musste. Der Drucker im Haus war zeitweise heiß gelaufen, so viele Arbeitsblätter mussten ausgedruckt werden.
Dass die Hilfe gebraucht wird, zeigen die Zahlen. Fast 1900 Kinder und Jugendliche in 500 Familien hat die Kartei der Not in diesem Jahr unterstützt. Über 700 schwerbehinderte Menschen erhielten Hilfe. Immer mehr Familien und Einzelpersonen bitten um Unterstützung, aber auch immer mehr soziale Organisationen. Letztere unterstützt die Kartei der Not mit Projekten. Eines davon ist die „youfarm“ in Augsburg. Das Frère-Roger-Kinderzentrum versucht damit, benachteiligte Kinder und Jugendliche auf eine eher ungewöhnliche Art stark zu machen.
Frank Helbig ist Teamleiter auf der „youfarm“. Der Heilerziehungspfleger sagt, Kinder und Jugendliche „sind unser höchstes Gut“. Sie brauchen Hilfe, Anleitung, Unterstützung. Sie sollen sich auf diesem Gelände ausprobieren können und so Selbstbewusstsein tanken für ein glückliches Leben. Alle Augsburger Kinder und Jugendlichen dürfen hier zur „youfarm“ vorbeikommen und müssen nicht mal etwas bezahlen.
Das ist kein geringer Anspruch, den Helbig da formuliert. Das Geld ist immer irgendwie knapp. Jeder Euro Hilfe ist willkommen. Eine Kindheit in einer Großstadt wie Augsburg bietet zwar unglaublich viele Chancen, aber eben auch mindestens ebenso viele Möglichkeiten der Ablenkung. Selbst Dinge buchstäblich in die Hand zu nehmen und zu sägen, zu schleifen, zu bohren oder zu leimen – solche Dinge bietet eine Großstadt dann doch eher selten. Auf der „youfarm“ geht das. Dabei sei das so wichtig, sagt der 62-Jährige. Eltern sollten ihren Kindern etwas zutrauen, ihnen vertrauen und sie nicht in Watte einpacken.
Niklas und Damien schauen regelmäßig auf der „youfarm“ vorbei. Für den Neun- und den 13-Jährigen sind die 1,4 Hektar Natur im Stadtteil Pfersee längst zur zweiten Heimat geworden.
Mit Hilfe der Kartei der Not wird die "youfarm" noch mehr zum Bauernhof
Frank Helbig bohrt und schraubt mit den beiden Jungs ein Insektenhotel zusammen. Er lässt sie machen, gibt ihnen nur hin und wieder einen Tipp, zum Beispiel mit dem Akkubohrer nicht vom Gas zu gehen, auch wenn sie den Bohrer herausziehen wollen.
Helbig ist Mann der ersten Stunde auf der „youfarm“. Mit fünf Stunden hat er vor mehr als zehn Jahren in Pfersee auf einer Wiese bei null angefangen. Der Name „youfarm“ übrigens ist bewusst englisch gewählt, weil Pfersee im US-Viertel liegt, wo die Amerikaner in der Nachkriegszeiten Kasernen hatten.
Zuerst hat sich Helbig mit ein paar Freiwilligen ans Pflanzen von Obstbäumen gemacht. Äpfel und Birnen wachsen inzwischen in großen Mengen auf dem Gelände. Auch das ist schon wieder eines der Projekte auf der „youfarm“. Kinder brachten von daheim alte Rezepte von Oma mit, nach denen sie dann das Obst eingekocht haben. Nach und nach kam ein Niederseilgarten dazu, ein Bauwagen zum Feiern von Geburtstagen, ein Tipi, ein Rundzelt. Und hinter einer Scheune ist ein Lager entstanden, wo Kinder und Jugendliche vor allem eines finden: das Unperfekte.
Jetzt wird die „youfarm“ noch mehr zum Bauernhof. Mithilfe der Kartei der Not wurde ein Stallgebäude gebaut, um die tier- und werkpädagogische Arbeit auch für Kinder mit einem höheren emotionalen und sozialen Förderbedarf zu unterstützen. Wenn alles fertig ist, dürfen hier Schafe einziehen, die im Sommer natürlich raus auf die Weide dürfen. Auch dieses Projekt ist nur möglich, weil die Kartei der Not entscheidend mitgeholfen hat. Fünf Tiere sollen hier leben. Die Kinder und Jugendlichen freuen sich schon jetzt aufs Füttern, Streicheln und Ausmisten.
Die Kartei der Not
Seit über 55 Jahren hilft die Kartei der Not Menschen in der Region, die unverschuldet in eine schwierige Lebenslage geraten sind. In dieser Zeit hat das Hilfswerk der Mediengruppe Pressedruck und des Allgäuer Zeitungsverlags diese Menschen mit rund 45 Millionen Euro unterstützt. Die Not kann jeden treffen. Plötzlich und unerwartet, durch Krankheit, einen Unfall oder den Verlust eines Angehörigen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, helfen durch Ihre Spende mit, dass diese Menschen wieder in ein normales Leben zurückfinden. Wir achten darauf, dass das Geld dort ankommt, wo es am dringendsten benötigt wird. Mit Ihrer Spendenbereitschaft konnte viel Gutes bewirkt werden. Darum bitten wir Sie: Helfen Sie uns helfen. Dafür danken wir Ihnen von ganzem Herzen. Ihr Kuratorium der Kartei der Not