Ein hagerer junger Mann in losem Hemd und Hose steht auf der Bühne, den Rücken zum Publikum gewandt. Er zückt sein Feuerzeug, zündet sich eine Zigarette an. Rauch steigt auf. Er dreht sich zurück zum Publikum und grinst. Die Leute vor der Bühne lachen mit ihm. „Es is mir wurscht“, singt er und die Band setzt auf das letzte Wort ein. „Wo du her bist, oda wos du mochst“, geht es weiter. Die Hand mit der Zigarette gestikuliert wild. Sein ganzer Körper bewegt sich zur Musik, nur sein Mund bleibt dicht am Mikro. „Hauptsoch is, dassd jetzt do bis“, singt er. Hauptsache ist, dass du jetzt da bist.
„Voodoo Jürgens“ nennt sich der junge Mann, der mit 41 Jahren eigentlich gar nicht mehr so jung ist und seinen Künstlernamen unverkennbar an den österreichischen Musiker Udo Jürgens angelehnt hat. Der Wiener Liedermacher singt in Mundart über das Leben, weniger über Liebe eigentlich, mehr über Tragisches und Lustiges. Oft sind seine Texte beides zugleich, dass man nicht weiß, ob man gerade unterhalten oder zum Nachdenken angeregt wird. Jürgens bringt auf die Bühne, was viele an den Menschen in Österreich schätzen, aber schwer greifen können: einen charmanten und launigen – nicht zu verwechseln mit launischem –, aufmüpfigen Umgang mit dem Leben und mit dem Tod, den sie auf der Bühne und in Gesellschaft einander zeigen. Es ist eine Haltung, die dem Leben den Bierernst nimmt und die den Humor schwarz färbt. Lebensfreude und Geselligkeit gehen Hand in Hand mit Traurigkeit, Melancholie und der Angst vor dem Tod.
Auch Bitteres enthält oft Komik, findet Voodoo Jürgens
Als „schwarzhumorig“ werden Jürgens Texte oft beschrieben. Er selbst kann da nicht ganz mitgehen, sagt er einige Stunden vor seinem Konzert in einer Ecke des Beisls, also Kneipe, der „Kulisse“, in dem er im Rahmen seiner Clubtour spielt. Blonde Haare – vorne kurz, hinten lang – umrahmen sein Gesicht, er blickt sein Gegenüber aufmerksam an. „Ich meine Dinge schon auch ernst oft, und es wird drüber gelacht“, sagt er ohne Groll. So bitter manche Sachen seien, hätten sie aber doch oft was Komisches, das versuche er einzufangen.
Vom Geruch von Zuckerwatte und Kadaverfabrik handelt ein Lied. Nicht immer sind beide Seiten so gegensätzlich, nicht immer gibt es ein gutes Ende. Neid und Habgier besingt er ebenso wie die Schulzeit oder Verlust. Die Ambivalenz ist ihm wichtig. Er wolle sich nicht anmaßen, zu sagen, wie es rennt, sagt er. Denn: „Ich weiß überhaupt nicht, wie es rennt.“ Er halte es für wichtig, dass man eine Haltung heraushöre. „Damit sich nicht die Falschen hin verirren. Aber zu parolenartig und nur ‚so ist es richtig‘ ist mir unangenehm.“
Im Niedermair in Wien haben viele Kabarettisten gestartet
Ambivalenz, keine einfachen Antworten und keine Moralpredigt: Diese Geisteshaltung spiegelt sich im Gespräch und im launigen Humor wider. Sie ist es auch, die für Andreas Fuderer die österreichische Kleinkunst ausmacht. Fuderer ist Betreiber der Wiener Kabarettbühnen Niedermair und des Stadtsaals in Wien-Mariahilf. Das Niedermair ist eine Institution in der Welt des Kabaretts und weit über die Grenzen Österreichs bekannt. Auch, weil einst Josef Hader die Bühne in einem seiner Programme erwähnte. Nur 70 Menschen haben in dem kleinen Saal Platz. „Der Raum ist so dicht, dass das Brennglas noch viel schärfer ist“, berichtet Fuderer. Künstler und Publikum rücken hier ganz eng zusammen.
In seiner Funktion als Betreiber einer Kabarettbühne ist Fuderer so etwas wie der „Gatekeeper“ des österreichischen Kabaretts und der Kleinkunst. Er mag es nicht, wenn man ihn auf seine „Macht“ anspricht. „Es gibt Wege an uns vorbei“, stellt er klar. Der Flaschenhals sei nicht mehr so eng wie früher. Durch die sozialen Medien habe sich stark verändert, wer letztlich entscheidet, was unterhaltsam ist. Zu nennen ist da die Kabarettistin mit dem Künstlernamen „Toxische Pommes“. Mit kurzen Videos auf Instagram machte sie sich einen Namen – heute tritt sie auch auf den Bühnen Wiens auf.
Die österreichische Kabarettszene wächst bis heute
Fuderer sieht sich vielmehr in der Verantwortung für die Szene. In dieser Position sei er auch nicht unumstritten, gibt er zu. „Diese Verantwortung spüre ich sehr stark, das ist eigentlich mein größter Motor“, sagt der Bühnenbetreiber. Bevor er spricht, denkt er nach. Die Worte von Fuderer sind genau gewählt, nicht aus Furcht drückt er sich präzise aus, er kennt sein Metier und nach wenigen Minuten des Gesprächs würde man auch Fuderer selbst zutrauen, auf der Bühne einen guten Eindruck zu machen.
Sein Platz ist jedoch hinter der Bühne. Vom Studienabbrecher über Jobs bei der Technik lernte er mehr Menschen aus der Wiener Kleinkunstszene kennen und wurde selbst fester Teil der Kleinkunstwelt. Nach der Übernahme des Niedermair eröffnete Fuderer gemeinsam mit Fritz Aumayr, Josef Hader und Till Hoffmann den Wiener Stadtsaal – die größte Kabarettbühne der Donaumetropole. Es ist eine Szene, die bis heute wächst, berichtet er: „Im Vergleich zu heute gab es früher ganz wenige, die auf der Bühne waren.“
Im Fokus des Niedermair steht auch die Nachwuchsförderung. Die Bühne gilt als Sprungbrett. Wer hier spielt, hat etwas erreicht. Auch Josef Hader hatte im Niedermair seine ersten Auftritte, bis heute wollen junge Talente ins Niedermair. Auftreten kann dort nur, wer Fuderer überzeugt. Entweder wird der Österreicher zu einem Auftritt eingeladen oder junge Künstler lassen ihm einen Videomitschnitt zukommen. Oder aber er wird auf ein Talent hingewiesen.
„Die Szene ist überschaubar, alle reden miteinander“
So war es im Fall von Benedikt Mitmannsgruber. „Die Szene ist überschaubar, alle reden miteinander“, sagt Fuderer. Mitmannsgruber habe irgendeinen Preis gewonnen, so etwas wie die Ennser Kleinkunstkartoffel, erinnert er sich. Dann habe er noch ein Video gesehen und wusste schnell: „Ich finde ihn großartig.“ Seine Erzählbögen sein viel kürzer und damit genießbarer, er gehe schon eher in die Richtung Comedy. „Das erste Grundgesetz der Komödie, dass jemand, der schwach ist, die meisten Lacher erntet, das bedient er gut. Das ist eine hohe Kunst“, lobt Fuderer.
Einige Tage später steht eben jener Hochgelobte zwei Stunden vor seinem Auftritt auf einer kleinen Bühne in Lustenau am Bodensee und absolviert den Soundcheck. Statt seines obligatorischen Norweger-Pullis trägt er einen bequemen Trainingsanzug und feilscht mit dem Techniker um die letzten Einstellungen. Als er die Besucher entdeckt, ruft er „Hi!“ und winkt freundlich.
„Der seltsame Fall des Benedikt Mitmannsgruber“ heißt sein Programm, und dieser Fall ist eng mit dem Kabarett Niedermair verknüpft. Noch heute spricht der 27-Jährige fast ehrfürchtig von seinem ersten Auftritt dort. „Ich war extrem nervös, ja. Ich hatte damals mein Solo-Programm erst viermal gespielt“, erzählt er. In dem Wissen, welche Chancen ein erfolgreicher Auftritt mit sich bringt, sei er schon Tage vorher angespannt gewesen. „Wenn es gut läuft, bekommt man mehr Termine, auch anderswo.“
Die Österreicher sind offener für schwarzen Humor als die Deutschen
Für Benedikt Mitmannsgruber lief es gut – bis heute. In Österreich hat der Komiker den Durchbruch längst geschafft, ist regelmäßig im Fernstehen zu Gast und füllt auch größere Säle. Doch auch in Deutschland ist sein Name Kennern ein Begriff. Vor zwei Jahren gewann er das große Passauer Scharfrichterbeil, in Dieter Nuhrs ARD-Sendung trat er auf und gerade in Bayern spielt Mitmannsgruber regelmäßig. „Da kann ich noch Dialekt reden, ansonsten muss ich auf Hochdeutsch ausweichen. Das fällt mir sehr schwer.”
Da dauere das Programm dann manchmal zehn Minuten länger, weil er so viel überlegen müsse. Und auch das Publikum sei in Deutschland anders. In einem Aspekt könne es vielleicht tatsächlich noch etwas von den Österreichern lernen: „Die Österreicher und gerade die Wiener sind viel offener für schwarzen Humor. Da kommt mein Humor schon besser an als in Dresden oder Berlin“, berichtet er. Und was ist mit seinen bitterbösen Witzen über die österreichischen Rechtspopulisten der FPÖ, verstehen die Deutschen das überhaupt? Mitmannsgruber bejaht die Frage. „Die AfD ist ja sehr ähnlich, das kann man quasi eins zu eins übernehmen“, erklärt er.
Das deutsche Stand-Up ist dem österreichischen in mancher Hinsicht voraus
Den deutschen Humor sieht Mitmannsgruber dem österreichischen nicht unterlegen, gerade dann nicht, wenn es um die Stand-Up-Szene geht. „Ich mache mich damit wahrscheinlich in Österreich unbeliebt, aber ich glaube, dass das deutsche Stand-Up uns zehn Jahre voraus ist. Es gibt in Deutschland viele junge, gute Comedians, wie die Szene um Till Reiners zum Beispiel“, sagt Mitmannsgruber. Es stimme aber schon, dass es in Österreich etwas subtiler zugehe.
Als er abends auf die Bühne des Freudenhaus Lustenau tritt, das von außen wie ein Zirkus wirkt, und von innen irgendwie auch, braucht der Oberösterreicher nicht nervös zu sein. Hier schert es das Publikum wenig, wenn er mit tiefschwarzem Humor seiner erzkonservativen Heimat im Mühlviertel den Spiegel vorhält, und sich dabei scheinbar doch nicht von ihr lösen kann. Immer wieder schaut sie aus ihm heraus, etwa wenn er als Lehrer in Zeiten von Sozialen Medien, den Zauber des guten, alten, persönlichen Mobbings vermisst und sogleich Mobbing-Projekttage ausruft.
In seinem Dorf hat Mitmannsgruber sich noch nicht getraut, zu spielen
Auf einer Feier in der Heimat sei er von einem verhöhnt worden, weil er so schlaff daherkommt und keine sieben Mal am Tag Schweinefleisch isst, also auch kein echter Mann sei. „Des woar des greßte Oaschloch im Dorf, unser Pfarrer“, sagt er dazu, emotionslos, während das Publikum vor Lachen brüllt. Die Figur „Benedikt Mitmannsgruber“ ist in der Heimat umgeben von kinderverachtenden Lehrerkollegen und rechten Verwandten, die vor allem eines gemeinsam haben: Sie hassen Benedikt Mitmannsgruber, weil er nicht ist, wie sie.
In seinem Dorf habe er sich noch nicht spielen trauen, berichtet er vor der Show. Das überrascht nicht, denn Mitmannsgruber führt seine Nachbarn in der anderthalbstündigen Show nach Herzenslust vor. „Außerhalb von meinem Dorf ist es im Mühlviertel aber überraschend gut angekommen, wobei die Leute hier in Vorarlberg das natürlich schon witziger finden“, sagt Mitmannsgruber.
Das Publikum bestätigt seine Aussage an diesem Abend. Immer wieder macht der 27-Jährige feinsinnige Anspielungen, die manchmal ins Morbide reichen und es seinem Publikum nicht immer leicht machen. Seine Botschaften bleiben so subtil, dass sie sich zu keiner Zeit moralisierend anfühlen. Politisches äußert er, indem er sie in die Figur einbaut, anstatt den Moralapostel zu spielen – ganz im typisch österreichischen Stil. Themen ansprechen, die ihm wichtig sind, und auch Dinge kritisieren, die er nicht gut findet, wolle er durchaus, sagt er dazu einige Zeit vorher. „Das Politische ist schon wichtig für mich. Ich finde, das gehört schon rein in das Kabarett und die Comedy“, sagt Mitmannsgruber klar. Aber eben nicht mit dem Zeigefinger.
Mehr Freiheiten, mehr Offenlassen: In Österreich geht es ohne Zeigefinger
Es ist ein Unterschied, der sich vor allem zur deutschen Kabarett-Szene bemerkbar macht. Kabarett-Experte Andreas Fuderer kann die Unterschiede deutlich aufzeigen. „Die politische Ausrichtung ist bei uns im besten Fall subtiler, weil es mehr offenlässt, weil es aus meiner Sicht dem Zuschauer oder Zuschauerin im Kopf ihre Freiheit lässt“, erklärt dieser.
Aus seiner Sicht habe sich das österreichische Kabarett im Vergleich zum deutschen immer dadurch ausgezeichnet, dass es etwas theatraler sei. Die Vermittlung der Inhalte passiere nicht so frontal wie in Deutschland. Die Kabarettisten treten oft als Figuren auf. „Mir kommt es in Deutschland so vor, dass der Zeigefinger mehr gehoben wird.“ Kabarettisten zeigen den Besucherinnen und Besuchern, wo es langgeht: „Macht das so, dann seid ihr auf der richtigen Seite.”
In Österreich könne man den Künstler nicht so gut lesen und das mache es spannend. Fuderer kann sich das vor allem durch die enge Verflechtung von Theater und Gesellschaft in Österreich erklären: „Ich glaube, durch die bürgerliche Tradition des Theaters“, sagt er. „Wir haben in Wien eine Stellung, die im deutschsprachigen Raum einzigartig ist. Wir haben hier 120 Theater, alle funktionieren und alles floriert.“ Durch diese Schule sei das Publikum etwas besser vorbereitet. In Österreich traue man den Zuschauern mehr zu.
Den Wiener Schmäh zu beschreiben, fällt auch langjährigen Wienern schwer
Die österreichischen Zuschauer sind es, die diese launige Art auch über Bühne hinaus erlebbar machen, nirgendwo besser als in der Hauptstadt, mit ihrem notorischen Wiener „Schmäh“. Fuderer, der selbst zwar aus Österreich ist, aber kein Wiener, fällt es gar nicht so leicht, zu beschreiben, was das ist, er nennt es eine „Herkulesaufgabe.“ Für ihn sind es „kaum beachtete Halbsätze, die viel Wahrheit beinhalten“. Es seien Situationen, die man nur in Wien erleben kann. Eine Mischung aus Klugheit, Schlagfertigkeit und Humor. Ihm fallen die Kellner ein, die oft als „grantig“ verschrien werden. Der Kellner sagt sich, so Fuderer: „Eigentlich durchschaue ich das ganze Spiel.“ Vielleicht ist es eine Art lässiger Stolz, darauf, dass das Gegenüber nie genau weiß, ob es beleidigt, verspottet oder gar doch ernstgenommen wird.
Ein Markenzeichen, das allerdings immer weniger präsent in der Stadt ist: Fuderer beobachtet, dass der Wiener Schmäh mehr und mehr verloren geht. „In wenigen Jahren werden diese Ausdrucksweisen und diese spezifischen Wiener Sagen in Vergessenheit geraten“, sagt er sorgenvoll. Der Bühnenbetreiber hofft, dass es Leute gibt, die diese Eigenheiten aufschreiben und konservieren.
Einer davon ist Voodoo Jürgens, dort, auf der verrauchten Bühne in der Kulisse in Wien. Er singt im Wiener Schmäh, der für Deutsche so lässig, wenn auch manchmal derb wirkt und viel mehr ist als nur ein paar Worte. Die Definition fällt dem Musiker ebenfalls schwer.
„Wenn einem wichtig ist, dass Dinge so bleiben, wie sie sind, dann muss man sie leben.“
Eine Haltung? Ja, vielleicht. Er denkt nach. Es sei eine Art, ein Gespräch in einer Gruppe untereinander zu führen, möglicherweise, überlegt er. Ein Herumwerfen von Begriffen, ein Spiel, irgendwie. Zum Dialekt habe er früher eine komische Beziehung gehabt, erzählt Jürgens. „Ich fand es unangenehm, fast schon zum Fremdschämen, wenn ich das gehört habe.“ Dann habe er sich gedacht, es müsse doch möglich sein, mit Sprache so umzugehen, dass es nicht unangenehm ist.
Mit der Wiener Unterweltsprache habe er gern gespielt, nicht mal in Wien wisse dann jeder, was gemeint sei. Ein Wort rückt er heraus: Fisch bedeute Messer, wegen des Silbers. Es sind Sprachgeheimnisse, die nur die Wiener verstehen, wenn überhaupt. Entsprechend intim ist die Atmosphäre beim Konzert.
Dass Voodoo Jürgens Lieder viel vom alten Wien handeln, von einer Welt in verrauchten Beisln und von Jugenderinnerungen, hat für ihn nichts mit Patriotismus zu tun. Er wolle nichts hüten, nicht die Seele Wiens verteidigen. „Das ist nicht meine Aufgabe“, sagt er. Den Traditionsliebhabern hält er vor, dass sie dann auch in die Beisln gehen müssen, man sehe sie dann dort aber nicht. „Das ist alles immer nur blabla. Und wenn einem das wichtig ist, dass Dinge so bleiben, wie sie sind, dann muss man sie halt leben.“
Als er dann auf der Bühne steht, erzählt er in seinen Liedern von Welten, in denen die Menschen oft an irgendwas anderem hängen. In einem Lied singt er von Glücksspiel, von einem Automaten, der das „Knedl“ immer wieder schluckt. „Gibt’s jo net, gibt’s jo net‘, ollas dahin“ – gibt’s ja nicht, gibt’s ja nicht, alles dahin. „Immer kaunnst ned gwinna, des is scho kloar“, singt Voodoo Jürgens Protagonist in seinem eigentümlichen Sprechgesang. „Kumm scho, kumm scho! Jetzt kummt ma der ned!“, ruft der Spieler erbost. Jemand hat an dem Automaten herumgeschraubt, Vorführeffekt oder es liegt am Automaten, schlussfolgert er. Es ist ein Kampf, den der Protagonist verliert.
Die Geselligkeit siegt, egal was passiert
Jürgens Augen sind teilweise geschlossen, während er das singt, er bewegt sich vor und zurück. Die Menschen singen mit. Der Klub ist klein, es ist warm, man ist unter sich. Er wirkt auf der Bühne mehr zu Hause als im Interview. Vielleicht, weil es ein Heimspiel ist. In den Beisln in Wien und im Umland ist er als Musiker groß geworden. Auch seine Figur Rickerl aus dem gleichnamigen Film findet in Beisln Trost und Zuspruch. Mit ihm hat er vor kurzem sein Filmdebüt gewagt. Auf verrauchten Bühnen besingt „Rickerl“ das Leben in all seinen Facetten – ohne große Technik, ohne viel Aufhebens. Und die Menschen im Film hören zu. Auch schwerere Texte dürfen neben den leichten stehen, Kommentare haben Rickerls Zuhörer immer parat. Es wird nicht verurteilt, nicht mit dem Finger gezeigt. „Es ist mir wurscht, wo du herkommst, oder was du machst. Hauptsache ist, dass du jetzt da bist“ – die Geselligkeit siegt, egal, was passiert.
Auch an diesem Abend bricht die Stimmung nicht ab, selbst wenn es um den Tod geht. Die Menge singt auch dann mit, wenn Jürgens seinen Mund einen Moment vom Mikro nimmt. Die Konzertgäste kennen die Texte und feiern sie, egal, worum es geht. Man bewegt sich miteinander, ohne groß mit Handylichtern zu schwenken oder dergleichen. Das braucht man hier nicht, das wäre fehl am Platz. Eins der letzten Lieder ist eine Ballade für eine verstorbene Freundin. „Weh – oh weh, oh weeeeh, oh weh“, singen die Menschen, und sie sind Voodoo Jürgens für einen Moment ganz nah, so nah wie man sich im Gespräch nie kommt.
Dieser Text ist Teil der AZ-Sommerreihe „Lernen von den Nachbarn“. Alle weiteren Artikel finden Sie hier.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden