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Kommentar: Es ist nicht Winnetou, es sind die Menschen, die seine Geschichte adaptieren

Kommentar

Es ist nicht Winnetou, es sind die Menschen, die seine Geschichte adaptieren

Birgit Müller-Bardorff
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    Nun bald auch ein Tabu: Pierre Brice in der Titelrolle der Karl-May-Verfilmung „Winnetou 3“, quasi einem First-Nation-Märchen, das mit sehr vielen echten Tränen um den Häuptling endete.
    Nun bald auch ein Tabu: Pierre Brice in der Titelrolle der Karl-May-Verfilmung „Winnetou 3“, quasi einem First-Nation-Märchen, das mit sehr vielen echten Tränen um den Häuptling endete. Foto: dpa

    Ziemlich blöd gelaufen für den Ravensburger Verlag. Da wollten sie alles richtig machen und wirklich alles ist jetzt schiefgelaufen. In der Ankündigung hatte es sich noch ganz harmlos angehört: „Die Geschichte dreht sich rund um Winnetou, den Sohn des Häuptlings. Als sein Stamm in Not gerät, muss Winnetou seinen Mut unter Beweis stellen und sich gemeinsam mit seiner Schwester und dem Stadtjungen Tom in ein gefährliches Abenteuer stürzen.“

    Winnetou-Kontroverse: Gegen die woken Weltverbesserer wird gewettert

    Mit einem Buch zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ (und begleitend einem Erstlesebuch und einem Stickeralbum) wollte man den schnellen und leichten Erfolg und hat dann sehr schnell reagiert, als die Reputation des alteingesessenen schwäbischen Verlages in Gefahr war, weil die Empörungswelle auf Instagram sich aufgetürmt hatte, weil dem Buch vorgeworfen wurde, rassistische Stereotypen und eine koloniale Haltung zu transportieren, ja das Leben der indigenen Bevölkerung in Amerika zu verkitschen.

    Der Verlag zog das Buch bekanntlich zurück und hat jetzt womöglich den wesentlich größeren Schaden: Keiner regt sich mehr über das Buch auf – schon gar nicht übrigens über den Film, der immer noch in den Kinos läuft – , aber alle wettern gegen die woken Weltverbesserer, die sich an unserem Kulturgut zu schaffen machen, vor allem aber gegen den Verlag, der davor eingeknickt ist. Keine Bücher, keine Puzzles, keine Spiele mehr von Ravensburger drohen die Twitterer und Instagrammer und canceln den Verlag, was sie aber nicht davon abhält, diesen in ihren Kommentaren der Zensur zu bezichtigen.

    Und wieder ist die Debatte über Rassismus in vollem Gang und wird – wie vorher schon bei „Pippi Langstrumpf“ oder „Jim Knopf“ – über die Sensibilität gesprochen, die im Umgang mit klischeehaften Inhalten und diskriminierenden Begriffen in historischen Stoffen anzuwenden ist. Und zu guter Letzt schwebt über allem auch die verzweifelte Frage: Will man uns nun auch noch unseren Winnetou nehmen?

    Toleranz, Rücksicht, Freundschaft: auch deswegen wurde "Winnetou" geliebt

    Was für ein Blödsinn! Karl Mays Geschichten vom Mescalero-Apachenhäuptling, entstanden in den 1890er Jahren, hatten schon zu seiner Zeit nicht den Anspruch, die Geschehnisse um die Landnahme weißer Siedler in Nordamerika und die damit verbundene Vertreibung, Diskriminierung und Tötung der Urbevölkerung zu schildern. Karl May saß zu Hause in Dresden, wälzte Lexika, blätterte in Reiseberichten, ließ seiner Fantasie freien Lauf und schrieb fesselnde Abenteuergeschichten über den sogenannten Wilden Westen, auch über den Orient und China.

    Dass er dabei auch Stereotype über die indigene Bevölkerung verwendete, deren Lebensrealität oft nicht authentisch wiedergab und romantisierte, ist aber nicht nur mangelnder eigener Anschauung zuzuschreiben, sondern vor allem auch dem Kontext seiner Zeit und dem damals herrschenden kolonialistischen Denken. Dass Karl Mays generationenübergreifende Bestseller mittlerweile oft nicht mehr die erste Wahl sind, wenn Eltern nach Büchern für ihre Kinder suchen, obwohl sie „Winnetou“ und Co selbst verschlungen haben, spricht wohl auch dafür, dass das Bewusstsein dafür gewachsen ist.

    Und es ist ja nicht so, dass Karl May in „Winnetou“ den Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern und die grausame Landnahme der Siedler nicht thematisierte. Die Stammesfehde zwischen Kiowas und Apachen stellt er als taktisches Manöver von Old Shatterhand und Sam Hawkens dar, um den Eisenbahnbau durch deren Land voranzutreiben. Dass Karl May darüber hinaus nicht nur in seinen „Winnetou“-Büchern Werte wie Toleranz, Rücksicht, Mitgefühl und Freundschaft ganz hoch gehalten hat, werden Millionen von Leserinnen und Lesern bestätigen. Gerade deshalb haben sie ihren „Winnetou“ ja auch so geliebt.

    Moderne "Winnetou"-Adaptionen: Muss das sein?

    Unbestritten ist aber auch, dass jeder, der diese Geschichten heute adaptiert, mit aktuellem Wissen über die tatsächlichen Vorgänge und dem heute herrschenden Bewusstsein über einen feinfühligen Umgang mit Diskriminierung und Diminuierung umgehen sollte. Nicht nur der Ravensburger Verlag hat diese Verantwortung missachtet und nun auch eingestanden, schon die Drehbuchautoren des Kinofilms und die Autoren des Theaterstücks, auf dem er basiert, haben sich ihr nicht gestellt. Nebenbei bemerkt: Dass ein Genozid und andere grausame Tatsachen Kindern und Jugendlichen nur schwer zu vermitteln wären, das widerlegen die vielen hervorragenden Bücher für diese Altersklasse, die den Holocaust sensibel und altersgerecht nahebringen.

    Wer also Karl May weiterhin lesen möchte, kann beherzt zu den Büchern greifen und sie lesen als das, was sie sind: Märchengeschichten aus einer vergangenen Zeit. Und weiterhin bunte Puzzles mit Tieren, Blumen und Bergen kaufen kann man übrigens ebenfalls.

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