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Klimawandel, Krisen, Krieg: Wo bleibt da die Hoffnung? Zeit, sich eine bessere Zukunft vorzustellen

Der Zustand der Welt scheint düster, dabei könnte die Zukunft so schön sein. Hoffnung braucht der Mensch, denn sie regt zum Handeln an. Sich einfach zurücklehnen reicht nicht.
Ostern

Klimawandel, Krisen, Krieg: Wo bleibt da die Hoffnung?

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    Wird schon klappen mit der Prüfung. Hoffentlich kommt der Zug pünktlich. So ein langweiliges Abendessen, hoffentlich ist es bald vorbei. 5, 19, 26, 29, 32, 44 – sind es diesmal die sechs Richtigen? Hoffentlich wird Oma bald gesund. Jeden Tag hoffen wir, auf Banales, Bedeutsames, auf neue Chancen, die große Liebe, eine bessere Zukunft. 

    Wir schwanken zwischen Realität und Verheißung und die, die glauben, hoffen selbst über das Irdische hinaus, auf ein Leben nach dem Tod, auf das ewige Paradies, auf die Osterbotschaft: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt. Da steckt doch Hoffnung drin und ist Hoffnung nicht das, wonach sich dieser Tage viele sehnen? Zeit also, mal nachzufragen, wie es um die Hoffnung steht. So viel vorweg: Es wird hoffnungsvoll.

    Hier hielt er seine berühmte „I have a dream“-Rede: Martin Luther King beim Marsch auf Washington 1963.
    Hier hielt er seine berühmte „I have a dream“-Rede: Martin Luther King beim Marsch auf Washington 1963. Foto: afp

    Experte sagt: „Hoffnung ist die Voraussetzung für Handeln"

    Aber erst mal eine nüchterne Erkenntnis: Die wenigsten Philosophinnen und Philosophen haben sich Gedanken über die Hoffnung gemacht. Zu unkonkret, zu irrational. Goethe immerhin schrieb, die Hoffnung helfe uns leben und Jean Paul bemerkte, die Hoffnung möge eintreffen oder nicht, sie habe doch das Gute, dass sie die Furcht verdrängt. Nietzsche, der alte Pessimist, schimpfte, die Hoffnung sei in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert. 

    Einer der wenigen, der ihr ein ganzes Werk widmete, war der Philosoph Ernst Bloch. Sein Hauptgedanke: Hoffnung baut auf etwas, das noch nicht ist, aber sein könnte. Auf einer Utopie. Auf der Vorstellung einer schöneren, gerechteren Welt, die die meisten Menschen in sich tragen. Sie offenbart reale Missstände und verweist auf das, was möglich wäre. Verschwurbelt, das Ganze, also mal praktisch gefragt: Warum hoffen wir und warum scheint ohne Hoffnung alles vergebens? 

    Anruf bei Andreas Krafft. Der Schweizer Zukunftsforscher beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Hoffnung. Er sagt: „Hoffnung ist die Voraussetzung für Handeln. Sie ist ein existenzielles und zutiefst menschliches Phänomen, das, ähnlich wie Angst, angeboren ist und dem man sich nicht entziehen kann.“ Sie treibt an, motiviert, baut auf und ist vor allem relevant, wenn es nicht gut läuft – in Krisen, unsicheren Zeiten, bei Krankheit. Denn sie basiert auf dem Wunsch, einen negativen Zustand zu überwinden oder zu verbessern. 

    Die größte Quelle der Hoffnung ist das soziale Miteinander, sagt Krafft. Manche Menschen geben Hoffnung im Kleinen, andere schreiben Geschichte. Martin Luther King, Rosa Parks, Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Sophie Scholl. Was sie verbindet: Sie kämpften für eine gute Sache, setzten sich selbstlos für andere ein und gaben die Hoffnung nicht auf. „Es gibt viele Vorbilder, die zeigen, dass Dinge, die anfangs unmöglich erscheinen, möglich sind“, sagt Krafft. „An ihnen sollten wir uns orientieren.“ 

    Ganz oben auf der Liste der Hoffnungsträger stehen für viele übrigens die eigenen Großeltern. Viel erlebt, viel überlebt, die Wird-schon-werden-Mentalität gibt Zuversicht. Auch Menschen mit sozialen Berufen sind Krafft zufolge angesehen. Schlusslichter im Hoffnungsranking sind Manager und, Obacht: Pfarrer. „Die Missbrauchsskandale haben ihrem Ansehen geschadet“, sagt Krafft. Hoffnung hängt auch am Image. 

    Zur Hoffnung gehört für den Pfarrer Rainer Maria Schießler auch Humor

    Die Kirche, ein hoffnungsloser Fall? Nachfrage beim bekanntesten Pfarrer Deutschlands. „Mich wundert es nicht, dass sich viele abwenden, oft wird ja nur von Schuld und Sünde gepredigt“, sagt Rainer Maria Schießler. Der Münchner Seelsorger gilt als Rebell in den eigenen Reihen, er provoziert gerne, hat Bücher über Hoffnung, Fußball und die Wiesn geschrieben und segnet auch mal Hunde und Schildkröten. Manchen ist er ein Dorn im Auge, andere sehen ihn ihm einen Hoffnungsträger, auch für die Institution Kirche. 

    Und er selbst? Gibt sich gewohnt weltlich und zitiert erst mal den tschechischen Dramatiker Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ So gesehen sei Hoffnung deckungsgleich mit der Paradoxie des Glaubens, dass man auch im Leid Sinnstiftung erfahren kann. „Hoffnung ist einfach da, sie mischt sich ins Leben und wie beim Glauben oder in der Liebe liegt es an uns, sie anzunehmen oder gehen zu lassen“, sagt Schießler. 

    Segnet auch mal Hunde und Schafe: Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler gilt als Rebell in den eigenen Reihen.
    Segnet auch mal Hunde und Schafe: Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler gilt als Rebell in den eigenen Reihen. Foto: Matthias Balk, dpa

    Oft gibt er Gläubigen Hoffnung, mal mit Humor, mal ohne es zu ahnen. „Ich habe mal ein Buch signiert und hineingeschrieben: ’Jetzt leben! Für später ist gesorgt.’ Ein paar Wochen danach hat sich die Person gemeldet und gesagt, dass sie das Buch nicht mehr losgelassen hat, weil sie gerade schwierige Zeiten durchlebt und ihr diese Widmung hilft“, erzählt Schießler. Eine kleine Geste, ein kurzer Besuch, es braucht nicht viel, um Hoffnung zu geben, doch die Wirkung ist enorm. „Jemandem Halt zu geben in der Haltlosigkeit, ist ein gutes Gefühl, es stärkt die eigene, innere Zufriedenheit“, sagt Schießler. 

    Und er selbst? Woraus schöpft er Hoffnung? „Ich arbeite jeden Tag mit der Bibel, man findet darin keinen hoffnungslosen Text“, sagt er. „Da klagt jemand sein Leid und dann endet der Psalm doch hoffnungsvoll.“ Eine der schönsten Bibelstellen aus Sicht des Pfarrers: Die Erzählung vom brennenden Dornbusch, als sich Gott offenbart und sagt ’Ich bin da.’ Das Gefühl, nicht allein zu sein – ein Symbol der Hoffnung. „Meine Mutter hat früher immer gefragt, wann ich Schulaufgabe habe, und an dem Tag ist sie in die Kirche gegangen“, sagt Schießler. „Ihr Gebet hat nicht meine Lateinaufgaben gelöst, aber es hat mich gelöst, weil ich wusste, dass jemand in Gedanken bei mir ist.“ Hoffnung ist seiner Meinung nach eine innerweltliche Eigenschaft, ein untrennbarer Teil des Leben, so selbstverständlich wie der Atem oder der Herzschlag. „Alles um uns herum kann wegbrechen, aber die Hoffnung bleibt.“ 

    Hoffnung und Verzweiflung liegen manchmal nah beieinander

    Echte Hoffnung verharrt nicht in bloßem Wunschdenken, sondern motiviert zum Handeln. Dem Zukunftsforscher Andreas Krafft zufolge basiert sie einerseits auf dem Glauben, dass das, was man sich wünscht, nicht unbedingt wahrscheinlich, aber möglich ist. Und dass das, was möglich ist, immer wieder neu definiert werden kann. Beispiel Frauenwahlrecht: Vor mehr als hundert Jahren war es für die meisten Männer undenkbar, dass sich Frauen politisch einmischen, doch Frauen kämpften um Mitsprache und seit 1918 dürfen sie in Deutschland wählen. Das Recht stellt heute niemand mehr in Frage, der Rahmen des Möglichen hat sich verschoben. Anderseits fußt Hoffnung auf dem Vertrauen, dass sich mit menschlichen Fähigkeiten, auch wenn diese begrenzt sind, Probleme überwinden lassen. 

    Ruinen und Zerstörung – dieses Bild bot sich Sylvia Rohrhirsch überall während ihres Einsatzes in der Türkei.
    Ruinen und Zerstörung – dieses Bild bot sich Sylvia Rohrhirsch überall während ihres Einsatzes in der Türkei. Foto: Lands Aid

    Anruf bei einer Frau, die schon viele schwierige Situation gemeistert hat. Sylvia Rohrhirsch war in Kriegsgebieten im Einsatz, hat erlebt, wie die Erde bebt und Menschen getroffen, die alles verloren haben. Mehr als 30-mal war sie in Krisengebieten im Einsatz – in Georgien, Libyen, Sambia, Mali oder Burkina Faso. Als ausgebildete Krankenschwester hat sie Tausende Menschen behandelt, ihnen das Leben gerettet oder die Chance auf ein besseres Leben eröffnet. Rohrhirsch weiß, wie nah Hoffnung und Verzweiflung manchmal beieinander liegen. 

    Während des Bürgerkriegs in Kenia war sie mit einer mobilen Klinik vor Ort. „Drei Kinder kamen zu uns, sie waren völlig traumatisiert, ihr Vater war vor ihren Augen getötet worden. Ich war erschüttert und wusste erst mal nicht weiter“, sagt Rohrhirsch. „Aber wir konnten sie in eine Therapie vermitteln, was in einer Kriegssituation äußert selten gelingt. Das hat mich unheimlich gestärkt, denn wir konnten den Kindern ein Stück Hoffnung auf eine Zukunft geben.“ Seit fast 20 Jahren hilft Rohrhirsch Menschen in Not, sie hat grausame Bilder im Kopf, aber die Hoffnung hat sie nie verloren. „Man darf mitfühlen, aber nicht mitleiden“, sagt sie. „Wenn von hundert Kindern eines überlebt, hat es sich für dieses eine Kind gelohnt.“ Der Fokus auf das Positive hilft ihr, mit dem Erlebten umzugehen. 

    Menschen reagieren stärker auf negative Nachrichten

    Das Gute im Blick behalten ... fällt oft nicht leicht. Der Zustand der Welt scheint düster, in der Ukraine und in Nahost tobt der Krieg, die Klimakatastrophe zerstört die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, die soziale Ungleichheit wächst, die fetten Jahre scheinen vorbei. Wo bleibt da die Hoffnung? 

    „Tatsächlich nehmen Menschen das Schlechte stärker wahr“, sagt der Hoffnungsforscher Andreas Krafft. „Das Gehirn reagiert intensiver auf negative Reize als auf positive.“ Das Glas erscheint eher halb leer als halb voll, in der Psychologie wird diese Tendenz als Negativitätsbias bezeichnet. Evolutionär gesehen mag das Sinn ergeben: Unsere Vorfahren haben eher überlebt, wenn sie sich bei der Raubtierjagd auf Gefahren konzentrierten, statt sich in der Schönheit der Natur zu verlieren. In der Gegenwart führt das allerdings oft zu einer verzerrten Wahrnehmung, die von einer Flut an schlechten Nachrichten zusätzlich befeuert wird. 

    Geschichten über Mord und Totschlag generieren mehr Aufmerksamkeit und wirken glaubwürdiger als positive Meldungen. Forschende haben herausgefunden, dass bei Onlinemedien jeder negative Ausdruck in einer Schlagzeile die Zahl der Lesenden um zwei Prozent erhöht. Menschen reagieren stärker auf Düsteres und bekommen öfter Düsteres serviert. Eine Abwärtsspirale, die Misstrauen schürt und zu Politikverdrossenheit führt. 

    Dass der Glaube und das Vertrauen auf eine bessere Zukunft schwinden, zeigt das von Krafft entwickelte Hoffnungsbarometer: Zwar wünscht sich die Mehrheit der Befragten eine Welt in Frieden, in der die Menschen nachhaltiger und solidarischer leben, aber die wenigsten glauben daran. Eine fatale Tendenz. „Wenn die Angst vor dem Negativen und das Gefühl von Ohnmacht überwiegt, verlieren die Menschen das Vertrauen in die kollektive Fähigkeit, etwas zu verändern“, sagt Krafft. „Je mehr Negatives wir konsumieren, desto weniger erleben wir das Gute. Dabei gibt es so viel davon.“ 

    Mit einem Alles-wird-gut-Mantra ist es nicht getan

    Krisenhelferin Sylvia Rohrhirsch hat am Telefon viele Beispiele parat. Echte Hoffnungsgeberin eben. Sie erinnert sich an einen jungen Mann, der aus der Westsahara geflüchtet war. Seine Familie litt an Mangelernährung, die Region wird von Dürre geplagt, die Folgen der Klimakatastrophe sind schon jetzt verheerend. Im Internet las er von einem Hydrokultursystem, mit dem sich wassersparend Pflanzen anbauen lassen. Die Idee lies ihn nicht los: Er wollte das System in sein Heimatdorf bringen, suchte Sponsoren und fand Unterstützung. Inzwischen profitieren 5000 Menschen davon. „Solche Geschichten müssen öfter erzählt werden, denn sie geben Hoffnung und motivieren Menschen, sich zu engagieren“, sagt Rohrhirsch. 

    Zwei junge Mädchen ziehen Wasserbehälter auf dem Rückweg zu ihren Hütten. In einigen afrikanischen Ländern sind die Folgen der Klimakatastrophe schon jetzt verheerend.
    Zwei junge Mädchen ziehen Wasserbehälter auf dem Rückweg zu ihren Hütten. In einigen afrikanischen Ländern sind die Folgen der Klimakatastrophe schon jetzt verheerend. Foto: Brian Inganga/AP, dpa

    Mal eben „Hoffnung“ von Tocotronic aufdrehen, sich zurücklehnen und das Beste hoffen? Damit ist es nicht getan. Echte Hoffnung regt zum Handeln an. Sie erfordert einen realistischen Blick auf die Welt und steht dem Alles-wird-gut-Mantra entgegen. Globale Krisen können den Blick verstellen, was soll ein Einzelner schon bewirken? „Wie wir die Welt sehen und in die Zukunft blicken, beeinflusst unsere Selbstwahrnehmung“, sagt Zukunftsforscher Andreas Krafft. „Je mehr Krisen wir beobachten, desto mehr schwindet das Gefühl von Selbstwirksamkeit.“ Aber sie ist das Fundament für Hoffnung, verlangt innere Stärke und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. 

    „Das Gute um sich herum wahrzunehmen und an positive Erlebnisse zu denken, kann das Selbstwertgefühl stärken“, sagt Krafft. Doch aus blindem Egoismus, der nur sich selbst retten will, entsteht noch keine Hoffnung. „Sie ist ein soziales Phänomen, sie erwächst aus dem kollektiven Engagement und erzeugt eine positive Wechselwirkung“, sagt Krafft. „In einer Gruppe aktiv zu sein und sich für etwas einzusetzen, das einem wichtig ist, gehört zu den wertvollsten, menschlichen Erfahrungen.“ 

    Krisenhelferin sagt: "Das Gefühl, nicht allein zu sein, gibt Hoffnung"

    Hoffnungsträgerin Sylvia Rohrhirsch weiß das. Sie ist im Büro in Deutschland zu erreichen, ausnahmsweise. Sie hat viel von der Welt gesehen, nicht als Touristin, sondern als ehrenamtliche Helferin. „Ich bekomme mehr zurück, als ich geben kann“, sagt sie. Die Erfahrungen geben ihr Selbstvertrauen. Rohrhirsch erlebt das immer wieder bei Auslandseinsätzen, in der Begegnung mit Betroffenen, aber auch im Team – dieses stärkende Gefühl, wenn alle an einem gemeinsamen Ziel arbeiten und sich unterstützen. „Die Verbindung mit anderen und das Gefühl, nicht allein zu sein, geben Hoffnung und tragen einen durch schwierige Phasen“, sagt sie. „Hoffnung ist der wichtigste Faktor für das eigene Wohlbefinden.“ Manchmal braucht es nur ein paar Worte. 

    Mehr als 30 Mal war Rohrhirsch in Krisengebieten im Einsatz.
    Mehr als 30 Mal war Rohrhirsch in Krisengebieten im Einsatz. Foto: Rohrhirsch

    In Sambia traf Rohrhirsch eine Frau, deren Kind operiert werden musste, aber es waren keine Ärzte vor Ort. „Ich habe ihr gesagt, dass wir nichts tun können, aber dass ich alles versuchen werde und für sie da bin“, sagt Rohrhirsch. „Das hat ihr Hoffnung gegeben.“ Tatsächlich konnte ein Ärzteteam das Kind später operieren, ein seltener Glücksfall. Schon die Worte hatten Wirkung. „In vielen Krisengebieten ist die Lage katastrophal“, sagt Rohrhirsch. „Menschen sind verzweifelt und fühlen sich verloren, da ist Anteilnahme wichtig.“ 

    Betroffene müssen spüren, dass sie nicht allein sind, dass ihr Leid gesehen wird und jemand da ist, der an sie denkt. In Mali baute Rohrhirsch ein Gesundheitszentrum mit auf, bis es wegen des Kriegs zu gefährlich wurde und das Einsatzteam das Land verlassen musste. An die Worte eines Kämpfers erinnert sie sich noch: „Erzählt zu Hause von unserem Schicksal, vergesst uns nicht, das gibt uns Hoffnung.“ 

    Hoffnung bedeutet auch: nicht aufgeben

    Immer wieder erlebt die Krisenhelferin Situationen, in denen alles verloren scheint. Düstere Momente, in denen Menschen leiden und nicht mehr weiter wissen. Hoffnung geben in der Hoffnungslosigkeit, auch das gehört zu ihrer Arbeit. „Manchmal lastet es wie eine Bürde auf meinen Schultern“, sagt Rohrhirsch. „Ich hatte viele Tiefpunkte im Leben, aber ich bin immer wieder rausgekommen, weil mir andere Halt gegeben haben.“ 

    Manche Situationen lassen sich nicht ändern, das zu akzeptieren ohne daran zu verzweifeln, setzt ein hohes Maß an Resilienz voraus und ein unerschütterliches Vertrauen darauf, dass sich auch in der scheinbaren Ausweglosigkeit neue Möglichkeiten auftun. Manchmal stellt Rohrhirsch alles in Frage, wenn Behörden sich querstellen, Projekte ins Stocken geraten oder ein korruptes System die Arbeit behindert, aber sie lässt sich nicht unterkriegen. „Wenn es Schwierigkeiten gibt, sehe ich das als Herausforderung und weniger als Bedrohung“, sagt Rohrhirsch. „Es motiviert mich, weiterzumachen.“ Hoffnung bedeutet auch: Nicht aufgeben. 

    Auch für den Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler ist es nicht immer leicht, Hoffnung zu geben. „Es geht einem nahe, wenn ein Mensch leidet oder Angst hat, aber ich kann nicht anders als da zu sein und mit der Verantwortung zu leben“, sagt er. Hoffnung erfordert Leidenschaft, man muss wissen, wofür man kämpft. An eine erträgliche Zukunft zu glauben und darauf hinzuarbeiten, sei es nur durch eine offene Diskussion, in der alle Meinungen gehört werden, auch darin liegt für Schießler eine Quelle der Hoffnung. 

    Krisenhelferin kann die Wut der jungen Generation verstehen

    Jede Generation soll es einmal besser haben als die vorherige. Dieses Narrativ galt lange als gesetzt, doch viele junge Menschen glauben nicht mehr daran, sagt Hoffnungsforscher Andreas Krafft. Das liege einerseits daran, dass sich die meisten jungen Menschen in Europa die verheerenden Lebenssituationen, die ihre Großeltern teils noch erlebten, nicht mehr vorstellen können. Andererseits hänge ein besseres Leben nicht mehr unbedingt an steigendem, materiellen Wohlstand, sondern an einer friedlicheren, nachhaltigeren Welt und damit an Herausforderungen, die sich nicht einfach bewältigen lassen. „Wir müssen die Bedrohlichkeit der Lage ernst nehmen, dürfen aber auch nicht in Ohnmacht verfallen“, sagt Krafft. Eine schwierige Gradwanderung. 

    Krisenhelferin Sylvia Rohrhirsch kann die Wut der junge Generation verstehen. Die derzeitigen Kriege, die Klimakrise, der Rechtsruck, das seien reale Bedrohungen. „Aber niemandem ist geholfen, wenn sich Leute fürs Klima auf die Straße kleben“, sagt sie. „Menschen leisten viel Positives, haben kluge Ideen, initiieren Projekte und bewegen Großes im Kleinen. Das muss stärker in den Fokus rücken.“ 

    Große Liebe: Nicht immer sind Paare von derselben Hoffnung getragen

    Worauf hoffen die meisten Menschen? Gesundheit, Glück, Wohlstand und, vor allem wenn sie jung sind, auf die große Liebe. Und, lohnt sich das? Letzter, kurzer Anruf bei Heike Melzer. Die Münchner Paartherapeutin hat schon viele verzweifelte Paare vor sich sitzen gehabt. „Die meisten stecken in einer handfesten Krise. Damit daraus nicht eine Katastrophe wird, ist Hoffnung wichtig“, sagt Melzer. Hoffnung wirkt wie ein Anker, macht Mut, lässt uns durchhalten und nach vorne blicken.

    Aber nicht immer sind Paare von derselben Hoffnung getragen. Der eine ist der Beziehung zugewandt und glaubt noch an die Liebe, während der andere schon aufgegeben hat. Die schnelle Verfügbarkeit und der Konsum von Sexualität, Partnerschaft und guten Gefühlen verleiten dazu, Beziehungen zu schnell aufzugeben, sagt Melzer. Aber es lohnt sich zu kämpfen, denn oft sind Wendungen in der Therapie möglich, Paare erkennen neue Lösungsansätze oder schaffen es, alte Muster zu durchbrechen. 

    Manchmal ist es aber auch Zeit, loszulassen – wenn ein Partner die Beziehung innerlich schon verlassen hat, wenn der Wille zur Veränderung fehlt, das Vertrauen immer wieder verletzt wird oder Wahrheiten ignoriert werden. „Sich an Problemen abzurackern, die sich nicht lösen lassen, ist verschwendete Energie“, sagt Melzer. „Krisen sind produktive Zustände, die Entscheidungen erfordern und neue Chancen eröffnen.“ Das Schönste an der Liebe: Sie lässt sich immer wieder neu entdecken, egal, in welchem Alter. 

    Also weiter auf die große Liebe hoffen? „Unbedingt“, sagt Melzer. „Nur das ’groß’ sollten wir mal streichen.“ Die Liebe werde überfrachtet mit Erwartungen. „Viele fokussieren sich darauf, was der Partner alles erfüllen soll und haben ihre eigenen Kompetenzen überhaupt nicht im Blick. Aber Liebe beginnt bei einem selbst“, sagt Melzer. 

    Experte sagt: "Hoffnung bedeutet, alte Denkweisen zu überwinden"

    Nicht nur die Liebe, auch die Hoffnung erwächst auf der eigenen, inneren Stärke. Selbstwirksamkeit beginnt im Kleinen. Unrealistische Ziele führen zu Frustration. Wer denkt, er muss die Welt retten, wird verzweifeln. Echte Hoffnung setzt Offenheit voraus und ist der Zukunft zugewandt. Orientiert sie sich an der Vergangenheit, ist die Perspektive beschränkt. Anders gesagt: Wer glaubt, früher war alles besser, verschließt den Blick für das, was möglich ist. „Hoffnung bedeutet auch, alte oder negative Denkweisen zu überwinden ohne zu wissen, was kommt“, sagt Krafft. „Das geht mit Risiken einher, eröffnet aber auch Chancen.“

    Zur Sicherheit noch ein paar positive Fakten: Der Anteil der Weltbevölkerung, die in extremer Armut lebt, hat sich in letzten 20 Jahren mehr als halbiert. Die Kosten für Solarenergie sind in den letzten zehn Jahren um fast 90 Prozent gesunken, es wird weniger Wald abgeholzt als vor 40 Jahren. Die Vereinten Nationen haben 2023 ein Abkommen zum Schutz der Meere und der Artenvielfalt verabschiedet, 60 Staaten haben unterzeichnet. 87 Prozent der Weltbevölkerung können lesen und schreiben, immer mehr Mädchen gehen zur Schule, immer mehr Frauen sitzen in Parlamenten. Die Situation queerer Menschen hat sich verbessert, in 34 Ländern ist die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt. Neuen Forschungen zufolge könnte künstliche Intelligenz künftig bei der Früherkennung von Krebs und Herzinfarkt helfen

    „Wenn wir uns eine bessere Zukunft nicht vorstellen können, werden wir uns auch nicht dafür einsetzen“, sagt Krafft. „Wir müssen wieder mehr positive Bilder der Zukunft vermitteln, um den Wunsch zu stärken, dafür zu kämpfen.“ Zeit also, den Blick mal wieder nach vorne zu richten, zu fantasieren und sich Schönes auszumalen. Wie könnte sie aussehen, so eine positive Zukunft?

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