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Kairo oder Berlin: Wem gehört die Nofretete?

Archäologie

Streit um Nofretete: Wem gehört die schönste Frau der Welt?

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    Die Büste der Königin Nofretete wurde wohl um 1340 v.Chr geschaffen und zählt zu den bedeutensten, antiken Kunstwerken.
    Die Büste der Königin Nofretete wurde wohl um 1340 v.Chr geschaffen und zählt zu den bedeutensten, antiken Kunstwerken. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Sie allein beherrscht den Raum. Mandelförmige Augen, gerade Nase, stolzer Blick. Ihr Hals ist umrahmt von einem breiten Kragen, auf dem Kopf trägt sie eine blaue Krone. Geschützt hinter Glas thront sie auf dem Sockel im Kuppelsaal im Neuen Museum in Berlin. Die Büste der Nofretete.

    Archäologischer Sensationsfund und Symbol ewiger Schönheit. Vor genau hundert Jahren wird sie zum ersten Mal ausgestellt, schon damals zieht sie Menschen in ihren Bann. Bis heute kommen Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Welt nach Berlin, um die dreitausend Jahre alte Büste zu sehen. Aber steht sie dort zu Recht? Über einen jahrzehntealten Streit und die Frage: Wem gehört die Nofretete?

    Ägypten, Dezember 1912

    Seit Wochen graben der deutsche Ägyptologe Ludwig Borchardt und sein Team in der Gegend Tell el-Amarna etwa 300 Kilometer südlich von Kairo im Wüstensand. Dort, am östlichen Ufer des Nils, lag die altägyptische Stadt Achet-Aton, die König Echnaton um 1350 v. Chr. gründete. Archäologen und Arbeiter vermessen das Gebiet, legen Mauerreste, Wohnhäuser und einen Werkstattkomplex frei. In dem zerfallenen Atelier des Bildhauers Thutmosis entdecken die Wissenschaftler am 6. Dezember 1912 mehrere Büsten aus Kalkstein. Neben einer zerschlagenen Plastik von König Echnaton liegt unter Schutt begraben die Büste seiner Frau Nofretete. „Wir hatten das lebensvollste ägyptische Kunstwerk in Händen“, schreibt Borchardt. „Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen.“ Dem Grabungsleiter ist schnell klar, welchen Schatz er da aus der Erde gehoben hat.

     Die Fundjournalkarte der berühmten Büste.
    Die Fundjournalkarte der berühmten Büste. Foto: Rainer Jensen, dpa

    Neues Museum Berlin, Juli 2024

    Vorsichtig umkreist eine Besucherin die mächtige Vitrine. Erst mit Abstand, dann tritt sie näher heran, um die Gesichtszüge zu inspizieren. Sie scheint eingenommen vom Kopf der Königin, von ihrem Blick, ihrer Schönheit. Schritte hallen durch den Kuppelsaal, ab und an Geflüster und mahnende Worte des Sicherheitspersonals, ansonsten ist es still im Raum. In Nofretetes Nähe gelten andere Regeln, Gäste sind angehalten, leise zu sein, Fotos dürfen nur aus dem Raum nebenan gemacht werden. Nofretete ist der Star der Museumsinsel, hunderte Menschen stehen jeden Tag vor ihr, ehrfürchtig, staunend, interessiert. „Sie ist unglaublich hübsch, eine zeitlose Schönheit, die niemals altert“, sagt Sara, die mit ihrer Familie aus der Slowakei angereist ist. Die antike Büste in Berlin zu sehen, fühle sich seltsam an. Aber sie deshalb nach Ägypten zurückschicken? „Ich glaube, dass mehr Menschen sie hier bestaunen können“, sagt Sara. „Meine Oma wollte nach Berlin, um Nofretete zu sehen. Bis nach Ägypten wäre sie wahrscheinlich nicht gereist.“

    Kairo, September 2024

    Videoanruf bei Abdulnaby Helmy. Der Reiseführer sitzt in seinem Büro in Kairo, das Kamerabild ist verwackelt, aber seine Stimme ist gut zu hören. Ob Nofretete nach Ägypten gehört? „Ich bin nicht traurig, dass sie in Berlin steht, aber ich hoffe, dass sie irgendwann zu uns zurückkehrt“, sagt er. Seit 30 Jahren führt Helmy Touristinnen und Touristen durch Ägypten, er hat Archäologie studiert und liebt die Geschichte seines Landes. „Ich bin immer stolz, wenn ich Spuren meiner Heimat an anderen Orten sehe, aber alles hat seine Zeit“, sagt er. Nofretete mag eine Botschafterin Ägyptens sein. „Aber ich sehe in ihr auch eine Omi, die Heimweh hat.“

    Helmy erinnert sich noch, als er die Büste zum ersten Mal sah, bei einem Besuch in Berlin 2013. „Sie wirkte so lebendig“, sagt er. Eine Stunde stand er vor ihr. Eine besondere Begegnung, die vielen Ägypterinnen und Ägyptern verwehrt bleibt, denn zwischen Berlin und Kairo liegen 5000 Kilometer.

    Dass die ägyptische Regierung die Büste bislang nicht offiziell zurückgefordert hat, wundert Helmy nicht. „Sie machen die Augen zu, weil gerade andere Interessen im Vordergrund stehen“, sagt er. „Das kann sich ändern, aber darauf wollen viele Wissenschaftler in Ägypten nicht warten, sie fordern Nofretete zurück.“

    Ägypten, Januar 1913

    Als Ausgrabungsleiter Ludwig Borchardt die Büste aus dem Wüstensand hebt, steht Ägypten unter britischer Besatzung, die Überwachung und Pflege der archäologischen Denkmäler unterliegt Frankreich. Am 20. Januar 1913 wird Gustave Lefebvre, Mitarbeiter der Altertümerverwaltung, mit der Fundteilung beauftragt. Die eine Hälfte der archäologischen Objekte, darunter der Klappaltar von Kairo, der das Königspaar Echnaton und Nofretete zeigt, geht an das Ägyptische Museum in Kairo. Der andere Teil mit dem Kopf der Königin wird den Deutschen zugeschrieben, in Kisten verpackt und nach Berlin verfrachtet. Der betuchte Unternehmer James Simon, der die Grabungen finanziert hatte, vermacht die Fundstücke 1920 den Berliner Museen.

    Über die genauen Umstände der Fundteilung wird später spekuliert, lange hält sich das Gerücht, Borchardt habe die Büste mit Lehm beschmiert, um ihren Wert zu kaschieren. Bei den Grabungen geht es damals nicht nur um einzelne Objekte, sondern um geopolitische Interessen, die europäischen Kolonialmächte konkurrieren um die besten Fundstellen und die kulturelle Vormachtstellung. Wie viel Mitsprache Ägypten damals hatte?

    Hamburg, September 2024

    Keine, lautet die Antwort von Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte mit dem Schwerpunkt Afrika und Kolonialgeschichte an der Universität Hamburg. „Die Fundteilung ist ein koloniales Recht, die Diebe gaben es sich untereinander“, sagt er. „Im Grunde haben Briten und Franzosen den Deutschen attestiert, dass sie die Nofretete außer Landes bringen können.“ Für Zimmerer ist die Büste ein eindeutiger Fall eines unter Fremdherrschaft erworbenen Objektes, das aus ethischen Gründen an Ägypten zurückgegeben gehört. Seiner Meinung nach können die Regelungen, die unter der Bedingung einer Besatzung entstanden sind, heute keine Gültigkeit mehr haben. „Niemand sollte sich auf das Recht der Kolonialmächte von damals berufen“, so der Hamburger Professor. „Wir halten ja auch die Enteignungen durch die Nationalsozialisten nicht für legal, obwohl das zum Teil einst geltendes Recht war.“ Mit dieser Haltung ist er nicht allein.

    Monica Hanna, Professorin am archäologischen Institut der ägyptischen Universität Assuan beschäftigt sich seit Jahren mit dem Fall der Nofretete und setzt sich für deren Rückgabe ein. Die Büste werde als Geisel gehalten, erklärte sie vergangenes Jahr. Das Kunstwerk sei damals schon unrechtmäßig nach Deutschland gelangt. Ein weiterer prominenter wie umstrittener Vertreter dieser These ist Zahi Hawass, Ägyptologe und ehemaliger Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung in Kairo. Sein erklärtes Ziel: Deutschland zur Rückgabe des Kunstwerks zu bewegen.

    Zahi Hawass, Ägyptologe und ehemaliger Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung in Kairo, kämpft seit Jahrzehnten für die Rückgabe der Büste.
    Zahi Hawass, Ägyptologe und ehemaliger Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung in Kairo, kämpft seit Jahrzehnten für die Rückgabe der Büste. Foto: EPA/TANNEN MAURY/dpa

    Berlin, April 1924

    Zum ersten Mal wird Nofretete öffentlich ausgestellt. Umgeben von anderen Objekten, die bei den Ausgrabungen in Ägypten entdeckt wurden, thront sie im Amarna-Hof in Berlin. Schon damals begeistert sie Besucherinnen und Besucher - und schon damals fordert Kairo die Büste zurück. Ägypten hatte 1922 formell seine Unabhängigkeit erlangt, aber die Altertümerverwaltung lag weiter in französischer Hand. Ist der Streit um die Büste also auch ein deutsch-französischer?

    Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist überzeugt, „dass es sich bei der Affäre in erster Linie um eine Ausgeburt der deutsch-französischen Feindschaft während und nach dem Ersten Weltkrieg handelt“, wie sie in ihrem Buch über Büste schreibt. Beide Länder hätten eine gemeinsame historische Verantwortung gegenüber dem ägyptischen Staat. „Eingeengt auf bilaterale deutsch-ägyptische Schuldzuweisungen wird die aktuelle Debatte keine Fortschritte erzielen“, schreibt Savoy. Ihr geht es weniger um Restitutionsforderungen als mehr um einen gleichberechtigten Dialog mit den ehemaligen „Geberländern“, um historische Transparenz und eine rückhaltlose Aufklärung von Provenienzen.

    Nigeria, Dezember 2022

    Feierlich übergeben Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock in der nigerianischen Hauptstadt Abuja die ersten Benin-Bronzen. Nach jahrelangen Verhandlungen kehren 20 der wertvollen Kunstwerke in ihre Heimat zurück, zusammen mit rund tausend Bronzen, Reliefplatten und Skulpturen. Die umfangreiche Restitution sorgt international für Aufsehen – und bringt auch Nofretete wieder ins Gespräch.

    Zufriedene Gesichter: Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturminister Lai Mohammed bei der Rückgabe der Benin-Bronzen.
    Zufriedene Gesichter: Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturminister Lai Mohammed bei der Rückgabe der Benin-Bronzen. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Seit die Büste aus dem Wüstensand gehoben wurde, schwelt die Frage, wem sie gehört. Für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Neue Museum Berlin ist die Antwort klar: Die Büste gelangte gemäß der offiziellen Fundteilung rechtmäßig nach Berlin. „Den entscheidenden Beamten lagen nicht nur Fotos des Objekts vor, sondern sie konnten auch die geöffneten Kisten begutachten, sodass von einem Betrug, wie er oft unterstellt wurde, keine Rede sein kann“, erklärt Friederike Seyfried, Direktorin des Neuen Museums Berlin. „Es liegt auch keine Rückgabeforderung der ägyptischen Regierung vor.“

    Dieses Argument lässt Kolonialismus-Experte Zimmerer nicht gelten: „Die europäischen Museen sollten in Fragen kolonialer Beuteobjekte proaktiv werden und von sich aus das historische Unrecht bereinigen, und damit auch ihr koloniales Erbe.“ Doch auch von staatlicher Seite hält man sich im Fall der Nofretete lieber zurück. Kulturstaatsministerin Claudia Roth antwortet auf die Frage, wem die berühmteste Büste der Welt gehört: „Uns und allen Menschen, die sich daran erfreuen.“

    Neues Museum Berlin, Juli 2024

    Ihr Antlitz wirkt modern. Pigmente wie roter Ocker, schwarzer Kohlenstoff oder ägyptisch Grün verleihen Nofretete eine besondere Lebendigkeit. „Sie ist wundervoll, ein zeitloses Kunstwerk“, sagt Museumsbesucher Milan, der aus Serbien angereist ist. „Es ist ein besonderes Gefühl, vor ihr zu stehen.“ Das Fotoverbot mache die Begegnung noch einzigartiger. Nofretete zu sehen ist der Höhepunkt seines Berlinbesuchs, sagt er und streift behutsam über den Abguss rechts in der Ecke. Ein exakter Nachbau, damit sich Gäste dem Original noch näher fühlen können. Ob die Büste nach Ägypten zurück gehört? Berechtigte Frage, findet Milan. „Ich kann verstehen, dass manche sie lieber in Ägypten sehen, aber würde sie dort genauso sicher und prunkvoll präsentiert?“

    Sie thront allein im Kuppelsaal im Neuen Museum in Berlin: Die weltberühmte Büste der ägyptischen Königin Nofretete.
    Sie thront allein im Kuppelsaal im Neuen Museum in Berlin: Die weltberühmte Büste der ägyptischen Königin Nofretete. Foto: Rainer Jensen, dpa

    Kairo, September 2024

    Nachfrage bei Abdulnaby Helmy in Kairo. Der Reiseführer sagt, früher seien viele Museen nicht geeignet gewesen, um wertvolle Objekte angemessen auszustellen. „Das hat sich geändert, die meisten Museen sind längst modernisiert, es gibt extra ein Programm dafür.“ Auch die Infrastruktur und das Land hätten sich weiterentwickelt. „Ägypten ist bereit, weltberühmte Exponate selbst auszustellen“, sagt Helmy.

    Die Büste der Nofretete. Der Stein von Rosetta, der für die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen entscheidend war und seit mehr als 200 Jahren im Britischen Museum in London steht. Für Helmy gehören diese Objekte nach Ägypten, denn sie sind Teil der Geschichte und Identität des Landes. „Der Respekt vor der eigenen Kultur ist tief verwurzelt“, sagt Helmy und schwenkt seine Handykamera in Richtung Balkon. Eine befahrene Straße, Bäume, dahinter spitzen Gebäude aus Kairos Zentrum hervor. „Viele Häuser und Fassaden entlang der Ringstraße sind mit Bildern von Pharaonen und Königinnen verziert. Das sind unsere Vorfahren, die Menschen fühlen sich mit dem alten Ägypten verbunden.“

    Ägypten, 14. Jahrhundert v. Chr.

    Viel ist über die Königin nicht bekannt, wahrscheinlich war sie Ägypterin aus bürgerlichem Hause. Bei der Hochzeit mit Echnaton soll sie höchstens fünfzehn Jahre alt gewesen sein. Von da an sitzt sie als erste Frau Ägyptens gleichberechtigt neben ihrem Mann auf dem Thron und gründet mit ihm eine neue Religion: Nicht mehrere Götter stehen fortan an der Spitze, sondern Sonnengott Aton – und dessen Sprachrohr ist das Königspaar. Nofretete wirkt damals schon göttinnengleich.

    Forschende gehen davon aus, dass ihre Büste um 1340 v. Chr. gefertigt wurde, wohl ein Werkstück, nach dessen Vorbild ähnliche Skulpturen hergestellt werden sollten. Über ihre Ehe, das Familienleben und ihren Tod ist wenig bekannt, nur so viel: Nofretete hatte sechs Töchter und war ihrem Mann politisch gleichgestellt. Reliefs zeigen sie mit wehendem Haar im offenen Wagen und bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Sie war nicht nur schön, sondern auch stark und selbstbestimmt. Beste Voraussetzungen, um eine Ikone zu werden.

    Kalifornien, April 2018

    Sängerin Beyoncé, unangefochtene Königin des Gegenwartspop, betritt die Bühne – mit funkelnder Nofretete-Krone auf dem Kopf. Ihr Auftritt beim Coachella, dem meistbeachteten Popfestival der Gegenwart, wird später kontrovers diskutiert. Ist die visuelle Anspielung auf die ägyptische Königin ein politisches Statement für schwarzen Feminismus, Ausdruck überbordender Allmachtsfantasien oder kulturelle Aneignung? Muss man jetzt nicht beantworten, aber eins hat Beyoncés Auftritt gezeigt: Die Büste ist Teil der Popkultur. Silhouette und Krone reichen aus, um als Referenz verstanden zu werden. Symmetrisches Gesicht, sanfter Teint – eine in Kalkstein gemeißelte Greta Garbo, die Mona Lisa von Berlin.

    Beyoncé gehört zu den erfolgreichsten Musikerinnen der Welt. Sie trat schon als Nofretete auf die Bühne.
    Beyoncé gehört zu den erfolgreichsten Musikerinnen der Welt. Sie trat schon als Nofretete auf die Bühne. Foto: Chris Pizzello, Invision/AP/dpa

    Beyoncé ist nicht die Erste, die sich den royalen Hut aufsetzt. Barbara Streisand schlüpft in den 1960er-Jahren in die Rolle der Nofretete, Sängerin Rihanna inszeniert sich für das Cover der arabischen Vogue mit blauer Krone und lässt sich das Antlitz der Königin tätowieren. Selbst Sahra Wagenknecht ward vor Kurzem mit Nofretete gleichgesetzt, herrschaftliches Profil, stoische Ruhe, Machtwille und so. „Gerade, weil Nofretete eine globale Stilikone ist, ist es wichtig, dass sie auch im Globalen Süden, in Ägypten, zu sehen ist“, sagt Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer. Die Königin dient dem Kommerz, ziert Briefmarken, Kalender und T-Shirts, wird als billige Replik verkauft. Selbst Micky traf schon auf Nofretete – in einem Comic rettet die Maus die herabstürzende Büste.

    Neues Museum Berlin, Juli 2024

    Apropos herabstürzende Büste, nicht auszumalen, wenn dem Kopf etwas zustoßen würde, 400 Millionen Dollar soll er wert sein, also am besten nicht bewegen? Ein Museumsbesucher beäugt die Büste und schüttelt den Kopf. „Wenn man Castoren mit radioaktivem Müll quer durch die Republik karren kann, kann man doch auch diese Büste transportieren“, flüstert er. „Es ist beeindruckend, vor ihr zu stehen, aber sie gehört nicht hierher.“

    Das sieht die Direktorin des Neuen Museums anders. Die Frage der Transportfähigkeit von archäologischen Objekten habe sich in den letzten Jahrzehnten zugunsten der Kunst verändert. „Was früher möglich war, verbietet sich heutzutage“, sagt Seyfried. Im Ägyptischen Museum Berlin seien rund 200 Objekte nicht mehr transportabel, darunter die Büste. Sie ist hervorragend erhalten und dennoch höchst fragil, wie Untersuchungen ergeben haben, sagt Seyfried. Lufteinschlüsse zwischen Kalksteinkern und Gipsauflage, sensible Farbschicht, empfindlicher Bergkristall im rechten Auge. Jürgen Zimmerer hält das Transportrisiko dennoch für eine Schutzbehauptung: „Die Büste kam ja auch unbeschadet nach Deutschland. Das darf nicht den widerrechtlichen Verbleib rechtfertigen. Ich denke, man kann schon sicherstellen, das nichts passiert.“

    Nofretetes Hüterin: Friedrike Seyfried, Direktorin des Neuen Museums Berlin
    Nofretetes Hüterin: Friedrike Seyfried, Direktorin des Neuen Museums Berlin Foto: DPA

    Tatsächlich hat Nofretete schon einige Umzüge hinter sich. Den Zweiten Weltkrieg übersteht sie im Keller einer Bank, Göring möchte sie loswerden, aber Hitler hängt an ihr, also landet der Kopf in einem Salzbergwerk in Thüringen. US-Soldaten bringen ihn nach Wiesbaden und übergeben ihn 1956 den Westberliner Museen. Einige Ortswechsel später thront Nofretete nun im Neuen Museum in Berlin – einsam im Lichterschein. „Das ist auch eine Form von archäologischem Starkult, der eine vertiefte Auseinandersetzung mit der antiken Kultur eher verhindert“, sagt Jürgen Zimmerer über die Inszenierung. „Viele Besuchende wollen vor allem sie sehen und beachten kaum die anderen Objekte.“

    Kairo, September 2024

    Reiseführer Abdulnaby Helmy würde Nofretete lieber im Großen Ägyptischen Museum in Gizeh sehen. Das ist zwar noch nicht eröffnet, aber wenn es so weit ist, soll es das größte Museum der Welt sein. Dort befände sich Nofretete in unmittelbarer Nähe zu den Pyramiden von Giseh und der Goldmaske des Tutanchamun. „Drei herausragende Objekte ägyptischer Geschichte wären vereint“, sagt Helmy.

    Sein Eindruck: Auch viele Ägypterinnen und Ägypter wünschen sich Nofretete zurück, denn sie sehen sie als Teil des nationalen Erbes und das nehmen sie ernst. Wie ernst? Helmy lacht. „Kurze Anekdote“, sagt er und erzählt. Von der übergroßen Nofretete-Statue, die in der Stadt Minya vor einigen Jahren auf einem Kreisverkehr errichtet wurde. „Sie sollte den Ortseingang verschönern, aber die Statue war den Bewohnern zu hässlich, es gab einen Shitstorm und prompt ließ der Governeur das Ding wieder abbauen“, sagt Helmy. „Der Vorfall verrät einiges über das Gefühl, das die Menschen gegenüber Nofretete haben.“ Auch in Ägypten steht sie für Erhabenheit und Eleganz und sollte entsprechend repräsentiert werden. Die Debatte um Restitution ist nicht einfach, sagt Helmy. „Aber ich sehe darin weniger Konfliktpotenzial als vielmehr eine Quelle für gegenseitiges Verständnis.“

    Unbestimmte Zukunft

    Wo gehört Nofretete hin? Ist die ägyptische Königin nicht schon halbe Berlinerin? Was wäre die Museumsinsel ohne sie? Was bleibt, wenn zurückgegeben würde, was sich europäische Kolonialmächte vor mehr als hundert Jahren aneigneten? Lässt sich damit begangenes Unrecht wiedergutmachen? Jürgen Zimmerer sagt: „Sich diesen Fragen zu stellen und nicht weiter als Nutznießer des Kolonialismus von Raub, Ausbeutung und Fremdherrschaft zu profitieren, wäre der erste Schritt hin zu einer modernen, dekolonisierten Museumslandschaft.“ Ginge es nur um das Kennenlernen einer anderen Kultur, bräuchte es die berühmten Unikate nicht. Die seien vor allem fürs Marketing wichtig. Wie könnte so ein postkoloniales Museum der Zukunft aussehen? In Zimmerers Vorstellung ist es ein Museum, das sich seiner Geschichte stellt und aufklärt über das mit der Aneignung verbundene Unrecht. Das Kopien ausstellt statt gestohlener Originale und Vitrinen auch mal leer lässt, um die koloniale Sammlungsgeschichte spürbar zu machen.

    Neues Museum Berlin, Juli 2024

    Viel ist auf der Erklärtafel neben Nofretete nicht zu lesen. „Da hätte ich mir mehr Kontext gewünscht“, flüstert ein junger Mann, blickt etwas ratlos auf den Text und verlässt den Kuppelsaal. Im Raum nebenan ist Zeit für kurzes ein Gespräch – über Nofretete, ihre Bedeutung und den Umgang mit ihr. Denn, feiner Zufall, er ist Kunsttheoretiker und war schon als Kind von Ägypten besessen, wie er sagt. Was Nofretete für ihn bedeutet? „Sie trägt ein Mysterium aus der fernen Geschichte in die heutige Zeit, schafft eine Verbindung zwischen heute und damals“, sagt Matej.

    Aber auf die Frage, wem die Büste gehört, gibt es seiner Ansicht nach keine klare Antwort. „Einfach zu sagen, sie bleibt in Berlin, finde ich problematisch, aber man kann auch nicht alles radikal zurückfordern, was sich andere Länder mal angeeignet haben“, sagt Matej und nennt ein Beispiel aus seiner Heimat. Er kommt aus Prag, die Stadt war im Dreißigjährigen Krieg belagert, die schwedische Armee erbeutete zahlreiche Kunstgegenstände, die bis heute nicht nach Tschechien zurückkamen. „Es wirkt wie ein kleines Trauma. Ich kann nachfühlen, wie Menschen in Ägypten über Nofretete denken und warum sich viele die Büste zurückwünschen“, sagt er. „Umso wichtiger ist es, wie wir über solche Kunstwerke sprechen, schreiben und nachdenken.“

    Die meisten Museumsgäste drehen sich noch mal um oder machen ein Selfie mit der ewig Schönen. Als wollten sie die Begegnung mit dieser von Zeit und Raum scheinbar losgelösten Figur festhalten, bevor sie ins Hier und Jetzt zurückkehren. Unter Nofretetes Blick verschwimmt das Gegenwärtige und wird doch greifbar. Schon ihr Name verrät: Die Schöne ist gekommen. Gestritten wird weiter, wo sie bleibt.

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