Schon auf Seite zwei explodiert die Bombe. In Bologna fliegt das Schulgebäude des D'Arturo-Horn-Gymnasiums in die Luft, berstende Ziegel und splitterndes Glas legen den Verkehr lahm, in der Stadt bricht Chaos aus. Es ist die Stunde null im neuen Jugendbuch des Italieners Davide Morosinotto. Jener entscheidende Zeitpunkt also, von dem alle Erzählstränge in diesem „narrativen Zauberwürfel“, wie er sein Werk selbst nennt, ausgehen. Denn von der Gegenwart lässt er seine Helden direkt in die Vergangenheit und wieder zurückspringen.
Die Explosion in Bologna ruft die Geheimagenten der „Time Shifters“ auf den Plan, einer in Tschechien stationierten Sondereinheit. Sie hat eine Technik entwickelt, die es ermöglicht, bis zu 24 Stunden in der Zeit zurückzureisen. So können die Zeitagenten nachträglich unbemerkt in den Verlauf der Geschichte eingreifen, um schlimme Unglücke und Katastrophen zu vermeiden oder abzumildern.
Jedes Kapitel in "Time Shifters" beginnt mit Datum und Uhrzeit, damit man den Überblick nicht verliert
Als die Bombe am Gymnasium von Bologna explodiert ist, gehen die „Time Shifters“ eilig ans Werk. Damit beim Lesen die zeitliche Übersicht nicht verloren geht, beginnt jedes Kapitel mit einem Datum und einer Uhrzeit, die sich an der Stunde null orientieren: am Freitag, 19. Mai, 11.56 Uhr. Nur 18 Minuten später kommt schon Micaela ins Spiel, eine junge italienischstämmige Zeitagentin, die in die Vergangenheit geschickt wird, damit sie die Detonation der Bombe verhindert.
Ziel der Aktion ist der mutmaßliche Bombenleger, der 16-jährige Schüler Enrico Neri. Er ist aufgrund seiner persönlichen Situation so verzweifelt, dass er sich mit dem Gedanken trägt, die Schule in die Luft fliegen zu lassen. Seine Mutter ist abgehauen, der Vater hat eine Liaison mit Enricos Freundin begonnen und in der Schule hat er jede Menge Stress mit dem Direktor und seinen Klassenkameraden. Darunter der gleichaltrige Ron, mit dem er sich wegen eines zerstörten Handys streitet. Ron bringt Enrico so auf die Palme, dass er diesen mit einem Messer bedroht. Ein Vorfall, der Enricos Situation nicht gerade verbessert.
Dreimal scheitert Zeitagentin Micaela
So beginnt der psychisch labile Schüler, seinen Plan mit der Bombe in die Tat umzusetzen. Dreimal wird Micaela in die Vergangenheit geschickt, um Enrico durch minimales Eingreifen von seinem Vorhaben abzuhalten. Doch aus unerfindlichen Gründen scheitert sie jedes Mal. Statt den dramatischen Verlauf der Ereignisse zu ändern, wird sie von Ron entdeckt, der die junge Frau nicht nur attraktiv findet, sondern auch sehr mysteriös. Schließlich hat sie die Fähigkeit, sich gewissermaßen in Luft aufzulösen. Ron will dieser ungewöhnlichen Sache auf den Grund gehen und bemerkt, dass Enrico der Schlüssel zur Lösung ist. Als Ron dämmert, was sein Mitschüler da wirklich plant, steckt er schon mittendrin im Schlamassel, denn die Uhr tickt, die Stunde null rückt näher.
Es braucht eine gehörige Portion Konzentration, in Morosinottos Time-Shifter-Kosmos den zeitlichen und räumlichen Überblick zu behalten. Beispielsweise als Micaela knapp eine Stunde vor der Explosion ein letztes Mal in die Vergangenheit reist und nicht nur auf Enrico und Ron trifft, sondern auf einen weiteren Zeitagenten, der ihr Vorhaben sabotiert. Alleine ist sie machtlos, aber Ron versteht langsam die Zusammenhänge und will mithelfen, die Schule zu retten. Doch dafür muss er sein Wissen aus der Zukunft nutzen.
Davide Morosinottos "Time Shifters" ist ein originelles Hin und Her zwischen den Zeiten
Es ist eine spannende, aber auch äußerst anspruchsvolle Geschichte in Anlehnung an den mit dem Schauspieler Michael J. Fox besetzten Kino-Klassiker „Zurück in die Zukunft“. Vier verschiedene Erzählstränge in "Time Shifters" starten bei Stunde null, laufen alle wieder auf sie zurück und finden dort schließlich ihre Auflösung. So bleibt es nicht aus, dass manche Elemente konstruiert wirken, damit Vergangenheit und Zukunft am Ende wieder zusammenfinden. Dennoch gelingt Morosinotto ein originelles Hin und Her zwischen den Zeiten. Herausgekommen ist ein komplexes wie unterhaltsames Buch, das Mitdenken einfordert und zum Ende hin in Gestalt seiner jungen Helden Enrico und Ron auch noch mit einer überraschenden Wendung aufwartet.
Davide Morosinotto: Time Shifters: Ohne uns gibt es kein Morgen, Thienemann Verlag, 416 Seiten, 17 Euro, - ab 14