Der Reiz liegt im Understatement. Ein Luxusgegenstand, der in seiner Schlichtheit, zumindest was das Äußere betrifft, grandios ist. Das Innenleben dagegen: üppig, überwältigend, revolutionär. Wer Chanel N°5 hat, braucht sonst nicht mehr viel, erkannte ja auch Marilyn Monroe und lieferte den berühmtesten Satz zum Parfum: „Nachts trage ich nur ein paar Tropfen Chanel N°5, sonst nichts“. Chanel N°5 ist eine Ikone – der Modewelt, des 20. Jahrhunderts, der Weiblichkeit. Vor 100 Jahren, am 5.5., und auch dieses Datum ist Teil des Mythos, nahm die Geschichte von Chanel N° 5 mit der Präsentation des Duftes in Paris ihren Anfang.
Der Duft von Coco Chanel: Rosen- und Jasminfelder und die russische Tundra
Doch genau genommen begann alles schon viel früher mit einer Hommage an die russische Zarin, Katharina die Große. Wer dem Geheimnis von Chanel N°5 auf die Spur kommen möchte, landet in einem Dickicht aus Fakten, Legenden und Kuriositäten, wandelt über die Jasmin- und Rosenfelder der Parfüm-Metropole Grasse und stapft durch die Kälte der russischen Tundra. Eine Annäherung an das berühmteste Parfum der Welt in fünf Schritten.
1. Die Entstehung
Nichts lag der Modeschöpferin Gabrielle „Coco“ Chanel zunächst ferner, als Frauen neben schicken Kleidern und Blusen auch noch mit einem Duft zu versehen. „Frauen parfümieren sich nur, wenn sie schlechte Gerüche zu verbergen haben“, lautet eines der vielen von ihr überlieferten Bonmots. Ihre rigide Haltung änderte Chanel, als sie in Cannes Ernest Beaux kennenlernte. Der gebürtige Franzose hatte sich vor der Russischen Revolution einen Namen als Parfumeur in Moskau gemacht und war nach dem Umsturz wieder zurück in seine Heimat gegangen. Chanel beauftragte Beaux als Weihnachtsgeschenk für ihre Kundinnen ein Parfum zu kreieren, das ursprünglich nur auf 100 Fläschchen limitiert sein sollte. Als dann die Nachfrage nach dem außergewöhnlichen Duft immer größer wurde, kam das Parfum 1922 auch in den Handel.
Ernest Beaux hatte in seinem Labor in Cannes zehn Proben vorbereitet, das Fläschen, das Chanel am meisten zusagte, trug die Aufschrift Nummer 5. „Das wird sehr teuer, nichts ist teurer als Jasmin“, warnte Beaux sie der Legende nach, doch Chanels Antwort lautete: „Dann geben Sie bitte noch etwas mehr Jasmin hinzu. Ich will es zum teuersten Parfüm der Welt machen.“ Also blieb es bei der Nummer 5, schließlich passte es auch ganz gut zu dem Datum 5. Mai, an dem sie für gewöhnlich ihre Kollektionen der Öffentlichkeit präsentierte. Außerdem sah sie die Fünf als ihre persönliche Glückszahl an. Reine Zahlenmagie war verantwortlich für den einprägsamen Namen, wer also nach Chanel No 1,2,3 oder 4 fahndet, wird erfolglos bleiben.
2. Der Duft
„Ein Parfum für eine Frau mit dem Duft einer Frau“ lautete Coco Chanels Maßgabe an den Parfumeur, und sie verband damit die Vorstellung von klassischer Eleganz und schlichter Strenge, wie sie auch ihre Mode prägte. „Frauen sind keine Blumen. Warum sollten sie wie Blumen riechen wollen“, fragte sie despektierlich. Anfang des 20. Jahrhunderts waren es vor allem die floralen Aromen, deren Duft in den Salons, Theatern und Restaurants hing.
Coco Chanel dagegen schwebte etwas Abstrakteres vor. Nicht eine einzelne Blüte sollte die Note bestimmen, sondern eine extravagante Komposition mehrerer Aromen. Ihr Parfum sollte vieles sein, Gegensätze vereinen: lieblich und schwer, diskret und sinnlich, ehrbar und verrucht. „Ein Duft, der die olfaktorische Trennlinie zwischen dem braven, anständigen Mädchen und dem verführerischen Vamp bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen ließ“, beschreibt die amerikanische Kulturhistorikerin Tilar J. Mazzeo in ihrem Buch „Chanel N°5 – die Geschichte des berühmtesten Parfums der Welt“ (dtv), die Idee hinter der Kreation. Inspiration für Ernest Beaux war die Frische des Nordens, die er als Militärangehöriger bei einem Aufenthalt am Polarkreis kennengelernt hatte, wo er den Geruch von frisch gefallenem Schnee und die Flechten der Tundra wahrgenommen hatte.
Die genaue Rezeptur von Chanel No 5 liegt im Safe
Der Duftexperte stellte für Chanel N°5 eine Komposition aus verschiedenen Duft-Kategorien zusammen. An die 80 Essenzen sollen es sein, andere Quellen sprechen nur von 31, aber selbstverständlich gehört auch das zum Mythos: Die genaue Rezeptur liegt im Safe. Bekannt ist aber: Neroli und Ylang-Ylang in der Kopfnote, Jasmin und Mairosen in der Herznote und als Basisnote Sandelholz, Vetiver und Vanille.
Seine Besonderheit, da sind sich die Fachleute einig, erhielt das Parfum durch die chemisch erzeugten Aldehyde, dehydrierte Alkohole aus Blütennuancen, die den Duft in der Kopfnote auf besondere Weise zur Entfaltung bringen. Es ist also auch jene neuartige Mischung aus Natürlichkeit und Künstlichkeit, die Chanel N°5 revolutionär machte.
3. Der Flakon
Ein rechteckiges Fläschchen, sanft abgerundet an den Kanten, verschlossen mit einem Stöpsel, der wie ein Diamant glitzernd darauf thront: Wer die Silhouette sieht, weiß, um was es geht. Die ersten Flakons hatte Coco Chanel noch selbst entworfen – nach dem Vorbild der Spirituosenflaschen ihres mit dem Auto verunglückten Liebhabers Boy Capel.
Erst 1924 schuf der Designer Jean Hellerau den Art-Deco-Flakon, der ikonografisch wurde. Angeblich ließ er sich vom Umriss der Pariser Place Vendôme zu der achteckigen Form des Stöpsels inspirieren. Dort steht das Hotel Ritz, in dem Coco Chanel einen großen Teil ihres Lebens residierte. Bis heute wird der Hals jedes Flakons mit einem sogenannten Goldschlägerhäutchen, einer traditionellen Art der Versiegelung, versehen. Zwei Reihen schwarzer Baumwollfäden verschließen den Flaschenhals und schützen das Parfüm vor Luft. In einer Zeit, in der nicht nur die Parfums blumig waren, sondern auch ihre Flakons opulent verziert, markierte das N°5-Fläschchen in seiner Schlichtheit ebenso Modernität und Extravaganz wie der Duft selbst. Sein geniales Design brachte es als Kunst-Objekt ins Museum of Modern Art, Andy Warhol wählte es als Motiv für eine seiner Siebdruck-Serien.
4. Das Image
Schönheit, Luxus und Extravaganz, dafür stand und steht Chanel N°5 von Anfang an. Ab den 50er Jahren ließ man dieses Image auch in Werbekampagnen in Szene setzen. Bis heute engagiert der Konzern bekannte Schauspielerinnen und Models als Gesicht für die Marke. Ali McGraw, Lauren Hutton, Candice Bergen, Nicole Kidman und immer wieder Catherine Deneuve standen mit dem berühmten Fläschchen vor der Kamera von Fotografen wie Richard Avedon, Helmut Newton, Irving Penn und Bettina Rheims. Ein Coup gelang im Jahr 2012: Mit Brad Pitt stand erstmals ein Mann für ein Damen-Parfum Modell.
Zum Jubiläum von Chanel No 5 tanzt Marion Cotillard auf dem Mond
Regisseure wie Baz Luhrman und Ridley Scott inszenierten Chanel N°5 in bombastisch wirkenden Mini-Dramen. Ganze Orchester stiegen aus dem Meer auf und Luc Besson ließ sich gar zu einer Neuinterpretation von „Rotkäppchen“ hinreißen. Zum 100. Jubiläum tanzt nun die französische Schauspielerin Marion Cotillard auf dem Mond.
5. Der Doppelgänger
Dass Chanel N°5, der Inbegriff eines Luxusaccessoires, ausgerechnet im Wirkbereich des Kommunismus einen ähnlich riechenden Doppelgänger hatte, hat der Osteuropa-Experte Karl Schlögel in seinem Buch „Der Duft der Imperien“ (Hanser) dargestellt: Krasnaja Moskwa, zu deutsch Rotes Moskau. Die Verbindung der beiden Parfums ist ein gemeinsamer Vorfahre: das Bouquet préféré de Catherine II., ein Parfum, das 1913 anlässlich des 300-jährigen Thronjubiläums der Romanows in Russland erschaffen wurde und 1914 den unverfänglicheren Namen Rallet N°1 erhielt. Mit der deutschstämmigen Herrscherin war zu Zeiten eines Krieges gegen Deutschland kein Staat mehr zu machen. Schon diese Kreation bestand zu einem Teil aus Aldehyden, also jenen Alkoholen, die einige Jahre später Chanel N°5 zur Berühmtheit verhalfen. Die Schöpfer dieser Hommage an die russische Zarin waren Franzosen, die ihr Handwerk gemeinsam in Grasse gelernt hatten, Auguste Michel und jener Ernest Beaux, der 1919 zurückging nach Frankreich und sich mit Coco Chanel zusammentat.
Rotes Moskau: Das russische Pendant zu Chanel No 5
Auguste Michel blieb in der Sowjetunion und entwickelte aus dem „Lieblingsbouquet Katharinas“ 1927 das Parfum Rotes Moskau, das laut Karl Schlögel zum populärsten Duft der Sowjetunion wurde. Und nur am Rande sei erwähnt, dass auch Rotes Moskau mit der Avantgarde seiner Zeit in Berührung kam: Der Flakon, dessen roter Verschluss an die Türmchen des Kreml erinnert, stammt von Kasimir Malewitsch, dem Künstler, der später das Schwarze Quadrat schuf, fand Karl Schlögel heraus. Eine ähnliche Karriere wie sein westliches Pendant blieb dem russischen Duft allerdings verwehrt. Das Ende der Sowjetunion überlebte Krasnaja Moskwa zwar, in der Reihe der legendären Düfte hat es sich aber keinen Platz erobern können.
Da steht immer noch Chanel N°5 an der Spitze, als „Manifest einer Epoche“ , als Idee einer Frau, die sich den klaren Linien und der schlichten Eleganz verschrieben hatte und damit zu einer Vorreiterin ihrer Zeit wurde.
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