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Inzucht und Isolation: Starb der Neandertaler aus, weil er zu abgeschottet lebte?

Anthropologie

Starb der Neandertaler aus, weil er zu abgeschottet gelebt hat?

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    Fehlender genetischer Austausch - das könnte für den Neandertaler fatal gewesen sein,
    Fehlender genetischer Austausch - das könnte für den Neandertaler fatal gewesen sein, Foto: Federico Gambarini, dpa

    Eine wichtige Rolle beim Aussterben der Neandertaler könnte deren gesellschaftliche Organisation in kleinen, isolierten Gruppen gespielt haben. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam auf der Basis genetischer Analysen des Erbguts von bestimmten Neandertalern, die vor etwa 40.000 bis 50.000 Jahren lebten. Ausgangspunkt der aktuellen Studie war ein Neandertalerskelett, das 2015 in der Grotte Mandrin im Rhônetal in Südfrankreich entdeckt worden war.

    Die Gruppe um Ludovic Slimak von der Universität Paul Sabatier in Toulouse und Martin Sikora von der Universität Kopenhagen veröffentlichte ihre Erkenntnisse im Fachjournal Cell Genomics. Die Überreste des männlichen Neandertalers, den die Forschenden „Thorin“ genannt haben, lagen in der Grotte in zwei Schichten, die Altersbestimmungen zufolge 42.000 bis 52.000 Jahre alt sind. Ausgrabungen vom Sommer 2023 deuten darauf hin, dass die Fossilien von „Thorin“ eher in die oberste Schicht gehören. „Diese jüngsten Erkenntnisse legen in starkem Maße nahe, dass „Thorin“ eher etwa 42.000 als etwa 50.000 Jahre alt ist und dann einer der allerletzten Neandertaler in dieser Region war“, schreiben die Studienautoren.

    Aus der Wurzel eines Backenzahns wurde genetisches Material gewonnen

    Den Forschenden gelang es, aus der Wurzel eines Backenzahns von „Thorin“ genetisches Material zu gewinnen, das dann analysiert werden konnte. Sie verglichen es in statistischen Analysen mit vier anderen Genomen von Neandertalern, die vor nicht mehr als 50.000 Jahren lebten, sowie mit älterem Neandertaler-Erbgut. „Thorin“ stammt demnach aus einer anderen Linie als die anderen jüngeren Neandertaler, deren Genmaterial bekannt ist. Am ähnlichsten ist „Thorins“ Erbgut dem Genom eines Neandertalers, dessen Fossilien in Gibraltar gefunden wurden. Aus früheren genetischen Analysen ergab sich, dass sich vor etwa 105.000 Jahren die Abstammungslinien von Neandertalern in Sibirien und anderen östlichen Regionen von denen in Mittel- und Westeuropa trennten.

    Bedeutender Fund: Die Schädeldecke wird einem 42.000 Jahre alten Frühmenschen aus dem Neandertal bei Düsseldorf zugeordnet.
    Bedeutender Fund: Die Schädeldecke wird einem 42.000 Jahre alten Frühmenschen aus dem Neandertal bei Düsseldorf zugeordnet. Foto: Oliver Berg, dpa

    Slimak, Sikora und der Rest des Teams stellten fest, dass sich „Thorins“ Erbgut seit dieser Zeit kaum verändert hat. Auch weist das Genom wenig genetische Vielfalt auf. Bei „Thorin“ sind Varianten eines Gens, die er von Mutter und Vater erhalten hat, sehr häufig gleich. Dies gilt als Hinweis auf Inzucht. „Wir wissen, dass Inzucht die genetische Vielfalt in einer Population verringert, was sich auf längere Sicht nachteilig auf ihre Überlebensfähigkeit auswirken kann“, erläutert Sikora. Dies seien Hinweise darauf, dass die späten Neandertaler in isolierten Gruppen lebten, die weder mit anderen Neandertalern noch mit den modernen Menschen Partnerschaften eingingen, heißt es in der Studie.

    Moderne Menschen waren hingegen stärker vernetzt und tauschten sich aus, selbst wenn sie in kleineren Gruppen lebten. „Wir sehen Beweise dafür, dass frühe moderne Menschen in Sibirien, während sie in kleinen Gemeinschaften lebten, sogenannte Paarungsnetzwerke bildeten, um Inzuchtproblemen zu entgehen, was wir bei Neandertalern nicht gesehen haben“, meint Co-Autorin Tharsika Vimala von der Universität Kopenhagen.

    „Thorin“ hatte keine modernen Menschen unter seinen Vorfahren

    Der Neandertaler (Homo neanderthalensis) ist eine Menschenart, die in Europa und Asien parallel zum modernen Menschen (Homo sapiens) gelebt hat und vor etwa 40.000 Jahren ausgestorben ist. Genetische Studien ergaben, dass es mehrfach durch Vermischung zu einem Genaustausch zwischen beiden Menschenarten gekommen sein muss. In Südfrankreich war dies offenbar nicht der Fall, obwohl die Grotte Mandrin möglicherweise 54.000 Jahre alte Spuren von Homo sapiens enthält. Womöglich hat es sogar mehrere Wechsel der Nutzung der Grotte durch Neandertaler und moderne Menschen gegeben. Aber im Genom von „Thorin“ gibt es keine Hinweise darauf, dass unter seinen Vorfahren auch moderne Menschen waren. (Stefan Parsch, dpa)

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