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Foto: Jörg Carstensen
Foto: Jörg Carstensen

Ute Lemper, 59, lebt längst in New York und tritt nun wieder in München auf die Bühne.

Interview
21.01.2023

Ute Lemper: "Im Herzen bin ich Deutsche und Europäerin"

Von Birgit Müller-Bardorff

Oft wurde Ute Lemper mit Marlene Dietrich verglichen. Nun verkörpert sie die Diva auch auf der Bühne. Sie teilen die Erfahrung, in der Heimat nicht anerkannt zu werden – und eine kuriose Begegnung.

Frau Lemper, als „Marlene aus Münster“ hat man sie oft bezeichnet, weil Sie wie Marlene Dietrich als deutscher Showstar und Schauspielerin Karriere im Ausland gemacht haben. Aber Sie haben ja auch eine ganz persönliche Verbindung zu Marlene Dietrich.

Ute Lemper: Ja, das war 1987 in Paris, ich war damals 24 Jahre alt und als Schauspielerin dort, spielte in „Cabaret“. Es war mein Durchbruch, alle Zeitungen schrieben über mich, nannten mich „die neue Marlene“ und ich dachte mir: „Meine Güte, wie kann man mich mit einer Legende vergleichen?“ Marlene lebte damals einsam in ihrer Wohnung in der Avenue Montaigne, hatte das Haus seit zehn Jahren nicht mehr verlassen. Ich wusste aber, dass Sie viele Zeitungen las, großes Interesse an der Pariser Theaterszene hatte und bestimmt von mir gelesen hatte. Also schrieb ich ihr einen Brief, um mich für ihre Inspiration zu bedanken, aber auch zu entschuldigen für diesen Vergleich.

Einen Monat später hörten Sie dann von ihr.

Lemper: Ja, sie spürte mich in meinem Hotel auf. Sie rief mich an. Wir hatten ein langes Gespräch, es war eher ein Monolog, denn sie redete und ich hörte zu. Ich wollte ihr eigentlich Fragen stellen, aber das wollte sie nicht. „Wir machen hier ja kein Interview“, sagte sie in ihrer typischen schnoddrigen Art.

Welchen Eindruck hinterließ Marlene Dietrich bei Ihnen?

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Lemper: Sie wollte mit mir als junger Deutscher in Verbindung treten. Sie wollte mit mir über ihre Heimat sprechen, über ihre Traurigkeit, diese Heimat verloren zu haben und darüber, wie sie Deutschland vermisst. Da war viel Bitterkeit und Melancholie dabei, aber auch viel Frechheit, wie man es ja auch aus dem Film von Maximilian Schell kennt. Ohne Blatt vor dem Mund. Ich war überwältigt davon, mit ihr zu sprechen. Ich habe während dieses Gesprächs ein Stück von ihrem Geist, von ihrem Mythos empfinden können.

Was macht diesen Mythos so unverwüstlich, dass Sie dazu vor einigen Jahren sogar ein abendfüllendes Programm geschrieben haben, mit dem sie jetzt auch wieder in Deutschland auftreten?

Lemper: Es ist ihre Geschichte, die sehr gut in unsere Zeit passt. Sie war eine Frau, die vor 100 Jahren so progressiv war, dass sie heute noch eine progressive Frau wäre. Sie hat damals schon die Genderfrage umgeschmissen, hat Hosen getragen, kleidete sich in einem völlig neuartigen Stil, sie war bisexuell, war polygam. Marlene Dietrich war ein freier Geist, sie war emanzipiert, gebildet und mischte sich bei vielen Themen ein. Das Besondere ist, dass sie das nicht aus dem Verständnis heraus tat, es sich erkämpfen zu müssen, sondern sie hat es als Basis gesetzt, dass sie mitredet und das Kommando gibt. Sie hat auf selbstverständliche Weise die Allüre des Mannes angenommen. Aber ihre große Geschichte ist natürlich auch die politische Geschichte.

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Foto: Franziska Kraufmann (dpa)
Foto: Franziska Kraufmann (dpa)

Ute Lemper war schon in London und New York beim Musical "Chicago" dabei.

Sie meinen die Emigration aus Deutschland, das Engagement für die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg.

Lemper: Ja, die Deutschen wollten sie ja zurückhaben, sie sollte der Filmstar der Nazis werden. Das wollte sie nicht mitmachen, weil sie von ihren Kontakten mit den emigrierten Juden in Los Angeles wusste, was da abläuft. Stattdessen hat sie für die amerikanischen Soldaten an der Front gesungen, von Deutschen wurde sie dafür als Verräterin beschimpft – bis zum Ende ihres Lebens. Ihr großes Leid war es, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurückkonnte. Ihr letzter Wunsch war es, das hat sie mir am Telefon erzählt, doch noch einmal zurück nach Deutschland zu kommen, und zwar tot im Sarg, um an der Seite ihrer Mutter in Berlin begraben zu werden. Es ist die große Geschichte einer progressiven Frau, die nicht immer sympathisch war, die aber in der heutigen Zeit viel zu sagen hätte. Darüber geht mein Programm.

Sie haben es vor Ausbruch der Corona-Pandemie geschrieben und wurden dann durch die weltweiten Lockdowns ausgebremst. Wie ging es Ihnen damit?

Lemper: Alles war erst einmal abgesagt, und langsam, schleppend kommt es jetzt wieder in Gang. Das war schon eine schwierige Zeit, gleichzeitig war diese Zeit für mich auch wunderbar. Ich bin mit meiner Familie in unser Landhaus zwei Stunden westlich von hier gegangen und wir haben eine tolle Familienzeit erlebt – auch meine beiden großen Kinder waren dabei.

Als Künstlerin konnten sie aber nicht arbeiten.

Lemper: Ja, 16 Monate Auszeit. Aber es ist ja so, dass ich schon 40 Jahre gearbeitet hatte. Und ich habe es mir in dieser Zeit selten geleistet, mal weg von der Bühne zu sein. Nicht mal für die Schwangerschaften, da habe ich immer bis zum 7. Monat gearbeitet und bin dann nach zwei Monaten wieder auf die Bühne. Ich habe es genossen, dass ich auch einmal ohne diesen Druck leben konnte. Denn es ist schon ein großer Druck, auf Tournee zu sein. Die Stimme muss trainiert sein, man lebt aus dem Koffer, hat Jetlags, muss sich organisieren mit Nannys für die Kinder. Ich war dann einfach zu Hause, wir hatten nicht einmal eine Putzfrau und führten ein ganz einfaches, schlichtes Leben. Ich habe die dritte Klasse meines Sohnes im Google-Classroom miterlebt. All das hat eine völlig neue Perspektive eröffnet, die auch jetzt noch nachwirkt.

Inwiefern?

Lemper: Ich gehe jetzt weniger auf Tour. Ich mache nur noch die Konzerte, die mir wirklich wichtig sind, und bin wesentlich mehr zu Hause als vor der Pandemie. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, die zweite Generation meiner Kinder – die Großen sind ja schon lange aus dem Haus – zu begleiten.

In Deutschland leiden die Veranstalter und Theater noch unter den Nachwirkungen der Pandemie. Das Publikum kommt nur zögerlich. Ist das in den USA, speziell in New York, anders?

Lemper: So ist es auch hier. Nur die Rock-Konzerte laufen noch gut, weil die ein jüngeres Publikum anziehen. Die Plätze in der Carnegie Hall sind nur noch zu einem Drittel verkauft. Das Abonnement-Publikum sind die eingesessenen New Yorker, meist über 60, bei denen hat das Interesse, auszugehen, nachgelassen. Und wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Der Broadway hat zu Weihnachten zwar mit den Touristen eine Wiederauferstehung erlebt, aber gerade habe ich in den Nachrichten gehört, dass jetzt Shows wieder zumachen. Es ist eine völlig andere Situation im kulturellen Leben der Stadt als vor der Pandemie. Es hat sich etwas geändert, auch in meinem Kopf, ich gehe auch weniger ins Theater. Ich habe auch keine Lust, da drei Stunden mit Maske zu sitzen. Man erlebt Kultur jetzt mehr von zu Hause aus.

Damit fällt aber dieses gemeinsame Erleben, das Kultur ja auch als sozialen und gesellschaftlichen Faktor ausmacht, weg. Was bedeutet das für Sie als Künstlerin?

Lemper: Der Mensch, der Musik macht, wurde in den letzten Jahrzehnten durch diese ständige Verfügbarkeit etwa mit iPods und Streaming sowieso verdrängt. Aber es ist natürlich etwas Großartiges für mich, wenn ich auf der Bühne stehe und diesen Moment erlebe, wie Musik entsteht, durch Inspiration und durch das Herz und das Menschsein an sich mit Menschen in Kontakt trete. Gerade bei meinen Liedern geht es ja nicht nur um Entertainment, sondern um die dunkle Seite des Lebens, die Traurigkeit, das Alleinsein, die Angst und die Verlorenheit, die großen Konflikte des Lebens. Das sind universelle Momente, und es ist ein besonderes Gefühl, das mit Menschen zu teilen. Glücklicherweise erlebe ich das noch oft genug.

Dieses Jahr ist ein besonderes für Sie, Sie feiern 60. Geburtstag und haben einiges geplant.

Lemper: Ja, es wird eine Autobiografie erscheinen. Zuerst hatten wir es mit einem Ghostwriter versucht, aber das hat überhaupt nicht geklappt, denn meine Stimme ist mein Wort, mein Wort ist mein Gedanke, ich muss das selbst schreiben. Ich bin selbst überwältigt gewesen, was an Erinnerungen und Zeitzeugnissen in meinem Kopf existiert. Gleichzeitig kommt noch ein Album mit eigener Musik von mir heraus. Und dann gibt es noch einen Film über mich und viele verschiedene Aspekte meiner Karriere mit Szenen aus verschiedenen Shows, aber auch Drehorten wie meiner Heimatstadt Münster, New York und dem Konzentrationslager Bergen-Belsen, das ich mit meiner Freundin, einer Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden, besuchte.

Gehen Sie denn in Ihrer Autobiografie auch auf Ihr eigenes Verhältnis zu Deutschland ein. Sie teilen mit Marlene Dietrich ja ein wenig diese Erfahrung – zumindest am Beginn ihrer Karriere – in der Heimat nicht die Anerkennung gefunden zu haben wie im Ausland?

Lemper: Das ist ein Kreis, der sich geschlossen hat. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Heimatland. Ich fühle mich sehr respektiert, geliebt und bin dankbar, dass die Menschen mir durch die Jahrzehnte folgen. Aber 1989 und 1992 gab es einen großen Bruch, da haben Sie recht. Das waren schwierige Jahre, in denen ich regelrecht geächtet wurde, nicht so sehr vom Publikum, sondern von der Presse, die mich durch die Mühle gezogen hat. Auch im Rückblick ist das nach wie vor eine Geschichte, die mich umtreibt. Im Ausland ist das übrigens überhaupt nicht bekannt. Das war eine fabrizierte Presse-Kampagne gegen mich. Das lag vielleicht auch an einem Fehler meines Managements, das mich 1987 regelrecht hochgeputscht hatte. Da konnte es nur wieder runtergehen. All das behandle ich auch in dem Buch. Es geht darum, wie ich mich wundere, dass das so abgeperlt ist an mir. Aber natürlich hatte ich da schon meine internationale Karriere, die mir Sicherheit gab. All das blieb ein deutsches Problem, ähnlich wie bei Marlene.

Würden Sie sagen, New York ist Ihre Heimat geworden?

Lemper: Ich lebe hier seit 1997, meine beiden jüngeren Kinder sind hier geboren, die beiden großen sind hier aufgewachsen. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass New York meine Heimat ist. Aber ich bin im Herzen Europäerin und Deutsche und gleichzeitig New Yorkerin. In anderen Städten Amerikas wäre das schwieriger, denn da gibt es eine Mainstream-Amerika-Kultur, die mir als Europäerin etwas unangenehm und fremd ist. Dieses Polarisierende, nicht nur im Politischen, davor graust mir regelrecht. Aber hier in New York fühlt man immer noch die Emigration aus Europa, die Nachfahren russischer, deutscher, österreichischer Einwanderer. Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen und niemand ist normal, es gibt nur diese gemeinsame Verschiedenheit. Deshalb lebe ich so gerne hier, mit meiner speziellen Geschichte, schon an vielen Orten gelebt zu haben, die ich hier aber anders erleben darf als in Deutschland.

Zur Person:

Ute Lemper wurde am 4. Juli 1963 in Münster geboren. Sie studierte Bühnentanz in Köln und Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Ihre Karriere begann mit der ersten deutschen Produktion des Musicals „Cats“ in Wien. In Paris spielte sie in „Cabaret“. Sie arbeitete als Schauspielerin und feierte Erfolge als Sängerin mit Musik von Kurt Weill, Jacques Brel und Astor Piazolla. 

2013 nahm Lemper „Lieder für die Ewigkeit“, die in den jüdischen Ghettos und Konzentrationslagern entstanden, auf. Ab 14. Februar tritt sie im Deutschen Theater München (und dann auf Tour) mit ihrem Bühnenprogramm „Rendezvous mit Marlene“ auf, das auf eine telefonische Begegnung mit der damals 87-jährigen Marlene Dietrich zurückgeht.

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