Nicole, was machen Sie gerade, während wir telefonieren?
NICOLE: Ich bereite das Mittagessen vor für meine beiden Enkeltöchter. Die Kleine wird jetzt acht, die Große wird zwölf. Wir wohnen alle unter einem Dach. Bei uns ist immer was los.
Was gibt es denn?
NICOLE: Chicken Nuggets.
Was los ist bei Ihnen auch wieder beruflich. Im vergangenen Herbst haben Sie das Album „Ich bin zurück“ veröffentlicht, in wenigen Wochen gehen sie auf große Tournee. Freuen Sie sich schon?
NICOLE: Oh ja, Vorfreude und auch Aufregung sind groß. Ich mache diesen Beruf ja seit über vierzig Jahren, und ich finde ihn immer noch sehr, sehr spannend. Auf der Bühne werde ich eine hervorragende Band dabeihaben und verspreche, dass es ein richtiges Feuerwerk geben wird. Ich werde natürlich alle großen Hits wie „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund“, „Papillon“, „Allein in Griechenland“ und natürlich „Ein bisschen Frieden“ singen und lade ein zu einer Zeitreise durch vier Jahrzehnte. Wir sind alle schon ganz hibbelig und gerade ordentlich am Proben.
Album und Tournee haben den Titel „Ich bin zurück“. Was verbinden Sie mit Ihrem Comeback?
NICOLE: Vor allem sehr viel Dankbarkeit. Ich werde mich arg zusammenreißen müssen, aber ein paar Tränchen auf der Bühne zu vergießen, das gehört dazu. Das wird sicher die emotionalste Tournee meiner Karriere werden.
Sie sind Ende 2020 an Brustkrebs erkrankt. Wie erinnern Sie sich an den Moment der Diagnose?
NICOLE: Für mich ist die Welt stehen geblieben. Mich hatte es richtig erwischt, das volle Programm. Aber ich war immer schon eine Kämpferin. Ich habe auch nicht geweint. Ich bin Skorpion. Wenn der bedroht wird, weicht er zwei Meter zurück. Aber nicht, weil er Angst hat. Sondern, weil er Anlauf nimmt für den Gegenstoß. Ich wusste, so trete ich nicht ab. Ich habe mich der Krankheit vom ersten Tag an entgegengestellt.
Waren Sie immer zuversichtlich, dass Sie es schaffen werden?
NICOLE: Ja. Ich war 2011 bei Papst Benedikt in Rom. Vorher habe ich mir auf dem Petersplatz in Rom einen kleinen silbernen Engel gekauft für unsere damals noch ungeborene erste Enkeltochter. Ich hatte auch unsere Eheringe dabei, meinen Wolfszahn und mein silbernes Kreuz. Ich habe alles in beide Hände gelegt und ihn gefragt, ob er das segnen könne. Und ich sagte: „Wenn es geht, bitte mich auch.“ Mit seinem Daumen hat er mir dann ein Kreuz auf die Stirn gegeben. Nach der Audienz habe ich zu meinem Mann gesagt: „So, jetzt kann mir nichts mehr passieren“. Und selbst wenn mir etwas Schlimmes widerfahren sollte, versprach ich ihm, dann werde ich diese Prüfung bestehen und alles wird ein gutes Ende nehmen. Ist doch irre, oder?
Sind Sie wieder gesund?
NICOLE: Ja, mein Arzt sagt, ich bin geheilt. Aktuell gehe ich alle drei Monate zur Untersuchung, und bis jetzt ist alles in Ordnung. Ich bin ja auch kein Einzelfall. Etwa 57.000 Frauen erkranken allein in Deutschland jedes Jahr an Brustkrebs. Das ist ein ganzes Stadion voll. Ich war eine von ihnen.
Sind Sie auch für die anderen 56.999 Frauen mit Ihrer Diagnose 2022 an die Öffentlichkeit gegangen?
NICOLE: Ich musste das tun, weil ich der Presse zuvorkommen wollte. Ich wusste, die sind an der Geschichte dran. Also habe ich einen Tag vorher einen sehr persönlichen Brief auf Instagram veröffentlicht. Da war die Krankheit glücklicherweise schon überstanden. Ich wollte kein Mitleid, ich wollte auch niemanden zu Tränen rühren. Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass über ein Jahr lang nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Die Freunde haben dichtgehalten, das ganze Dorf hat geschwiegen.
Hat sich seit der Krankheit etwas geändert für Sie?
NICOLE: Ich lebe noch bewusster als vorher. Ich gönne mir auch öfter mal was Gutes. Wir reisen auch noch mehr, wenn es geht ohne Verpflichtungen. Zehn Tage auf den Malediven zu sein, das Handy ausgeschaltet zu lassen, ein gutes Buch zu lesen, Yoga zu machen, die Stille zu genießen und beim Schnorcheln die Wasserwelt zu erkunden – das war herrlich.
Sie sind in Saarbrücken geboren und leben in Nohfelden-Neunkirchen im Saarland. Hat es Sie nie in die weite Welt hinausgezogen
NICOLE: Nein. Hier im Saarland lebt meine Familie, hier leben meine Freunde, ich bin hier tief verwurzelt. Ich kann mich jederzeit in den Flieger setzen. Aber ich finde es immer wieder schön, zurückzukommen. Hier gehöre ich hin. Ich liebe mein gewohntes Umfeld. Wenn wir in den Biergarten gehen, dann treffen wir eigentlich immer Menschen, die wir kennen.
Wie sind die Saarländerinnen und Saarländer so?
NICOLE: Sehr hilfsbereit, gastfreundlich und gesellig. Man sagt, dass es immer einen Saarländer gibt, der gerade genau das hat, was du brauchst. Sie sind außerdem humorvoll, sie feiern gerne. Ich fühle mich hier geborgen und bin ein Teil unseres Dorflebens. Ich backe Kuchen für den Schützenverein, ich bin hier voll integriert, für alle bin ich „unsere Nicole“. Ich bin keine Diva, nie gewesen.
41 Jahre sind vergangen, seit Sie am 24. April 1982 im englischen Harrogate mit „Ein bisschen Frieden“ für Deutschland den ESC gewannen, der damals noch „Grand Prix d'Eurovision de la Chanson“ hieß. Wie lange kommt Ihnen das selbst vor?
NICOLE: Ja, wo ist nur die Zeit geblieben? (lacht) So, als wäre es erst gestern passiert, sehe ich mich in meinem schwarzen Kleid mit Strasssteinen auf diesem Hocker sitzen und dieses Lied singen, das meine ganze Welt verändert hat. Ich denke wirklich, es kann gar nicht sein, dass das mehr als vierzig Jahre her ist. Meine Karriere seitdem war ein Leben auf der Überholspur, eine richtig lange Wegstrecke. Ich möchte nichts missen. Es waren so viele schöne Erlebnisse dabei. Ich habe zum Beispiel Videos in Havanna und in Kapstadt gedreht, das war wundervoll.
Dieses Bild der 17-jährigen Nicole auf dem Hocker in Harrogate dürfte sich in das kollektive Gedächtnis der ganzen Nation eingebrannt haben. Wie reagieren Sie, wenn Sie die Aufnahmen von früher sehen?
NICOLE: Mit einem Lächeln und einem gewissen Gefühl von Stolz. Das war damals ein Kindheitstraum, der in Erfüllung ging. Seit ich klein war, wollte ich Deutschland beim ESC vertreten. Und das dann noch mit einem Lied, das in vielen europäischen Ländern auf Platz Eins kam und das bis heute, vorsichtig ausgedrückt, seine Wirkung und seine Bedeutung nie verloren hat. „Ein bisschen Frieden“ ist aus meiner Sicht ein Jahrhundertlied.
1982 war der Kalte Krieg und die Angst vor einem Atomschlag allgegenwärtig, in Deutschland wurde das Thema Aufrüstung heiß diskutiert.
NICOLE: Ich habe momentan ein echtes Déjà-vu. Die Leute wünschen sich nichts sehnlicher als Frieden. Das Lied ist völlig zeitlos. Auf meinem „Ich bin zurück“-Album habe ich „Ein bisschen Frieden“ noch mal neu, mit einem russischen Refrain, eingesungen. Das war mir ein Anliegen. Dieses Lied läuft jetzt hier im Flüchtlingslager rauf und runter. Die Leute fühlen sich verstanden. Sie merken, sie werden nicht alleingelassen mit ihren Ängsten. Es kommen so viele Kinder mit ihren Großeltern, ich will diesen Menschen mit meinen Mitteln so gut es geht beistehen.
Sie waren 1982 fast noch ein Kind, ein Teenager. Waren Sie eigentlich nervös?
NICOLE: Ich bin mit der Unbefangenheit einer 17-Jährigen da rausgegangen und habe den Song am Schluss spontan in vier Sprachen gesungen – auf Deutsch, Englisch, Französisch und Holländisch. Das würde ich mich heute wahrscheinlich gar nicht mehr trauen.
Heutzutage ist Deutschland in einer Art ESC-Dauerkrise, ständig werden wir letzte. Was kann man da machen?
NICOLE: Ich glaube, ein Fehler ist es, zu speziell in eine bestimmte Richtung zu gehen, zum Beispiel wie dieses Jahr mit Heavy Metal. Du musst die Masse erreichen, Ausstrahlung haben, eine tolle Komposition und einen tollen Text haben und vor allem singen können.
Sagen die Leute oft „Nicole, du musst noch mal ran“?
NICOLE: Ja, das höre ich ganz oft.
Und?
NICOLE: Nee, mache ich nicht. Ich kann mich nicht mehr verbessern, höchstens noch mal eine Nummer eins landen, so wie in diesem Jahr Loreen oder in den Achtzigern mein Freund Johnny Logan. Aber „Ein bisschen Frieden“ war so einzigartig, das könnte ich niemals übertreffen. Selbst wenn ich gewinnen würde, hätte mein Lied niemals diese Tragweite.
Sie waren seinerzeit noch Schülerin, gingen in die 11. Klasse. Haben Sie das Abitur eigentlich noch gemacht?
NICOLE: Ja, das war mein oberstes Gebot. Was ich anfange, das bringe ich auch zu Ende. Ich wollte unbedingt mein Abitur. Einfach war es nicht, ich fehlte sechs Wochen in der Schule, habe mir die Aufgaben per Telex schicken lassen, und am Ende hat es auch nur für ein Dreierabitur gereicht. Aber egal. Ich habe es. Und habe es nie wieder gebraucht.
Ist es auch diese Beharrlichkeit, mit der Sie vierzig Jahre im Schlager- und Popgeschäft durchgehalten haben?
NICOLE: Auch, ich selbst habe meine Seele nie verkauft und bin ohne Skandale und krumme Machenschaften ausgekommen. Ich bin meinen Weg allein durch Qualität gegangen. Ich bin mir immer treu geblieben.
Im Oktober nächsten Jahres werden Sie 60. Löst der Gedanke an den runden Geburtstag etwas in Ihnen aus?
NICOLE: Der Gedanke kommt eigentlich nur in Interviews auf (lacht). Wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich zufrieden mit mir. Ich bin ja sehr früh Mutter und auch sehr früh Großmutter geworden. Der Vorteil ist, dass ich auf dem Trampolin im Garten noch richtig mit den Mädchen mithüpfen kann. Das Älterwerden macht mir überhaupt keine Probleme. Ich bin ja froh, dass ich so alt geworden bin.
Zur Person
Über Nacht wurde Nicole 1982 mit 17 Jahren zum Star: Im schwarzen, gepunkteten Kleid sang und spielte sie mit ihrer weißen Akustikgitarre auf dem Hocker im englischen Harrogate das Lied „Ein bisschen Frieden“ und gewann damit als erste deutsche Vertreterin souverän damit den Grand Prix d'Eurovison de la Chanson. Mit der englischen Version des Songs erreichte sie in Großbritannien als erste Deutsche den ersten Platz der Charts. Die Saarländerin, bürgerlich Nicole Seibert, geht nach überstandener Brustkrebserkrankung ab 1. September zum ersten Mal seit Jahren wieder auf Tournee.