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Interview: Sarah Connor: "Ich habe vier Kinder, ich muss an das Gute glauben"

Interview

Sarah Connor: "Ich habe vier Kinder, ich muss an das Gute glauben"

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    Sarah Connor, hier bei der Solidaritätskundgebung "Sound of Peace" am Brandenburger Tor.
    Sarah Connor, hier bei der Solidaritätskundgebung "Sound of Peace" am Brandenburger Tor. Foto: Christophe Gateau/dpa

    Sarah, sind Sie schon in Weihnachtsstimmung?

    Sarah Connor: Ja, jeden Tag ein bisschen mehr. Ich freue mich wirklich sehr auf Weihnachten. Vor allem für die Kinder ist

    Was mögen Sie am Weihnachtsfest am liebsten?

    Connor: Am meisten freue ich mich darauf, gemeinsam mit den Liebsten ein paar schöne, kuschelige, gemütliche Tage zu verbringen. Zu entschleunigen, es gibt keine anderen Termine mehr, du musst nirgendwo hingehen, alle sind da – herrlich.

    Und in irgendeinem Sessel schläft der Opa in der Unterhose ein, wie Sie im Lied "Not So Silent Night" erzählen.

    Connor(lacht): Der Song beschreibt das komplette Chaos, das in unserer Familie typisch ist für Weihnachten. Plötzlich hast du das Haus voller Leute, der Weihnachtsmann kommt zu spät und hat eine Fahne, der Braten misslingt, der Hund pinkelt an den Baum oder beißt die Lichterketten durch – es gab bei uns schon die diversesten Pannen und lustigsten Momente zu Weihnachten.

    Mieten Sie sich einen Weihnachtsmann?

    Connor: Nein, zu uns kommt natürlich der echte (lacht). Unser jüngster Sohn ist fünf, ich muss aufpassen, was ich sage. Es kam tatsächlich jedes Jahr derselbe Weihnachtsmann zu uns, leider ist er vor anderthalb Jahren verstorben. Man konnte ihn nie erreichen, deshalb musste man ihn an Weihnachten immer direkt fürs nächste Jahr buchen. Im letzten Jahr kam er dann nicht, und wir waren sehr traurig, als wir erfuhren, dass er nicht mehr lebt. In diesem Jahr müssen wir noch gucken, wer seinen Job übernehmen kann.

    Sie haben das Album im Januar und Februar 2022 mit einer Reihe von befreundeten Musikern und Songschreibern, darunter Nico Santos, Kelvin Jones und Nico Rebscher, auf der griechischen Insel Santorini aufgenommen. Wie ist es dort im Winter?

    Connor: Wundervoll. Wir hatten die Insel fast für uns alleine. Ein paar Cafés hatten auf, ein paar Esel liefen rum, und ich war natürlich auch ein paar Mal im Meer. Wir hatten 15 Grad und Sonne, es war wirklich saugemütlich und schön.

    Besonders weihnachtlich hört sich das jedoch nicht an.

    Connor: Stimmt, aber das machte nichts. Ich bin an dieses Album rangegangen wie immer: Ich habe mir überlegt, worüber ich schreiben möchte und mir ein paar sehr talentierte Kollegen eingeladen, um mit ihnen zusammen Musik zu machen, die Spaß macht. 2021 war ein anstrengendes Jahr, und ich hatte keine Energie, um über die Zeit zu schreiben, in der wir gerade leben. Ich wollte etwas machen, das mich ablenkt. So kam die Idee mit dem Weihnachtsalbum auf. Anstatt die tausendste Cover-Version von White Christmas zu machen, beschloss ich, über meine eigenen Geschichten und Eindrücke von Weihnachten zu schreiben. Mit der musikalischen Power meiner Freunde entstand dann in zwei Wochen diese verspielte und energiegeladene Platte.

    Die Welt, die Sie auf "Not So Silent Night" entwerfen, ist zumeist bunt, quirlig und vergnüglich. Mit der klassisch weihnachtlichen Besinnlichkeit haben Sie nicht so viel am Hut, oder?

    Connor: Ich wollte ein Album kreieren, das unterhält und dir beim Hören die Möglichkeit gibt, abzuhauen und auszubrechen. Ich selbst sehne mich gerade nach Leichtigkeit und Spaß, und ich denke, den meisten Menschen geht es ähnlich. Sich einfach mal für eine Stunde unbeschwert zu fühlen, dabei soll die Platte helfen. Weihnachten ist alles erlaubt. Es ist die Zeit, wo der Alltag Pause hat.

    Sie singen in "Christmas 2066", dass Sie eine Optimistin sind, die davon ausgeht, dass sich die Dinge zum Guten entwickeln. Ist das auch im realen Leben so?

    Connor: Ja, ist es. Sonst könnte ich mich doch gleich erschießen. Bis wir sterben, leben wir! Der Überlebensinstinkt ist unser Urinstinkt. Irgendwie haben wir es doch über die Jahrtausende immer wieder geschafft, uns anzupassen und neue Ideen zu entwickeln, um die extremsten Herausforderungen zu meistern. Ich habe vier Kinder, ich muss an das Gute glauben, daran, dass wir es schaffen das Ruder noch herum zu reißen und unseren Kindern eine bewohnbare Erde zu hinterlassen! Ich glaube an die Menschheit. Denn was ist die Alternative?

    Auch 2022 war wieder ein, freundlich ausgedrückt, herausforderndes Jahr. Gelingt es den Umständen, Deine Zuversicht zu dämpfen?

    Connor: Mal so, mal so. Es gibt auch Tage, an denen ich sehr traurig bin und mir große Sorgen mache. Es kommt vor, dass ich denke "Warum soll ich hier denn jetzt den Müll trennen und kein Plastik verwenden? Als kleiner, einzelner Mensch kann ich doch sowieso nichts ausrichten". Auf der anderen Seite gibt es keine Alternative dazu, bei sich selbst anzufangen. Wir haben die Verantwortung und die Pflicht, uns anzustrengen und unsere Verhaltensweisen zu verändern. Auch wenn es unbequem ist, sind wir unseren Kindern schuldig, alles zu versuchen und ein gutes Vorbild zu sein.

    Was kann man denn als einzelner Mensch ausrichten?

    Connor: Natürlich bewusst leben und bewusst konsumieren. Wir können auch immer wieder gucken, was wir in unserem unmittelbaren Umfeld bewirken und wie wir anderen helfen können. Mit einer kleinen Geste, einer guten Tat kann jeder Mensch seinen eigenen Kosmos ein bisschen besser machen. Man kann sich auch dafür einsetzen, dass sich diese Haltung multipliziert und von anderen weitergetragen wird. Wenn jeder so handelt, können wir sehr wohl einiges erreichen.

    Gelingt es Ihnen, gerade in der Weihnachtszeit, den Krieg und andere negativen Realitäten auch mal auszublenden?

    Connor: Phasenweise ja. Ich möchte informiert sein, lese viel, verfolge die Nachrichten. Aber nicht immer. Ich brauche auch Pausen für meinen Kopf, Zauber und Fantasie. Ich habe dieses neue Album deshalb gemacht, weil ich keine Lust hatte, über diese Zeit nachzudenken, in der wir leben und mir die Kraft fehlte, das alles zu analysieren und in Form von Songtexten zu verarbeiten. Dazu sind mir die Fragen gerade zu komplex.

    Ist bei allen Routinen und Ritualen Weihnachten 2022 ein anderes Fest für Sie und Ihre Familie als die anderen?

    Connor: Wir haben uns vorgenommen, dieses Jahr Geschenke-technisch ein bisschen zu reduzieren. Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass es nicht selbstverständlich ist, dutzende von Paketen aufzureißen. Auch, weil wir an Weihnachten Gäste haben, die in diesem Jahr fast alles verloren haben.

    Wer wird denn bei Ihnen sein?

    Connor: In diesem Jahr ist eine ukrainische Familie dabei, die seit März bei uns wohnt – eine Mama mit ihren zwei Jungs, neun und fünf Jahre alt. Der Blick auf Weihnachten ist ein anderer, wenn du Menschen bei dir hast, die froh sind, einen Ort zum Schlafen zu haben, an dem sie sicher sind. Man bekommt eine andere Wertschätzung für Heimat und Zusammensein.

    Sie hatten vor einigen Jahren schon eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien bei euch aufgenommen. Ist die Situation diesmal noch eine andere?

    Connor: Ja, die syrische Familie, die zu uns kam, war von Jahren des Krieges gezeichnet und traumatisiert. Die Familie aus der Ukraine kam, wie so viele andere, nach einer oder weniger Wochen Krieg. Sie mussten ihren Mann und Vater zu Hause im Krieg lassen, die Kinder haben auch erst mal nicht verstanden, warum sie jetzt hier sind. Sie wollten nach Hause. Und auch jetzt hoffen sie jede Woche, dass sie wieder zurückkönnen. Bis dahin wollen wir es den dreien so schön wie möglich bei uns machen. Die Kinder haben sich schon gut mit unseren angefreundet, hier im Haus ist gerade ab morgens um 7 Uhr noch viel mehr Action als sonst schon.

    Haben Sie mit Ihrem Mann spontan entschieden, den Geflüchteten zu helfen?

    Connor: Solche Aktionen sind immer meine Idee. Meinem Mann bleibt nichts anderes übrig, als mitzuziehen (lacht). Ich bin damals im März mit meinen großen beiden Kindern zum Berliner Hauptbahnhof gefahren. Wir haben uns diese gelben Warnwesten übergezogen und geholfen, haben den Geflüchteten gezeigt, wo sie hinmüssen, welche Übernachtungsmöglichkeiten es gibt, haben Essen und Trinken verteilt. Und dann begegnete uns die Mama, die jetzt bei uns wohnt. Sie war Filialleiterin in einer Bank, mit ihren beiden so müden Jungs. Ich fragte sie, ob sie wüsste, wo sie schlafen wird. Das wusste sie nicht, sie sagte, sie wolle in die Schweiz. Ich bot ihr dann an, erst mal bei uns zu übernachten. Das hat sie gemacht und ist geblieben. Meinen Mann habe ich auf der Rückfahrt vom Bahnhof angerufen und ihm gesagt: "Du, ich bringe jemanden mit."

    Wie hat er reagiert?

    Connor: Cool. Er sagte: "Das habe ich mir schon gedacht" (lacht). Um den Bogen zu der Frage nach den Nachrichten zu schließen – ich kann sie gar nicht ausschalten, denn der Krieg in der Ukraine ist tagtäglich sehr präsent und nachfühlbar in unserem Wohnzimmer. Lange Zeit konnten wir uns ablenken und entziehen, aber durch die Überflut an Informationen kommt man an den Krisen der Welt nicht mehr vorbei. Wir haben keine andere Wahl, als uns daran zu gewöhnen und die nötige Resilienz zu entwickeln, damit umzugehen.

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