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Interview: Sängerin Michelle: „Die heile Welt war noch nie so mein Ding“

Interview

Sängerin Michelle: „Die heile Welt war noch nie so mein Ding“

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    1993 veröffentlichte Michelle ihre erste Single, mit ihrem Album „Flutlicht“ verabschiedet sie sich jetzt.
    1993 veröffentlichte Michelle ihre erste Single, mit ihrem Album „Flutlicht“ verabschiedet sie sich jetzt. Foto: Christoph Reichwein/dpa

    Michelle, viele Ihrer neuen Texte sind für Schlagerverhältnisse sehr ehrlich, zuweilen regelrecht schonungslos.
    MICHELLE: Der schöne Schein und die heile Welt, das war noch nie so mein Ding. Wir haben alle keine blütenweiße Weste, jeder Mensch hat seine Geschichte, und ich finde es einfach wichtig, dass ich den Menschen vom Leben erzähle. 

    Tut es Ihnen gut, mit Ihren Liedern auch dorthin zu gehen, wo es wehtut?
    MICHELLE : Ich glaube, dass jeder Mensch seine Geschichte und jedes Leben Höhen und Tiefen hat. Songs wie „Gespräch mit Gott“, wo ich über einen Suizidversuch spreche, oder „Der Junge mit den weißen Haaren“, der mir aus meiner früheren Pflegefamilie besonders in Erinnerung geblieben ist, liegen mir einfach sehr am Herzen. Warum soll ich die dann nicht teilen?

    Sind Sie auch Therapeutin für Ihre Fans?
    MICHELLE: Ich möchte die Herzen erreichen, und wenn man auf ein Konzert von mir geht, dann sieht man auch manchmal weinende Menschen. Weil sie sich einfach öffnen und beim Zuhören etwas nachempfinden, was sie selbst erlebt haben. Ein Konzert ist ein Energieaustausch. Ich finde es sehr wichtig, den Menschen mitzugeben, dass es immer im Leben weitergeht. Egal, was auch passiert. 

    Haben sich Ihre Songs in dreißig Karrierejahren stark gewandelt?
    MICHELLE: Natürlich. Dreißig Jahre sind eine wirklich lange Zeit. Ich bin gewachsen und habe mich weiterentwickelt. Ich kann mich heute nicht mehr hinstellen wie 1993 und singen „Erste Sehnsucht, Tränen auf rosa Briefpapier“: Das würde mir heute keiner abnehmen. Mir ging es immer darum, dass meine Musik mit mir reift. 

    Sie sagen gleich zu Anfang im ersten Lied „Flutlicht“: „Auch wenn ich geblendet bin, ich bleibe eine Kämpferin“.
    MICHELLE: Ja, ich glaube, wir sind alle als Kämpferinnen und Kämpfer auf die Welt gekommen. Kämpfen heißt nicht Krieg führen, Kämpfen heißt, für etwas einzustehen. Dass man sich jeden Morgen im Spiegel angucken und sagen kann: „Das bin ich, und ich habe alles richtig und so gut gemacht, wie ich es konnte.“ Wenn man hinfällt, was jeder und jedem immer wieder im Leben passiert, kann man sich sehr gerne die Wunden lecken. Aber dann steht man wieder auf und geht weiter. Ich bin überzeugt, dass man aus jeder Niederlage und jeder Enttäuschung etwas Wichtiges fürs Leben lernt.

     Sie hat es einige Male im Leben hingehauen. Lernt man besser, damit umzugehen?
    MICHELLE: Man gewöhnt sich ein Stück weit daran, dass das Leben immer Höhen und Tiefen haben wird. Ich sage immer, das Leben ist wie ein Ball. Wenn du ihn auf einer gerade Strecke schießt, hört er irgendwann auf zu rollen. Schießt du ihn aber einen Berg hoch, dann nimmt er bergab ordentlich Schwung und rollt viel weiter. Auch in meinem Leben wird es irgendwann wieder Tiefen geben, man muss nur lernen, damit umzugehen. Und das gelingt in der Tat besser, wenn man Ähnliches schon mal erlebt hat.

    Stichwort Ball. Verfolgen Sie die Fußball-EM?
    MICHELLE: Wenn ich Eric nicht hätte, würde ich nicht gucken. Aber er fiebert da voll mit, und deshalb gucken wir Fußball gemeinsam.

    Machen Sie auch aktiv mit Ihrem Partner Eric Philippi Sport?
    MICHELLE: Jetzt im Urlaub geben wir sehr auf uns Acht, lassen den Körper auch mal ruhen, gehen viel schwimmen, ernähren uns wirklich sehr gesund und verzichten auf Alkohol. Damit wir viel Energie und Stärke sammeln können, um anschließend gut weitermachen zu können. 

    In „So oder so“ sagen Sie: „All das, was ich nicht bin, das lieb ich an dir/ sonst würden wir nicht funktionieren“. Fast ein etwas ungewöhnliches Liebesbekenntnis, oder?
    MICHELLE: Mag sein, aber Gegensätze ziehen sich an, und es ist wichtig in einer Beziehung, dass man den anderen nicht verändern will. Sondern, dass man einander ergänzt. Dass man sich auch Freiheiten gibt und jeden so sein lässt, wie er ist. Ich bin immer wieder verwundert, wenn ich von jemandem höre: „Ich liebe meinen Partner über alles, aber das und das kriege ich noch weg an ihm“. Wichtig ist mir, dass man einen Partner so nehmen und lieben kann, wie er ist, mit allen Stärken und Schwächen. 

    Sie sagen im Lied auch: „Wir sind so schön kompliziert“. Was macht sie beide kompliziert?
    MICHELLE: Och, wir sind beide auf eigene Weise ziemlich verrückt. Das muss man auch so hinnehmen. Ich selbst bin kein einfacher Mensch, ich bin ein sehr extrovertierter Mensch, ein sehr lebendiger Mensch. Es ist wichtig, dass man sich ergänzt und der Partner so ein bisschen das Gegenteil von einem selbst ist.

    Also ist Eric eher der Ruhepol?
    MICHELLE: Eric ist schon eher der Ruhigere. Wenn ich nicht wüsste, dass es andersrum ist, würde ich sagen, er ist der Ältere (lacht).

    Geben Sie sich Mühe, das Kind in Ihnen zu bewahren?
    MICHELLE: Da muss ich mir keine Mühe geben, das ist sowieso da. Meine Kinder sagen immer „Mama, du bist so peinlich“ (lacht). Ich hüpfe in der Gegend rum, ich summe in der Gegend rum, ich denke darüber gar nicht nach. Ich bin sehr offen, habe mich nie einschränken lassen. Es war natürlich oft nicht einfach, dass mich andere Menschen so genommen haben wie ich bin. Auch mit meiner ganzen Lebensgeschichte, die natürlich prägt und natürlich mitreinläuft in mein Leben. Umso schöner ist es, dass ich jemanden gefunden habe, der mich so lieben kann, wie ich bin – mit allen meinen Facetten.

    Sie singen mit Eric das Liebesduett „Falsch dich zu lieben“. Das Lied ist zugleich ein Statement für Liebe und Toleranz. Was hat es damit auf sich?
    MICHELLE: Ich glaube, dass es in der heutigen Zeit leider immer noch notwendig ist. Ich sage immer: Die Würde des Menschen ist unantastbar – außer im Netz. Was ich da an Gegenwind erfahre, ist zum Teil erschütternd. Ich würde es nicht einmal mehr Mobbing nennen. Da muss ich Dinge lesen, die unfassbar sind. Gedanken, die ich in meinem Lebtag niemals haben würde, absolut beleidigende und erniedrigende Dinge unter der Gürtellinie. Das ist einerseits sehr traurig. Andererseits macht es Eric und mich nur noch stärker. Weil wir zu uns stehen. 

    Sind Sie selbst gerade glücklich im Leben, sei es beruflich, privat oder gesundheitlich? 
    MICHELLE: Ja, ich bin endlich angekommen. Ich bin aus dem Laufrad rausgesprungen, in dem ich die meiste Zeit meines Lebens gerannt bin. Ich war immer ein Baum ohne Wurzeln, der dann auch sämtlichen Stürmen nicht standhalten konnte. Jetzt habe ich endlich begonnen, mich wirklich tief zu erden und endlich echte Wurzeln zu schlagen. Das tut mir natürlich sehr gut.

    Dass Sie ausgerechnet an diesem Punkt sagen, es ist genug, kommt vermutlich für einige Leute überraschend.
    MICHELLE: Das mag sein. Aber ich glaube einfach, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Denn ich weiß, was ich will, und was ich vor allen Dingen nicht mehr will.

    Was wollen Sie konkret nicht mehr?
    MICHELLE: Ich bin sehr, sehr müde, was diese Reiserei angeht. Ich liebe es, zu singen, aber dieses Wegsein von zu Hause, gerade weil ich zum ersten Mal im Leben Wurzeln schlage, das will ich nicht mehr. Es ist so ein schönes Gefühl, so fest am Boden zu stehen, dass mich nichts mehr umhaut. Ich habe mein Leben lang nach diesem Gefühl von Zuhause, von Heimat, von Geborgenheit geträumt. Aber es kam nie. 

    Sie schlagen Ihre Wurzeln im Saarland, oder?
    MICHELLE: Ja, richtig. Vorher kannte ich das Saarland etwa so gut wie ich mich im Fußball auskenne (lacht). Aber ich glaube, nicht der Ort ist wichtig, sondern, dass du einen Platz hast, an dem du nach Hause kommen kannst. 

    Sie sagen im Song „Männer“ den harten Satz „Männer sind Feinde“. Aber das Lied ist zugleich auch selbstironisch. Ist Ihr Verhältnis zu Männern kompliziert?
    MICHELLE: Ich habe sehr viel Erfahrung, auch schon als Kind, mit Männern gehabt, die in meinem Leben anwesend waren, mir aber nie eine Sicherheit geben konnten. Ich glaube, dass ich sehr viele Jahre, fast zu allen Zeiten meines Lebens, ein sehr, sehr schwieriges Männerbild hatte. Und trotzdem war das Wesen „Mann“ als solches in meinem Leben immer wichtig. 

    So ganz trauen Sie Männern also nicht über den Weg?
    MICHELLE: Ich habe gelernt, dass man Männer so nehmen muss, wie sie sind. Sie ändern sich nicht. Und eigentlich ist es mit Frauen und Männern wie mit Hunden und Katzen. Es gibt wenige Ebenen, wo sie wirklich zueinander passen. Und wenn man aber den Mann fürs Leben trifft, so wie es mir jetzt Gottseidank widerfahren ist, dann kann es eben auch anders sein. Ich glaube, dass Eric der erste Mann in meinem Leben ist, der mir zeigt, dass dieses Männerbild ein völlig falsches war. 

    Was für ein Männerbild hatten Sie denn?
    MICHELLE: Ich war immer der Meinung, dass jeder Mann fremdgeht. Das fing in meiner Kindheit schon an. Ich bin mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass der Vater fremdgeht. Dass Gewalt herrscht.

    Haben Sie Gewalt in einer Partnerschaft erlebt?
    MICHELLE: Nein. Ich wurde nie von einem Partner tätlich angegriffen. Das hätte ich niemals geduldet. Denn ich wusste, wie es meiner Mutter dabei ergangen ist. Ich bin mit der Überzeugung großgeworden, dass es die ehrliche Liebe zwischen Mann und Frau nicht geben kann. Mein Männerbild war einfach ein sehr gestörtes und auch sicherlich verzerrtes Bild. Ich hätte nicht gedacht, dass es nochmal jemand schafft, das zu ändern. Aber der richtigen Person in meinem Leben ist das gelungen.

    Zur Person: Schlagersängerin Michelle ist mit Hits wie „Und heut’ Nacht will ich tanzen“ oder „So oder so“ berühmt geworden. Bürgerlich heißt sie Tanja Gisela Hewer, ist in Villingen-Schwenningen aufgewachsen und hatte trotz schwieriger Kindheit große Träume. Schon als Teenagerin stand sie auf der Bühne, wurde entdeckt und stürmte 1993 die Charts. Es folgten dutzende Auftritte, unter anderem in der ZDF-Hitparade. 1997 vertrat sie Deutschland beim Eurovision Song Contest an und schaffte es mit „Wer Liebe lebt“ auf Platz 8. Mit inzwischen 17 Studioalben hat sie künstlerisch viel erreicht, doch gesundheitlich wurde sie immer wieder gebeutelt -Depressionen, Suizidversuch, Schlaganfall. Jetzt verabschiedet sich die dreifache Mutter mit ihrem Album „Flutlicht“.

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