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Interview: Robert Stadlober über Tucholsky, seine Jugend in der Antifa und den Rechtsruck in Deutschland

Interview

Robert Stadlober: „Ich bin ein humanistischer Antifaschist“

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    Schauspieler Robert Stadlober ist auch als Musiker aktiv. Auf seinem neuen Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ hat er Gedichte von Kurt Tucholsky vertont.
    Schauspieler Robert Stadlober ist auch als Musiker aktiv. Auf seinem neuen Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ hat er Gedichte von Kurt Tucholsky vertont. Foto: Lars Dreiucker

    STEFFEN RÜTH: Herr Stadlober, wann haben Sie angefangen, sich für das Werk von Kurt Tucholsky zu begeistern?
    ROBERT STADLOBER: Ziemlich früh, so in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Ich bin in Berlin auf die Waldorfschule gegangen, dort ist man jemandem wie Tucholsky generell näher als auf anderen Schulen. In der Schule kam ich auch in Kontakt zu lokalen Antifa-Gruppen in Kreuzberg, da gehörte Tucholsky ebenfalls zum Kanon. Auch durch erste Kontakte zum Theater schwirrte er immer in meinem Hinterkopf rum.

    Wo standen Sie als Teenager politisch?
    STADLOBER: Zu der Zeit war Antifa noch nicht das Schimpfwort, zu dem es heute seltsamerweise geworden ist. Einige meiner Verwandten waren in der Antifa, haben in den Dreißiger- und Vierzigerjahren für die KPD gearbeitet. Auch die SPD war damals Antifa. Sich dort zu engagieren, gehörte zu meiner politischen Bildung dazu und war in meinen Kreisen vollkommen normal. Im Kreuzberg der Nachwendezeit war die Antifa einfach wichtig. Wenn progressive Projekte aufgebaut wurden, kamen Menschen mit kurzen Haaren und wollten das verhindern. Dagegen hat sich die Antifa aktiv gewehrt.

    Wie weit sind Sie gegangen?
    STADLOBER: Ich war kein Kämpfer, dafür hat meine körperliche Konstitution schon damals nicht ausgereicht. Ich war eher beim Widerstand, bei Demos und Sitzblockaden dabei. Und ich liebte es, auf Punk-Konzerte zu gehen und Bier zu trinken, da kam ich natürlich auch mit alternativen Sichtweisen auf die Welt in Kontakt.

    Heute auch noch?
    STADLOBER: Biertrinken und Punk hören mache ich immer noch gerne, aber nicht so oft wie früher. Der Ernst des Lebens ist dazwischengekommen. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Grundschulalter.

    Hat sich auch Ihre politische Haltung gewandelt?
    STADLOBER: Der Wunsch nach einer solidarischeren Welt, nach einer Welt, in der alle nach ihren Möglichkeiten und Träumen versuchen können zu leben, der ist bei mir unverändert. Dieser Wunsch wird oft als links gelesen. Dabei ist das eigentlich Humanismus. Ich bin ein humanistischer Antifaschist. (lacht)

    Welche politischen Werte vermitteln Sie Ihren Kindern?
    STADLOBER: Dass sie lernen, gemeinsam in einer Gruppe zurechtzukommen. Dass sie ihre eigenen Ansichten vermitteln, aber auch den Meinungen anderer zuhören. Und immer, wenn jemand geschlagen wird: dazwischengehen.

    Oft hochpolitisch sind auch die Texte Kurt Tucholskys, die vor rund hundert Jahren, während der Zeit der Weimarer Republik. Was gab bei Ihnen den Ausschlag für dieses Album?
    STADLOBER: Das war eher der Zufall. Ein Kunstfestival in Stuttgart trat mit der Bitte an mich heran, einen Abend mit Tucholsky zu gestalten. Ich war erst nur so mittel begeistert, nahm aber meine Tucholsky-Gesamtausgabe zur Hand und war selbst überrascht, dass in ziemlich kurzer Zeit sechzehn Lieder entstanden. Ich habe mir für Tucholsky sogar eine neue Gitarre gekauft, eine Airline Folkstar, das ist ein Nachbau einer klassischen Dobro-Gitarre aus den Sechzigern, sie klingt sehr warm und folkig und hat einen leichten Country-Einschlag.

    „Dann gab es Krieg und hohe Butterpreise“, heißt es im Lied „Die blonde Frau singt“. Erschreckend aktuell.
    STADLOBER: Das kann man eins zu eins auf unsere heutige Situation übertragen. Im vergangenen Sommer und Herbst sind viele meiner pazifistischen Gewissheiten auseinandergebrochen. Bei Tucholsky habe ich Bestärkung, Trost und eine Form und Halt und Sicherheit gefunden.

    Wie das?
    STADLOBER: Die Zersplitterung der Welt da draußen wurde mir durch hundert Jahre alte Texte neu erklärt. Das Erschreckende und auch Bestärkende dabei ist, dass sich gar nicht so viel verändert hat. Die Verwerfungen der Wirklichkeit sind für jede Generation scheinbar ähnliche. Wenn man also möchte, dass es eine bunte, diverse und demokratische Gesellschaft gibt, dann muss man sich diese jeden Tag neu erkämpfen.

    Was können wir von Kurt Tucholsky lernen?
    STADLOBER: Was ihn momentan für mich so wichtigmacht, war sein Pochen auf den Individualismus, bei gleichzeitigem Beharren auf einer solidarischen Gesellschaft. Er hat Unterschiede anerkannt und sich mit nichts gemein gemacht. Er war so ziemlich in jeder Partei links der Mitte, ist aber überall schnell wieder raus, weil ihm die Heilsversprechen der Politik suspekt waren. Und obwohl er ein Dandy und ein Bonvivant war, sind ihm die Bedürfnisse und Interessen der unteren Klassen nicht egal gewesen. Es war ihm ein Anliegen, dass alle ein gutes Leben führen, nicht nur die Reichen und Privilegierten. Und er war tolerant.

    Fehlt es Ihnen heutzutage an Toleranz?
    STADLOBER: Tatsächlich dreht sich heute ja gerade in progressiven Kreisen sehr viel um die eigenen Befindlichkeiten, um so ein „Du hältst die Schnauze, weil nur ich weiß, was richtig ist.“ So dachte Tucholsky explizit nicht. Er ließ jeden sein, wie er möchte. So eine Einstellung fände ich auch in heutigen Zeiten oft sehr hilfreich.

    Weil alle nur noch in ihrem eigenen Saft schmoren?
    STADLOBER: Ja. Jeder denkt nur noch, sein eigenes Weltbild sei das einzig Wahre und Richtige. Die Leute setzen sich nicht mehr auseinander, sie diskutieren nicht mehr. Dass daran nur die sozialen Medien schuld sein sollen, ist mir als Erklärung zu einfach. Auch zu Tucholskys Zeiten hieß es schon, dass die Leute zu viel Zeitung lesen würden. Ich glaube, viel hat damit zu tun, dass die Welt einem permanent erzählt, man müsse schauen, dass man selbst als Erster aus der Sache rauskommt und die Ellbogen so weit ausfährt wie möglich. Das spiegelt sich auch in der Politik wider. Dort erleben wir ein Erfolgs- und Profitstreben, eine völlige Entsolidarisierung, einen Selbstoptimierungswahn. Wenn das so weitergeht, wird irgendwann niemand mehr gucken, wie es dem geht, der humpelt. Denn du selbst kannst ja superschnell rennen.

    Selbstoptimierung und Konkurrenzdenken gibt es auch unter Künstlerinnen und Künstlern. Was tun Sie, um nicht im Hamsterrad zu rennen?
    STADLOBER: Mich schützt meine eigene Faulheit. Sicher denke auch ich manchmal „Schneid‘ dir die Haare, und es wäre gut, wenn du zwei Kilo weniger hättest“. Aber ich fühle mich gut gewappnet gegen den Selbstoptimierungswahnsinn. Ich versuche auch immer, jungen Kolleginnen und Kollegen zu erklären, dass es nichts bringt, sich so unter Druck zu setzen. Du möchtest drei Monate nach Südamerika fahren? Dann mach das! Und fangt bitte nicht an, morgens um 6 Uhr zu joggen, weil es andere sagen. Schlaft aus und trinkt einen Kaffee. Oder guckt nach dem Aufwachen erst mal nur an die Decke, ohne an irgendwas zu denken.

    In Joachim Langs Film „Führer und Verführer“ sind Sie in der Rolle des Joseph Goebbels zu sehen. Was war das für eine Erfahrung, den Reichspropagandaminister und einen der engsten Vertrauten Adolf Hitlers zu spielen?
    STADLOBER: Ich war an der menschlichen Seite des Joseph Goebbels nicht sehr stark interessiert. Mir ging es darum, die Zusammenhänge darzustellen. Fast alles, was wir über Goebbels wissen, stammt aus dem Material, das er selbst freigegeben und abgesegnet hat. Die Idee hinter dem Film war, die Momente zu zeigen, von denen er nicht wollte, dass sie öffentlich werden. Da es kein Material gibt, kann man das nur fiktiv. So haben wir uns ihm über Äußerlichkeiten, Sprache, bestimmte Situationen angenähert.

    Haben Sie verstanden, warum seine Demagogie so gut funktionierte?
    STADLOBER: Das ist ja leider ein kluger Mensch gewesen. Er war ein Meister in dem, was er tat. Er war der Erste, der Unterhaltung benutzte, um politische Inhalte zu vermitteln. Er war es auch, der die unterbewusste Beeinflussung der Menschen etabliert hat, die bis heute in der Politik zur Anwendung kommt, aber teils natürlich auch in Werbestrategien für Produkte genutzt wird. Ein Donald Trump dürfte sich viel bei ihm abgeschaut haben. Es ist grauenhaft faszinierend, zu welchen schrecklichen Dingen ein relativ kluger Mensch fähig ist.

    Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die aktuelle politische Landschaft, speziell das Streben der Rechtsextremen an die Macht?
    STADLOBER: Es ist hoffnungslos, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. In meiner Jugend wurde uns vorgeworfen, dass wir so unpolitisch seien. Heute sind bei der Klimaschutzbewegung und anderswo tolle Menschen dabei. Manche haben einen leichten Dachschaden, aber ich finde es faszinierend, wie schnell sich die jungen Leute heute vernetzen und wie beharrlich sie sind.

    Neulich waren wir in Deutschland sehr geschockt, dass jetzt sogar die Rich Kids Naziparolen grölen.
    STADLOBER: Das haben sie doch schon immer getan. Rechtsradikales Gedankengut und Antisemitismus waren immer schon ein systemimmanentes Problem in Deutschland, ja in ganz Europa. Nur haben sich die Leute sonst im kleinen Kreis, hinter verschlossenen Türen so aufgeführt. Neu ist, dass sie sich dabei filmen lassen. Aber gerade jungen Menschen könnte man eine Welt zeigen und ihnen sagen „Lasst uns zusammen versuchen, diese Welt zu erschaffen“. Nur fehlt in der Politik fürs Andersdenken die Fantasie, das war schon zu Tucholskys Zeiten so. Ich bin weit davon entfernt, ein Parteigänger der Grünen zu sein, aber man fühlt sich irgendwie mitgenommen, wenn jemand wie Robert Habeck versucht, komplexe Zusammenhänge zu erklären. Der belächelt und belehrt die Leute nicht, und er beschimpft sie vor allem nicht als Idioten.

    Sie haben früher in Berlin gelebt. Seit wann sind Sie wieder in Wien?
    STADLOBER: Ich hatte immer einen Koffer in Wien. Jetzt lebe ich mit meiner Familie seit ungefähr fünf Jahren fest dort.

    Lassen sich Wien und Berlin vergleichen?
    STADLOBER: So gegensätzlich sind die beiden Städte gar nicht. Beide lagen lange am Eisernen Vorhang, waren so eine Art Ende der Welt. Wien hat sich nur noch nicht ganz so an die Investoren verkauft wie Berlin. Dort hat sich einiges in eine seltsame Richtung entwickelt. Momentan ist Wien für mich interessanter, ich mag das etwas langsamere Tempo. Wo der Berliner die Vorspultaste nimmt, drückt der Wiener gern auf Pause.

    Zur Person:

    Seit dem Coming-of-Age-Film „Crazy“ zählt Robert Stadlober zu den bekanntesten Schauspielern im deutschsprachigen Raum. Der 42-Jährige, in der Steiermark geboren und in Berlin aufgewachsen, war schon als Kind im Fernsehen zu sehen. Mit 16 Jahren brach er die Schule ab, erhielt seine erste größere Rolle im Erfolgsfilm „Sonnenallee“, ein Jahr später gelang ihm mit „Crazy“ der Durchbruch. Neben der Schauspielerei ist Stadlober als Musiker aktiv, er spielt Gitarre und betreibt ein eigenes Label. Vor der Kamera stand er zuletzt als Joseph Goebbels in „Führer und Verführer“. Am Freitag, 30. August, erscheint sein neues Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“, für das er Gedichte von Kurt Tucholsky vertont hat.

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