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Interview: Opernsänger René Kollo: "Das Lametta wurde auf jeder Flucht mitgenommen"

Interview

Opernsänger René Kollo: "Das Lametta wurde auf jeder Flucht mitgenommen"

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    Sänger René Kollo ist mit Partien in Wagner-Opern bekannt geworden.
    Sänger René Kollo ist mit Partien in Wagner-Opern bekannt geworden. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Dass Sie mit 86 noch als Sänger auftreten, ist eine erstaunliche Leistung. Was haben Sie gemacht, um Ihre Stimme fit zu halten?
    RENÉ KOLLO: Eigentlich nichts Besonderes. Ich habe 60 Jahre die großen Rollen gesungen, Tristan, Siegfried oder Othello, aber trotz aller Belastungen ist meine Stimme völlig in Ordnung.

    Könnten Sie noch eine Rolle wie Tristan singen?
    KOLLO: Das mache ich nicht mehr. Meine Stimme würde es noch schaffen, aber meine Beine nicht. Ich kann nicht mehr fünf Stunden auf der Bühne stehen.

    Sie könnten theoretisch auch sitzen. In modernen Inszenierungen ist ja vieles möglich.
    KOLLO: Das wäre Quatsch. Tristan und Siegfried können Sie nicht im Sitzen darbieten. Denn es geht ja nicht nur um gesangliche Aspekte, sondern auch um das Darstellerische. Wagner ist so, als würden Sie Shakespeare spielen und gleichzeitig singen. Nein, damit ist es vorbei. 

    Nun kommt ein Fest auf uns zu, mit dem auch viel Gesang verbunden ist. Haben Sie privat viele Weihnachtslieder gesungen?
    KOLLO: Im privaten Kreis weniger. Ich habe vier Kinder und die haben gerne mal ein Weihnachtslied dargeboten. Ich habe beruflich so viel gesungen, dass ich ganz froh war, auch mal Ruhe zu haben. 

    Gibt es Weihnachtslieder, die Ihnen viel bedeuten?
    KOLLO: Das ist sicherlich „Stille Nacht“, das sich ja seit gut 200 Jahren auf der ganzen Welt als das Weihnachtslied überhaupt erhalten hat. Es ist von einer solchen Sauberkeit und Reinheit. Text und Melodie sind wunderschön, aber keiner der Komponisten hatte eine Ahnung, dass es über den Kreis von Oberndorf bei Salzburg, wo es entstanden ist, bekannt werden und um die Welt gehen würde. Es macht Spaß, das zu hören und es zu singen.

    Inzwischen gibt es ja unzählige moderne Pop-Weihnachtslieder, ob von Mariah Carey oder Wham. Was halten Sie von denen?
    KOLLO: Das sind nicht Weihnachtslieder, sondern Weihnachtsschlager. Songs wie „White Christmas“ stammen aus Filmen, und das können Sie nicht mit einem „Stille Nacht“ vergleichen. Aber ich höre solche Songs gerne, denn sie sind gut geschrieben.

    Welche dieser Songs oder Interpreten mögen Sie?
    KOLLO: Ich bin ein großer Sinatra-Fan. Das war für mich ein Genie. Ich liebe die ganzen Lieder aus den 20ern bis 50er-Jahren, die aus den USA kamen. Das waren Supertexte mit tollen Melodien, die auch gut gesungen wurden. Für mich hat diese Art von Musik immer dazu gehört. Ich komme ja aus einer Familie, wo man seit drei Generationen Musik gemacht hat. Und ich hatte stets Freude, die sogenannten leichten Sachen zu singen, die im Endeffekt nicht einmal so leicht zu singen sind. Und wenn Sie fünf Stunden Tristan gesungen haben, sind Sie so fertig, dass Sie auch mal was anderes haben wollen. Sie wollen nicht da einfach weiter machen, das nutzt sich auch ab. Deshalb habe ich auch große Pausen zwischen den einzelnen Opernpartien gemacht. 

    Weihnachten entfaltet seinen Zauber speziell für Kinder. Wie haben Sie das Fest früher erlebt?
    KOLLO: Ich bin ja Jahrgang 1937 und daher im Krieg groß geworden, aber jedes Jahr hat mein Vater den Weihnachtsbaum hinter verschlossener Tür geschmückt. Drei Tage hat er Lametta aufgehängt und die Kerzen befestigt, und wenn dann die Türen aufgemacht wurden, standen wir wie vor einem Wunder. Der Eindruck war noch viel stärker als heute, denn heutzutage sehen Sie ja solche Bilder überall. Nach dem Fest hat mein Vater das Lametta dann bis zum nächsten Mal wieder in den Kasten gelegt. Wir sind drei-, viermal geflohen, aber das Lametta wurde auf jeder Flucht mitgenommen. Das hatte eine sehr schöne Bedeutung.

    Als Kind, das eine geschützte Welt braucht, hat Sie die Flucht bestimmt sehr mitgenommen.
    KOLLO: Wir hatten zwar keine Sicherheit, aber ein Kind hat eine ganz eigene Art, um so etwas zu verarbeiten. Es braucht ein bisschen Wärme und Gekuschel, aber letztlich habe ich die Kriegsgeschichte auch wie eine Art Abenteuer erlebt. Das heißt, als Kind habe ich das leichter genommen als die Erwachsenen.

    Was war das intensivste Erlebnis jener Jahre?
    KOLLO: An meine eigenen Erlebnisse kann ich mich kaum erinnern – nur an das, was mir Vater und Mutter erzählt haben. Ich weiß nur noch, wie voll die Züge waren, als wir das letzte Mal nach Berlin geflüchtet sind. Da hingen die Leute draußen auf den Trittbrettern und standen auf dem Dach. Sie können sich vorstellen, wie es dann innendrin aussah. Aber mein Vater hatte seine Durchsetzungsfähigkeit, und so haben wir immer irgendwo ein Loch gefunden, wo wir uns hinsetzen konnten. Lebhafter sind dann die Erinnerungen an die Nachkriegsjahre. Ich habe das Kriegsende im schleswig-holsteinischen Grande erlebt, wo meine Mutter eine Verwandte hatte und wir in einen Bauernhof kamen. Da kamen die Engländer mit den Panzern, und hinten drauf saß einer, der Schokolade und Bonbons an die Kinder verteilte, die hinterherrannten.

    Welche Bedeutung hat und hatte Musik für Ihr Leben?
    KOLLO: Nietzsche hat gesagt. „Leben ohne Musik ist ein Irrtum.“ Genau das ist es. Für mich gibt es nur die Musik. Wir wissen nicht, woher diese Wirkung kommt. Aber das müssen wir nicht. In der heutigen Gesellschaft ist alles auf Technik und Wissenschaft fokussiert, aber keiner weiß, was Wissen eigentlich bedeutet. Nehmen Sie die Bilder von Caspar David Friedrich wie „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, das ich ganz besonders liebe. Die stecken voller Mystik, denn man sieht hier Welten, die man nicht ergründen kann. Das ganze Universum ist so groß, dass es unsere Denkkraft sprengt. Man versucht etwas zu beweisen, aber das Meiste lässt sich nicht beweisen. 

    Wird sich der wissenschafts- und technikgläubige Zeitgeist noch einmal ändern?
    KOLLO: Diese Welle geht immer hin und her. Aber wenn sie sich wieder ändert, bin ich nicht mehr da und kann es nicht überprüfen. Das müssen die Leute machen, die dann leben. Es mag schon sein, dass die Leute von Wissenschaft und angeblichem Wissen die Nase voll haben und mal wieder in die Wüste gehen, das heißt, sich dem Unerklärlichen stellen.

    Sie könnten ja dieses Mystische auch an Weihnachten zelebrieren. Wie sieht ein Fest bei Ihnen aus?
    KOLLO: Zunächst finde ich, dass man so ein Fest nicht zerreden, sondern einfach genießen sollte. Ich feiere gerne mit meinen Kindern. Dieses Jahr werden wir, wie in den Jahren zuvor, mit sechs, sieben Leuten auf Mallorca feiern, wo ich einen schönen Wohnsitz mit Gästehaus habe. Wir hören auch Musik. Ich lege dann zum Beispiel die Karajan-Aufnahme von Humperdincks Vorspiel zu „Hänsel und Gretel“ auf. Das gehört für mich zu Weihnachten dazu.

    Spielen Sie auch Ihre eigenen Aufnahmen?
    KOLLO: Nein, das mache ich nicht.

    Gibt es ein Gesangsstück, das Ihnen besonders viel bedeutet und Ihr Lebensgefühl ausdrückt?
    KOLLO: Nein, denn dafür gibt es viel zu viele. Ich könnte da nichts herausgreifen. Es gibt auf jeden Fall etwas, was mich heute genauso berührt wie vor 30, 40 Jahren, und das ist Richard Wagner. Das hat auch mit den mystischen Aspekten seiner Musik zu tun. Alles, was er geschrieben hat, ist nicht realistisch. Das hat mich immer interessiert, abgesehen natürlich vom Musikalischen. Was dieser Mann geschrieben hat, ist heute genauso irrsinnig fantastisch wie zu seiner Entstehungszeit.

    Wenn Sie der Mystizismus bei Wagner fasziniert, dürften Sie ein besonderes Faible für den „Parsifal“ haben. Wie verstehen Sie diese Oper?
    KOLLO: Der „Parsifal“ wird immer falsch verstanden, weil man glaubt, es geht um eine neue Religion. In der Oper sind zwar alle Religionen verarbeitet, aber eigentlich ging es Wagner um die Erneuerung der katholischen Kirche. Das ist das, was er wollte. Man kennt ja inzwischen die ganzen Verfehlungen dieser Institution, wie es sie in allen Männerbünden gegeben hat. Und er wollte sie davon reinigen. Deshalb beginnt ja auch die Oper mit Anklängen an Christus am Ölberg, und sie endet dann mit den großen Ritualen der Kirche.

    Haben Sie mit Ihrem Interesse an Mystik ein Gefühl dafür, ob es nach diesem Leben weitergeht?
    KOLLO: Das kann ich nicht in ein Gefühl fassen. Aber meiner Meinung nach ist das nicht der Fall. Und was die Kirche verspricht, das kommt für mich nicht infrage. Ich habe gesagt, wenn ich sterbe, dann will ich mal sehen, ob der Papst recht hat. 

    Haben Sie denn abschließend einen Wunsch für Weihnachten?
    KOLLO: Mit meinem Alter – ich werde im nächsten Jahr 87 – hoffe ich, dass es noch eine Weile gut geht. Ich bin gesund, aber meine Beine sind nicht mehr die tollsten. Ansonsten gilt der Satz ‚In der Ruhe liegt die Kraft‘, nicht zuletzt an den Feiertagen. Und so hoffe ich, dass sich die Ruhe auch auf alle Kriege dieser Welt ausdehnt.

    Zur Person

    Mit Partien in Wagner-Opern ist René Kollo bekannt geworden. Der gebürtige Berliner gastierte an allen bedeutenden Opernhäusern der Welt, sang bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen. Eigentlich wollte er Schauspieler werden, startete dann aber als Schlagersänger durch, bevor er ab 1965 am Staatstheater Braunschweig als Opernsänger (Tenor) Karriere machte. Kollo nahm zahlreiche Platten mit berühmten Dirigenten auf, arbeitete mit James Last zusammen und ist Schirmherr des Musicals "Ludwig" in Füssen. Mit 86 Jahren stand Kollo nun mit zwei Gesangsnummern im Dresdner Adventskonzert auf der Bühne. 

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