Herr Clavier, interessieren Sie sich für Ihren eigenen Stammbaum?
CHRISTIAN CLAVIER: Ich interessiere mich für meinen Familienstammbaum, aber ich habe keine Nachforschungen angestellt. Es war aber sehr interessant und aufschlussreich, ein paar Dinge von meinem Großvater und meinem Urgroßvater darüber zu erfahren, woher ein Teil meiner Familie stammt.
Würden Sie auch einem DNA-Test zustimmen?
CLAVIER: Mir geht es da wie allen. Ich bin sehr aufgeregt, wenn ich etwas erfahren kann, und ein wenig gestresst, wenn ich eine neue Tatsache herausfinde. Es ist ein sehr amüsanter Test, weil er einfach ist und man plötzlich Antworten auf viele Fragen hat. Die meiste Zeit ist man wahrscheinlich überrascht, weil wir alle vermischt sind, besonders in Europa. Wir sind von anderen Nationen überfallen worden und haben viele Kriege erlebt. Die ganze Geschichte Europas ist von einer Bewegung der Völker geprägt. So sind wir natürlich in vielen Dingen vermischt. Ich denke, das ist sehr interessant.
Welche Klischees bestehen in Frankreich gegenüber Deutschland und den Deutschen?
CLAVIER: Es ist die Art von Klischees, die man in Deutschland über die Franzosen pflegt. Ein erfolgreicher Mann in Frankreich zieht es vor, deutsche Autos zu fahren, genau wie überall auf der Welt. Das ist ein Weg, um seinen Erfolg im Leben zu zeigen. Auf der anderen Seite sind da die sozialen Unterschiede bei den Figuren. Der Drehbuchautor spielt mit all diesen Klischees über die DNA. Wir reden nicht gern über Klischees, weil das kulturell und politisch völlig unkorrekt ist. Aber wenn alle sich in einem Fußballstadion treffen, entdeckt jeder die Klischees wieder. Es ist immer lustig in einem Film – vor allem in einer Komödie –, wenn wir sehr viel mit den Vorurteilen der Figuren spielen und dem Publikum ermöglichen, auf Distanz zu gehen. Wenn das Publikum über etwas lacht, geht es auf Abstand zu dem Klischee. Das war der Fall in „Monsieur Claude“ und in diesem Film ebenso. Da ist der Kerl, der aus der gehobenen Mittelschicht Frankreichs kommt und französische Peugeot-Autos verkauft, und der andere, der ein großes Weingut besitzt und seit Jahrhunderten sehr wichtigen Wein herstellt. Er ist sehr arrogant und denkt, dass er über allen anderen steht, also ist es lustig, damit zu arbeiten und das Klischee zu bedienen. Wenn man dann über einen DNA-Test herausfindet, dass man deutsche Vorfahren hat, ist es sehr einfach, diese Klischees zu bedienen und bei den Leuten Unbehagen auszulösen.
Kennen Sie Humor aus Deutschland?
CLAVIER: Wir hatten viel Austausch, weil ich in Deutschland gespielt habe, mit einem deutschen Team und deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern, zum Beispiel mit Alexandra Maria Lara. Ich habe in Bayern gearbeitet und dort war eine Menge Humor im Spiel. Wir haben in Frankreich viele Komödien gemacht, weil uns diese Art zu eigen ist, uns über uns selbst lustig zu machen, uns spöttisch zu betrachten. Das kennen Sie auch in Deutschland. Erinnern Sie sich an den Film „Goodbye Lenin“? Das ist zwar schon lange her, aber er war absolut fantastisch und sehr lustig. Eines der Klischees über die Deutschen ist, dass sie ein bisschen zu ernst sind. Und wir sind zu lustig. Und zu arrogant. Genau so ist es.
Hätten Sie gern häufiger ernste Rollen gespielt?
CLAVIER: Ich bin sehr glücklich mit dem, was mir passiert ist. Ich war sehr glücklich, „Napoleon“ oder „Les Misérables“ zu spielen, aber ich bin auch sehr glücklich, die Gabe zu nutzen, die ich in mir trage, nämlich die Leute zum Lachen zu bringen. Das ermöglicht mir seit Langem einen fantastischen Austausch mit dem Publikum. Ich bin also keineswegs blasiert. Ich bin immer sehr glücklich, wenn ich Komödien mache. Aber wenn ein gutes Drehbuch mit einem ernsten Charakter kommt, nehme ich es natürlich an.
Ihre Komödien wie „Monsieur Claude“, „Oh La La“ oder „Hereinspaziert!“ haben immer auch einen sozialen Bezug. Macht es das einfacher, sich für ein Drehbuch zu entscheiden?
CLAVIER: Ja. Ich denke, diese Figuren sind in der Realität verankert, in der man lebt und mit der man an jedem Tag seines Lebens konfrontiert ist. Das Publikum mit einem Film zum Lachen zu bringen, ist eine positive Sache. Man hat eine gute Zeit, wenn der Film gelungen und unterhaltsam ist. Wenn er seine Sache gut macht, schenkt der Film dem Zuschauer einen sehr guten Moment, auch wenn er sich anschließend wieder den schweren Seiten des Lebens stellen muss. Das ist sehr interessant. Diese Sichtweise nahmen vor langer Zeit die italienischen Komödien von Comencini, Fellini und Dino Risi ein. Ich war sehr beeindruckt von dieser Art von Filmen und bin sehr froh, dass ich das heute in Frankreich fortsetzen kann.
Unsere Staatschefs scheinen sich im Moment nicht sehr zu mögen. Interessieren Sie sich für Politik? Und welche aktuellen Entwicklungen bereiten Ihnen Sorge?
CLAVIER: Ich interessiere mich natürlich sehr für Politik, wie jeder andere auch. Besonders jetzt, weil wir eine schlechte Zeit erleben. Unsere Länder sind große Verbündete, aber sie streiten sich wie in einer Familie. Ich glaube nicht, dass es so tiefgreifend und schwierig ist. Natürlich haben wir Differenzen, aber wir finden auch einen Weg, Lösungen zu erarbeiten. Wir leben in demokratischen Ländern und wir sind zivilisierte Menschen, was auf der anderen Seite nicht der Fall ist.
Sie haben lange in London gelebt. Hat sich die Stadt nach dem Brexit stark verändert?
CLAVIER: Ja, ich habe London deswegen verlassen. Es ist ein Sieg der Fremdenfeindlichkeit, was wirklich schrecklich ist. Europa ist fantastisch, deshalb war es für mich unmöglich, in einem Land außerhalb Europas zu leben. Das gefällt mir nicht.
Stehen Sie noch in Kontakt zu Ihren ebenfalls erfolgreichen ehemaligen Schulkameraden Thierry Lhermitte, Gérard Jugnot und Michel Blanc?
CLAVIER: Ja. Ich denke, wir werden zum 50. Jahrestag unserer Comedy-Gruppe „Le Splendid“ ein großes Foto machen.
Was war das Geheimnis dieses Jahrgangs, der so viel Talent hervorgebracht hat?
CLAVIER: Wir sind eine Generation, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurde. Wir brauchten Komik, wir brauchten etwas Leichtes. Das ist wahrscheinlich der Grund. Es ist eine gute Frage, aber ich kenne die Antwort nicht wirklich. Deshalb lege ich Ihnen diese Sichtweise nahe, die eine Möglichkeit, aber nicht unbedingt die richtige Antwort darstellt.
Sie haben vor einigen Jahren auch Regie geführt. Würden Sie es wieder tun?
CLAVIER: Es war eine schwierige Erfahrung, denn ich habe gleichzeitig auch mitgespielt. Es ist sehr schwierig, sich selbst zu inszenieren. Das hat mich enorm unter Druck gesetzt, deshalb habe ich es auch nicht wiederholt. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es wieder tun werde. Es war aber eine gute Zeit und ich mochte den Film. Eine gute Erfahrung, aber auch eine sehr schwierige.
Hatten Sie einen Mentor, dem Sie rückblickend viel verdanken?
CLAVIER: Ja. Ich habe Pierre Mondy, einem französischen Theaterregisseur, viel zu verdanken. Er war ein großer französischer Regisseur. Ich habe mit ihm 25 Jahre lang mindestens zehn große Stücke in Paris aufgeführt. Ich habe eine Menge Zeit auf der Bühne unter seiner Regie verbracht und er hat mir viel beigebracht.
Über welche Komödie haben Sie sich zuletzt besonders amüsiert?
CLAVIER: Das war die Serie „The White Lotus“, die ich vor Kurzem auf einer Plattform gesehen habe. Zum ersten Mal bin ich in einer US-Serie auf kulturell sehr inkorrekte Charaktere mit großen Vorurteilen gestoßen. Das war für amerikanische Verhältnisse wirklich erfrischend.
Nach 50 Jahren vor der Kamera: Sind Sie glücklich über Ihr Leben und Ihre Karriere?
CLAVIER: Oh ja, ich bin sehr glücklich über meine Karriere. Mein Leben ist eine andere Geschichte. Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich über mein Leben bin. Aber meine Karriere war erfolgreich. In gewisser Weise ist es das Publikum, das es mir ermöglicht, so zu leben, in der ersten Reihe des Kinoschaffens. Also ja, ich bin glücklich über meine Karriere.
Zur Person
Christian Clavier zählt zu den beliebstesten Comedy-Stars Frankreichs. Seine Karriere begann mit der Comedy-Gruppe "Le Splendid", die er mit seinen ehemaligen Schulkameraden Thierry Lhermitte, Gérard Jugnot und Michel Blanc gründete. International bekannt wurde der Pariser mit Filmen wie "Die Besucher", "Asterix" oder "Monsieur Claude und seine Töchter" von 2014. Neben der Schauspielerei schreibt Clavier Drehbücher und versuchte sich auch schon als Regisseur. Der 71-Jährige war mit der Schauspielerin Marie-Anne Chazel liiert, die beiden haben ein Kind. Jetzt steht Clavier als schnöseliger Weingutsbesitzer im Film „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ vor der Kamera.