i
Foto: Anton Corbijn, Universal Music Group
Foto: Anton Corbijn, Universal Music Group

Sieben Jahre haben Fans darauf gewartet: Metallica veröffentlichen ihr neues Album "72 Seasons".

Interview
15.04.2023

Metallica-Gitarrist Kirk Hammett: "Harte Zeiten sind gute Zeiten für harte Musik"

Von Steffen Rüth

Auf dem neuen Metallica-Album "72 Seasons" drischt Gitarrist Kirk Hammett ordentlich in die Saiten. Ein Gespräch über schwierige Teenagerjahre, Therapiesitzungen und die therapeutische Wirkung von Musik.

Kirk, was kommt dir zuerst in den Sinn, wenn du an "72 Seasons" denkst?

Kirk Hammett: Wie hart dieses Album doch tatsächlich geworden ist. Ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass wir zwölf echt aufs Heftigste reinknallende Songs aufgenommen haben. 

Das heißt im Umkehrschluss?

Hammett: Keine Balladen! Nicht einmal eine einzige. Ich kann das gar nicht oft genug betonen. Das vollständige Fehlen ruhiger Songs gibt diesem Album eine sehr unverwechselbare Identität. 

War die Balladenlosigkeit eine bewusste Entscheidung von euch?

Lesen Sie dazu auch

Hammett: Nein, wir haben uns nicht vorab hingesetzt und und gesagt: "Leute, wir machen eine Platte mit ausschließlich harten Stücken." Wir haben Song-Entwürfe gesammelt, uns für die unserer Meinung nach zwölf stärksten entschieden und erst selbst nicht erkannt, was sich da entwickelte. Acht oder neun Songs waren fertig, da ging uns plötzlich ein Licht auf, als unser Produzent Greg Fidelman im Studio zu uns sagte: "Jungs, wir haben dieses Mal überhaupt keine soften, akustischen, balladenhaften Songs dabei." Er fragte uns dann noch mal, ob wir nicht entsprechendes Material in petto hätten. Dem war aber nicht so. Alles, was die anderen und ich geschrieben hatten, war: Fucking heavy stuff (lacht). Verdammt hartes Zeug.

Die Fans werden begeistert sein.

Hammett: Ja, den Eindruck haben wir auch. Bei den vorab veröffentlichten Singles "Lux Aeterna" und „Screaming Suicide" waren die Reaktionen schon richtig toll, und als wir "If Darkness Had A Son" rausbrachten, war die Resonanz euphorisch. Die Leute lieben diesen Song. Und ich habe das Gefühl, sie werden auch die anderen lieben. Dabei ist die grundlegende Ausrichtung von "72 Seasons" ja keine große Neuerfindung und auch keine Abkehr im Vergleich zu unseren vorangegangenen Alben "Death Magnetic" und "Hardwired". Trotzdem sprechen die Leute enthusiastischer auf die neuen Lieder an, als sie es auf die letzten beiden Platten taten. Wir wissen nicht genau, warum das so ist. Aber wir haben zumindest zwei Theorien.

i
Foto: Oliver Berg, dpa
Foto: Oliver Berg, dpa

Kirk Hammett (links) und James Hetfield pushen sich gegenseitig.

Welche Theorien sind das?

Hammett: Vielleicht sind die neuen Songs einfach geiler als die Songs, die wir in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gemacht haben. Oder wir stecken mitten in einer kulturellen Wiederauferstehung. Wir treffen gerade offenbar wieder den Zeitgeist. Viele Menschen sind voller Ängste, voller Frust und voller Wut. Die Pandemie hat an ihrer Psyche gezehrt, der Krieg, das Auseinanderdriften der Gesellschaft und die wirtschaftliche Situation bereiten ihnen Sorgen. Harte Zeiten sind gute Zeiten für harte Musik.

Womöglich stimmen auch beide Erklärungsansätze.

Hammett: Denke ich auch. Seit "Hardwired" im Herbst 2016 rauskam, steht die Welt eigentlich ununterbrochen kopf. Was wir allein in den USA für ein Chaos hatten! Und ich habe ja auch an mir selbst festgestellt, dass diese turbulenten, kontroversen Zeiten dazu geführt haben, dass ich praktisch nur noch aggressive, harte, wütend klingende Gitarrenriffs komponiert habe. Ich glaube, unsere Musik kann helfen, Stress und Ängste abzubauen. Nicht zuletzt auch bei uns selbst. Für mich persönlich kann ich sagen: Musik ist mehr denn je ein wunderbares Ventil für meine Emotionen.

Offensichtlich nicht nur für deine. Euer Klassiker "Master Of Puppets" erlebte jüngst in der Netflix-Serie "Stranger Things" eine Renaissance, "Enter Sandman" schaffte im Dezember die für Rocksongs seltene Eine-Milliarde-Streams-Marke auf Youtube.

Hammett: Ich hätte mir keine bessere Visualisierung für "Master Of Puppets" ausmalen können als die fantastische Szene mit dem Charakter Eddie Munson. Ich will für alle, die die Serie noch nicht kennen, jetzt nicht zu viel verraten, aber so, wie sie das gemacht haben, wird überdeutlich: Musik kann wirklich Berge versetzen. Und sie kann lebensrettend sein.

Bedeutet dir das viel?

Hammett: Extrem viel. Diese Gewissheit, dass Musik stärker sein kann als der Tod, ist für mein Verständnis als Künstler ganz elementar. Denn ich weiß, dass es so ist. Musik hat definitiv mein Leben gerettet.

Und du bist auch wieder deutlich stärker auf dem Album vertreten als auf dem letzten. Bei der Arbeit an „Hardwired…To Self-Destruct“ hattest du ja bekanntlich dein Handy mit all deinen Ideen verloren.

Hammett: Mein Gott, ich habe meine Lektion auf die harte Tour gelernt. Jetzt speichere ich immer alles doppelt an verschiedenen Orten ab. So etwas wird mir ganz bestimmt nicht noch einmal passieren. Ich habe meinen Riff-Speicher in den letzten Jahren wieder randvoll auffüllen können. Und viele meiner kreativen Ideen haben wir für "72 Seasons" auch benutzt. Der Krater, der sich auftat, als ich mein Handy verlor, war wirklich gigantisch. Mich hat das echt ziemlich mitgenommen. Denn es gibt mir Sicherheit und Selbstvertrauen, auf einem Haufen von Ideen zu sitzen, um quasi mit einem Fingerschnipsen mit den anderen in der Band zu kollaborieren.

Ihr habt coronabedingt zunächst viele Ideen per Zoom ausgetauscht. Lief das zufriedenstellend?

Hammett: Überraschenderweise ja. Unsere digitalen Bandtreffen erwiesen sich schnell als gute Alternative. Wir entwickelten eine ganz neue Form des musikalischen Dialogs. Ich hatte wirklich die große Befürchtung, dass wir diese Jahre einfach verlieren, das wollte ich nicht. Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit Lars vor drei Jahren, als der ganze Mist losging. Er meinte: "Das Beste, was wir tun können, ist kreativ und zuversichtlich zu bleiben." Daran habe ich mich gehalten und so viel Zeit wie möglich mit meiner Gitarre verbracht. Trotzdem war die Pandemiezeit Mist. Seit dem ersten Tag hatten wir bei Metallica immer sehr straffe Zeitpläne. Selbst unsere Freizeit war zeitlich genau festgelegt. Wenn jeglicher Plan plötzlich aus dem Fenster weht, dann ist das für manche Menschen vielleicht erholsam oder befreiend. Uns aber hat es unter Stress gesetzt. Es war kein gutes Gefühl, keinen Stundenplan mehr zu haben.

i
Foto: Daniel Karmann, dpa
Foto: Daniel Karmann, dpa

Das neue Album von Metallica heißt "72 Seasons". Gitarrist Kirk Hammett hat einige kreative Ideen und Riffs geliefert.

Das hat sich zum Glück wieder geändert.

Hammett: Allerdings. Ich weiß schon jetzt nicht nur, was ich 2023 an so gut wie jedem Tag machen werde. Sondern sogar schon 2024. 

Ihr spielt auf eurer bevorstehenden Tournee immer zwei Shows pro Stadt und versprecht, dass ihr jeweils zwei komplett unterschiedliche Sets aufführen werdet. Welche Idee steckt hinter diesem Konzept?

Hammett: Nun ja, der Grund ist ganz einfach: Weil wir es können (lacht). Und weil wir Lust dazu haben. Ich glaube, wir ändern schon seit bestimmt fünfzehn Jahren ohnehin permanent die Setlist. Das Konzept der neuen Tour baut einfach noch ein bisschen auf diesem Ansatz auf.

Das inhaltliche Konzept von "72 Seasons" ist eine schonungslose Bestandsaufnahme der ersten 72 Jahreszeiten des Lebens, sprich: der Zeit bis zum 18. Geburtstag. Wie schaust du persönlich heute auf deine Jugend?

Hammett: Ich bin überglücklich, dass dieser Scheiß vorbei ist. Und dass ich meine Jugend halbwegs heil überstanden habe. Ich hatte eine miese Kindheit und auch keine schöne Teenagerzeit. Ich kann vollauf nachempfinden, worüber James singt. Wir haben beide sehr ähnliche Erfahrungen machen müssen. Ich litt unter psychischen Schwierigkeiten, habe zu früh mit Drogen zu tun gehabt, mit Sex zu tun gehabt, auch mit Kriminalität zu tun gehabt. James und ich kommen auch beide aus problembehafteten Familien. Wir waren untere Mittelklasse, meine Eltern hatten kaum Geld, wir mussten uns alles im Leben wirklich erkämpfen. Ich bin glücklich für meine beiden Jungs, dass sie unter ganz anderen Umständen groß werden, wie ich es damals tat.

James singt auf "72 Seasons" wirklich selbst für Metallica-Verhältnisse besonders dunkle und fast apokalyptisch anmutende Zeilen. Er hat eine Scheidung hinter sich und einen Rückfall in seine Alkoholsucht. Sprecht ihr untereinander ehrlich und offen über eure Gefühle?

Hammett: Zunächst einmal wird James' Innerstes für Lars, Rob und mich immer ein Stück weit eine Festung bleiben. Was wirklich in ihm vorgeht, weiß nur er selbst. Doch zugleich tauschen wir uns sehr eng aus. Wir haben beide Therapieerfahrung und auch mithilfe unserer Therapeuten eine sehr tiefgründige und emotionale Form der Sprache entwickelt, mit deren Hilfe wir uns wirklich sehr nah kommen. Wir haben immer wieder sehr tiefe Unterhaltungen, alle vier. Unsere Beziehung ist, ich sage das oft, aber es stimmt noch immer, absolut brüderlich. Wir lieben uns, auch wenn wir uns manchmal ums Verrecken nicht ausstehen können. Aber bisher haben wir uns noch jedes Mal wieder zusammengerauft, und ich sehe keinen Grund, warum das nicht auch in Zukunft klappen sollte. 

Du warst im vergangenen November der Erste in der Band, der sechzig wurde. Bei Lars und James steht der runde Geburtstag Ende 2023 an, bei Rob 2024. Wie nah lässt du das Alter an dich heran?

Hammett: Ich halte es auf Abstand (lacht). Ich bemühe mich wirklich nach Kräften, nicht abzubauen. Ich surfe so gut wie jeden Tag und bewege mich so viel wie möglich, achte auf Schlaf und Ernährung. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Verfassung und freue mich, dass ich kein Gramm Fett zu viel habe.

Zur Person: Kirk Lee Hammett zählt laut Rolling Stone zu den 100 besten Gitarristen der Welt. Er schrieb dutzende bekannte Riffs für Metallica, die Band wurde auch dank seines virtuosen Geschrammels so bekannt. Als 15-Jähriger hielt er zum ersten Mal eine E-Gitarre in der Hand, ein Jahr später gründete er eine Thrash-Metal-Band. 1983 stieg Hammett bei Metallica ein – Sänger James Hetfield und Schlagzeuger Lars Ulrich hatten die Band zwei Jahre zuvor gegründet. Schon die erste Platte Kill 'Em All war ein Riesenerfolg. Ihre größten Hits lieferten die Musiker aber erst Jahre später mit "Nothing Else Matters" oder "Enter Sandman", dessen Riff aus Hammetts Feder stammt. Inzwischen zählt Metallica zu den erfolgreichsten Heavy-Metal-Bands der Welt. Mit "72 Seasons" erschien jetzt das elfte Studioalbum. Seine markante Lockenmähne trägt Hammett noch immer, auch wenn sie inzwischen etwas silbrig geworden ist. Der 60-Jährige lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen auf Hawaii und in San Francisco.

Facebook Whatsapp Twitter Mail