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Foto: Lewis Joly/AP, dpa
Foto: Lewis Joly/AP, dpa

Schauspielerin Marion Cottilard stellt mit dem Dokumentarfilm "Bigger Than Us" junge Umweltaktivistinnen und -aktivisten vor.

Interview
18.02.2023

Marion Cotillard: "Beginne bei dir selbst. Reinige dein Inneres"

Von Rüdiger Sturm

Marion Cotillard hat einen Dokumentarfilm produziert, in dem sie junge Umweltschützer vorstellt. Im Interview spricht sie über die Vorbildfunktion von Eltern und wie wichtig die eigene Selbstachtung ist.

Die von Ihnen produzierte Dokumentation „Bigger Than Us“ präsentiert junge Umweltaktivistinnen und -aktivisten auf der ganzen Welt. Wie umweltbewegt waren Sie eigentlich selbst in jungen Jahren?

Marion Cotillard: Meine Eltern haben mich schon früh sensibilisiert. Mülltrennung zum Beispiel war für uns selbstverständlich. Und als ich in die Pubertät kam, wurde ich mir meiner Verantwortung noch stärker bewusst. Mir wurde klar, dass alles, was ich tue, Auswirkungen hat, ob im Guten oder im Schlechten. Wenn ich ein Kleid gekauft habe, wollte ich wissen, woher es stammt, ob es womöglich in Kinderarbeit produziert wurde. Bei der Kosmetik wiederum wollte ich die Inhaltsstoffe kennen. Ich hatte keine Lust, mich von irgendwelchen Firmen manipulieren zu lassen und zum Opfer zu werden. Ich wollte aber nicht nur verstehen, was ich einkaufe, sondern auch, was ich wegwerfe. Daraus entstand der Wunsch, alle Zusammenhänge zu begreifen. Wenn du einmal damit angefangen hast, kannst du nicht mehr stoppen.

Die junge Generation von Umweltschützern tritt mit dem Anspruch auf, alles besser zu wissen. Was halten Sie davon?

Marion Cotillard: Aber sie haben ja auch recht. Auch ich war schon früh der Überzeugung, dass mein umweltgerechtes Verhalten richtig ist. Allerdings beruht das auf einer Grundlage: Wenn du die Umwelt respektierst, musst du dich auch selbst respektieren. Viele meiner Freunde sind Umweltschützer, und sie machen oft einen grundlegenden Fehler: Sie wollen die Welt retten und die Menschheit glücklich machen, aber sie fangen nicht bei sich selbst an. Sie sind total ausgebrannt. Wenn sie nach Hause gehen, dann kümmern sie sich nicht um sich selbst. Sie haben keine Achtung für sich und ihren eigenen Rhythmus. Und dieses Verhalten ist völlig unlogisch. Es ergibt keinen Sinn. Denn du gibst damit ein schlechtes Beispiel ab. Beginn bei dir selbst. Reinige dein Innerstes. Automatisch tust du dann auch das Beste für deine Außenwelt.

Sie haben aber auch noch Kinder. Ihr Sohn ist inzwischen elf. Wie bringen Sie denen ein derart bewusstes Verhalten bei?

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Marion Cotillard: Mir ist völlig klar, dass ich auf meine Kinder einen enormen Einfluss habe. Aber hier gilt das Gleiche: Ich muss bei mir anfangen. Wenn ich meine Kinder respektiere, aber keine Selbstachtung habe, stimmt etwas nicht. Das Verhalten, das du im Umgang mit dir selbst an den Tag legst, darf sich nicht von dem unterscheiden, das du gegenüber deinen Kindern zeigst. Du kannst nicht deine innersten Bedürfnisse missachten, aber gleichzeitig deinen Kindern jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Kinder können diese Diskrepanz auch nicht verstehen. Ich habe eine Freundin, die sich selbst nicht mag, und ich habe deshalb schon ernste Gespräche mit ihr geführt. Denn einmal habe ich gesehen, wie sie in Gegenwart ihrer Tochter vor dem Spiegel stand und zu sich selbst sage: „O mein Gott, was bin ich fett geworden. Das bin nicht mehr ich.“ Ihrer Tochter wiederum sagt sie, dass sie das schönste Mädchen der Welt sei. Aber das Mädchen hat nun das Vorbild ihrer Mutter vor Augen, die von sich sagt: „Ich sehe scheiße aus.“ Natürlich hat meine Freundin nicht daran gedacht, was das für eine Wirkung auf ihre Tochter haben könnte. Aber dieser Einfluss spielt sich auf ganz subtiler Ebene ab.

Was hilft Ihnen, sich selbst zu respektieren? Ihr Erfolg?

Marion Cotillard: Nein, das ist meine tiefe Liebe zur Menschheit. Und deshalb will ich authentisch sein und mir selbst treu bleiben.

Nun sind Sie aber ein Filmstar, der ein von dem Gros der Menschen abgeschirmtes und abgehobenes Leben führt.

Marion Cotillard: Ganz so ist das nicht. Ich wollte mich nie vor den Menschen schützen. Denn ich bin sehr neugierig, ich brauche die Verbindung zu anderen. Gut, es mag mal Leute geben, die man als unangenehm empfindet, und auf diese Art von Verbindung kann ich verzichten. Aber insgesamt möchte ich mit anderen Menschen etwas teilen. Ich ziehe da keine Trennlinie, weil ich prominent bin. Offen gestanden will ich auch nicht prominent sein. Ich möchte ganz normale und schlichte menschliche Beziehungen. Meines Erachtens ist niemand wichtiger oder unwichtiger als andere. Wir sind alle gleich wichtig. Wir alle haben unseren Platz in diesem Leben. Manche tun sich vielleicht schwerer, ihn zu finden, aber es gibt ihn. Und wenn du glaubst, du hättest mehr Bedeutung als andere, dann koppelst du dich nicht nur von anderen Menschen ab, sondern auch von dir selbst.

Das klingt in der Theorie alles sehr schön, aber was heißt das konkret? Wie erreichen Sie diese normalen zwischenmenschlichen Verbindungen?

Marion Cotillard: Für mich ist zum Beispiel Eckhart Tolle sehr wichtig. Sein Buch „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“ war und ist für mich eine wichtige Inspiration. Und das berührt eben auch, wie du den Kontakt mit anderen Menschen pflegen sollst. Wenn du mit jemand in Verbindung stehst und wenn du dich mit der Person unterhältst, dann darfst du nicht in Gedanken woanders sein, sondern musst voll und ganz im Moment sein und dich auf dein Gegenüber konzentrieren. Das versuche ich immer zu beherzigen.

Inwieweit hat Eckhart Tolle sonst noch Einfluss auf Ihre Art zu leben?

Marion Cotillard: Das beginnt schon am frühen Morgen. Wenn du aufwachst, schaltet sich sofort dein Gehirn ein – noch bevor dein Körper in Gang kommt. Du wirst zum Sklaven deines Gehirns, weil es dich ständig mit Informationen überflutet. Und du musst es schaffen, dein Denken auszuschalten. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Aber dabei hat mir eben Eckhart Tolle geholfen. Ich versuche nicht zu denken, sondern einfach den Augenblick bewusst wahrzunehmen. Wenn ich mich mit jemand unterhalte, dann bleibe ich still und kontrolliere mein Gehirn. Für mich ist das etwas Wunderschönes und der wahre Schlüssel zur inneren Freiheit.

Inwieweit hat Ihre Lebenseinstellung Einfluss auf Ihre Rollenauswahl?

Marion Cotillard: Wenn ich ein Drehbuch lese, dann spüre ich die Rolle in meinem Blut oder ich spüre sie nicht. Das ist das oberste Kriterium, ob ich zu- oder absage. So kann ich dann in einer Rolle mein Herz öffnen und die Zuschauer können sich in dieser Figur wiederfinden. Sie sehen, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein sind, dass es andere Leute gibt, die Ähnliches durchmachen wie sie. Es geht mir also im Endeffekt wieder darum, Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen.

Wie gut ist das noch möglich? Kunstkinofilme, in denen Sie in der Regel mitspielen, finden nicht mehr das gleiche Publikum wie früher. Das Kino selbst ist durch die Pandemie in Bedrängnis geraten.

Marion Cotillard: Ich sehe das Problem genauso. Aber letztlich wird alles die Zeit erweisen. Eine bessere Antwort habe ich auch nicht. Andererseits gab es immer wieder Situationen, wo die Leute den Tod des Kinos heraufbeschworen haben. Zum Beispiel als die Ära der Videos begann. Jetzt sieht man die Gefahr durch die Streamer. Ich bleibe im Endeffekt optimistisch. Wir brauchen Geschichten. Wir brauchen die Visionen von anderen Menschen, die uns helfen, das Leben zu hinterfragen und es besser zu verstehen, mit denen wir lieben, trauern und lachen können. Das Kino ist und bleibt der wunderschöne Spiegel, der uns das ermöglicht.

Da sind wir wieder bei der jungen Generation gelandet. Die sucht sich ihre Visionen eher in den kleinen Bildschirmen ihrer Smartphones und weniger auf der großen Leinwand.

Marion Cotillard: Die einzige Lösung ist, dass wir den Kids beibringen, wie sie Filme sehen sollen. Die Tochter von einer meiner Freundinnen zeigte mir, wie sie Videos auf Youtube anschaut – und zwar mit eineinhalbfacher Geschwindigkeit. Sie meint, dass sie damit Zeit gewinnt. Aber für mich ist das der reine Wahnsinn. Es macht mir Angst. Das ist gefährlich. Was macht das nur mit den Gehirnen dieser jungen Leute?

Versuchen Sie, auf Ihre eigenen Kinder einzuwirken?

Marion Cotillard : Die sind noch zu klein dafür. Aber ich weiß nicht, wie es mit ihnen sein wird. Ich werde sicherlich alles dafür tun, dass sie nicht auf den Schnellvorlauf drücken. Dagegen werde ich kämpfen.

Sie selbst könnten ja durch die Streamer auf dem Bildschirm landen statt auf der Leinwand. Bislang haben Sie um solche Projekte einen Bogen gemacht. Aber werden Sie standhaft bleiben

Marion Cotillard: Das sind schwierige Fragen. Nehmen Sie einen Film wie die Netflix-Produktion „Roma“. Ich hatte das Glück, dass ich dieses Meisterwerk auf einer Leinwand sehen konnte. Aber würde es ohne den Streamer existieren? Wenn du nicht das Geld bekommst, um deinen Film zu machen, und jemand sagt dir: Ich werde ihn finanzieren, aber er wird nicht im Kino laufen – was würdest du tun? Natürlich sagst du Ja.

Das ist letztlich auch eine Frage der Selbstachtung. Nun haben Sie sich gerade eine Zigarette angezündet. Manche Leute könnten sagen, dass Sie Ihre eigene Gesundheit nicht respektieren

Marion Cotillard: Ich bin keine wirkliche Raucherin. Ich mache das nur in Gesellschaft so wie jetzt. In ein paar Stunden fahre ich wieder nach Hause, und dann kehre ich in mein gesundes Leben zurück. 

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