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Interview: Marianne Rosenberg: "Ich halte nichts davon, das Alter zum Thema zu machen"

Interview

Marianne Rosenberg: "Ich halte nichts davon, das Alter zum Thema zu machen"

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    "Ich wollte mich nie in ein Korsett zwängen lassen": Die Sängerin Marianne Rosenberg.
    "Ich wollte mich nie in ein Korsett zwängen lassen": Die Sängerin Marianne Rosenberg. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Frau Rosenberg, Sie singen auf ihrem neuen Album das sehr knackige Disco-Lied „Tanzen“, das davon handelt, den ganzen Mist um uns herum mal zu vergessen und einfach tanzen zu gehen. 
    ROSENBERG: Ja! Disco ist immer im Kommen. Diese Rhythmen, dann noch die Streicher obendrauf, das ist genau mein Ding. Und Tanzen? Wir kennen es ja noch von den 1920er-Jahren, als die Menschen ausgeflippt und ausgelassen den Tanz auf dem Vulkan zelebrierten. Dieses Gefühl habe ich mit dem Song aufgreifen wollen. Man kann sich ja so richtig high tanzen, und alle Sorgen um sich herum sind plötzlich verschwunden.

    Gehen Sie tanzen, in Clubs?
    ROSENBERG: Nee, in Clubs gehe ich lieber zum Quatschen mit Freunden. Aber zu Hause tanze ich sehr gerne. Dort mache ich die Musik ganz laut und tanze.

    Sie vermischen auf dem Album Schlager mit Funk, Soul und Pop. Haben Sie darauf geachtet, dass Ihre Musik nicht zu traditionell, gar altbacken klingt?
    ROSENBERG: Das war mir meine ganze Karriere lang wichtig. Schon die frühen Sachen klangen nach Disco und Soul und dem Sound of Philadelphia. Das war absolut nicht typisch für den deutschen Schlager. Und das, was ich gemacht habe, war auch kein deutscher Schlager. Meine Songs haben immer den Zeitgeschmack der weiten Welt adaptiert und in unsere kleine Heimat gebracht. Das ist etwas, was ich bis heute fortführe.

    Liefen Ihre Musik und der Zeitgeist meistens parallel?
    ROSENBERG: Überhaupt nicht. Ich habe mit dem Album „Luna“ 1998 zu einer Zeit Elektropop gemacht, als es viel zu früh war und diese Musik als schräg und progressiv galt. Ich war immer zu früh. Nur vor vier Jahren mit „Im Namen der Liebe“ war ich einmal und endlich mal zur richtigen Zeit mit der passenden Musik am Start. 

    Prompt erreicht das Album in Deutschland die Spitze der Charts?
    ROSENBERG: Was mich sehr, sehr gefreut hat. Ich halte überhaupt nichts davon, das Alter der Menschen zum Thema zu machen, aber mit 65 auf Platz eins zu stehen, das fand ich schon cool.

    Wer beeindruckt sie musikalisch zurzeit?
    ROSENBERG: Die Sounds von Dua Lipa oder von Miley Cyrus haben mich absolut inspiriert. Diesen Sound wollte ich reinholen in meine Platte. Ich gucke mir generell gern an, was die Musikerinnen und Musiker machen, die nach mir auf die Welt gekommen sind, und finde viele von denen sehr spannend und kreativ. Ich bin überhaupt nicht jemand, der denkt: „Ach ja, früher war die Musik viel besser, und heute taugt das alles nichts mehr“. 

    Deshalb klingt „Keine Zeit“ also so ein bisschen nach „Flowers“ von Miley Cyrus.
    ROSENBERG: Oh ja, „Flowers“ war ein absolutes Lieblingslied von mir. Das ist ja im Prinzip retromäßig und hat die ganzen modernen Elektro-Elemente weitgehend draußen gelassen. Das fand ich super charmant. Dann habe ich mir gedacht, ich brauche unbedingt auch einen Song wie „Flowers“ (lacht). 

    Miley, Dua Lipa, Taylor Swift, Beyoncé – was denken Sie als Feministin darüber, wie sehr Popmusik inzwischen von Frauen geprägt wird?
    ROSENBERG: Ich sage „endlich und wunderbar“. Besonders schön finde ich, dass viele dieser jungen Frauen auch die Regisseurinnen ihrer Karriere sind und selbst das Sagen haben. Wenn jetzt noch Frauen im Musikbusiness in Führungspositionen gelangen würden, würde ich es noch besser finden. In all den Jahren hatte ich nur zwei Frauen als Plattenbosse, und ich mache diesen Job seit 54 Jahren. Frauen sind noch immer oft in diesen typischen Positionen wie Backgroundsängerin oder Tänzerin. Natürlich gibt es auch tolle Produzentinnen oder tolle Schlagzeugerinnen, aber es gibt noch längst nicht genug. 

    Sie selbst standen schon als Kind auf der Bühne und haben mit vierzehn Jahren Ihre erste Single rausgebracht. 
    ROSENBERG: Das ist richtig, ich kam sehr jung in dieses Business. Ich musste die ganzen Weisungen erdulden, was man in diesem Beruf zu tun und zu lassen hat. Ich war damals auch nicht sehr aufmüpfig oder kämpferisch. Mein langer Weg der Emanzipation begann dann so mit 22, 23, was eigentlich spät ist.

    Würden Sie es heute guten Gewissens einem Mädchen empfehlen, so früh einzusteigen?
    ROSENBERG: Wenn es nicht so ein bedingungsloser Flug von einer kleinen Motte ins Licht ist, und wenn jemand Erfahreneres vielleicht mit Rat und Tat zur Seite steht, dann finde ich das nicht ungesund. Wenn da eine echte Musikbegeisterung und eine Faszination zu spüren ist, nicht nur der Drang, Aufmerksamkeit zu bekommen, dann sollte man das ruhig unterstützen und freilassen. Ich finde es toll, wie sehr viele junge Leute von Anfang an ihre eigenen Songs schreiben, ihre eigenen Sachen erfinden und schon sehr früh eine wahnsinnige Kreativität haben. Warum sollte ich das verurteilen? Überhaupt haben wir kein Recht, Menschen, die jünger sind, in irgendwelche Richtungen zu weisen. Und heute vierzehn zu sein ist anders, als vor fünfzig Jahren vierzehn gewesen zu sein.

    In welcher Hinsicht?
    ROSENBERG: Damals war man mit vierzehn ein Kind. Man hatte keinerlei Mitspracherecht, auch nicht gegenüber den Eltern. Heute werden die Kinder sehr viel mehr mit einbezogen in Familienentscheidungen.

    Noch dazu sind Sie eines von sieben Kindern gewesen.
    ROSENBERG: Ja, die Flügel waren immer schön unten. Mit so vielen Geschwistern hast du keine Chance, abzuheben. Aber für das Leben war das eine sehr gute Schule. Es ist keinesfalls zu meinem Schaden gewesen, mit sechs Schwestern und Brüdern aufzuwachsen. 

    Sie haben das neue Lied „Freiheit“ zusammen mit der jungen Kollegin Namika geschrieben. Es handelt davon, dass die Neugier stärker sein sollte als die Vernunft. Ist das bei Ihnen immer der Fall gewesen? 
    ROSENBERG: Ja, total. Ich wollte mich nie einsperren oder in ein Korsett zwängen lassen. Das beste Beispiel: Ich wollte meine erste Karriere seinerzeit richtig zerstören. 

    Sie meinen die Schlagerkarriere mit „Er gehört zu mir“, „Marleen“ und anderen Hits, die sie hatten, als sie um die 20 waren.
    ROSENBERG: Genau. Niemand verstand, warum ich das nicht einfach weitermachte. Alle fragten sich, ob ich keinen Erfolg will. Aber ich finde, dass ich mit der Abkehr von diesen Liedern damals meine Persönlichkeit gerettet habe. Ich wollte nicht, dass 30-jährige Männer für mich die Lieder und die Texte schreiben. Ich musste erst mal wissen, wo ich selbst hingehen wollte. Dieses Bild, das von mir in der Öffentlichkeit entstanden war, das musste ich damit in Einklang bringen, wer ich in Wirklichkeit war. Und ich musste gucken, was ich erreichen möchte. Dazu musste ich leben und auch Fehler machen. So bin ich eben mit Blixa Bargeld und Rio Reiser in der Berliner Schaubühne aufgetreten. 

    Sie sind eine Ikone der LGBTQ-Bewegung und stehen für eine vielfältige, offene Gesellschaft. Lag der Albumtitel „Bunter Planet“ auf der Hand?
    ROSENBERG: Das Lied „Bunter Planet“ kam von Leslie Clio. Ich habe mich dazugesellt, habe den Songtext noch weiter geöffnet, denn es soll für Diversität der Menschen in allen Formen und allen Bereichen gelten. Mir war wichtig, auszudrücken, dass die Menschen gleichberechtigt sind, egal, woher sie kommen, woran sie glauben oder wen sie lieben. 

    Zudem ist „Bunter Planet“ ein Friedenslied, oder?
    ROSENBERG: Das stimmt. Natürlich hat so eine Zeile wie „Wir schmeißen Blumen gegen Kriege“ auf einmal eine Bedeutung, die sie vor zweieinhalb Jahren noch nicht hatte. So, wie sich unser Leben und die Zeit gerade gestaltet, fühlt sich ein solcher Song nun noch mal anders an. Was in diesem Fall was Schönes ist. Auf einmal denke ich bei diesen Zeilen an Bob Dylan und Joan Baez.

    Was kann Musik ausrichten?
    ROSENBERG: Musik kann eine ganze Menge. Wir sollten ihre Wirkung auf keinen Fall unterschätzen. Vielleicht ist sogar Kunst schlechthin jetzt der Schlüssel dazu, dafür zu kämpfen, was wir alles haben und bewahren wollen. Vielleicht liegt die Power auf den Bühnen, in der Malerei, im Theater. Das wäre ja nicht das erste Mal, dass von dort Einflüsse und Anregungen kommen, die weit hineinwirken in die Gesellschaft. 

    Wir erleben gerade alles andere als eine friedliche Zeit. Sie singen „Ich träume von Blumen, von Wiesen, von Frieden“. Haben Sie Ihren Traum vom Frieden in der Tradition von Joan Baez begraben müssen?
    ROSENBERG: Ich mag naiv klingen, aber einen Satz wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ finde ich nach wie vor nicht absurd. Ich sage es mit John Lennon: „Imagine“. Dieser Song drückt bis heute zu hundert Prozent aus, was ich denke und was ich fühle. Den Glauben an uns habe ich nicht verloren. Ich denke immer noch, dass wir alle mit Liebe auf die Welt kommen. Es ist verrückt, dass wir dieses Paradies, auf dem wir leben, sukzessive zerstören. Und das nur aufgrund eines Systems, das wir uns irgendwann mal ausgedacht haben. Es muss doch allen klar sein, dass es sich hier um eine Spirale handelt, die sich immer höher drehen muss, damit sie weiter funktioniert.

    Sie sprechen vom Kapitalismus?
    ROSENBERG: Ja. Klar. Und so gibt es in diesem System immer auch Leute, die selbst vom Krieg, von diesem riesengroßen Friedhof, profitieren. Die jungen Männer, die zu Tausenden von allen Seiten in den Krieg geschickt werden und dort jämmerlich sterben, die haben doch alle noch gar nicht richtig gelebt. Dieser Gedanke macht mich wahnsinnig traurig.

    Haben Sie den Wunsch, mit Ihrer Musik die Menschen zu einen?
    ROSENBERG: Absolut. Das ist etwas Wundervolles. Bei mir im Publikum begegnen sich Menschen, die sich im sonstigen Leben niemals begegnen würden. 

    Zur Person

    Marianne Rosenberg, geboren 1955 in Berlin als Tochter des Holocaust-Überlebenden Otto Rosenberg, wurde als Teenager bei einem Talentwettbewerb entdeckt und in den Siebzigerjahren mit Hits wie "Er gehört zu mir" oder "Marleen" bekannt. 2006 erschien ihre Biografie "Kokolores", in der sie schreibt: „Das ganze Theater um Karriere und Ruhm ist Kokolores“. Sie gilt als Schwulenikone und Kämpferin für eine offene Gesellschaft – und ist nach mehr als einem halben Jahrhundert im Unterhaltungsgeschäft nun endlich auch mit ihren letzten Alben in den Charts ganz oben angekommen. Ihr eben erschienenes neues Album „Bunter Planet“ ist mehr Pop als Schlager, erinnert in den besten Momenten an Miley Cyrus und Cher. 

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