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Foto: Paul Zinken
Foto: Paul Zinken

„Ich bin auch Teil des Systems gewesen“: Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader.

Interview
10.12.2022

Maria Schrader: "Macht wird bei Männern als attraktiv empfunden"

Von Rüdiger Sturm

Die Regisseurin hat den Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein verfilmt. Ein Gespräch über die Strukturen dieser Übergriffe, weibliche Heldinnen und die Veränderungen durch "MeToo".

Frau Schrader, was hat Sie in der Auseinandersetzung mit „MeToo“ und dem Weinstein-Skandal am meisten bewegt?

Maria Schrader: Die Isolation, in der sich Opfer und Zeuginnen über so lange Zeit befunden haben. Diese Frauen mussten denken, dass sie die einzigen Betroffenen waren. Über Jahrzehnte. Das finde ich schlimm. Und es erschreckt mich, in welchem Ausmaß Mitarbeiter und Anwälte, die den Opfern rieten, Geheimhaltungsvereinbarungen zu unterschreiben, an diesem System der Vertuschung beteiligt waren. Als ich das Buch von Jodi Kantor und Meghan Twohey las, war ich atemlos vor Staunen.

Hatten Sie, bevor Sie das Angebot für den Film erhielten, in dem Fall Weinstein einen Stoff fürs Kino gesehen?

Schrader: Nein. Ich war maximal weit von Hollywood entfernt und hatte auch nie mit Weinstein zu tun. Wir waren alle mit uns selbst beschäftigt.

Wie haben Sie überhaupt zum ersten Mal davon erfahren?

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Schrader: Aus der deutschen Presse, und dann habe ich den Artikel der New York Times gelesen. Danach gehörte ich zu den zahlreichen Schauspielerinnen, die von deutschen Journalisten auf der Suche nach dem deutschen Weinstein kontaktiert wurden. Ich kann mich an Doppelseiten erinnern, auf denen Kolleginnen ihre Erlebnisse erzählt haben. Da ist ein Damm des Schweigens gebrochen – auch in meinem Arbeitsumfeld gab es viele Gespräche dazu.

Aber von Ihnen wurden zum Glück keine traumatischen Geschichten bekannt.

Schrader: Das nicht, aber ich habe an verschiedene Erlebnisse in meinem Leben gedacht und mich gleichzeitig auch gefragt, wie viel ich vielleicht auch schon vergessen hatte. Ich stand zum ersten Mal mit 16 auf der Bühne. In diesem Rückblick hat etwas stattgefunden, was die Amerikaner ‚Reframing‘ nennen. Das heißt, ich habe bestimmte Vorfälle in neuem Licht betrachtet, die ich früher als Normalität abgetan oder ins Vergessen geschickt hatte.

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Foto: Hiroko Masuike/The New York Times, dpa
Foto: Hiroko Masuike/The New York Times, dpa

Megan Twohey (links) und Jodi Kantor, Journalistinen der New York Times, haben den Weinstein-Skandal ins Rollen gebracht.

Wie kann es generell dazu kommen, dass übergriffiges Verhalten als normal empfunden wird?

Schrader: Wir sind alle in patriarchalen Strukturen aufgewachsen und ausgebildet worden. Mädchen und Jungen werden unterschiedlich erzogen, es werden ihnen andere Eigenschaften zugeschrieben. Die Sexualität des Mannes galt als Naturgewalt, während die Frauen sich gefälligst selbst darum kümmern mussten, ihr nicht zum Opfer zu fallen. Sollte der Rock zu kurz gewesen sein, wurde der Frau viel zu oft unterstellt, den Überfall selbst provoziert zu haben. Weibliche Sexualität dagegen galt oder gilt noch immer als etwas Passives, das erweckt werden muss, was unter anderem dazu führt, dass man Frauen zuschrieb, überwältigt werden zu wollen. Das sind gesellschaftliche Normen. Macht wird bei Männern als attraktiv empfunden und bei Frauen eher nicht. Ich habe in meinem Werdegang im Arbeitsumfeld gelernt, den mächtigen Mann in seiner Position zu meinem Nutzen zu bespielen. Darin bin ich geübter, ebenso im Umgang mit einem gewissen alltäglichen Chauvinismus. Und um davon möglichst unberührt zu bleiben, habe ich eben versucht, all diesen Erfahrungen kein großes Gewicht zu geben und viele Dinge vergessen. Insofern bin ich da auch Teil des Systems gewesen.

Aber durch „MeToo“ hat sich ja einiges verändert. Gehören Übergriffe wie im Fall Weinstein der Vergangenheit an?

Schrader: Das glaube ich nicht. Die passieren nach wie vor.

Rechtlich ist aber doch einiges in Bewegung geraten.

Schrader: Ja. In den USA wurden in einigen Bundesstaaten Gesetze geändert. Es hat sich auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung etwas geändert. In großen Betrieben wird für Sicherheit am Arbeitsplatz gesorgt, etwa durch unabhängige Stellen, an die sich jeder Betroffene wenden kann. Das wird relativ flächendeckend zumindest angestrebt. Und wenn jemand Übergriffe meldet, dann wird das nicht mehr leichtfertig unter den Teppich gekehrt. Das kann sich keiner mehr leisten. Aber die tatsächliche Veränderung der Denkmuster braucht eben viel länger.

Denken Sie, dass auch Ihr Film etwas zu diesen Entwicklungen beitragen kann?

Schrader: Ich hoffe, dass er Mut macht und Gespräche anregt. Wir erzählen nicht die Geschichte von „MeToo“, sondern wie es dazu kam, dass sich zwei Journalistinnen der Gerüchte um Harvey Weinstein annahmen und welche Schwierigkeiten sie auf dem Weg bis zur Veröffentlichung erlebten. Das ist unsere Perspektive. Und ich wollte auch zeigen, welche Erleichterung es Opfern verschafft, sich mitzuteilen und gehört zu werden. Ich hoffe, das ist inspirierend für andere.

Wobei sich die Art, wie Sie Ihre Protagonistinnen präsentieren, von den klassischen männlichen Reportergeschichten abhebt, denn Sie zeigen auch die privaten Probleme des Mutter- und Familienlebens.

Schrader: In ihrem Buch sparen Megan und Jodi den privaten Teil aus, aber ich bin extrem dankbar gewesen, dass sie dem Film diese persönlichen Details zur Verfügung gestellt haben. Das war ein großer Vertrauensvorschuss. Denn so konnten wir eben ein viel kompletteres Bild von arbeitenden Frauen und Müttern zeichnen. Deren Alltag ist eben nach wie vor anders als der von Männern. Ich habe in diesem Genre auch noch keine weiblichen Protagonistinnen gesehen, die fantastische Journalistinnen sind und dabei ganz unglamourös mit der U-Bahn fahren, auch mal zu spät kommen und nicht immer perfekt aussehen.

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Foto: Jojo Whilden/Universal Pictures, dpa
Foto: Jojo Whilden/Universal Pictures, dpa

Szene aus dem Film: Megan Twohey (Carey Mulligan, rechts) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) recherchieren über Harvey Weinstein.

Das klassische Vorbild des Genres ist natürlich „Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffmann über die Aufdeckung des Watergate-Skandals.

Schrader: Der Film zeigt klassische männliche Helden, einsame Wölfe, die von keinerlei familiären Bindungen beeinträchtigt sind. Da passen dann auch die coolen Jazz-Motive dazu. Ich liebe „Die Unbestechlichen“, aber in unserem Fall hängen das Frau- und Muttersein eng mit dem Thema ihrer Recherche als Journalistinnen zusammen. Woodward und Bernstein haben während ihrer Arbeit wohl nicht die eigene Position als Mann in der Gesellschaft hinterfragt. Für Megan und Jodi dagegen berührt das Thema ihre persönliche Welt. Wenn eine Mutter ihre frisch geborene Tochter betrachtet, fragt sie sich, ob die Welt für Frauen in 20 Jahren immer noch so sein wird. Deswegen finde ich es wichtig, sie nicht nur als Profi-Reporterinnen zu zeigen, sondern auch als normale Menschen mit Sorgen und Fehlern. Sie haben es trotzdem geschafft, diese Geschichte zu veröffentlichen, die zu einem Ruck in der Gesellschaft geführt hat.

Ist die Zeit der klassischen männlichen Helden vorbei?

Schrader: Warten wir’s mal ab. Vielleicht gibt es in ein paar Jahren auch die „klassischen weiblichen Heldinnen“. Ich würde mich freuen.

„She Said“ ist Ihr Debüt als Regisseurin eines Hollywoodfilms. Wollen Sie hier weitermachen und diesen Geschichten Ihren Stempel aufdrücken?

Schrader: Ich weiß nicht, was mein nächstes Projekt sein wird. Die Dreharbeiten zu „She Said“ waren sehr erfüllend und es war mir eine Freude, nächtelang amerikanische Schauspieler über Zoom zu casten. Ich empfinde es als großes Glück, dass ich verschiedene Länder und Nationalitäten in meinen bisherigen Projekten vereinen konnte. So gesehen kann ich mir sowohl vorstellen, wieder in den USA, England oder auch Europa zu arbeiten. Was Hollywood angeht, ist mir das noch ein bisschen fremd. New York kenne ich viel besser. Ich fühle mich immer noch ein wenig wie eine Touristin, wenn ich nach Los Angeles fliege. Aber ich habe mir nicht vorgenommen, konsequent eine Hollywoodkarriere zu verfolgen. Dazu fühle ich mich Europa und unserer Art des Geschichtenerzählens zu sehr verbunden.

Wie kam es eigentlich dazu, dass man Ihnen die Regie dieses Prestigeprojekts angetragen hat?

Schrader: Meine Netflix-Serie „Unorthodox“ hat mich ins Visier der Produzenten gerückt. Das war nicht nur der Erfolg, verbunden mit dem Emmy-Gewinn, sondern auch der Inhalt. Die Verbindung aus dysfunktionaler Sexualität und gesellschaftlichem Erwartungsdruck, wie sie die Protagonistin in der Gemeinschaft ultra-orthodoxer Juden erlebt, ist auch verwandt mit sexueller Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen.

Hatten Sie eigentlich Bedenken, sich auf die Maschinerie der amerikanischen Filmbranche einzulassen?

Schrader: Jedes Mal, wenn ich ein Projekt anfange, sind Ängste im Spiel, weil ich nicht weiß, ob ich den Aufgaben, die sich an das jeweilige Projekt knüpfen, gewachsen bin. Am meisten machte mich nervös, dass ich noch nie mit einem so großen amerikanischen Team gedreht hatte, gewerkschaftlich organisiert, wie das in den USA üblich ist. Das führte dazu, dass ich mir Leute aussuchte, die dieses System bereits kannten, und keinen meiner vertrauten Mitstreiter außer dem Cutter von früheren Filmen mitbrachte. Ich war auch eingeschüchtert, was die Sprache anging, denn hier hatte ich es mit New York Times-Journalistinnen zu tun, die nichts anderes machen, als mit Sprache zu arbeiten. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich, wie bei meinen früheren Filmen, mit jungen Israelis, Portugiesen oder Franzosen in Englisch als Zweitsprache trifft. Hinzu kam das Verantwortungsbewusstsein, das ich angesichts dieser Geschichte spürte. Manchmal dachte ich: Ich bin zwar gewohnt, Nervosität in Kreativität umzusetzen, aber wenn noch mehr Druck dazukommt, dann kippt die Nordsee um.

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