Frau Dr. Nguyen-Kim, waren Sie ein Kind, das allen Erwachsenen immer Löcher in den Bauch gefragt hat?
Mai Thi Nguyen-Kim: Ich war ein sehr neugieriges Kind. Ich war auch immer sehr fleißig. Wenn ich in der Grundschule fertig mit meinen Hausaufgaben war, habe ich die aus reiner Eigenmotivation noch illustriert. Ich war quasi schon als Kind eine Streberin. Ich war nicht diese frühe Forscherin, die schon mit fünf Jahren einen Chemiebaukasten hatte. Von denen hatte ich ganz viele als Kommilitonin im Studium. Ich war auch ganz lange nicht sicher, ob ich überhaupt Naturwissenschaften machen möchte. Ich war zwar gut darin, aber es war nicht unbedingt Liebe oder Leidenschaft von Anfang an. Ich war schon immer sehr breit informiert, aber ich habe auch gerne Musik gemacht und gemalt. Auf dem Gymnasium war tatsächlich Deutsch mein Lieblingsfach. Es war aber völlig klar, dass ich das nicht studieren kann. Ich musste etwas Gescheites machen! (lacht)
Was prädestiniert Sie, dem Zuschauer oder der Leserin die Welt zu erklären?
Nguyen-Kim: Es ist wirklich dieses Strebertum, das ich gerade beschrieben habe, und dieses Interesse an allem, das mir jetzt sehr zugutekommt. Dass ich mich mit ganz vielen, verschiedenen Dingen beschäftigen kann, macht mir großen Spaß. Mein Chemiestudium war ein unglaublich gutes Studium, um mich auf diese Arbeit vorzubereiten. Es ist erstens ein naturwissenschaftliches Studium und zweitens ein sehr alltagsnahes Fach, was viele nicht wissen. In meinen Augen ist Chemie die anschaulichste und alltagsnächste Naturwissenschaft. Die Doktorarbeit war im Nachhinein auch superwichtig, weil ich erst da richtig recherchieren gelernt habe. Inhalte von Lehrbüchern lernen und in Vorlesungen zu gehen ist eine Sache. Aber ich habe erst durch die Doktorarbeit gelernt, mich ein paar Jahre lang durch den Wust von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu kämpfen, auf Schwachstellen und Widersprüche zu stoßen und zu verstehen, wo systemische Schwächen liegen. Es ist jetzt für mich als Wissenschaftsjournalistin Gold wert, dass ich den akademischen Betrieb kenne und weiß, wie man Studien liest und im Zweifelsfall gute, seriöse Fachleute findet, die man mal etwas fragen kann.
Sie scheuen kein heißes Eisen. Bei welcher Folge der ersten beiden Staffeln war das Feedback am kontroversesten?
Nguyen-Kim: Wir bekommen schon häufig etwas verärgertes Feedback von unterschiedlichen Seiten. Ich persönlich bekomme davon aber nichts mit, weil das nicht in meinem persönlichen E-Mail-Postfach oder im Briefkasten landet. (lacht) Damit dürfen sich unsere ZDF-Redakteure rumschlagen. Zu unserer Sendung zur grünen Gentechnik beispielsweise gab es sehr kontroverses Feedback. Ich finde es spannend zu sehen, dass auch Themen mit bestimmten Weltbildern kollidieren, bei denen es einen sehr großen, wissenschaftlichen Konsens gibt – wie bei der grünen Gentechnik.
Eine neue Folge stellt sich dem Reizthema Homöopathie. Kann man nicht auch hier nur Kritik ernten, egal, wie man sich positioniert?
Nguyen-Kim: Ja, aber das hilft alles nichts! (lacht) Ich bin auf diese Sendung am meisten gespannt. Die Recherchen sind zum Zeitpunkt unseres Gesprächs auch noch nicht ganz abgeschlossen. Nicht zur Homöopathie, da hat sich nicht viel geändert. Wir möchten aber ein bisschen mitbeleuchten, wie Homöopathie rechtlich, behördlich und in Krankenkassen aufgestellt ist. Ich glaube, es lohnt sich, immer wieder draufzuschauen und hoffe, mit der Sendung – auch wenn ich damit keine überzeugten Homöopathen umstimme – vielleicht den einen oder anderen politischen Entscheidungsträger zum Nachdenken zu bringen. Man darf einerseits nicht naiv sein und denken, dass Vernunft immer siegen wird. Vernunft und rationale Argumente haben nur einen kleinen Spielraum in unseren täglichen Entscheidungen. Selbst bei Menschen wie mir, die sich für sehr rational halten. Die Realität ist letztlich anders. Gleichzeitig darf man deswegen auch nicht verzweifeln und sagen: „Es hat eh keinen Sinn.“ Dann kann man es auch lassen. So einen gewissen Grundoptimismus, dass es doch irgendjemanden gibt, darf man nicht verlieren. (lacht)
Wie stark empfinden Sie die Verantwortung, nur wasserdichte Fakten zu präsentieren?
Nguyen-Kim: Ich empfinde eine fast schon erdrückende Verantwortung mit dieser Sendung. (lacht) Sie wird mit steigender Reichweite auch nur schlimmer. Gleichzeitig hat mich Verantwortung auch schon immer sehr motiviert. Das ist scary, aber es macht die Arbeit auch erst spannend. Man hat das Gefühl, dass es wirklich Sinn macht, was man tut. Am Anfang hatte ich ganz lange das Problem, dass ich alles alleine machen wollte. Deshalb habe ich auch so viel gearbeitet. Ich konnte niemandem vertrauen, aus der Wissenschaft kommend und mit gewissen Erfahrungen mit Medienmenschen. Das sind schon unterschiedliche Arten des Arbeitens und unterschiedliche Dinge, die einem wichtig sind. Das hat sich alles mit meinem ersten Mitarbeiter Lars Dittrich geändert. Ich habe ihn auch aus der Forschung rekrutiert. Er wollte ursprünglich Professor werden, aber ich habe ihn zu maiLab holen können. Er ist super und hat mir erst mal gezeigt, dass man durchaus delegieren kann. Jetzt bin ich sehr froh, ein etwas größeres Team zu haben, mit guten Leuten, denen ich vertrauen kann. Ich werde aber trotzdem nie so eine klassische Moderatorin sein, die nur Formulierungen vorträgt. Da könnte ich gar nicht das Selbstbewusstsein hernehmen. Ich bekomme manchmal das Kompliment, ich wäre sehr selbstbewusst in meinem Auftreten und würde sehr selbstsicher wirken. Ich bin das dann auch, denn immer, wenn ich mich zu einem Thema äußere, weiß ich wirklich, wovon ich rede. Ich habe mich genug damit auseinandergesetzt.
Sie sind eine attraktive Erscheinung. Haben Sie auf Ihrem Weg zur etablierten Wissenschaftlerin die Erfahrung gesammelt, dass selbst intelligente Männer Sie deshalb pauschal unterschätzt haben?
Nguyen-Kim: Ja klar, man wird oft unterschätzt. Das ist der Alltag jeder Frau. Je konventionell attraktiver man ist, desto eher, denn dieses Klischee „Man kann nicht gut aussehen und schlau sein“ ist sehr verankert. Wenn wir schon über Klischees sprechen: Es ist immer noch besser, eine Asiatin in der Wissenschaft zu sein, als zum Beispiel eine Blondine. Das muss man auch dazusagen. Ich finde das tendenziell auch ganz amüsant und eigentlich cool, unterschätzt zu werden. Man kann dann nur gewinnen. (lacht) Ich fand es immer ziemlich einfach, mir relativ schnell den notwendigen Respekt zu verschaffen. Ich hatte keine Probleme, als kompetente Chemikerin entsprechenden Respekt den männlichen Kollegen abzugewinnen. Da bin ich der evidenzbasierten Wissenschaft schon dankbar. Man setzt sich zusammen, um irgendwelche Daten durchzugehen und etwas zu besprechen. Am Ende sprechen die Daten dann doch für sich. Klar, erste Eindrücke gab es immer wieder. Ich konnte die aber immer sehr gut revidieren. In den Medien ist es ein bisschen komplizierter, weil die von sich aus systemisch viel oberflächlicher sind. Außerdem kann ich da natürlich nicht immer super in die Tiefe gehen. Ich habe das Gefühl, dass das innerhalb der Wissenschaft ein kleineres Problem ist, als innerhalb der Medien.
Was bereitet einer jungen Mutter dieser Tage die größten Sorgen?
Nguyen-Kim: Ich mache mir wirklich Sorgen um unsere Empathie-Fähigkeit und um unser soziales Miteinander. Wir Menschen sind ja soziale Wesen, und zwar auch wirklich evolutionär so entwickelt. Man hat in der Gruppe gelebt und es war ein Überlebensvorteil, sich gut mit der Gruppe zu verstehen. Deswegen ist es nicht nur gesellschaftliche Konvention, wenn wir uns darum scheren, was jemand anderes über einen denkt und dass wir uns schämen, wenn wir etwas verbockt haben. Oder dass wir uns sehr freuen, wenn jemand einen lobt oder wenn man ein Like bekommt. Das Zwischenmenschliche ist tief verinnerlicht, weswegen auch Dopamin ausgeschüttet wird. Oft heißt es ja, unser Stoffwechsel ist nicht für unser modernes Leben gemacht. Der frühe Mensch hat ab und zu ein Mammut erlegt, sich wahrscheinlich bis kurz vorm Kotzen vollgefressen und dann gab es wieder länger nichts. Heute müssen wir uns auf so komische Laufbänder stellen. (lacht) Ganz ähnlich verstehe ich das mit den sozialen Medien und unserem sozialen Miteinander.
Schaden die sozialen Medien unserem Miteinander?
Unser soziales Miteinander ist eine unserer größten menschlichen Errungenschaften, eines der Sachen, die uns von Tieren unterscheiden. Viele sagen, es sei die Intelligenz. Ja, vielleicht. Es ist aber vor allem auch diese Empathie-Fähigkeit und zu was sie einen bewegt. Ich finde es schon sehr erschreckend, wie soziale Medien unsere Empathie strapazieren. Wenn meine Tochter jetzt 16 wäre, wäre ich ganz zuversichtlich, dass ich ihr noch einen kritischen Blick mitgeben könnte, um gewisse Sachen einzuordnen. Aber wer weiß, wie sehr ich dann irgendwann noch mitkomme. (lacht) Man denkt immer, bei einem selbst wird es nicht so sein, aber es ist eine wiederkehrende Eigenschaft jeder neuen Generation, dass man ab einem gewissen Alter nicht mehr so ganz auf der Höhe ist.