Sie haben ein großartiges 2023, das neue Album „Tension“ ist gelungen, „Padam Padam“ ist einer der Sommerhits des Jahres. Erleben Sie gerade eine der schönsten Phasen Ihrer Karriere?
KYLIE MINOGUE: Ja, mir ist sehr bewusst, dass das gerade wunderbare Zeiten für mich sind. Der Enthusiasmus und die Freude über meine neuen Songs sind gigantisch, und gucken Sie sich doch nur mal an, was in den letzten drei Monaten mit „Padam Padam“ passiert ist, wo dieser Song gelandet ist. Mich hauen die Glücksgefühle gerade total um.
Die Nummer ist auch auf Social-Media-Plattformen wie TikTok extrem angesagt.
MINOGUE: Nach 35 Jahren habe ich zum ersten Mal einen Hit im Internet, das ist so cool. Das ist sogar supercool (lacht). Die neue Generation weiß jetzt, wer ich bin. Das ist so verrückt, so herrlich. Jetzt tauchen die Kids so richtig tief in meine Geschichte und in meinen Katalog ein. Die sind total neugierig und entdecken gerade „Can’t Get You Out Of My Head“, ein über zwanzig Jahre altes Lied (lacht). So viele Leute, die noch nie von mir gehört haben, machen gerade dank „Padam Padam“ zum ersten Mal Bekanntschaft mit mir.
Dem Musikgeschäft wird manchmal vorgeworfen, altersdiskriminierend zu agieren. Ist es eine Genugtuung, wenn Zehn- oder Zwölfjährige plötzlich nach einem Selfie fragen?
MINOGUE: Es fühlt sich tatsächlich fantastisch an. Mich erinnert die Situation gerade ja seltsamerweise sogar an meine ganz frühen Tage in der Showbranche, als ich in der TV-Serie „Neighbours“ mitspielte. Damals standen alle auf mich – die Großeltern, die Eltern, die Kinder, die Säuglinge. Alle kannten mich, alle lernten dann auch meine Musik kennen, als ich mit „The Locomotion“ und „I Should Be So Lucky“ loslegte. Ich war wie ein Familienmitglied. Und jetzt passiert das gerade wieder, 35 Jahre später. Wer würde da nicht glücklich und tief dankbar sein? Ich bin jedenfalls beides.
Liegen Sie dem Publikum stärker am Herzen als die meisten anderen Popsängerinnen und Popsänger?
MINOGUE: Ja, da gebe ich Ihnen absolut recht. Auch jenseits der Musik und der leidenschaftlichen Arbeit, die ich seit 35 Jahren in meine Karriere stecke, was ich übrigens sehr gerne tue, ist da noch etwas anderes. Ich bin den Menschen nicht egal. Sie kümmern sich um mich. Sie sind besorgt, wenn es mir nicht so gut geht, und sie freuen sich, wenn alles in bester Ordnung ist. Ich fühle diese Zuneigung, diese Empathie, und ich bin unendlich berührt davon, wie nah mein Wohlbefinden vielen Leuten geht.
Sie wirken auch nicht wie eine abgehobene Diva, sondern wie eine ansprechbare Frau.
MINOGUE: (lacht) Tatsächlich haben viele Leute in diesem Punkt keine Scheu, was cool für mich ist. Okay, nicht immer im idealen Moment oder an den besten Orten, aber das ist völlig okay. Ich liebe mein Publikum, ich will den Menschen wirklich immer das Beste geben. Ja, ich versuche sogar immer, ein bisschen mehr zu geben, als vielleicht nötig ist. Ich bin mir schon sehr bewusst, dass ich ein besonderes Verhältnis zu vielen Menschen, auch solchen, die mich nicht persönlich kennen, aufgebaut habe. Ich bin tatsächlich gerne nett und zuvorkommend, mir liegt es wohl im Blut, freundlich zu sein. All das geht natürlich viel tiefer, als wenn du einfach nur ab und zu einen Hit-Song hast. Und es ist wirklich, wirklich schön.
Was meinen Sie mit „mehr geben, als nötig ist“?
MINOGUE: Ich arbeite wirklich superviel und ich will immer ein bisschen mehr machen, als man von mir erwartet. Ich biete gerne ein kleines Extra an, auch wenn ich mich manchmal dabei verausgabe.
„Tension“, das Titelstück des Albums, ist Ihre neue Single. Wer zehn Sekunden hört, weiß, um welche Art von Spannung es sich dreht.
MINOGUE: Um sexuelle Spannung (lacht).
Wie kam der Song zustande?
MINOGUE: Jedenfalls nicht, indem wir uns sagten: „Lasst uns mal ein Lied über Sex schreiben“. Ich saß für „Tension“ mit großartigen Songwriterinnen und Songwritern zusammen und wir wussten selbst nicht, was da abgeht. Wir haben uns ein bisschen anregen lassen von unseren eigenen Ideen und uns gegenseitig ziemlich angefeuert (lacht).
Ein Lied wie „Tension“ ist wie gemacht für die Tanzfläche. Ist Ihnen als Künstlerin wichtig, solche Momente der musikalischen Euphorie zu kreieren?
MINOGUE: Für mich geht es in „Tension“ in allererster Linie um Freiheit, um Befreiung. Um den Ausbruch. Ich denke bei diesem Song und seinen Worten gar nicht so sehr an eine andere Person, die mich erregt. Vielmehr verbinde ich mit „Tension“ das Hochgefühl, dass du auf einer tollen Party oder beim Tanzen in einem Club haben kannst, wenn alles perfekt ist. Auch der, okay, sehr präsente Sex-Bezug steht letztlich für noch mehr.
Für was denn?
MINOGUE: Für ein positives Selbstwertgefühl. „Tension“ kommt von einer Frau, die sich wohl in der eigenen Haut und sexy im eigenen Körper fühlt.
Diverse Stücke auf Ihrem Album handeln von Sex. Im Song „Hands“ spüren Sie die Hände der anderen Person an jeder Stelle Ihres Körpers, in der Electro-Nummer „10 Out Of 10“ geben Sie der Leistung Ihres Sexpartners die Höchstnote.
MINOGUE: (lacht) Mir macht so etwas einfach Spaß. Pop sollte leicht sein, nicht schwer. Ich finde alle diese Songs schön frech und sehr verspielt. Ich mag auch die Haltung, die dahintersteckt: selbstsicher zu sein, ohne aufdringlich zu wirken. Das ist tatsächlich meine Art. Aber es gibt ja auch andere Lieder auf „Tension“, die in ganz andere Richtungen gehen.
Ein Song wie „Hold On To Now“ zum Beispiel, der etwas melancholischer ist und davon handelt, den Moment zu genießen, denn er ist flüchtig.
MINOGUE: Ja, so ist es. „Hold On To Now“ ist ein wunderbarer Song, den ich zutiefst vergöttere. Darin werfe ich die großen existenziellen Fragen auf, die sich alle von uns von Zeit zu Zeit stellen: Wer bin ich? Was mache ich? Wo will ich hin? Als der Song entstand, war meine Beziehung noch gut in der Balance, und ich wollte wirklich an diesem Moment festhalten. Gleichzeitig dachte ich so viel über die Zukunft nach, dass es nicht immer einfach war, im Hier und Jetzt zu leben. In solchen Momenten verlierst du schnell aus den Augen, was du gemeinsam hast, was dich ausmacht. Wie immer eigentlich vermische ich in „Hold On To Now“ meine persönlichen Erfahrungen mit einem allgemeingültigen Ansatz.
Eine weitere Spezialität von Ihnen, denn Ihre Songs haben oft viel Persönlichkeit.
MINOGUE: Das ist interessant, ich meine, auf diesem Album findet tatsächlich mein Leben statt. Im Song „Tension“ kannst du, inklusive mich, sechs Menschen hören, die auf einer Couch sitzen und kichern. Andere Stücke wiederum, vor allem die, die ich mit meinem langjährigen Lieblingsvertrauten Richard „Biff“ Stannard geschrieben habe, sind sehr ehrlich, unverstellt und tief. Wir kennen uns seit 1999, wir haben sehr viel Leben gelebt, sehr viel miteinander geteilt. Ich schaue jetzt auf manche der Gefühle, die ich in diesen Liedern ausdrücke und staune, wie bedeutsam, wie intensiv sie zu der Zeit für mich waren.
Sie lernen sich und ihr Innerstes also mithilfe Ihrer Musik noch besser kennen?
MINOGUE: So kann man es sagen, ja. Ich finde es spannend, was man in der richtigen Stimmung alles zu offenbaren bereit ist, auch sich selbst gegenüber.
Da wir schon über existentielle Fragen sprechen: In „Things We Do For Love“ fragen Sie: „Soll ich gehen oder soll ich bleiben?“ Entstand der Song etwas später in Ihrer Beziehung zum Medienmanager Paul Solomons, deren Ende zu Beginn dieses Jahres publik wurde?
MINOGUE: Tja, ich weiß nicht mehr genau, in welcher Phase wir gerade waren, als der Text entstand, aber es war definitiv eine Zeit des Hinterfragens.
Sie brauchen also nicht zwingend einen Partner, um glücklich zu sein?
MINOGUE: Ja. Der Zusammenhang zwischen einer Liebesbeziehung und grundsätzlichem Glück lässt sich nicht in einer mathematischen Gleichung darstellen. Ich meine, ich schreibe zwar immer wieder Songs über diese Magie der Zweisamkeit, aber meiner Ansicht nach blubbern auf „Tension“ in vielen Momenten die Stärke und das Selbstbewusstsein an die Oberfläche, dass ich mir meinen eigenen Raum nehme. Und dass ich mich sehr wohl fühle an dem Ort, an dem ich gerade in meinem Leben bin. Ich fokussiere mich gerade auf mich selbst, und mir fehlt nichts. Einen Partner gibt es aktuell nicht.
Weil Sie keinen möchten?
MINOGUE: Ich verstecke mich nicht vor der Welt, aber ich denke, ich genüge mir gerade selbst. Ich genieße es sehr, genau die Person in genau dem Körper zu sein, die ich gerade bin. Ich habe in meinem Leben einige Hindernisse überwunden und befinde mich auf einer Reise, auf der ich mich kontinuierlich reflektiere und immer besser selbst kennenlerne. Und um loszulassen, singe ich dann eben verrücktes, heißes Zeug wie „Hands“ oder „Tension“ (lacht).
Sie sind nach dreißig Jahren in London 2021 in Ihre australische Geburtsstadt Melbourne gezogen. Was war der Grund?
MINOGUE: Ich bin eh schon immer viel zwischen Australien und dem Rest der Welt hin- und hergeflogen. Aber nun ist es vor allem für meine Eltern schön, mich nahe bei sich zu haben. Sie wissen, dass sie mich öfter sehen können, auch mein Bruder, meine Schwester, meine Neffen sind dort. Es tut mir gut, häufiger mit der Familie zusammen sein zu können. Diese Menschen bedeuten mir unendlich viel.
Zur Person
Kylie Minogue ist die Comeback-Queen des Pop. Mehrmals schwankte ihre Karriere, aber die 55-Jährige schaffte es immer wieder nach oben. Bekannt wurde sie mit eingängigen Pop-Liedern und Disco-Sounds. Die erfolgreichste Wiederkehr gelang der Australierin 2001 mit ihrem Hit "Can’t Get You Out of My Head". Minogue wuchs als erstes von drei Kindern in Melbourne auf und stand früh vor der Kamera. Mit der Seifenoper "Nachbarn" gelang ihr 1986 der Durchbruch. Ein Jahr später sang sie im Rahmen eines Fußballbenefizspiels ein Lied und erhielt einen Plattenvertrag. In den 1990er Jahren trällerte Minogue, abgesehen von einem Duett mit Nick Cave, am Zeitgeist vorbei. Doch in den 2000ern mauserte sie sich zur internationalen Pop-Ikone. Inzwischen hat die Australierin 14 Alben veröffentlicht, am Freitag erschien ihre neue Platte "Tension".