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Foto: Michael Bahlo, dpa
Foto: Michael Bahlo, dpa

Eva Briegel ist Sängerin der Band Juli. Nach neun Jahren haben sie wieder ein Album veröffentlicht. „Der Sommer ist vorbei“ heißt die neue Platte.

Interview
29.04.2023

Juli-Sängerin Eva Briegel: „Nichts entspannt so wie Chorproben“

Von Steffen Rüth

Mit „Geile Zeit“ oder „Perfekte Welle“ wurde sie bekannt. Jetzt hat die Band Juli ein neues Album veröffentlicht. Warum Sängerin Eva Briegel gern ihre Steuererklärung macht und im Kirchenchor singt.

Eva, „Der Sommer ist vorbei“ ist ein leicht ungewöhnlicher Titel für ein Album, das Ende April rauskommt. 

Eva Briegel: Das ist völlig richtig, und ich kann auch schlecht erklären, wie es dazu kam, dass die Platte so heißt, wie sie heißt. Ich zitiere mal die Jugend, die immer sagt: „Ich fühle das“ (lacht). So war es auch bei uns mit „Der Sommer ist vorbei“. Wir alle haben diesen Albumtitel gefühlt. Für mich schließt sich auch so etwas der Kreis zum ersten Album „Es ist Juli“. Verglichen mit 2004 ist heute vieles nicht mehr so leicht und so unbeschwert wie damals

Also ist dein heutiges Lebensgefühl eher von Sorgen und Ungewissheit geprägt?

Briegel: Ich habe kein negatives oder pessimistisches Gefühl, wenn ich an das denke, was vor uns liegt. Es wird anders, aber es muss nicht schlechter werden. Mich erinnert der Albumtitel auch ein bisschen an den Film „Die fetten Jahre sind vorbei“, den ich großartig finde. Es liegt etwas in der Luft, die Stimmung kippt. 

„Die fetten Jahre sind vorbei“ ist ein sehr kapitalismuskritischer Film. Denkst du, unser Gesellschaftssystem als solches steht vor einem Umbruch?

Briegel: Auch das ist wieder nur so ein Gefühl. Als Künstlerin bin ich eher Seismograf als Welterklärerin. Mir kommt es jedenfalls vor, als würde sich meine persönliche Lebenssituation wesentlich bedrohlicher und auch bedrohter anfühlen als früher. Vor zehn, zwanzig Jahren dachte ich noch, wenn alles schiefläuft, kaufst du dir ein Haus im Vogelsbergkreis und baust dort deine Kartoffeln an. Aber jetzt sagt der Klimawandel: Nee, Baby, vielleicht kannst du bald keine Kartoffeln mehr pflanzen, weil es einfach nie wieder regnet. Auch dem Plan, ich ziehe nach Thailand, wenn ich hier die Schnauze voll habe, könnte die Klimarealität einen Riegel vorschieben. Wir sind in den letzten Jahren krass in der Wirklichkeit gelandet, viel von diesem früheren Sicherheitsgefühl ist mir genommen worden. Ich bin zum Beispiel oft in Brandenburg, und dort freue ich mich über jeden einzelnen Tropfen Regen.

Schwingt in den neuen Songs wie „Fette Wilde Jahre“ oder „Die besten Dinge“ auch eine Sehnsucht nach der Unbeschwertheit von früher mit?

Briegel: Ein bisschen Nostalgie ist dabei, aber mein Blick ist schon eher auf die Gegenwart und auf die Zukunft gerichtet. „Fette Wilde Jahre“ handelt eher davon, dass ich es nicht verstehe, warum sich die Leute zurückziehen, sobald sie Kinder bekommen und dann auch später nie wieder wirklich auftauchen. Viele werden richtig hineingesaugt in ihre Herkunftsfamilie und sind dann nur noch mit Eltern, Schwiegereltern oder Geschwistern zusammen. Mir würde das nicht reichen. Für mich gehört dazu, rauszugehen, was mit Freunden zu machen, zu feiern, zu verreisen. Ich hoffe sehr, dass die fetten wilden Jahre eben noch nicht vorbei sind. 

Gefällt dir die Idee des Erwachsenseins nicht?

Briegel: Ganz furchtbar finde ich den Satz „Aus dem Alter bin ich raus“. Nein, wieso denn? Ich kann doch zum Beispiel ein Kind haben und trotzdem in einer WG wohnen. Der Spaß muss doch nicht vorbei sein, nur weil ich Familie habe, einen festen Beruf, ein gewisses Alter. Die rebellische Stimme in mir sagt „Du musst auf nichts verzichten, das geht schon alles.“ Nichts ist deprimierender als das Leben der Charaktere in der Serie „Friends“. Die haben erst eine Riesenzeit, dann kommen Kinder, dann kommt das Haus, und plötzlich ist Schluss mit lustig.

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Dafür, dass du in „Traurige Lieder“ singst, „Nichts macht mich so glücklich wie traurige Lieder“, ist das Album recht heiter und fröhlich geworden, oder?

Briegel: Ja und nein. Es gibt helle, aber auch dunklere, melancholische Songs. Mein Lieblingsstück heißt „In unseren Händen“ und ist wirklich kein fröhlicher Song.

„Alles kann sich so schnell wenden, es liegt nicht in unseren Händen“, heißt es im Text. Und wieder sind wir bei den Unwägbarkeiten des Lebens.

Briegel: Wir sind jetzt in unseren Vierzigern, in dieser Lebensphase stehen viele in unserem Alter auf der Höhe der Verantwortung – Familie, Beruf, plötzlich merkst du, wow, es gibt so viel zu verlieren. Gerade nachts springt einem das alles manchmal in den Rücken, und dann erschauere ich kurz, wenn ich daran denke, was alles passieren kann. So vieles im Leben hast du einfach nicht unter Kontrolle.

Über solche Themen wird in der Popmusik nur selten gesungen. Woran mag das liegen?

Briegel: Popmusik ist heute sehr perfekt. Selbst wenn ein Song traurig ist, klingt er immer noch sehr inszeniert und glamourös. Ich vermisse sehr das Kaputte, Unfertige, Gebrochene der Neunzigerjahre. Als wir Musik lieben lernten, boomte gerade der Grunge. Ein Song wie „Where Is My Mind?“ von den Pixies, der macht was mit mir, das schafft moderne Popmusik nicht.

Warst du als Teenager ziemlich düster drauf?

Briegel: Nee, ich war ziemlich zufrieden und guter Dinge. Wir waren ein fröhlicher Haufen. Aber ich glaube, alle Jugendlichen sind grundsätzlich der Meinung, dass sie es schwer haben und dass alles ganz schlimm ist.

Ist deine Tochter Yoko schon im Teenageralter?

Briegel: Fast. Sie ist jetzt zwölf. Und reagiert wie alle in dem Alter sehr allergisch auf Ratschläge, deshalb verkneife ich mir Mamas Lebensweisheiten so gut es geht (lacht).

Dass neun Jahre seit eurem letzten Album „Insel“ verstrichen sind, war bestimmt nicht geplant, oder?

Briegel: Nein. Wir haben zwar wirklich lange an dem neuen Album gearbeitet, aber wir hätten es gerne früher veröffentlicht. Nur war der Sound lange noch nicht so, wie er sein sollte, auch sind immer noch neue Songs entstanden, Corona hat die Dinge auch nicht gerade beschleunigt, und dann geht eben so viel Zeit ins Land. Trotzdem fühlt sich die Pause für mich nicht so lang an, ich wäre sowieso sehr unglücklich und unkreativ, wenn ich zehn Stunden am Tag immer nur die Sängerin von Juli sein könnte. Ich muss auch andere Personen sein können: die Privatperson, die Studentin und die Chorsängerin zum Beispiel. Um Songs zu schreiben, muss ich was erleben.

Langsam. Also: Chorsängerin?

Briegel: Ja, ich singe seit einem Jahr im katholischen Kirchenchor der Herz-Jesu-Gemeinde in Berlin. Ich wollte schon lange gern in einem Chor singen, weil das die Stimme trainiert und ich mehrstimmigen Gesang einfach sehr liebe. Eine Freundin von mir singt in diesem Chor, und schließlich sagte sie: „Komm doch mal mit zum Adventskonzert und guck dir das an.“ Ich war sofort begeistert. Einfach zwei Stunden lang diese tollen alten Lieder singen, in einer Kirche mit fantastischer Akustik in der Gemeinschaft des Chores aufzugehen und mittendrin zu sein, da kommst du in so einen perfekten Flow-Tunnel. Nichts entspannt mein Gehirn so sehr wie unsere Chorproben.

Hast du einen Bezug zur katholischen Kirche?

Briegel: Null (lacht). Ich bin evangelisch getauft und konfirmiert, aber nicht religiös aufgewachsen.

Und was hast du studiert?

Briegel: Ich habe gerade meinen Bachelor in Psychologie abgeschlossen. Bevor es mit Juli so abging, hatte ich ein paar Jahre ohne die nötige Disziplin dieses und jenes studiert, auch mit Psychologie hatte ich immer schon geliebäugelt. Jetzt dagegen bin ich in der geistigen Verfassung, dass ich wirklich Bock darauf habe, pro Klausur stapelweise Karteikarten auswendig zu lernen. Man muss für dieses Studium auch sehr viel rechnen und intensiv den Kopf benutzen. So eine Rechenaufgabe ist ja das Gegenteil zu kreativer Arbeit. Da geht es nicht darum, was mich beschäftigt oder was ich fühle, sondern es geht sehr konkret um Zahlen. Und ich mag Zahlen. Ich genieße es zum Beispiel sehr, meine Steuererklärung zu machen.

Wer hätte das gedacht! Willst du weiterstudieren?

Briegel: In Berlin ist das schwierig, weil es für die ganzen Bachelorabsolventen längst nicht genug Masterplätze gibt. Da wir jetzt ab Mai ganz viele Konzerte spielen, habe ich mich erstmal exmatrikuliert. Aber irgendwann will ich auf jeden Fall einen Master machen und gerne eine Psychotherapeutenausbildung anschließen. Systemische Familientherapie interessiert mich sehr, auch die Psychoanalyse ist ein spannendes Feld. Zum Glück habe ich noch Zeit. Psychotherapeutisch arbeiten kann man ja bis ins hohe Alter (lacht).

Als ihr vor fast zwanzig Jahren plötzlich so erfolgreich wurdet, hättest du dir da selbst eine Therapeutin oder einen Therapeuten gewünscht?

Briegel: Ich war seinerzeit bei einer Therapeutin, um mein Nervenflattern abzustellen, leider brachte mir das nichts. Was ich gebraucht hätte, wäre so eine Art Sportlercoach gewesen, der mir geholfen hätte, auf den Punkt, sprich: auf der Bühne, meine Leistung abzurufen. Ein Konzert ist wie ein Fußballspiel. Du kannst nicht einfach aus dem Bus auf den Platz stolpern. Du musst dich vorbereiten, vielleicht mit Yoga, einem kräftigen Spaziergang oder dem Trainieren der richtigen Atmung.

Wie ist heute dein Verhältnis zu euren großen Hits „Perfekte Welle“ und „Geile Zeit“?

Briegel: „Geile Zeit“ spiele ich sehr gerne auf dem Klavier. Ich schaffe es, an dem Stück immer noch neue Seiten zu entdecken. Und „Perfekte Welle“ liebe ich nach wie vor sehr. Der Song hat ein krasses Eigenleben entwickelt, und wir haben ihm sehr, sehr viel zu verdanken. Mit dem Gefühl, welches das Lied ausdrückt, nämlich auf die Welle zu springen und mich ganz weit tragen zu lassen, wohin auch immer, kann ich mich bis heute sehr gut identifizieren.

Ihr seid immer noch dieselben fünf Bandmitglieder wie vor 22 Jahren. Wie habt ihr das hinbekommen?

Briegel: Da gibt es eine Reihe von Gründen. Wir machen sehr gerne zusammen Musik, wir haben einen sehr ähnlichen Humor und wir mögen uns einfach gern. Wir haben unser halbes Leben miteinander verbracht und eben nicht nur die schlechten, sondern auch die besten Seiten der anderen kennengelernt. Mit jedem Jahr wächst mir diese Band mehr ans Herz. 

Und was ist die Erklärung der Psychologin?

Briegel: (lacht). In der Psychologie gibt es Studien, dass du die Person, mit der du was Tolles erlebt hast, mit diesem Ereignis verknüpfst. Wenn du jemanden an dich binden möchtest, solltest du mit diesem Menschen zum Beispiel Bungeespringen gehen. Oder einen Monat im Tourbus durchs Land fahren.

Zur Person: Mit „Perfekte Welle“ landete die Band Juli im Sommer 2004 einen Hit. Es war die erste Single aus dem Debütalbum „Es ist Juli“. Nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien Ende 2004 wurde das Lied zwar kaum noch im Radio gespielt, aber die Band war weiterhin zu hören – mit Liedern wie „Geile Zeit“ oder „November“. Die Besetzung blieb unverändert: Simon Triebel, Jonas Pfetzing, Andreas Herde, Marcel Römer und Eva Briegel fanden 2001 in Gießen zusammen und machen bis heute gemeinsam Musik. Nach neun Jahren haben sie eine neue Platte veröffentlicht. „Der Sommer ist vorbei“ klingt eine Spur nachdenklicher als das Frühwerk, aber immer noch nach Baggersee und Dosenbier. Anfang Mai starten Juli ihre Deutschland-Tour und geben am 12. Mai auch ein Konzert in München. Eva Briegel sang schon als Schülerin in verschiedenen Bands. Sie studierte mehrere Fächer an zwei verschiedenen Unis, brach das Studium aber ohne Abschluss ab. Die 44-Jährige lebt mit ihrem Partner und ihrer Tochter in Berlin.

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