James, Sie melden sich aus Ibiza, wo Sie die meiste Zeit des Jahres mit Ihrer Frau Sofia Wellesley und Ihren zwei Söhnen leben. Kommt man an so einem Ort eigentlich zum Arbeiten?
JAMES BLUNT: Und wie! Ich sitze so gut wie jeden Tag am Schreibtisch, so wie jetzt gerade, oder halte mich im Studio auf. Wenn du dauerhaft hier lebst, ist es etwas ganz anderes, als wenn du jedes Jahr für zwei, drei Wochen Urlaub herkommst.
Im Winter siedeln Sie dann um ins schweizerische Verbier, und eine Bleibe in England haben Sie ebenfalls.
BLUNT: Ich mag die Abwechslung, auch zwischen den Jahreszeiten. Früher habe ich in Los Angeles gelebt, dort ist das Wetter das ganze Jahr über dasselbe. Das wurde mir irgendwann zu eintönig.
Was gefällt Ihnen an der Schweiz?
BLUNT: Ich bin leidenschaftlicher Skifahrer. Ich liebe die Berge in der Schweiz, die tollen Landschaften und die Menschen. Verbier ist ein kleiner Ort, man kennt sich, man grüßt sich freundlich, es ist superangenehm. Und es gefällt mir, wie verlässlich das ganze Land funktioniert. In der Schweiz fahren die Züge tatsächlich so, wie es im Plan steht.
Auf Ihrem neuen Album gibt es ein paar sehr tanzbare und beat-orientierte Songs wie etwa die erste Single „Beside You“. Gehen Sie auf Ibiza in die großen Clubs?
BLUNT: Ja klar, ich muss doch recherchieren (lacht). Ich gehe tatsächlich ab und zu aus, und ich stehe auf den vibrierenden Sog, den so ein Club wie das Pacha, das Ushuaia oder das etwas dunklere Amnesia auf mich ausübt. Über das Pacha habe ich sogar mal einen Song geschrieben, „1973“ heißt der und findet sich auf meinem zweiten Album.
Schauen Sie sich auch ein paar Tanzschritte für die eigene Show ab?
BLUNT: Das lasse ich tunlichst bleiben. Ich bin ein fürchterlicher Tänzer. Niemand kommt in ein James-Blunt-Konzert, um mich tanzen zu sehen.
Begleitet Sie Ihre Frau bei den Expeditionen ins Nachtleben?
BLUNT: Es wäre ziemlich traurig für mich und meine Abende, wenn sie das nicht täte (lacht). Dann müsste ich ja wieder die Dinge tun, die ich früher als Junggeselle getan habe.
Zum Beispiel?
BLUNT: Zu Beginn meiner Karriere war ich ein Single-Mann, der versucht hat, seinen Platz in der Welt zu finden und die Welt zu verstehen. Der Romanzen gesucht, gefunden und wieder verloren hat, der sich ein bisschen ausprobiert hat. Mein Leben war toll, um Inspirationen für Songs daraus zu ziehen, doch als ich älter wurde, sehnte ich mich nach Stabilität. Dann lernte ich meine Frau kennen, wir heirateten 2014, haben zwei Söhne, und heute sehe ich die Welt durch ihre Augen.
Das Albumcover ist ein altes Foto von Ihnen, auf dem Sie auf einer Wiese mit einem Modellflugzeug spielen.
BLUNT: Auf dem Foto war ich zehn Jahre alt. Es ist in Yorkshire in England entstanden. Ich erinnere mich gut, wie es gemacht wurde. Der Tag war nicht ganz so sonnig, wir haben den Himmel ein bisschen nachbearbeitet, doch ich weiß noch, dass es ein schöner Tag war.
Ihre Lieder hatten immer schon eine etwas wehmütige Note, aber auf „Who We Used To Be“ treiben Sie es mit der Nostalgie ganz schön auf die Spitze. Was ist der Grund?
BLUNT: Der Grund ist einfach: Das Leben ist kurz. Wir sollten jede Minute auskosten. Je älter du wirst und je mehr Verlusterfahrungen du machst, desto klarer wird dir das vor Augen geführt. Der Sinn des Lebens ist es, Freude zu empfinden und diese Freude mit der Familie und den Freunden zu teilen. Denn bald schon wird es vorbei sein. Und so singe ich in „Beside You“ über meine Frau, die ich über alles liebe und die immer an meiner Seite ist, was mir alles im Leben bedeutet. Sie ist die Einzige, die auch die Songs hören kann, die nur in meinem Kopf sind. Und dann halten wir uns und tanzen zu der Musik, die nur wie beide hören können. Aber ich greife auch traurige Erlebnisse auf, denn sie gehören ebenso zum Leben dazu.
In dem sehr gefühlvollen Stück „The Girl That Never Was“ geht es um ein Paar, das sich durch eine Kinderwunschbehandlung kämpft und den Kampf letztlich verliert.
BLUNT: Dieser Song ist ein sehr persönlicher, er handelt von einer sehr, sehr frühen Verlusterfahrung. Ich hatte sehr viel Glück, aber ich weiß auch, wie sich Trauma und Trauer anfühlen. Jede Familie hat ihre Erfolgsmomente, macht aber auch niederschmetternde Erfahrungen. Es sind wirklich die simplen Dinge, die mir im Leben am Wichtigsten sind: Ich will, dass meine Familie glücklich, sicher und gesund ist.
Sie selbst sind als Sohn eines Soldaten als Kind viel umhergezogen. Wiederholt sich bei Ihren Jungs, die ja durch drei Wohnsitze quasi wie von selbst zu Weltbürgern werden, jetzt die Geschichte?
BLUNT: Ein Stück weit schon. Die Leute denken manchmal, wir überfordern die Kinder, aber das sehe ich nicht so. Wir sind als Familie eine Einheit, wir halten eng zusammen, und die Kinder treffen sehr viele, sehr unterschiedliche Menschen. Sie sind dadurch sehr offen, sehr neugierig, und ich bin überzeugt, wer mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten, Hautfarben, Glaubensrichtungen und Kulturen zu tun hat, der kann nur sehr schwerlich zum Rassisten werden. Ich selbst lebte als Kind eines Armeemitglieds in England, Hongkong, auf Zypern und am Möhnesee in Westfalen. Ich kann gar nicht oft genug erzählen, wie schön diese Zeit war. Die Menschen in Deutschland waren supernett, wir sind im Sommer im See geschwommen, im Winter konnten wir Schlittschuhlaufen. Das waren wunderbare Jahre. Allerdings, und das unterscheidet meine Kindheit von der Kindheit meiner Söhne, war die Stimmung eine ganz andere. Wir waren voller Hoffnung und Zuversicht, wir freuten uns auf die Zukunft. Heute gibt es die extreme Linke und die extreme Rechte, dazwischen klafft ein Riesenspalt. Früher gab es viel weniger Hass, man war bedacht auf Ausgleich und auf gegenseitiges Verständnis.
Was kann ein Musiker wie Sie gegen den Hass tun?
BLUNT: Wir alle sollten uns mit unseren jeweiligen Möglichkeiten dem Hass entgegenstemmen. Mein Talent ist: Ich mache Musik.
Wobei Sie auch auf X/ Ex-Twitter ausgesprochen begabt sind. Es gibt eine Menge Leute, die keine Fans Ihrer Musik sind, Ihre selbstironischen, sarkastischen Tweets jedoch lieben. Haben Sie trotz Elon Musk noch Spaß an X?
BLUNT: Doch, ja. Zugleich macht es mir Gedanken, wie die Spaltung und der Hass gerade online immer massiver zu werden scheinen. Früher hieß es: „Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sag' doch lieber gar nichts.“ Heute hauen die Leute schamlos ihr Halbwissen raus, schreiben uninformiertes und unreflektiertes Zeug. Das Mitteilungsbedürfnis ist oft größer als der Intellekt.
"Dark Thought“ ist ein Lied über Ihre 2016 mit nur sechzig Jahren verstorbene Freundin, die US-Schauspielerin Carrie Fisher. Wie war euer Verhältnis?
BLUNT: Das war sehr, sehr eng. Ich lebte mehrere Jahre bei Carrie in Los Angeles, als ich dort meine ersten Alben aufnahm. Bis zu ihrem Tod war ich regelmäßig bei ihr, und ich habe mich jahrelang schwergetan, einen Song über sie zu schreiben – weil sie so eine wichtige Person in meinem Leben war und so ein großer, charakterstarker Mensch.
Was hat sie beide verbunden?
BLUNT: Sie wusste, wo im Keller ich meine Leichen vergraben hatte (lacht). Sie war meine amerikanische Mutter, meine Vertraute, sie ist die Patentante meines ältesten Sohnes. Ganz konkret handelt der Song davon, wie ich nach ihrem Tod zu ihrem Haus gehe, das so lange auch mein Haus war.
Was passierte dann?
BLUNT: Ich hielt mich am Geländer fest und fing an zu weinen. In dem Moment kam einer dieser Touristenbusse, die an den Häusern der Prominenten vorbeifahren, und der Reiseführer sagte: „Hier links ist das Haus der verstorbenen Carrie Fisher.“ Er zeigt auf mich. „Wie Sie sehen können, sind manche Fans noch immer tief erschüttert von ihrem Tod.“ Ein surreal komischer, im Nachhinein sehr, sehr lustiger Moment.
Ein typischer, bittersüßer James-Blunt-Moment.
BLUNT: Das ist wahr (lacht).
Sie sind seit zwanzig Jahren mit Ihrer Musik erfolgreich. Wie viel steckt heute noch von dem jungen James Blunt in Ihnen?
BLUNT: Ich denke nicht, dass ich mich so stark verändert habe. Ich bin damals in diese Achterbahn eingestiegen, wohl wissend, dass dich das Musikbusiness zerknautschen oder sogar zerstören kann. Aber ich bin bis jetzt ziemlich heil durchgekommen.
Ist auch die Intention, aus der Sie Musik machen, noch die gleiche wie damals?
BLUNT: Ja. Ich habe meine Musik nie geschrieben, um zu beeindrucken oder um cool zu wirken. Ich schreibe auf, was mein kleines Herz bewegt, teile meine Schwächen, Ängste und Freuden mit den Menschen. Das Schönste ist für mich, wenn sich die anderen mit meinen Liedern identifizieren können. Auf meinem vorherigen Album 2019 habe ich zum Beispiel den Song „Monsters“ über meinen Vater geschrieben, der älter wird und eine schwere Krankheit überstehen musste. Das hat viele Leute sehr berührt.
Wie geht es Ihrem Vater heute?
BLUNT: Es geht ihm so weit gut. Er ist ein zäher Knochen.
Und kommenden Februar werden Sie selbst schon 50.
BLUNT: Verrückt, oder? Ich kann mich immer noch betrinken, ohne am nächsten Tag einen Kater zu haben. Irgendetwas scheint also mit meinem biologischen Alter nicht zu stimmen. Was mich jedoch wirklich stört, sind die Leute, die so alt sind wie ich, und die den Durst aufs Leben zu verlieren scheinen. Manche meiner Freunde denken, da komme nicht mehr viel.
Was sagen Sie denen?
BLUNT: Ich habe meinen Freunden einen Song geschrieben. „I Won’t Die With You“. Darin sage ich ihnen: Verschiebt eure Pläne und Träume nicht auf morgen, sondern packt es an. Und glaubt nicht, dass ich mit euch untergehe. Denn ich habe noch verdammt viel Lust auf mein Leben.
Zur Person
Seit seinem Monsterhit „You're Beautiful“ ist der Engländer, geboren am 22. Februar 1974 als James Hillier Blount in Wiltshire, ein Garant für leichtverdaulichen Gitarrenpop zwischen Melancholie und gebremster Ekstase. Auf „Who We Used To Be“, seinem achten Studioalbum, lotet James Blunt die Pole zwischen Tieftraurigem („The Girl That Never Was“) und Ibiza-Beat-Euphorie („I Won't Die With You“) besonders gründlich aus und schwelgt dazu in Nostalgie. Zeitgleich hat Blunt, der früher als Aufklärungsoffizier der Nato-Truppen im Kosovo diente, auch seine Biografie veröffentlicht ( „Loosely Based On A Made-Up Story“).