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Interview : Helge Schneider: „Ich war manchmal ganz schön frech“

Interview

Helge Schneider: „Ich war manchmal ganz schön frech“

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    Musiker und Clown, man könne ihn auch Musikclown nennen, sagt Helge Schneider.
    Musiker und Clown, man könne ihn auch Musikclown nennen, sagt Helge Schneider. Foto: Pressefoto Helge Schneider

    Das Motto Ihrer neuen Tournee lautet: „Ein Mann und seine Musik“. Wird Jazz bei Ihren Auftritten immer wichtiger?
    HELGE SCHNEIDER : Ich bezeichne das alles als Musik. Ich bin Musiker, aber auch Clown. Musikclown, kann man sagen. Und „Ein Mann und seine Musik“ – ich dachte, das passt ganz gut. Ohne Musik wär das nichts.

    2025 wird für sie ein Jahr der runden Jubiläen: Vor 50 Jahren haben Sie Ihr erstes Album veröffentlicht, am 30. August 70. Was macht Sie beim Blick auf die zurückliegenden Jahrzehnte besonders glücklich?
    SCHNEIDER: Dass ich 1975 meine erste Schallplatte veröffentlicht habe. Im Trio. Es macht mich glücklich, dass ich damals diesen Weg gegangen bin. Das war der Anfang von dem Denken, jetzt doch mit Musik meinen Lebensunterhalt verdienen zu wollen. Das ist zwar erst später eingetreten, aber es macht mich glücklich, wenn ich daran zurückdenke.

    Werden Sie bei der Geburtstagstournee ein Best-of-Programm spielen?
    SCHNEIDER: Nein, glaube ich nicht. Ich bin auch kein Geburtstagstyp. Diese Tournee gibt es nicht, weil ich 70 Jahre alt werde. Danach mache ich eine Zäsur, weil ich mal wieder einen Film drehen will. Dafür muss man ein bisschen Platz haben.

    Sie sind ein Künstler, der mit Worten spielen kann wie kaum ein anderer. Waren Sie schon als Kind so?
    SCHNEIDER: Ich habe viel Karl May gelesen. Vielleicht hat es damit zu tun. Der hatte ja viele wortwandlerische Sätze. Ich war immer eine seiner Figuren, Old Shatterhand. Der Gang, alles. Ich bin sogar so gerannt wie der. Ich hatte da nämlich etwas falsch verstanden. May beschrieb, wie Old Shatterhand ausdauernd rennt und dabei sein Gewicht zuerst aufs linke und dann aufs rechte Bein legt. Wie Sprünge. Ich aber dachte, er hüpfe auf einem Bein. Und das habe ich dann auch getan, wenn ich in die Stadt gelaufen bin. Das muss unheimlich lustig ausgesehen haben. In meiner Jugend habe ich alles zu Fuß gemacht. Sehr schnell und mit großen Schritten. Das war der Grund, weshalb ich nur 55 Kilo wog. Aber dann habe ich Kinder gekriegt und eine Kaffeemaschine. So kamen bei mir direkt zehn Kilo drauf.

    Wann war bei Ihnen der erste Moment der inneren Überzeugung, ein Künstler zu sein?
    SCHNEIDER: Schon ziemlich früh. Ich hatte Klavierunterricht und habe schon improvisiert. Ich besaß auch einen Kontrabass und habe in einer Band gespielt. Bei Hochzeiten die ganze Nacht. Das war der Anfang von meiner Musikerkarriere. Ich habe heute noch jede Menge Kontrabässe. Das Instrument war für mich immer das Rückgrat der Musik, auch im Jazz. Ich hatte immer eine Affinität zu Bassisten.

    Kamen Sie in Ihrem Leben irgendwann bewusst zu dem Schluss, dass Sie als Künstler etwas Neues erfinden müssen, ein neues Konzept, eine neue künstlerische Sprache für Ihre Arbeit?
    SCHNEIDER: Ich habe daran keinen Gedanken verloren, ich habe einfach gemacht. Ich habe Klavier gespielt und dabei Geschichten erzählt. Als ich merkte, dass die Leute lachen, habe ich das immer weiter getrieben. Ich hatte mir einen Stuhl gebaut, der in sich zusammenbricht, wenn ich mich da draufsetze. Ich war damals immer lustig und gut gelaunt, und manchmal hörte ich Leute sagen, das sei eine Maske. Ich sei innerlich sehr traurig. Ich habe sehr viel erlebt, auch mit meiner Familie, aber ich hatte nie das Gefühl, traurig zu sein. Die Leute meinten damit wohl eine Tiefe. Auch gute Musik kommt aus der Tiefe.

    Vielen Spaßmachern geht es darum, mit ihrer Komik die Seele des Volkes zu erfassen. Worum geht es Ihnen?
    SCHNEIDER: Ich habe nichts dagegen, wenn das jemand sagt. Aber ich denke nicht darüber nach. Ich weiß nicht, ob ich die Seele des Volkes erfasse. Ich impfe eher meine Seele in das Volk ein.

    Was genau macht einen Menschen zu einem Künstler?
    SCHNEIDER: Kreativität. Echtheit. Löcher. Pausen. Timing. Sehendes Umwandeln von dem, was man fühlt, in Musik, Malerei oder Erzählungen. Das ist der Künstler.

    Machen Sie viele Dinge immer noch genauso wie vor 50 Jahren?
    SCHNEIDER: Ja, kann man sagen. Vielleicht mit mehr Rückgrat. Frech sein mit mehr Verstand. Ich war manchmal schon ganz schön frech, muss ich sagen.

    Sie tragen eine besondere Gabe in sich: die Magie des Liederschreibens.
    SCHNEIDER: Es funktioniert nicht, sich hinzusetzen und ein Lied zu schreiben. Das wird immer schwerer, weil ich viele Lieder schon geschrieben habe. Mit Rosen kann ich keines mehr machen. „Gefunkt bei mir“ geht auch nicht mehr. Ich habe „Katzeklo“ gemacht. Würde ich jetzt ein Lied über einen Hund oder einen Papagei schreiben, erinnert mich das an „Katzeklo“ und würde nie so gut werden. Ich bräuchte einen ganz neuen Themenbereich.

    Legen Sie in Ihre Lieder immer alle Kraft hinein?
    SCHNEIDER: Nee. Ich schreibe immer etwas auf und setze mich ans Klavier. Beim ersten Singen bleibt von dem Text nur noch ein Drittel über. Und das vereinfache ich nochmals. Bei mir müssen Musik und Gesang zusammen funktionieren. Ich will kein Politbarde sein und irgendwas Erklärendes singen. So wie Konstantin Wecker oder Reinhard Mey. „Gefunkt bei mir“ zum Beispiel ist eine auf den Punkt gebrachte Liebesgeschichte. Mein Vorbild Frank Sinatra hätte den Text viermal hintereinander gesungen, und dann wäre das Lied auch dreieinhalb Minuten lang. Er hatte allerdings eine sehr schöne Stimme, muss ich sagen.

    Jetzt machen Sie schon seit 50 Jahren eigene Lieder. Je länger man Lieder schreibt, desto besser wird man. Stimmt dieser Satz?
    SCHNEIDER: Nee, finde ich nicht. Alles Zufall. Viele meiner Lieder singe ich live gar nicht mehr. Zum Beispiel „Forever at home“ aus der Corona-Zeit. Das war ein Beitrag für den Free ESC. Ich habe es nie mit meiner Band gesungen. Ein andermal bin ich für den Free ESC als Udo Lindenberg aufgetreten – mit dem Lied „Supergeiler Helge Schneider“. So was mache ich nie wieder. Ich bin jetzt bald 70 und spiele nur noch meine eigenen Live-Auftritte. Selbst wenn ich den Nobelpreis verliehen bekommen sollte, würde ich sagen: Nee, lass mal, nimm jemand anderes! Ich will keine Preise, ich will meinen Spaß haben.

    Nicht Preise sind für Sie Bestätigung, sondern der Zuspruch des Publikums?
    SCHNEIDER: Noch nicht mal. Ich spiele Klavier, und es gefällt mir. Das ist mittlerweile meine Bestätigung. Weil ich mir das leisten kann. Ich respektiere mein Publikum sehr und finde es auch toll. Ich brauche es natürlich, wenn ich irgendwo spiele. Aber es ist nicht der Beweis dafür, dass mir etwas gelingt. Der Beweis ist mein Klavier, auf dem ich spiele. Das ist alles, was ich will. Wenn ich auf Tournee gehe, bringe ich mein Wohnzimmer auf die Bühne und lasse die anderen ein bisschen daran teilhaben. Aber ob das jetzt von riesigem Erfolg gekrönt ist oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle. Hauptsache, ich kann das Beste draus machen. Bis jetzt sind die Leute immer lachend nach Hause gegangen. Gerade in der heutigen Zeit, wo es en vogue ist, mit herabhängenden Mundwinkeln auf geliehenen Stiefeletten durchs Leben zu schreiten.

    Ist Ihnen trotz der momentanen Weltenlage die Fähigkeit, Glück zu empfinden und froh zu sein, geblieben?
    SCHNEIDER: Ja, die ist mir geblieben. Wenn ich nach Hause komme, steht Sauerkraut mit Kartoffelbrei und Mettwurst auf dem Tisch. Dann bin ich glücklich. Ich habe mir auch angewöhnt, mal ein Gläschen Champagner zu trinken. Wir Reichen unter uns! Die Leute denken ja, ich sei unermesslich reich. Und damit liegen sie ziemlich falsch.

    Hand aufs Herz: Wie reich sind Sie wirklich?
    SCHNEIDER: Viel reicher als die meisten denken. Aber das hat nichts mit Geld zu tun. Geld interessiert mich nicht. Aber ich brauche es natürlich, um meine Miete zu zahlen. Wenn ich das Geheimnis jetzt verrate, dass ich auf Tournee gehe, damit ich meine Miete bezahlen kann, ist es kein Geheimnis mehr.

    Sie sind gesegnet mit Kreativität.
    SCHNEIDER: Ja, das ist mein Reichtum. Aber trotzdem rate ich jedem zu einer Patientenverfügung.

    Haben Sie einen Weg gefunden, mit dem Berühmtsein nicht nur zurechtzukommen, sondern das Beste dabei herauszuholen?
    SCHNEIDER: Ich denke schon, ja. Ich kann offen sein. Ich bin nicht der Typ, der sich hinter Securitys versteckt, sondern ich habe regen Kontakt mit Menschen. Egal, ob die mich schon mal gesehen haben oder nicht. Ich bin einfach authentisch geblieben. Und deshalb komme ich irgendwie gut durchs Leben. Und es macht mir Spaß, so berühmt zu sein. Ich erkenne darin, dass ich dadurch eine Eintrittskarte in die Welt habe. Auf diese Weise entsteht eine Sicherheit. Selbst wenn ich irgendwo hinfahre, wo man mich nicht kennt. Das hängt auch mit dem Alter zusammen. Das, was man von zuhause mitbekommen hat, multipliziert sich im Alter. Ein guter Charakter zum Beispiel. Scheiße ist es, wenn man einen schlechten Charakter mitbekommen hat. Es ist alles relativ. Einstein hat das auf den Punkt gebracht. Aber das hat nichts mit Religion zu tun.

    Bleibt Ihnen bei Ihrem aufregenden Leben eigentlich noch Zeit für Hobbys?
    SCHNEIDER: Ja, bleibt. Was sind das für Hobbys? Laub sammeln und in Büchern trocknen. Dann Guppies, kleine Fische. Mein absolutes Hobby, ich habe aber kein eigenes Aquarium.

    Zur Person: Helge Schneider, geboren 1955 in Mühlheim an der Ruhr, wurde 1994 durch einen TV-Auftritt bei „Wetten, dass...?“ einem Millionenpublikum bekannt. Im selben Jahr platzierte sich sein Stück „Katzeklo“ in den deutschen Charts. Multitalent Schneider ist nicht nur erfolgreich mit seiner Musik und seinem schräg-anarchischen Humor, sondern auch als Hörspielautor, als Regisseur, als Schauspieler auf der Bühne und vor der Kamera, aber auch als Autor: Zuletzt erschien in der Krimi „Stepptanz: Kommissar Schneider versteht die Welt nicht mehr.“ Im Februar 2025 startet er seine Tournee „Ein Mann und seine Musik“. Olaf Neumann traf den frisch gebackenen Münchhausen-Preisträger in seinem Domizil in Mühlheim und tauchte ein in das schneiderische Universum aus Theater, Proberaum, Museum, Märchenwelt und Rummelplatz.

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