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Foto: Oliver Berg/dpa
Foto: Oliver Berg/dpa

"Ich kann nur sagen: Selbst schuld!": der einst als Kunstpapst gefeierte Helge Achenbach.

Interview
22.04.2023

Helge Achenbach: "Ich komme mir vor wie Hans im Glück"

Von André Wesche

Weil er Kunden beim Kauf von Kunstwerken um Millionen betrogen hatte, saß Achenbach vier Jahre lang im Gefängnis. Im Interview spricht er über Verführung, Schuldgefühle und sein Leben heute.

Herr Achenbach, haben Sie sich die Entscheidung leicht gemacht, an diesem Filmprojekt mitzuwirken?

Helge Achenbach: Nein, überhaupt nicht. Aber die Mitarbeit war für mich ein wichtiger Beitrag, um zu erklären, wie ich zu meinem Fall stehe und wie ich zukünftig damit umgehen möchte. Deswegen war das Projekt für mich sogar sehr positiv.

Wie sah Ihre Zusammenarbeit mit Regisseurin Birgit Schulz aus?

Achenbach: Sie kam ganz am Anfang, als ich Freigänger war, zum ersten Mal auf den Hof und hat mich dann über drei Jahre begleitet. Interessant war auch, dass ich vom ersten Tag an eine gewisse Veränderung der eigenen Persönlichkeit erlebt habe. Ich war natürlich sehr geprägt von diesen vier Jahren Gefängnis und habe das dann in mir getragen. Ich war damals noch sehr verunsichert und wusste auch nicht, wie meine Zukunft aussehen wird. Ich hatte nur eine vage Vorstellung. Ich habe dann Stück um Stück gekämpft, bin aufgestanden und habe gespürt, dass es wieder langsam nach vorne geht und ich wieder mehr Selbstbewusstsein bekomme. Das dann auch im Film zu erleben, war sehr interessant.

Tatsächlich war Ihr Aufstieg zum deutschen Kunstpapst ein "Zufallsprodukt", wie Sie sagen.

Achenbach: Zu der Zeit, als ich angefangen habe, ca. 1973, war der Kunstbereich viel weniger kommerziell. Es ging wirklich um die Wahrhaftigkeit der Kunst. Das hat mich damals sehr fasziniert. Ich kam von der linken Seite, ich war stramm links und für mich war das Feindbild auf der rechten Seite. Wir haben damals diesen Geist der Freiheit, auch der politischen Freiheit, gespürt. Mit diesen Künstlern war es genauso, mit Joseph Beuys, Sigmar Polke und vielen anderen. Das war sehr schön und spannend. In diesen ersten Jahren ging es uns nie um Geld. Es ging darum, Kunst zu stärken, zu vermitteln und sie in die richtigen Häuser zu bringen. 

Wann hielt der Kommerz Einzug?

Achenbach: Diese ganze Kommerzialität ist erst in den 80er Jahren entstanden, weil plötzlich völlig neue Figuren in dieser Welt auftauchten. Das waren die Typen, die man von den Wertpapierbörsen kennt. Das waren die Banker, die Investoren, die Smarten, die Schlauen. Das waren internationale Dealer. Das Ganze fing in Japan an. Dort wurde plötzlich spekulativer Kunstkauf mit viel Geld von Banken finanziert. Die Banken im Westen sind hinterher gehechelt. Alle waren plötzlich auf dieser Goldgräberspur. Dieses Gierige und Geile auf Kunst und Geld ist mir dann auch irgendwann in den Kopf gestiegen. Leider muss ich das zugeben, das war mein größter Fehler. Ich habe mich nicht davon distanziert. Ich habe mich sogar davon treiben lassen und dieses Treibenlassen war furchtbar. Das hat dann auch in diesem extremen Blödsinn geendet, den ich hier gemacht habe. Als ich 1973 mit 21 Jahren meine erste Ausstellung gemacht habe, hätte ich mir niemals vorstellen können, dass mir sowas jemals widerfahren würde. Dafür bin ich ja dann ins Gefängnis gekommen und dort habe ich begriffen, was für ein Blödmann ich war. Es war für mich eine Lektion des Lebens. Ich habe lernen und begreifen müssen, dass man das nicht tut. 

Waren Sie rückblickend dumm, naiv oder gierig?

Achenbach: Das war eine Mischung. Ich war ein Kindskopf, aber auch von der Gier geprägt. Ich war gierig auf Liquidität. Ich habe Kunst und Künstler unterstützt und Projekte in Museen gefördert. Ich habe wahnsinnig viel gemacht, natürlich auch um Dankbarkeit, Liebe und Anerkennung zu bekommen. Das war auch etwas, das aus dem narzisstisch geprägten Menschen herauskam. Es war eine merkwürdige Mischung aus Kindskopf und Naivität, gleichzeitig habe ich aber auch nicht das Ende bedacht. Ich wusste gar nicht, auf was ich mich da wirklich eingelassen habe. Diese Brutalität, mein gesamtes wirtschaftliches Unternehmen zu verlieren, hätte ich niemals erwartet. Ich bin am Ende mit 30 Euro in der Hosentasche neu gestartet. Ich kann aber nur sagen: Selbst schuld! Das muss man einfach verkraften und sich selbst sagen: Jetzt fange ich neu an.

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Hatten Sie vor Ihrer Verhaftung Momente eines schlechten Gewissens oder des Unrechtsbewusstseins?

Achenbach: Permanent. Ich hatte schon beim ersten Mal, als ich eine Provision erhöht habe, ein schlechtes Gewissen. Ich habe mich wie ein Schuft gefühlt. Einen Menschen zu behumsen, den man sogar noch mag, nur weil er besonders geizig war? Das war einfach unanständig und so habe ich es auch empfunden. Das ist etwas, was ich vorher so nie gespürt habe: das Karma. Wenn du etwas in dieser Form machst, kannst du davon ausgehen, dass die Strafe auf dich zukommen wird. Irgendwann musst du dafür zahlen. Ich habe nicht verstanden, dass so etwas wirklich möglich ist. Es war aber möglich. Ich habe diese Strafe bekommen. Das war schmerzhaft, aber am Ende fand ich es ordentlich. Ich habe das verkraftet. In den Medien wurde ich als Kunstbetrüger verteufelt, der die Kunstwerke weit über ihrem Preis verkauft hat. Das stimmt nicht.

Wie war es wirklich?

Achenbach: Aufgrund meiner Einkaufskraft konnte ich beispielsweise ein Bild von einem Künstler, das 100.000 kostete, für 60.000 einkaufen. Deutlich unter dem Marktwert. Dann habe ich eben mit diesen lächerlichen 5 % einfach zu wenig Spanne gehabt, um mit meinen Kosten klarzukommen. Um meine Kosten einzufahren, habe ich die Preise angehoben. Trotzdem lag der Preis immer noch deutlich unter dem Marktwert. Was man heute nicht vergessen darf und was auch schon zu Prozesszeiten so war: Herr Albrecht hat bei mir für 120 Millionen Kunst und Oldtimer gekauft. Das ganze Paket ist heute sicher 400 Millionen wert. Zwischendurch habe ich immer wieder über befreundete Sammler ein Angebot machen können. Alle waren interessiert, Familie Albrecht die Sammlung abzukaufen. Das ging bei 150 Millionen los und steigerte sich auf 250 Millionen. Es war immer viel höher als der Einkaufswert. Das bedeutet, dass an der Stelle klar war, dass es nie um die Preise ging. Es ging nur darum, dass ich mich nicht an die vereinbarte Provision gehalten habe. Das war ein großer Fehler von mir.

Macht es das Leben letztendlich leichter, wenn man, wie Sie sagen, "den bürgerlichen Tod gestorben" ist?

Achenbach: Naja, ich muss zum Beispiel keine Steuern mehr zahlen. (lacht) Die über mir können nichts mehr haben, weil ich selbst nichts mehr besitze. Ich verdiene 996 € netto im Monat und trage die gleichen Schuhe und Jeans wie vor 15 Jahren. Ich lebe ein völlig immaterielles Leben. Das ist sehr interessant. Bei mir geht es jetzt um andere Werte und diese Werte zu entdecken, ist ganz toll. Es geht um Anstand, Frieden, Integrität und Wahrhaftigkeit, aber auch um Nächstenliebe. Bei mir sitzen morgens Künstler zum Frühstück, die aus aller Welt vor Kriegen geflüchtet sind. Aus der Ukraine oder verfolgt von Erdogan und anderen politischen Mistkerlen, die der Freiheit und der Kunst geschadet haben. Diese Künstler und Künstlerinnen sind bei uns versammelt, sehr glücklich und dankbar, dass sie einen Platz des Friedens gefunden haben. Das tut meiner Seele sehr gut. Wir kochen abends zusammen und es macht eine unglaubliche Freude, zu sehen, wie sich diese Künstler und Künstlerinnen in unsere Welt und unsere Wertesystematik integrieren.

Sie leben heute auf einem Hof mit Tieren. Erleben Sie hier ähnliche Glücksmomente wie der stolze Lebemann von damals?

Achenbach: Es sind andere, viel schönere, tiefere und intensivere Erfahrungen. Ich bin sehr glücklich. Ich habe das mal in dem Buch erklärt, das ich geschrieben habe: Ich komme mir vor wie Hans im Glück, der diesen Goldbatzen als Dankeschön für sein Leben erhält, ihn irgendwann gegen alles Mögliche tauscht und am Ende einen Stein bekommt. Dieser Stein fällt ihm dann in den Brunnen und verschwindet. Mit dem Verlust des Steines bist du völlig befreit und hast überhaupt keine Last mehr. So geht es mir. Ich habe meinen Hauptwohnsitz in Köln-Ehrenfeld bei Günter Wallraff, der auch immer darauf achtet, dass ich nicht abhebe und der für mich ein Regulativ ist. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Ich habe verschiedene Förderer, die uns begleiten. Wir haben überall Freunde und Unterstützer.

Heute sind Sie mit "Skulpturenparks der Sinne" wieder in sechs europäischen Ländern aktiv.

Achenbach: Ja. Das ist interessant, die Menschen kommen hier her, sind total fasziniert und fragen: "Kannst du uns helfen?" Dann sagen wir: "Klar, wenn ihr bereit seid, unserem Verein eine Spende zu geben, sind wir auch bereit, euch zu helfen." Das ist ein Geben und ein Nehmen. Da muss man sehr aufpassen, damit man sich nicht verzettelt. Wir begleiten gerade ein ganz besonders interessantes Projekt, was in 20 Jahren, wenn ich selbst wahrscheinlich nicht mehr leben werde, der Höhepunkt eines großartigen Parks werden könnte. Wir sind gerade dabei, das parallel zu unserem eigenen Park zu entwickeln. Ich bin sehr dankbar, dass diese Menschen zu uns gekommen sind. Politiker und Unternehmer, die gesagt haben: "Das ist so ein schönes Beispiel, was wir von Achenbach sehen. Das wollen wir bei uns gerne auch haben." Das ist ein wundervolles Kompliment und knüpft sich an das Positive in meiner Vergangenheit an. Ich habe damals auch viele Dinge bewegt. Ob das jetzt der "Puppy" von Jeff Koons auf der documenta war, in Frankfurt der berühmte "Hammering Man" von Jonathan Borofsky oder Gerhard Richters wahnsinnig schöne Bilder für die Victoria-Versicherung. Am Ende sind das die Dinge, die bleiben: großartige Kunstwerke. 

Zur Person: Helge Achenbach: Viele Jahre als deutscher Kunstpapst gefeiert, wurde der Kunsthändler 2014 wegen des Verdachts auf Betrug, Urkundenfälschung und Untreue festgenommen und im März 2015 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Nun zeichnet die Dokumentation "Der Illusionist" von Birgit Schulz (Kinostart: 27. April) Achenbachs Aufstieg und Fall nach. Achenbach, 1952 im nordrhein-westfälischen Weidenach geboren, lebt heute auf einem Bauernhof in Karst, den er mit seinem Verein "Kultur ohne Grenzen" zum Zentrum für verfolgte Künstler gemacht hat. 2019 veröffentlichte er seine Memoiren: "Selbstzerstörung. Bekenntnisse eines Kunsthändlers".

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