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Interview: Harrison Ford: "Wir haben keine gesunde Mitte mehr"

Interview

Harrison Ford: "Wir haben keine gesunde Mitte mehr"

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    Zum letzten Mal gibt er Indiana Jones: Harrison Ford.
    Zum letzten Mal gibt er Indiana Jones: Harrison Ford. Foto: Joel C Ryan, Invision/AP

    Der fünfte Teil von "Indiana Jones“ soll endgültig Ihr letzter sein. Ist das richtig?
    HARRISON FORD: Das ist exakt so. 

    Sie haben nicht irgendwie einen Fuß in der Tür behalten, damit es im Fall eines Erfolgs weitergehen kann?
    FORD: Wenn da ein Fuß in der Tür steht, ist das nicht meiner. Für mich ist das abgeschlossen, und ich reibe mich nicht an dem Fakt auf, dass ich keinen mehr drehe. Alles hat seine Zeit. Ich verschwende auch keinen Gedanken daran, ob man die Franchise mit anderen Darstellern fortsetzt.

    Nachdem es also für Sie keinen Weg zurück gibt, wie melancholisch waren Sie am allerletzten Drehtag?
    FORD: In keinster Weise. Es gibt nichts, dem ich wehmütig hinterherschauen müsste. Ich war sehr glücklich über das Endresultat, das in langer, harter Arbeit entstanden ist. Es war eher ein Gefühl der Erfüllung, frei von Melancholie. Und voller Dankbarkeit, dass ich diese Chance bekam. Aber ich wollte keinesfalls in diesen Filmen steckenbleiben. So sehr ich den Film liebe und allen Menschen verbunden bin, die daran beteiligt waren: für mich ist es wirklich Zeit, mich mit anderen Rollen zu beschäftigen. Ich habe schließlich ja zwischen den "Indiana Jones"-Filmen noch eine ganze Reihe von anderen Produktionen gedreht. 

    Das heißt, mit 81 Jahren, die Sie am 13. Juli vollenden, denken Sie noch nicht an Ruhestand?
    FORD: Absolut nicht. Ich liebe diesen Job und würde ihn sehr gerne weitermachen. Und offenbar nimmt man es mir immer noch ab, dass ich in die Haut anderer Menschen schlüpfe. Meine Botschaft an alle Produzenten: Ich bin bereit.

    Harrison Ford als Indiana Jones in einer Szene des Films «Indiana Jones und das Rad des Schicksals».
    Harrison Ford als Indiana Jones in einer Szene des Films «Indiana Jones und das Rad des Schicksals». Foto: Jonathan Olley/Disney, dpa

    Als Sie 1980 den ersten Teil drehten, konnten Sie sich dieses Erfolgs indes alles andere als sicher sein. Denn Steven Spielberg hatte sich vorher mit seinem "1941“ einen großen Flop geleistet.
    FORD: Sie mögen vielleicht glauben, dass ich mit solchen Überlegungen an ein Projekt herangehe, aber dieses Denken liegt mir komplett fern. Ich versuche einfach, jeden Drehtag einigermaßen anständig zu überstehen.

    Dass Spielberg dann nicht beim letzten Teil Regie führte, dürfte ein wenig merkwürdig gewesen sein.
    FORD: Es fühlte sich schon ein wenig komisch an, aber Steven und ich haben eben eine langjährige Arbeitsbeziehung. Er ist ein unglaublich großzügiger Mensch, und wir haben uns die ganze Zeit ausgetauscht. Letztlich trägt der ganze Film auch seine Handschrift.

    Selbst wenn Sie, wie Sie sagen, nicht an den großen Erfolg denken, so dürften Sie für den letzten Teil trotzdem bestimmte Ambitionen gehabt haben. Wollten Sie sich auf einem Höhepunkt verabschieden?
    FORD: Mir ging es nicht um irgendwelche Höhepunkte, sondern darum, die Geschichte dieser Figur zu vollenden. Und dafür musste man die Realität ihres Lebens einfangen. Diese Realität ist das Alter. Dieser Tatsache stelle ich mich selbst, sie bewegt mich und stimuliert meine Imagination, denn mein Leben wird von ihr definiert. Es gibt die verschiedensten Filme zu dem Thema, aber in der Regel taucht es nicht in Filmen der Massenunterhaltung auf. Es sollte bei uns aber seriös behandelt und in seiner ganzen Komplexität gezeigt werden. Wir wollten hier keine Witzkanonade über alte Säcke. Meines Erachtens ist das Regisseur Jim Mangold und seinen Autoren ganz wunderbar geglückt, weshalb ich ihnen sehr zu Dank verpflichtet bin. 

    Allerdings dürfte das Publikum nicht in diesen Film gehen, weil Sie damit eine Meditation übers Älterwerden, sondern eine spektakuläre Stuntsequenz nach der anderen bieten. 
    FORD: Trotzdem dreht sich dieser Film nicht um Stunts und Explosionen. Ja, man sieht mich da kämpfen und durch New York reiten, aber ich wollte das alles wie ein 80-Jähriger machen – also ungelenk. Es ging nicht darum, dass ich da elegant im Sattel sitze, im Gegenteil. Deshalb habe ich es abgelehnt, dass mir da irgendwelche Stuntleute helfen. Aber eigentlich handelt die Geschichte vor allem von menschlichen Beziehungen und der Frage, wie man mit dem Älterwerden klarkommt und die Fehler aus früheren Lebensphasen korrigiert. Es ist die Geschichte eines Mannes, der die Liebe seines Lebens verloren hat und sich zu Tode langweilt, weil er eine junge Generation Dinge über die Vergangenheit lehrt, die sie nicht interessieren. Die wollen nicht verstehen, dass ihre Zukunft auf dieser Vergangenheit beruht.

    Lieben Sie es selbst, zurückzuschauen?
    FORD: Ich denke an vergangene Erfahrungen mit starken Emotionen zurück, aber ich verliere mich nicht in der Rückschau. 

    Es hat Ihnen nichts ausgemacht, dass in einer Rückblende des Films Ihr jüngeres Ich auftaucht, für die alte Aufnahmen von Ihnen mit Künstlicher Intelligenz bearbeitet wurden?
    FORD: Nein, denn ich habe nun mal keine Probleme damit, dass ich älter geworden bin. Wir haben diese Szenen gebraucht, um die Vergangenheit mit der Zeit der späten 60er zu kontrastieren. Im Zweiten Weltkrieg war die Welt noch einfacher strukturiert – es gab ein klares Schwarz-Weiß, und die Nazis waren die Leute, die das Schwarz verkörperten. Wir wiederum trugen die weißen Hüte. 1969 hat sich diese scharfe Trennung aufgelöst, es gibt nur noch Grauschattierungen, 'Shades of Grey‘, nicht 50, aber dutzende davon. Deshalb haben die jungen Leute im Film auch keinen moralischen Kompass mehr.

    Wobei sich die Handlung dann wieder zum klassischen Kampf von Gut gegen Böse entwickelt. Gibt es das Böse aus Ihrer Sicht in der Realität?
    FORD: Natürlich. Sie müssen sich doch nur anschauen, was sich ein paar hundert Kilometer weiter in der Ukraine abspielt. Ich kann nicht verstehen, wie so etwas toleriert werden kann. Es ist so surreal, dass wir hier sitzen, während dieser verdammte Krieg wütet und wir nichts dagegen unternehmen

    Was ist aus Ihrer Sicht der Ursprung des Bösen?
    FORD: Das ist die große Frage. Vor dem Dreh wies mich James Mangold auf einen Satz von Indiana Jones hin, der da lautet: "Es gibt viele Dinge in meinem Leben, die ich nicht erklären kann.“ Nun, ich für meinen Teil kann das Böse nicht erklären. Ich weiß nicht, warum es existiert und wir nichts dagegen unternehmen. 

    Sie müssen doch irgendeine Vermutung haben, woher diese kriegerischen Aggressionen und Verwerfungen kommen?
    FORD: Ich verstehe nur so viel, dass die Menschen in ihrem Denken keine Nuancen und Komplexität mehr zulassen. Wir haben keine gesunde Mitte mehr. Es gibt in unserer Gesellschaft Kräfte und Energien, die uns auseinanderdividieren. Man konstruiert das Bild eines Gegenübers, der nichts mit uns gemein hat, und dieses Bild wird Tag für Tag in den Massenmedien propagiert. Das Resultat sind Wut, Bitterkeit und Spaltung. Wenn wir alle das nicht überwinden, dann wäre das so, als würden wir den Teufel zur Hochzeit einladen. Aber wir dürfen das nicht zulassen. Freunde, kommt wieder zusammen.

    Was ist Ihr Mittel dagegen? Bringt es etwas, da einfach "Indiana Jones"-Filme zu drehen?
    FORD: Absolut. Denn ein Film – sofern Sie ihn im Kino sehen – verbindet die Menschen für zwei Stunden in einer gemeinsamen Erfahrung. Wir werden wie von Zauberhand in eine andere Welt transportiert. Der ganze Müll, der uns auseinandertreibt, verschwindet für diese Zeit. Wir sitzen zusammen mit anderen Fremden im Dunkel, ohne dass wir Angst haben müssen, dass uns diese Fremden etwas Böses antun. Diese Erfahrung fördert auch das gegenseitige Verständnis von Generationen. Wir alle fühlen uns einfach als Menschen, die diese gemeinsame Erfahrung teilen. Deshalb kann ich nur sagen: Gehen wir ins Kino und wärmen einander die Seele.

    Was ist für Sie die größte Lernerfahrung der "Indiana Jones"-Filme?
    FORD: Wie man Geschichten erzählt und Filme macht. Dafür hatte ich mit Steven Spielberg und George Lucas zwei Genies des Erzählens. Ich bin an der Hand dieser Giganten durch Kindergarten und Grundschule des Films gegangen. Dabei war ich effektiv nur der Erzählerassistent. Man könnte auch sagen, ich bin ein Anhängsel ihrer Erfolge gewesen, und diese wiederum haben mir enorme Möglichkeiten eröffnet. Ich habe es dabei gelernt, meine Energien auf das zu konzentrieren, was mir wirklich wichtig ist. Diese Interessen haben sich vielleicht nicht unbedingt mit denen anderer gedeckt, aber dank meiner Haltung bin ich zu einem besseren Erzähler und hoffentlich auf die richtige Weise vor den Augen des Publikums älter geworden. 

    Sind Sie auch besser geworden – wenn Sie etwa Ihre Porträts von Indiana Jones im Lauf der Jahrzehnte vergleichen.
    FORD: Ich würde sagen, ich habe die Figur und meinen Job in diesen 40 Jahren besser kennengelernt. Aber nur ein kleines bisschen besser. 

    Hat es Sie eigentlich jemals gestört, dass Ihr Indiana Jones nach einem Hund benannt war?
    FORD: Nein, denn das habe ich von Anfang an gewusst. Wollen Sie mich fragen, ob ich Hunde mag? Ja, ich liebe sie. Ich habe drei davon – allesamt Rettungshunde.

    Zur Person

    Harrison Ford, geboren am 13. Juli 1942 in Chicago, steht als Lego-Figur in Spielzeugläden meist zwei Mal: Im Miniformat als Han Solo aus der "Krieg der Sterne"-Trilogie und als Abenteurer Indinana Jones. Ford, der Ende der 70 er mit den "Star Wars"-Verfilmungen zum Superstar und einem der bestbezahlten Schauspieler Hollywoods wurde, ist ab 29. Juni in der fünften und für ihn letzten "Indiana Jones"-Verfilmung zu sehen: "Indiana Jones und das Rad des Schicksals." Ford ist aktiver Umweltschützer – weswegen eine Ameise (Pheidole harrisonfordi) und eine Spinne (Calponia harrisonfordi) nach ihm benannt wurden. Der vierfache Vater ist in dritter Ehe mit Schauspielerin Calista Flockhart verheiratet. 

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