Dolly Parton, „Rockstar“ ist ein Doppelalbum mit 30 berühmten Songs der Rockgeschichte und einem riesigen Aufgebot an Gastsängerinnen und -sängern. Was hat Sie zu diesem Mammutwerk angetrieben?
DOLLY PARTON: Ich bin, das sage ich ganz ohne Übertreibung, irrsinnig stolz auf dieses Album. Kent Wells hat es produziert, wir arbeiten schon seit mehr als drei Jahrzehnten zusammen. Und ich wusste, er hat den Rock’n’Roll im Blut. Also haben wir eine großartige Band zusammengestellt, haben wundervoll ikonische Songs ausgewählt und wundervolle Sängerinnen und Sänger gesucht, die Lust hatten, diese Lieder mit mir aufzunehmen.
Die Idee als solche gab es noch gar nicht so lange, oder?
PARTON: Das stimmt. Der entscheidende Anstoß für „Rockstar“ kam erst, als ich 2022 in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurde. Diese außerordentliche Ehre ermutigte mich, es zu wagen. Ein bisschen habe ich „Rockstar“ auch für meinen Mann gemacht. Carl liebt Rock’n’Roll über alles und lag mir seit Jahren in den Ohren, endlich ein Rockalbum zu machen. Ich wählte also die Lieblingslieder meines Mannes aus und mischte sie mit meinen eigenen Favoriten.
Fühlen Sie sich nun auch wie ein Rockstar?
PARTON: Der Gedanke, im zarten Alter von 77 Jahren ein Rockstar zu werden, ist charmant. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich diese Bezeichnung schon verdient habe. Ich fand einfach den Albumtitel sehr witzig.
Welcher Song ist denn das Lieblingslied Ihres Ehemannes Carl Thomas Dean?
PARTON: „Stairway To Heaven“. Vor Jahren schon nahm ich dieses Stück in einer Bluegrass-Country-Version auf, und sagen wir mal, mein Mann war nicht sehr glücklich darüber. Er meinte, ich solle die Finger von „Stairway To Heaven“ lassen, dieser Song sei sakrosankt. Mein Gott, Carl hat richtig mit mir geschimpft. Aber meine neue Version findet er richtig klasse. Jetzt ist alles wieder in bester Ordnung bei uns beiden (lacht).
Sie sind seit 1966 verheiratet, das sind sage und schreibe 57 Jahre. Wie haben sie das geschafft?
PARTON: Wir sind einfach richtig, richtig gute Freunde. Wir haben beide ein großes Faible für Humor, wir lachen fast immer über die gleichen Dinge, und wir haben eine Riesenladung Liebe und Respekt füreinander. Auch glaube ich, dass es gesund ist, dass mein Mann beruflich mit anderen Dingen zu tun hat als ich. Er ist einfach ein toller Mann und ich hatte das große Glück, ihn bereits mit 18 Jahren zu finden, als ich gerade erst nach Nashville gezogen war.
Sie machen seit über sechzig Jahren Musik. Und wirken nach wie vor leidenschaftlich und energiegeladen. Woher nehmen Sie Ihre Motivation?
PARTON: Die Antwort auf diese Frage, die mich sehr freut, ist einfach: Ich liebe das, was ich tue. Ich denke, das merkt man auch. Ich stecke in der Tat voller Enthusiasmus und habe ständig neue Träume, praktisch jeden Tag. Immer wieder kommen neue Projekte wie dieses Rockalbum. Das ist ja eigentlich eine verrückte Aktion. Aber ich liebe es. Und wenn ich etwas anfange, dann meine ich es ernst und dann führe ich es auch zu Ende. Deshalb ist „Rockstar“ jetzt zu diesem All-Star-30-Songs-Knaller geworden. Ich habe mein ganzes Herz, meine ganze Seele und insbesondere auch meine Stimme in dieses Unterfangen investiert. Ich mache einfach keine halben Sachen (lacht).
Auf einem der neuen Fotos sitzen Sie auf einem Motorrad. Können Sie damit auch fahren?
PARTON: Nein, das will ich nicht behaupten. Ich käme nicht weit mit so einer Maschine. Mein Mann hatte früher ein Motorrad, am Anfang unserer Ehe. Ich hatte jedes Mal Todesangst um ihn, wenn er damit auf der Straße unterwegs war. Ich bin zwei, drei Mal mit ihm gefahren, es war mir aber nicht geheuer. Als ich aber das Fotoshooting machte, wollte ich ein paar harte, kernige Motive dabei haben. So typisches Rock’n’Roll-Zeug eben, wie zum Beispiel auch die Augenklappe mit dem Stern. Ich wollte es humorvoll aufziehen, halt rüberkommen wie so ein klassisches Rock-Chick, nur in lustig. Aber nein, ich bin nie Motorrad gefahren, habe aber viele Freundinnen und Freunde, die das lieben. Und ich finde, ein Mensch auf so einer heißen Maschine, das kann schon ein sehr sexy Anblick sein.
Sind Kolleginnen und Kollegen wie Elton John, Paul McCartney, Steven Tyler, Sting oder Joan Jett, mit denen Sie auf „Rockstar“ zusammen singen, allesamt Freunde von Ihnen?
PARTON: Nicht alle, aber auch bei denen, die noch keine Freunde waren, hatte ich keine Scheu, sie anzurufen. Mit anderen wiederum bin ich seit ewigen Zeiten befreundet, mit Elton John zum Beispiel habe ich schon öfter bei diversen Projekten zusammengearbeitet, wir wussten also, dass unsere Stimmen prima zusammenpassen würden. Mit Paul McCartney ist es ganz ähnlich gelaufen. Jetzt singt er auf „Let It Be“ nicht nur, er spielt auch Piano. Und er hat sogar noch Ringo Starr mitgebracht, außerdem spielt Peter Frampton Gitarre auf dem Song und Mick Fleetwood Percussion. Mehr Rock’n’Roll geht kaum, wir sind eine echte Supergruppe (lacht).
Würden Sie sagen, Sie haben einiges zur Gleichberechtigung in einem traditionell sehr von Männern dominierten Musikgeschäft beigetragen?
PARTON: Nun, ich denke, es ist definitiv viel passiert und es hat sich eine Menge bewegt seit den Sechzigerjahren. Ich denke allerdings nicht, dass wir heute in einer Welt leben, die von Frauen bestimmt wird. Ich möchte auch gar nicht das eine Geschlecht gegen das andere antreten lassen. Die Hauptsache ist doch, dass man Frauen, ob im Musikbusiness oder in jedem anderen Business, eine faire, unvoreingenommene Chance gibt.
Sie haben immer gezögert, sich als Feministin zu bezeichnen. Trotz Ihrer Musik und trotz Filmen wie der Komödie „9 to 5“(zu Deutsch: „Warum eigentlich … bringen wir den Chef nicht um?“) aus dem Jahr 1980, in dem Sie zusammen mit Jane Fonda und Lily Tomlin einen sexistischen und egomanischen Boss zu Fall bringen.
PARTON: Ich bin keine große Freundin solcher Definitionen. Ich bin eine Frau, ich habe Karriere gemacht, ich lebe wohl ein Leben nach den Vorstellungen des Feminismus. Ich führe mit meinem eigenen Beispiel, und ich zeige der Welt seit vielen Jahren, wozu Frauen fähig sind. Ich muss aber nicht mit einem Schild über die Straße laufen, auf dem „Hey, seht alle her, ich bin eine Frau“ steht. Ich hoffe, dass ich ein gutes Vorbild bin. Wenn Sie mich unbedingt zur Feministin erklären möchten, dann ist das okay für mich. Aber dann will ich auch Folgendes sagen: Nicht nur Mädchen, auch Jungs steht es gut, Feministinnen oder Feministen zu sein.
Sie erhielten eine Oscar-Nominierung für den Song „Travelin‘ Thru“, den Sie für den Film „Transamerica“ (2005) geschrieben haben, den wohl ersten Mainstreamfilm, in dem eine Transfrau die Hauptrolle spielt. Sehen Sie sich als Vorreiterin bei gesellschaftlichen und sozialen Fragen rund um das Thema Diversität?
PARTON: Ich bin kein großes Protesttalent, ich dulde vieles, verachte und verurteile nicht gern. Ich tendiere dazu, Gegebenheiten zu akzeptieren. Wenn ich jedoch die Chance habe, ein Licht auf ein bestimmtes Thema zu werfen, das mir am Herzen liegt, dann knipse ich dieses Licht an. So war es auch mit „Travelin‘ Thru“. Auf der anderen Seite mache ich nicht viel Aufhebens um diese Fragen. In meinem Arbeitsumfeld, in meinem Freundes- und Bekanntenkreis und auch in meiner Familie sind die Menschen superdivers, und ich liebe sie so, wie sie sind. Ich weiß, wie schwer es für diese Menschen ist. Ich weiß auch, dass nicht alle so offen und so aufgeschlossen auf die Dinge blicken wie ich. Und deshalb nutze ich sehr gern meine Möglichkeiten als schreibende Künstlerin, um für mehr Akzeptanz und Empathie zu werben.
In dem neuen Song „World On Fire“, auf dem ausnahmsweise kein Gast dabei ist, singen Sie, dass wir noch Zeit haben, um die Dinge zu einem Besseren zu wenden. Sind Sie einigermaßen zuversichtlich, was unsere Zukunft auf dem Planeten Erde angeht?
PARTON: Obschon ich eine Optimistin bin, muss ich eingestehen, dass wir einiges zu tun haben, um diese Karre aus dem Dreck zu ziehen. Ich glaube nicht, dass wir alles zum Besseren werden wenden können, aber ich bin guter Hoffnung, dass wir genügend Dinge zum Positiven verändern können, um weiterzuleben in einer Welt die weniger verängstigt und weniger von Hass erfüllt ist. Ich möchte eine Welt, in der die politische Stimmung nicht so vergiftet ist. Heutzutage kannst du als Familie ja kaum noch zu Abend essen, ohne in eine unschöne Auseinandersetzung über politische Fragen zu geraten. Manchmal will ich mich schon gar nicht mehr mit Leuten treffen, sondern lieber gleich zu Hause bleiben.
Was wäre aus Ihrer Sicht ein konstruktiver Blick auf die Welt?
PARTON: Wir müssen an die Zukunft glauben. Ohne eine gewisse Einvernehmlichkeit als Menschheit werden wir nicht mehr so wahnsinnig weit kommen. Wir sollten uns stärker bemühen, gemeinsame Projekte zu finden und zu verfolgen.
Sie selbst tun viel Gutes. Zum Beispiel mit der „Imagination Library“, einem kostenlosen Bücherversand, der weniger wohlhabenden Kindern das Lesen und das Lernen näherbringen soll.
PARTON: Wenn du in einer Position bist, in der du helfen kannst – dann solltest du auch helfen. Gott war sehr gut zu mir, und ich will das Gute weitergeben. Das ist für mich ohne jeden Zweifel besser als nichts zu tun. Aber ich will niemanden mit einer Predigt nerven oder den Leuten erzählen, sie müssten so sein wie ich, eine Christin, was auch immer. Alles, was ich sagen will, ist: Glaube an dich, aber glaube bitte auch an irgendetwas, das größer ist als du selbst!
Zur Person
Dolly Rebecca Parton wurde am 19. Januar 1946 in Pittman Center in Tennessee geboren und wuchs mit ihren elf Geschwistern in Armut auf. Nach ihrem Schulabschluss 1964 zog sie nach Nashville, um Musikerin zu werden. Über die Jahrzehnte schrieb sie unzählige Hits, die weit über die Grenzen des Country-Genres bekannt sind: Etwa "Jolene" oder das von Whitney Houston gesungene "I Will Always Love You". Heute unterstützt Parton mit der Dollywood Foundation finanzschwache Regionen im Süden der USA. Eben erscheint ihr neues Album "Rockstar". Parton lebt mit ihrem Mann Carl Dean in Brentwood bei Nashville.