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Interview: David Fincher: "Den Heulsusen widerspreche ich"

Interview

David Fincher: "Den Heulsusen widerspreche ich"

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    "Ich verspüre keinen Hang zur Nostalgie" – Regisseur David Fincher
    "Ich verspüre keinen Hang zur Nostalgie" – Regisseur David Fincher Foto: Scott Garfitt, dpa

    Der Auftragskiller in Ihrem Film bläut sich ein: „Improvisiere nicht, halte dich an den Plan.“ Wie oft sagen Sie sich das als Regisseur?
    DAVID FINCHER: Ich sage mir nie "Improvisiere nicht". Ich erinnere mich ständig daran, dass ich von einer guten Idee profitiere, selbst wenn sie nicht von mir stammt. 

    Und Sie sind offen gegenüber fremden Ideen?
    FINCHER: Natürlich widerspreche ich auch. Immer wieder schlagen mir Marketing-Manager alle möglichen Sachen vor. Und dann fragen sie mich: "Warum mögen Sie nicht unsere Idee für diesen Trailer? Weshalb gefällt Ihnen unser Vorschlag für das Poster nicht?"– Und meine Antwort ist: "Weil ich nicht daran glaube." Aber wenn ich an etwas glaube, warum sollte ich mich selbst beschränken und das ablehnen? Allerdings, um auf Ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen – ich führe keine inneren Monologe zu diesem Thema. Das Einzige, was ich mir innerlich ständig sage, ist: "Warum dauert das alles nur so lang?"

    So gesehen, würden Sie keinen guten Auftragskiller abgeben, der ja in Ihrem Film lange Wartezeiten über sich ergehen lassen muss.
    FINCHER: Richtig, ich wäre kein guter Killer. Aber aus dem Grund, weil ich keine Hässlichkeit mag. Und auch kein Blutvergießen.

    Und Sie wollen auch nicht, dass sich Ihre Filme für den Zuschauer lang anfühlen?
    FINCHER: Seit ich Filme sehe, mochte ich immer diejenigen ganz besonders, die meine Zeit nicht verschwendeten und mich nicht mit Belanglosigkeiten behelligten. Wenn du eine Geschichte erzählst, dann hast du eine Verantwortung. Und wenn du Menschen um zwei Stunden ihrer Zeit bittest, in der du die komplette Kontrolle über all das hast, was sie sehen und hören, dann ist die Verantwortung riesig. Du darfst da nichts Halbgares abliefern, nur weil du’s kannst. Denn damit verrätst du das Vertrauen deines Publikums und dadurch wiederum verlierst du die Zuschauer. 

    Warum haben Sie aus Ihrer Sicht die Zuschauer mit „The Killer“ nicht verraten?
    FINCHER: Weil ich mit ihnen gewissermaßen einen Vertrag geschlossen habe. Ich habe innerhalb der Konventionen eines Genres gearbeitet. Mit einem Genre sind ganz fixe Erwartungen verbunden. Und so habe ich den Leuten klargemacht: "Das ist ein Film über Rache. Ihr versteht, was das heißt. Der Protagonist tut etwas, was eine Reaktion auslöst, und er wiederum wird sich für diese Gegenreaktion rächen. Durch diese Vergeltungsaktion erlebt ihr eine Katharsis." Ich habe das Grundmuster dieser Geschichte lediglich so weit reduziert, dass der Film einer geraden Linie folgt. Es gibt keine Verschachtelungen oder Kehrtwendungen. Der Zuschauer bewegt sich mit der Figur im Gleichschritt.

    Aber wenn Sie einem so fest etablierten Muster folgen, ist das nicht langweilig?
    FINCHER: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, und deshalb langweile ich mich schnell. Aber in diesem Fall haben wir die Psychologie des Killers variiert. In der Regel haben solche Personen eine Eigenart, die zu ihrem Untergang führt, aber unsere Figur ist kein Getriebener. Er bietet nur eine Dienstleistung. Das war für mich interessant. In anderen Filmen über derartige Protagonisten, ob „Der Schakal“ oder „John Wick“ habe ich so etwas noch nicht gesehen. 

    Diese Filme liefen indes im Kino. Sie dagegen scheinen nur noch für Netflix zu arbeiten. Auch „The Killer“ wird nach einem kurzen Kinoeinsatz nur noch auf dem Bildschirm zu sehen sein. Stört Sie das als visuellen Stilisten nicht?
    FINCHER: Lassen Sie mich dazu Folgendes ausführen. Es gibt eine verschwindend kleine Zahl erstklassiger Kinos, und jeder Verleih kämpft darum, dass seine Filme dort gezeigt werden...

    Und Sie wollen diesen Kampf für Ihre Filme nicht ausfechten?
    FINCHER: Sie müssen dazu wissen, wie klein diese Zahl ist. Ich bin extrem qualitätsbewusst und deshalb möchte ich, dass auch die Farbschattierungen meiner Bilder genau stimmen. Ich muss nicht in den USA mit 3000 Kopien rausgehen, aber eine ausreichende Menge sollte es schon sein. Und als ich mich mal mit den Kinos in den USA beschäftigte, stellte sich heraus, dass es weniger als 20 Leinwände im ganzen Land gab, die meinen Kriterien gerecht werden. In der Regel laufen die Filme in irgendwelchen Malls. Wenn Sie da in Kino Nummer acht oder neun sitzen, dann ist Ihre Wahrnehmung des Bilds getrübt. Dann gibt es da noch diese merkwürdigen, stinkigen Vorhänge, die man ewig sauber machen muss. Effektiv schauen die Leute zu Hause auf ein viel größeres Bild. Das ist die Realität. 

    Aber Sie müssten nicht sofort für einen Streamer wie Netflix arbeiten, sondern könnten Ihre Filme dort im Nachhinein dort auswerten.
    FINCHER: Wenn es um die Bildauflösung geht, dann hat Netflix die Nase vorn. Als es um den höheren 4K-Standard ging, waren es nicht die Hollywood-Studios, die den als Erstes eingeführt haben, es war Netflix. Dort hat man sich die bestmögliche Qualität auf die Fahnen geschrieben. Und dafür haben sie auch die nötige Infrastruktur geschaffen. Was die Endbearbeitung von Filmen angeht, so arbeiten dort die fortschrittlichsten und geschultesten Köpfe, die ich je kennengelernt habe.

    Trotzdem – die Erfahrung des Kinogehens lässt sich doch nicht auf dem Bildschirm zu Hause duplizieren.
    FINCHER: Ich weiß, es gibt da alle möglichen Heulsusen, die das Ende des filmischen Erzählens bejammern. Aber da widerspreche ich entschieden. Es muss nicht jeder Film auf einer großen Leinwand laufen. Ein „Mank“ [Finchers vorhergehender Film] hat das nicht nötig. Er braucht nicht mal ein elaboriertes Soundsystem, denn er wurde in Mono gedreht. Ja, man muss die verschiedensten Abstriche machen, aber ich wäge alle Vor- und Nachteile gegeneinander ab. Und ich kann nur sagen: Ich verspüre keinerlei Hang zur Nostalgie.

    Mit Ihrem Bekenntnis zu den Streamern waren Sie ja vielen Kollegen voraus. Mit der von Ihnen produzierten Serie „House of Cards“ bescherten Sie Netflix einen der ersten großen Erfolge. Welche Entwicklungen prognostizieren Sie der Branche für die Zukunft?
    FINCHER: Ich denke, dass es sehr viel mehr Streamer geben wird.

    Wirklich? Wir erleben doch ohnehin schon eine Flut, und die bestehenden Streamer fangen bereits an zu sparen.
    FINCHER: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Spielzeugfirma Mattel ihren eigenen Streamingkanal startet, nachdem sie mit dem „Barbie“-Film so einen enormen Erfolg hatte. Jeder wird versuchen, in diesem Geschäft mitzumischen. Und die Kinos haben eben nach wie vor ein Problem, nämlich die Qualität der Vorführsäle. Bei denen wird es ein großes Aussieben geben.

    Doch beweist der Erfolg von Filmen wie „Barbie“ und „Oppenheimer“ nicht, dass das Kino noch eine Chance hat? 
    FINCHER: Die Zahlen sind großartig. Für diese beiden Filme ist es fantastisch. Aber bedeutet das, dass die Filmtheater aufgerüstet werden? Werden alle riesige Leinwände mit Laserprojektoren und modernstem Soundsystem bekommen? Nein. Denn die Kinobesitzer investieren die Profite nicht, sondern stecken sie in die eigene Tasche. 

    Wie steht es um das filmische Erzählen als solches? Es gibt Kollegen von Ihnen wie Martin Scorsese, die angesichts der Flut an Comicfilmen das Ende des Kinos befürchten.
    FINCHER: In der Tat sind es die Filme, die ihren Nimbus verloren haben. Und dafür gibt es einen einfachen Grund. Denn sie haben eben nicht mehr die gleiche Wirkung auf dich wie noch im Alter von zwölf, als sie dir noch richtig Spaß gemacht haben. Aber eben nicht im Alter von 36. Denn in dem Alter hast du eben 3000 Variationen der Heldenreise gesehen. Du denkst dir: "Ich weiß ja schon, worauf es hinausläuft." Wir verlieben uns also im Kinderalter in Filme und wenn wir dann die gleichen Erzählmotive bis zum Erbrechen vorgekaut bekommen haben, beklagen wir das Ende des Kinos.

    Ist das auch das Ende des Kults der Starregisseure, zu denen auch Sie gehören?
    FINCHER: Zunächst mal glaube ich, dass heutzutage mehr talentierte Regisseure arbeiten denn je zuvor. Aber sie werden eben nicht mehr so beweihräuchert wie früher. Und das ist gesund. Denn wir tun nichts anderes als verdammte Geschichten zu erzählen – so wie am Lagerfeuer. Wir sind keine Wissenschaftler, die Krebs heilen, sondern machen einfach nur unseren Job, so gut wir’s können, wofür wir alle verfügbaren Technologien einsetzen sollten. Das hat nichts Magisches an sich, sondern ist einfach nur viel harte Arbeit. Einige Leute wollen harte Arbeit leisten und andere wollen sich mit diesem Beruf nur einen guten Tisch im Restaurant sichern.

    Warum wollen Sie diesen Job eigentlich machen?
    FINCHER: Es ist einfach so, dass ich Filme machen wollte, seit ich acht bin. Mit 19 fing ich dann an, bei Werbespots und Musikvideos Regie zu führen, um mich darauf vorzubereiten. Das heißt, ich habe nichts anderes in meinem Leben gelernt. Und es gibt Aspekte beim Filmemachen, die mir Spaß bereiten – ich mag Proben, Tests für Kostüme, die ganzen Vorbereitungen. 

    Was mögen Sie nicht?
    FINCHER: Ich hasse die Nervosität, den Stress und die Tatsache, dass Leute ständig ganz gewöhnliche Antworten auf hoch komplizierte Fragen von mir wollen. Die meiste Zeit verbringe ich mit Menschen, die irgendeine Aufgabe abhaken und von ihrer Liste streichen wollen. 

    Mit dem Erzählen von Geschichten können Sie helfen, Sinn in diesem Dasein zu finden. Ist das eigentlich nicht ähnlich wichtig wie das Heilen von Krankheiten?
    FINCHER: Na ja, vielleicht, aber nur in manchen Fällen.

    Zur Person

    David Fincher, geboren 1962 in Denver, startete in der Trickfilmbranche, arbeitete in der Effektschmiede von George Lucas, produzierte dann Werbeclips und Musikvideos, unter anderem für Sting und Madonna. Mit "Sieben", seinem zweiten Film in Hollywood, gelang ihm 1995 der künstlerische Durchbruch., auch sein nächster Film "Fight Club" wurde zum Kultfilm. Es folgten unter anderem: "Panic Room", "Der seltsame Fall des Benjamin Button", "Verblendung", "Gone Girl". Dreimal war Fincher bislang für den Regie-Oscar nominiert, zuletzt 2021 für "Mank". In seinem neuen Film "The Killer" schickt er Michael Fassbender auf einen Rachefeldzug. Zu sehen ab dem 27. Oktober im Kino und am 10. November bei Netflix. 

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