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Interview: Christopher Nolan: "Die Macht des Atoms war nicht wieder einzufangen"

Interview

Christopher Nolan: "Die Macht des Atoms war nicht wieder einzufangen"

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    Der Brite Christopher Nolan zählt zu den bedeutendsten Regisseuren in Hollywood. Am Donnerstag kommt sein neuer Film „Oppenheimer“ in die deutschen Kinos. 
    Der Brite Christopher Nolan zählt zu den bedeutendsten Regisseuren in Hollywood. Am Donnerstag kommt sein neuer Film „Oppenheimer“ in die deutschen Kinos.  Foto: Arthur Mola/Invision/AP, dpa

    Ihr neuer Film „Oppenheimer“ erzählt vom Erfinder der Atombombe und auch von großen Fragen der Wissenschaft, nicht zuletzt der Verantwortung, die Forschung mit sich bringt. Was möchten Sie Ihrem Publikum mitgeben?
    CHRISTOPHER NOLAN: Ich habe keine Botschaft, wenn Sie das meinen. In meinen Augen ist es fürs Kino immer eher abträglich, wenn es allzu didaktisch wird und den Leuten vorschreiben will, was sie denken sollen. Ich glaube, dagegen sträubt sich fast jedes Publikum unwillkürlich. 

    Was hat Sie persönlich an dieser Geschichte interessiert?
    NOLAN: Mich reizten natürlich die großen Fragen, auf die Sie schon abzielten. Wer einen genauen Blick auf die Geschichte dieses Mannes in all ihren Details wirft, wird schnell zu dem Schluss kommen, dass sich gar nicht ohne Weiteres einfache Antworten auf all diese Fragen finden lassen. Das macht die Sache ja so spannend. Mein Film ist ein Versuch, die Menschen ein paar Stunden lang in Oppenheimers Kopf verbringen und so ein gewisses Verständnis für ihn entwickeln zu können.Am Ende soll man sich kein Urteil über ihn bilden, aber vielleicht verstehen, wer er war und warum er sich so verhalten hat, wie er es getan hat. Die teilweise unangenehmen Fragen, die mit seinem Handeln und den Konsequenzen daraus zusammenhängen, trägt man im Idealfall aus dem Kino mit nach Hause. Aber das letzte, was ich wollte, war es dem Publikum zu einfach zu machen. Die interessantesten Spielfilme sind doch immer die, denen Komplexität und Ambiguität innewohnen. 

    Woher kommt Ihr eigenes Interesse an der Wissenschaft, das sich in Ihrem Oeuvre schon häufiger gezeigt hat?
    NOLAN: Dass ich mich für Physik, Wissenschaft und das Universum begeistere, begann schon in meiner Kindheit in den Siebzigerjahren. Ich war noch ein Junge, als George Lucas‘ erster „Star Wars“-Film in die Kinos kam. Diese Art der Science-Fiction befeuerte meine Vorstellungskraft ungemein.Nicht umsonst richteten sich viele Wissenschaftssendungen und -projekte für Laien – ich denke da etwa an Carl Sagans „Unser Kosmos“ – besonders an Kinder. Im Alter von neun, zehn, elf Jahren ist man einfach besonders empfänglich für alles, was mit Forschen und Experimentieren zu tun hat. Bei mir ist damals jedenfalls viel hängen geblieben, und ich habe dann später erkannt, wie viele Möglichkeiten die Wissenschaft auch für mich als Kino-Erzähler bietet.

    Ihr Film „Interstellar“ fällt einem da sofort als Beispiel ein.
    NOLAN: Damals habe ich mit dem Nobelpreisträger Kip Thorne kollaboriert, einem Physiker, denn ich wollte wirklich einen wissenschaftlichen Blick auf unsere menschliche Welt werfen. Der gesamte Film basierte darauf, zu gucken, wie Wissenschaft dabei helfen kann, eine Geschichte auf außergewöhnliche, bis dato unverstellbare Weise erzählen zu können.Auch bei „Tenet“ habe ich wieder auf Thorne und seine Arbeit zurückgegriffen und physikalische Gesetze eher auf eine Science-Fiction-Weise angewendet. In „Oppenheimer“ blicke ich konkret auf die Wissenschaftler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Magie, die sie schufen.

    Magie?
    NOLAN: Ich finde, das Wort trifft es ganz gut. Was der junge Oppenheimer und seine Zeitgenossen damals machten, war revolutionär, sie stellten sich unsere Welt auf eine Art und Weise vor, wie es noch niemand getan hatte und die auch kaum jemand verstand. Das muss für viele gewirkt haben wie Zauberei. Bis heute ist die Quantenphysik noch nicht vollkommen in die klassische Physik integriert. Für viele ist sie immer noch ein Mysterium. Die Art und Weise, wie ich Oppenheimers Gedankenprozesse im Film visualisiert habe, sollte deswegen auch diese magische Komponente haben. Es geht nicht darum, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer verstehen, was genau da in ihm vorgeht. Aber ich musste ein Gespür dafür vermitteln, wie weltbewegend, aufregend und elektrisierend sein Schaffen ist.

    Oppenheimer liest T.S. Eliot, hört Strawinsky, bewundert Picasso. Er ist durch und durch ein Kind der Moderne. Würden Sie sagen, dass diese mit der Atombombe zu Ende ging?
    NOLAN: Ja. Der Film verankert Oppenheimer sehr klar in der Kultur seiner Zeit. Die Revolution, die sich in der Physik der 1920er Jahre abspielte, hatte ihre Entsprechung in ähnlichen Revolutionen in der Kunst, der Musik und der Politik. Was sich etwa in Russland nach der Revolution abspielte, die Anfänge des Kommunismus, das hat ihn sehr beeinflusst. Die Intellektuellen in jener Zeit waren alle Teil einer grundlegenden Neubewertung aller Strukturen und Regeln, ob nun in der Kunst, der Wissenschaft oder dem Leben allgemein.Obwohl es den wenigsten bewusst sein dürfte, war es von all diesen Revolutionen und Veränderungen, die damals vonstattengingen, diejenige in der Physik, die auf unsere Welt den nachhaltigsten Einfluss hatte. Und sich vor allem auch nicht umkehren ließ. Stilrichtungen in der Kunst oder selbst politische Entwicklungen konnte man wieder ins Gegenteil verkehren. Aber die Macht des Atoms war nicht wieder einzufangen.

    Ihr Film feiert Oppenheimers Errungenschaften, aber auch deren bittere Folgen spielen eine Rolle, wie die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki. War das erzählerisch eine schwierige Balance?
    NOLAN: Balance ist vermutlich nicht das beste Wort dafür. Es sind zwei Extreme, die hier dezidiert nebeneinanderstehen. Mir war es wichtig, dass das Publikum wirklich in Oppenheimers Lage versetzt wird und den Triumph des erfolgreichen Trinity-Tests, also der ersten jemals erfolgten Kernwaffenexplosion, als solchen spürt.Und genauso sollte es die Düsternis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nachempfinden können. Oppenheimer war ein brillanter Kopf, der natürlich solche Szenarien vorhersehen konnte. Aber er hat auch gewisse Dinge ausgeblendet. Als er sich schließlich den Folgen stellt, die seine Taten hatten, trifft das sowohl ihn als auch das Publikum mit unvermittelter Wucht.

    Sie erzählen den Film trotzdem nicht chronologisch. Matt Damon sagte gerade in einem Interview, dass Sie vermutlich außerstande seien, eine Geschichte linear umzusetzen. Warum setzen Sie immer auf sprunghafte, zersplitterte narrative Strukturen?
    NOLAN: Für mich sind eine Geschichte und die Struktur, mit der ich sie erzähle, untrennbar miteinander verbunden. Ich beginne nie mit dem Schreiben eines Drehbuchs, bevor ich nicht ganz genau dessen ideale Struktur gefunden habe. Es ist interessant, dass wir Filmemachern beim Erzählen ihrer Geschichten irgendwie viel weniger Freiheiten zugestehen als etwa Schriftstellern oder Theater-Autoren. Das Kino ist da in der Regel sehr viel konservativer, was vermutlich am großen Einfluss liegt, den das Fernsehen eine Weile hatte. Auf dem Bildschirm, wo es womöglich auch Werbeunterbrechungen gibt, passt lineares Erzählen perfekt, und daran orientierte sich auch Hollywood. Aber wir, die in der Zeit nach dem TV- und VHS-Boom in Beruf einstiegen, konnten einen anderen Blick entwickeln. Ab dem Moment, wo es DVDs gab, hatte man als Zuschauer die Möglichkeit, einen Film jederzeit zu starten und zu stoppen, vor- und zurückzuspringen. Von dieser Ausgangslage ausgehend ergaben sich ganz neue, viel elaboriertere Arten, eine Geschichte zu strukturieren.

    Was gewinnt „Oppenheimer“ dadurch, dass Sie sich nicht chronologisch durch diese Lebensgeschichte bewegen?
    NOLAN: Ich will ein Gespür für das komplette Leben dieses Mannes vermitteln, muss mich aber für die Länge eines Films auf Schlüsselmomente und repräsentative Episoden konzentrieren. Wenn man die wie auf einem Zeitstrahl abarbeitet, entwickelt eine solche Lebensgeschichte meiner Meinung nach eine störende Künstlichkeit. Außerdem entsteht dann eine Erwartungshaltung des Publikums, das davon ausgeht, dass bestimmte Punkte abgearbeitet werden müssen. Für „Oppenheimer“ fand ich einen prismatischen Ansatz einfach stimmiger. Wir sehen verschiedene Aspekte seines Lebens zu verschiedenen Zeiten, und in dieser Kontrastierung bekommt das Publikum ein Gefühl dafür, wer dieser Mann ist und wie er sich weiterentwickelt. 

    Sie hatten nur 57 Drehtage, was für einen Film dieser Größenordnung sehr wenig ist. Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Arbeit, etwa im Vergleich zu Ihren vorangegangenen Filmen?
    NOLAN: Das Arbeitstempo war deutlich stressiger, aber irgendwie war diese Energie auch passend für den Film. Die Produktion war aufwendig, wir bauten zum Beispiel eine komplette Stadt, also eine Kopie von Los Alamos, in die Wüste. Aber sowohl mein Kameramann Hoyte van Hoytema als auch mein Ensemble ließen sich anstecken von der produktiven Hektik. Mich erinnerte das ein bisschen an die Art und Weise, wie ich bei meinen frühen Filmen gearbeitet habe, als Zeit und Geld immer Luxus waren und der Teamgeist dafür sorgte, dass wir am Ende zu einem tollen Ergebnis kamen.

    Eine letzte Frage noch zu Cillian Murphy, mit dem Sie schon häufig zusammengearbeitet haben. Bisher spielte er bei Ihnen Nebenrollen, nun ist er der Titelheld. Was macht ihn zum idealen Oppenheimer?
    NOLAN: Beim Schreiben eines Drehbuchs denke ich nie schon über Schauspieler nach. Damit schränkt man sich ein, und gerade bei einer realen Figur wie Oppenheimer will ich erst einmal der Person selbst gerecht werden und nicht schon überlegen, wer sie später wie zum Leben erweckt.Aber als ich fertig war mit dem Skript, hielt ich noch einmal das Sachbuch in der Hand, das mir als Grundlage diente, die Biografie von Kai Bird und Martin Sherwin. Auf dem Cover sieht man ein Foto von Oppenheimer, der mit diesen intensiven blauen Augen in die Kamera blickt. Und ich wusste sofort, an wen er mich erinnerte: meinen Freund Cillian Murphy. Ich hatte ihn kennengelernt, als er in der engeren Wahl war, die Hauptrolle in „Batman Begins“ zu spielen.Er spielte dann letztlich eine andere Rolle, aber seit damals weiß ich, dass er zu den talentiertesten Schauspielern gehört, die wir haben. Kaum jemand versteht es wie er, die Empathie des Publikums zu gewinnen. Das in Kombination mit diesen einzigartigen Augen und natürlich unserer Freundschaft, die uns ohne Ego und andere Befindlichkeiten miteinander arbeiten lässt, machte ihn zur einzig logischen Wahl für die Hauptrolle in „Oppenheimer“.

    Zur Person

    Als Kind filmte er Actionfiguren mit der Super-8-Kamera seines Vaters, heute zählt Christopher Nolan zu den bedeutendsten Regisseuren in Hollywood. Bekannt wurde der 52-Jährige mit seiner Neuinterpretation der Comicfigur Batman. Für seinen ersten Spielfilm mussten Freunde und Familienmitglieder herhalten, mit seinem zweiten Projekt gelang ihm der Durchbruch. Auch spätere Werke wie der Science Fiction-Film "Inception" mit Leonardo DiCaprio oder der Kriegsfilm "Dunkirk" wurden von Kritikerinnen und Kritikern hochgelobt. Nolan ist mit der Filmproduzentin Emma Thomas verheiratet. Die beiden haben vier Kinder und leben in Los Angeles.

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